BGH Urteil v. - VIa ZR 1141/22

Instanzenzug: Az: 23 U 94/21vorgehend Az: 30 O 9/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Am kaufte der Kläger von der Beklagten einen Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 32.600 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse: EURO 5) ausgestattet. Den Kaufpreis finanzierte der Kläger; am schloss er auf die Vermittlung eines Händlers über den Restbetrag in Höhe von 16.626 € mit der M.               AG (künftig: Darlehensgeberin) einen Darlehensvertrag. Der Darlehensbetrag ist noch nicht vollständig zurückgezahlt.

3Dem Darlehensvertrag lagen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Darlehensgeberin für Verbraucher zugrunde. Dort hieß es unter anderem:

4Der Kläger hat die Beklagte in den Vorinstanzen erstens unter dem Gesichtspunkt des Rücktritts vom Kaufvertrag und zweitens unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Schädigung wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs zuletzt auf Zahlung nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag in Höhe von 27.377,47 € nebst Prozesszinsen und seinen Antrag auf Freistellung weiter, soweit er sie auf eine unerlaubte Handlung der Beklagten stützt.

Gründe

5Die wirksam beschränkte Revision des Klägers (vgl. VIa ZR 1517/22, WM 2023, 1122 Rn. 4 ff. mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt) hat Erfolg. Sie führt im Umfang des Revisionsangriffs zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

6Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:

7Etwaige deliktische Ansprüche habe der Kläger an die Darlehensgeberin abgetreten, sodass er zu deren Geltendmachung nicht aktivlegitimiert sei. Die in den Darlehensvertrag einbezogene Abtretungsklausel erfasse die geltend gemachten deliktischen Ansprüche und halte einer Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB stand. Weder sei sie - weil bankenüblich - überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB noch benachteilige sie den Kläger unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Klausel sei auch nicht unklar. Aufgrund der zwischenzeitlichen Offenlegung der Sicherungsabtretung könne der Kläger weder die Zahlung der Hauptforderung an sich noch die hiervon abhängigen Nebenforderungen verlangen.

II.

8Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Kläger ist vielmehr Anspruchsinhaber möglicher deliktischer Ansprüche gegen die Beklagte, weil die in der Sicherungsabrede zwischen dem Kläger und der Darlehensgeberin enthaltene Abtretungsklausel nach § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1, §§ 134, 400 BGB, § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO unwirksam ist. Darauf, ob die Unwirksamkeit der Klausel zusätzlich aus Gesichtspunkten hergeleitet werden könnte, die in dem Senatsurteil vom (VIa ZR 1517/22, WM 2023, 1122) tragend waren, kommt es nicht an (vgl. , BGHZ 110, 241, 244; Staudinger/Wendland, BGB, Neubearbeitung 2022, § 307 Rn. 111 f. mwN).

91. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, bei der Sicherungsabtretung von Ansprüchen gegen die Beklagte "gleich aus welchem Rechtsgrund" handele es sich um eine vorformulierte Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, die gemäß § 305 Abs. 2 BGB Bestandteil des Darlehensvertrags geworden sei.

102. Weiter im Ergebnis rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht die Klausel als nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB kontrollfähig erachtet.

11Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB sind Gegenstand der Inhaltskontrolle solche Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzenden Regelungen vereinbart werden (st. Rspr., vgl. nur , BGHZ 207, 176 Rn. 16 mwN). Die Klausel, die der Senat ohne Bindung an die Auslegung des Berufungsgerichts selbst auslegen kann (vgl. , BGHZ 222, 74 Rn. 38; Urteil vom - XI ZR 551/21, NJW 2023, 296 Rn. 19), ist so zu verstehen, mit Ausnahme von Gewährleistungsansprüchen aus Kaufvertrag erfasse sie sämtliche mit dem Erwerb des Fahrzeugs in Zusammenhang stehende Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte ( VIa ZR 1517/22, WM 2023, 1122 Rn. 14). Einbezogen sind, worauf der Senat vorab hingewiesen hat, entgegen der Rechtsauffassung der Revisionserwiderung auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung und Ansprüche nach dem Produkthaftungsgesetz, die dem Kläger und Darlehensnehmer bei der Verwendung des gekauften Fahrzeugs entstehen. Die Klausel erfasst damit in Abweichung von der gesetzlichen Regelung nicht nur, was die Revisionserwiderung zugesteht, Ansprüche wegen der Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Klägers als Fahrzeugkäufers gegen die Beklagte (dazu grundlegend , BGHZ 225, 316 Rn. 46 f.). Sie betrifft vielmehr auch Rentenansprüche aus § 843 BGB bzw. aus § 9 ProdHaftG, § 843 Abs. 2 bis 4 BGB im Falle einer aus der Verwendung des Fahrzeugs entstehenden Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung, die nach § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO bis zu einer anderslautenden Entscheidung durch das Vollstreckungsgericht nicht pfändbar und damit nach § 400 BGB nicht abtretbar sind (vgl. , BGHZ 31, 210, 217; Urteil vom - V ZR 138/66, NJW 1970, 282, 283; Urteil vom - VIII ZR 137/76, BGHZ 70, 206, 212; Staudinger/Bieder/Gursky, BGB, Neubearbeitung 2022, § 394 Rn. 41).

123. Die so zu verstehende Klausel hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1, §§ 134, 400 BGB, § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ohne Wertungsmöglichkeit nicht stand. Sie weicht zulasten des Klägers ohne Rücksicht darauf, ob der Kaufvertrag über das Fahrzeug und der Darlehensvertrag verbundene Verträge sind (vgl. dazu , NJW 2021, 2807 Rn. 15), von zwingenden Vorschriften ab (vgl. , BGHZ 180, 257 Rn. 33; Urteil vom - XI ZR 66/13, BGHZ 199, 281 Rn. 10; Urteil vom - XI ZR 174/13, NJW 2015, 1440 Rn. 17; Urteil vom - XI ZR 166/14, BGHZ 207, 176 Rn. 30 f.; Urteil vom - XI ZR 309/16, BGHZ 218, 132 Rn. 18; Urteil vom - XI ZR 294/19, BGHZ 227, 343 Rn. 19). Die § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 400 BGB sind zwingendes Recht (vgl. , NJW 2001, 1443). § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist auch auf Renten anwendbar, die dem Kläger zu zahlen wären (vgl. , NZI 2010, 777 Rn. 42 ff.).

13Darauf, ob sich die Darlehensgeberin (auch) den Einwand der Treuwidrigkeit entgegenhalten lassen müsste, wenn sie sich auf die Abtretung von Ansprüchen aus § 843 BGB bzw. § 9 ProdHaftG, § 843 Abs. 2 bis 4 BGB beriefe, kommt es nicht an. Einwände gegen die Rechtsausübung des Verwenders betreffen die Ausübungskontrolle und setzen eine wirksame Klausel voraus, so dass die Prüfung anhand der §§ 307 ff. BGB Vorrang vor der Prüfung anhand des § 242 BGB genießt. Der Anwendungsbereich einer Klausel kann mithin nicht unter Verweis auf § 242 BGB eingeschränkt werden, um sie im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion auf den gerade noch wirksamen Inhalt zurückzuführen (vgl. , BGHZ 204, 302 Rn. 19; Urteil vom - VIa ZR 1517/22, WM 2023, 1122 Rn. 23).

144. Die wegen ihrer Abweichung von § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 400 BGB ohne Wertungsmöglichkeit unwirksame formularmäßige Sicherungsabtretung sämtlicher Ansprüche gegen die Beklagte mit Ausnahme solcher aus kaufrechtlicher Gewährleistung kann nicht mit der Maßgabe aufrechterhalten werden, dass andere Ansprüche als solche auf Zahlung von Renten, die wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind, wirksam abgetreten sind. Ein solches Verständnis liefe auf eine geltungserhaltende Reduktion hinaus, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzulässig ist (, NJW 2015, 1440 Rn. 18; Urteil vom - XI ZR 166/14, BGHZ 207, 176 Rn. 32, jeweils mwN). Die Klausel kann auch nicht in einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich unzulässigen Teil zerlegt werden (vgl. , BGHZ 218, 132 Rn. 20; Urteil vom - VIa ZR 1517/22, WM 2023, 1122 Rn. 25).

III.

15Das Berufungsurteil ist danach hinsichtlich des Zahlungsantrags in Höhe von 27.377,47 € nebst Prozesszinsen und hinsichtlich des Freistellungsantrags, soweit beide Anträge mit einer unerlaubten Handlung der Beklagten begründet sind, gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben, da es sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten wegen einer deliktischen Schädigung des Klägers getroffen, sodass die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:260623UVIAZR1141.22.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-44128