Tarifliche Nachtarbeitszuschläge - Gleichheitssatz - Zuschlagshöhe - Differenzierung - Nachtarbeit - Nachtschichtarbeit - Tarifauslegung - Futtermittelindustrie
Gesetze: § 1 TVG, Art 3 Abs 1 GG, § 6 Abs 5 ArbZG, Art 9 Abs 3 GG, Art 20 EUGrdRCh, Art 21 EUGrdRCh, EGRL 88/2003
Instanzenzug: ArbG Osnabrück Az: 4 Ca 293/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 17 Sa 211/20 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge.
2Der Kläger leistete im streitgegenständlichen Zeitraum Nachtarbeit im Rahmen eines Drei-Schicht-Systems bei der Beklagten, einem Unternehmen der Futtermittelherstellung. Im Arbeitsverhältnis der Parteien gilt aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für die Futtermittelindustrie in Niedersachsen und Bremen vom , gültig ab (MTV).
3Der MTV enthält unter anderem folgende Regelungen:
4Der Kläger verrichtete in den Monaten Februar bis Mai sowie Juli 2019 regelmäßige Schichtarbeit im tarifvertraglichen Sinn in einem Drei-Schicht-System, die auch in die tarifliche Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr fiel. Hierfür erhielt er einen Zuschlag in Höhe von 25 % pro Stunde.
5Mit seiner Klage begehrt der Kläger - nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung - für die geleistete Nachtarbeit die Zahlung weiterer Nachtarbeitszuschläge in Höhe der Differenz zwischen dem gezahlten tariflichen Zuschlag für regelmäßige Schichtarbeit, die in die Zeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr fällt, in Höhe von 25 % und dem tariflichen Zuschlag für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, in Höhe von 60 % des tatsächlichen Stundenverdiensts.
6Er hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf einen tariflichen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 60 % ergebe sich aus § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. d MTV iVm. dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Nach der tariflichen Regelung erhielten Arbeitnehmer für regelmäßige Schichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr fällt, - trotz Vergleichbarkeit beider Arbeitnehmergruppen - Zuschläge von nur 25 %, für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit sei, dagegen Zuschläge in Höhe von 60 %, ohne dass für diese Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund vorliege. Der vorrangig zu beachtende Gesundheitsschutz rechtfertige die Ungleichbehandlung nicht; andere Aspekte als dieser könnten bei Nachtarbeit höhere Zuschläge nicht rechtfertigen. Zudem sei die Teilhabe am sozialen Leben auch bei regelmäßiger Nachtarbeit deutlich erschwert. Planbarkeit könne sowohl bei regel- als auch bei unregelmäßiger Nachtarbeit vorliegen oder fehlen. Die Tarifvertragsparteien hätten den Begriff der regelmäßigen Schichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr falle, zudem ungewöhnlich eng definiert, wohingegen der Begriff der Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit sei, ein weitgefasster Auffangbegriff sei, der etwa auch Schichtarbeit in einem kürzeren Turnus als eine Woche erfasse sowie regelmäßige nächtliche Einsätze, zB Wartungsarbeiten. Daraus und aus § 4 Abschn. I Nr. 5 iVm. Nr. 1 MTV ergebe sich, dass eine mangelnde Planbarkeit des nächtlichen Einsatzes hier keine zusätzliche Erschwernis als Zweck für den höheren Zuschlag darstelle. Die Zuschlagsregelungen stellten auf die Regelmäßigkeit der Schichtarbeit ab, nicht auf die Regelmäßigkeit von Nachtarbeit.
7Der Kläger hat beantragt,
8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für regelmäßige Schichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr falle, und Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit sei, verstießen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Arbeitnehmergruppen, die diese Formen von Nachtarbeit leisteten, seien schon nicht miteinander vergleichbar. Zudem liege ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vor, weil regelmäßige Nachtschichtarbeit häufiger anfalle. Die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge überschreite auch nicht den Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien. Die Zuschlagsdifferenz verringere sich außerdem durch die Regelung zu den Schichtfreizeiten und den Umstand, dass der höhere Zuschlag für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit sei - was sich aus der Tarifhistorie zeige - typischerweise Mehrarbeit betreffe und solche Nachtarbeit außerhalb der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit geleistet werde. Der höhere Zuschlag solle auch nicht nur die Erschwernis für die Arbeit in der Nacht ausgleichen, sondern kompensieren, dass die betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit verlören, über ihre Freizeit zu disponieren. Arbeitgeber sollten von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abgehalten werden. Die Teilhabe am sozialen Leben, etwa die Organisation der Kinderbetreuung, sei bei unregelmäßiger Nachtarbeit wesentlich schwerer zu organisieren. Schließlich sei eine „Anpassung nach oben“ abzulehnen.
9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers - mit Ausnahme des Zinsbeginns - stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
10Der Senat hat das Revisionsverfahren im Hinblick auf zwei Vorabentscheidungsersuchen zum Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ausgesetzt. Der EuGH hat auf die dort gestellte Frage mit Urteil vom geantwortet (- C-257/21 und C-258/21 - [Coca-Cola European Partners Deutschland]).
Gründe
11Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger kann für den streitgegenständlichen Zeitraum entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keine weiteren Nachtarbeitszuschläge für die während der Nachtschichten geleisteten Arbeitsstunden verlangen. Dies führt insoweit zur Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts und zur Wiederherstellung der klagabweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO).
12I. Die Klage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger hat für jeden Monat des streitgegenständlichen Zeitraums die Anzahl der geleisteten Nachtarbeitsstunden angegeben und die Klageforderung ausgehend vom tariflichen Bruttostundenlohn mit der geltend gemachten Differenz von 35 Prozentpunkten für die geleisteten Nachtarbeitsstunden berechnet. Damit ist die Klage in Bezug auf jeden Monat, für den der Kläger höhere Nachtarbeitszuschläge verlangt, als abschließende Gesamtklage zu verstehen und hinreichend bestimmt (vgl. - Rn. 14 mwN; - 10 AZR 34/17 - Rn. 13, BAGE 162, 230).
13II. Die Klage ist insgesamt, auch soweit das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben hat, unbegründet. Der Kläger kann von der Beklagten keine weiteren Nachtarbeitszuschläge für den streitgegenständlichen Zeitraum verlangen. Ein solcher Anspruch steht ihm weder unmittelbar aus dem MTV noch wegen eines Verstoßes der Bestimmungen des MTV gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu.
141. Ein Anspruch auf einen höheren Nachtarbeitszuschlag ergibt sich nicht unmittelbar aus den Regelungen des MTV.
15a) Der MTV gilt im Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).
16b) Nach § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. e MTV ist für regelmäßige Schichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr fällt, ein Zuschlag von 25 %, nach § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. d MTV für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, ein Zuschlag von 60 % des tatsächlichen Stundenverdiensts zu zahlen. Da es sich bei der vom Kläger im Rahmen eines Drei-Schicht-Systems geleisteten Nachtarbeit um regelmäßige Schichtarbeit zur tariflich definierten Nachtzeit iSv. § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. e MTV handelt (vgl. zum Begriff „regelmäßig“ - Rn. 16 mwN), hat er nach den Regelungen des MTV nur Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % des tatsächlichen Stundenverdiensts. Davon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus.
172. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 60 % des tatsächlichen Stundenverdiensts wegen eines Verstoßes der tariflichen Differenzierung gegen Art. 3 Abs. 1 GG und einer daraus folgenden Anpassung „nach oben“. Die Regelungen des MTV stellen einen angemessenen Ausgleich für die Belastungen durch regelmäßige Schichtarbeit in einem Drei-Schicht-System, die in die Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr fällt, dar und haben Vorrang vor dem gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG. Die Unterscheidung bei der Zuschlagshöhe für regelmäßige Schichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr fällt (im Folgenden regelmäßige Nachtschichtarbeit), einerseits und Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, andererseits in § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. d und e MTV verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Arbeitnehmer, die regelmäßige Nachtschichtarbeit leisten, werden gegenüber Arbeitnehmern, die Nachtarbeit erbringen, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, nicht gleichheitswidrig schlechter gestellt. Für die Ungleichbehandlung bei der Höhe des Nachtarbeitszuschlags gibt es einen aus dem MTV erkennbaren sachlichen Grund, der diese rechtfertigt.
18a) Die Tarifvertragsparteien sind nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden, wenn sie tarifliche Normen setzen (st. Rspr., - Rn. 33; - 10 AZR 108/19 - Rn. 26; - 10 AZR 334/20 - Rn. 26, BAGE 173, 205; - 6 AZR 449/19 - Rn. 21; - 5 AZR 168/19 - Rn. 21). Die Tarifautonomie ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Vergütungen und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen ( ua. - Rn. 146, BVerfGE 146, 71). Mit der Normsetzung auf Grundlage der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie üben die Tarifvertragsparteien daher keine delegierte Staatsgewalt aus. Sie nehmen vielmehr privatautonom ihre Grundrechte wahr, wobei ihre Normsetzung durch den in § 4 Abs. 1 TVG enthaltenen staatlichen Geltungsbefehl tariflicher Rechtsnormen getragen wird. Mit der kollektiv ausgeübten privatautonomen Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge ist eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien nicht zu vereinbaren. Sie führte zu einer umfassenden Überprüfung tarifvertraglicher Regelungen am Maßstab der Verhältnismäßigkeit und damit zu einer „Tarifzensur“ durch die Arbeitsgerichte ( - Rn. 19, BAGE 169, 163; - 10 AZR 300/18 - Rn. 17; ErfK/Schmidt 23. Aufl. GG Einl. Rn. 47).
19b) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bildet aber als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie. Der Schutzauftrag der Verfassung verpflichtet die Arbeitsgerichte dazu, gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden. Dementsprechend ist Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen (vgl. - Rn. 20; - 3 AZR 618/19 - Rn. 39, BAGE 174, 116; - 10 AZR 334/20 - Rn. 27 ff. mwN auch zur Gegenauffassung, BAGE 173, 205; - 6 AZR 449/19 - Rn. 21; - 9 AZR 364/19 - Rn. 47, BAGE 172, 313; - 5 AZR 258/19 - Rn. 37; - 6 AZR 563/18 - Rn. 23 ff., BAGE 169, 163; - 10 AZR 300/18 - Rn. 18; zust. Bayreuther NZA 2019, 1684, 1686). Diese Grenze ist zu beachten, obwohl Tarifnormen nicht selten Ergebnisse tarifpolitischer Kompromisse sind („Gesamtpaket“), und kann damit zur Beschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechte der Tarifvertragsparteien führen (vgl. - Rn. 31 mwN, aaO; abl. Jacobs RdA 2023, 9, 15 ff.).
20c) Bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrags haben die Gerichte allerdings zu beachten, dass den Tarifvertragsparteien als selbständigen Grundrechtsträgern bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Sie bestimmen in diesem Rahmen nicht nur den Zweck einer tariflichen Leistung ( - Rn. 47, BAGE 172, 313; - 10 AZR 231/18 - Rn. 34, BAGE 165, 1). Ihnen kommt auch eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind ( - Rn. 26, BAGE 169, 163; vgl. auch BT-Drs. 12/5888 zum Entwurf des ArbZG S. 20: „Ein wesentliches Ziel des Gesetzentwurfs ist es, den Tarifvertragsparteien ... im Interesse eines praxisnahen, sachgerechten und effektiven Arbeitszeitschutzes mehr Befugnisse und mehr Verantwortung als bisher zu übertragen. Die Tarifvertragsparteien kennen die in den Betrieben zu leistende Arbeit und die für die Arbeitnehmer entstehenden zeitlichen Belastungen [größere Sachnähe der Tarifvertragsparteien ...]. Sie können daher viel stärker differenzieren, ...“). Darüber hinaus verfügen die Tarifvertragsparteien über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelungen ( (A) - Rn. 43, BAGE 173, 251). Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Koalitionen setzen. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht ( - Rn. 40, BAGE 174, 116; - 10 AZR 334/20 - Rn. 41, BAGE 173, 205; - 6 AZR 563/18 - aaO; - 2 AZR 158/18 - Rn. 34, BAGE 168, 238; - 4 AZR 796/13 - Rn. 32, BAGE 151, 235).
21Dies bedingt im Ergebnis eine deutlich zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte ( - Rn. 42, BAGE 173, 205). Ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichheitsgrundrecht ist erst dann anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen. Bei der Gruppenbildung dürfen sie generalisieren und typisieren. Allerdings müssen die Differenzierungsmerkmale im Normzweck angelegt sein und dürfen ihm nicht widersprechen. Auf abstrakt denkbare Zwecke kommt es dabei nicht an, sondern auf solche, die den Tarifnormen im Weg der Auslegung zu entnehmen sind. Diese können sich insbesondere aus den in der Regelung selbst normierten Voraussetzungen sowie den Ausschluss- und Kürzungstatbeständen ergeben, die die Tarifvertragsparteien unter Beachtung ihres Gestaltungsspielraums festgelegt haben ( (B) - Rn. 34 mwN). Das gilt unabhängig davon, ob es sich um Verbandstarifverträge, unternehmensbezogene Verbandstarifverträge oder Tarifverträge mit einzelnen Arbeitgebern handelt.
22d) Diese Grundsätze gelten im Ausgangspunkt auch für tarifvertragliche Regelungen über den Ausgleich der Belastungen durch Nachtarbeit. Allerdings können solche tariflichen Regelungen den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG nur verdrängen, wenn sie unter Beachtung des Gesundheitsschutzes der Nachtarbeitnehmer tatsächlich einen angemessenen Ausgleich gewährleisten.
23aa) Das Bundesverfassungsgericht hat für den Bereich der Nachtarbeit erkannt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, den Schutz der Arbeitnehmer vor den schädlichen Folgen der Nachtarbeit zu regeln. Eine solche Regelung war notwendig, um dem objektiven Gehalt der Grundrechte, insbesondere dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, zu genügen. Für dieses Grundrecht besteht eine staatliche Schutzpflicht. Dem Gesetzgeber kommt dabei ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsfreiraum zu, um die Schutzpflicht zu erfüllen ( ua. - zu C III 3 der Gründe, BVerfGE 85, 191; - Rn. 44, BAGE 173, 205).
24bb) Der Gesetzgeber ist dem Schutzauftrag mit § 6 Abs. 5 ArbZG nachgekommen. Die Norm überantwortet die Schaffung von Ausgleichsregelungen für geleistete Nachtarbeit wegen ihrer größeren Sachnähe vorrangig den Tarifvertragsparteien. Die gesetzlichen Ansprüche greifen nur subsidiär (vgl. - Rn. 45 mwN, BAGE 173, 205). Auch bei solchen tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit handelt es sich aber um originär ausgeübte Tarifautonomie ( - Rn. 46, aaO; aA Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 21). Der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz der Koalitionsfreiheit ist nicht auf den Bereich des Unerlässlichen beschränkt. Er geht über den Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG hinaus und erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen ( ua. - Rn. 115 mwN, BVerfGE 148, 296).
25cc) Die Tarifvertragsparteien sind frei in ihrer Entscheidung, ob sie einen tariflichen Ausgleich für erbrachte Nachtarbeit regeln wollen. Dies gilt sowohl im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 ArbZG als auch darüber hinaus. So können sie beispielsweise die Nachtzeit gegenüber den Bestimmungen des ArbZG erweitern oder auch Arbeitnehmern, die keine Nachtarbeitnehmer nach § 2 Abs. 5 ArbZG sind, einen Ausgleichsanspruch gewähren. Entscheiden sie sich aber im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 ArbZG dafür, eine Regelung zu treffen, sind sie - anders als regelmäßig sonst bei der Gewährung tariflicher Leistungen - in einem gewissen Maß inhaltlich gebunden. Sie haben zu beachten, dass der Gesundheitsschutz beim Ausgleich der Belastungen durch Nachtarbeit im Vordergrund steht und diesem Genüge getan werden muss. Die tarifliche Regelung muss die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen angemessen kompensieren ( (A) - Rn. 72 mwN, BAGE 173, 165; - 6 AZR 549/17 - Rn. 18; - 1 ABR 62/10 - Rn. 15 mwN; - 10 AZR 369/10 - Rn. 18; Baeck/Deutsch/Winzer ArbZG 4. Aufl. § 6 Rn. 83; BeckOK ArbSchR/Höfer Stand ArbZG § 6 Rn. 51, 53; BeckOK ArbR/Kock Stand ArbZG § 6 Rn. 25 f.; Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 269; Kohte FS Buschmann 2014 S. 71, 81; Raab ZFA 2014, 237, 244; J. Ulber AuR 2020, 157, 161 f.; aA Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 26 f.; wohl auch Neumann/Biebl ArbZG 16. Aufl. § 6 Rn. 26). Nur dann kann die tarifliche Regelung den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG hinsichtlich des die Nachtarbeit leistenden Arbeitnehmers verdrängen. Das folgt schon aus dem Wortsinn des Begriffs „Ausgleichsregelung“ in § 6 Abs. 5 ArbZG und entspricht dem Sinn und Zweck des Gesundheitsschutzes ( - aaO).
26dd) Bei der näheren Ausgestaltung, wie eine solche angemessene Kompensation erfolgen soll, sind die Tarifvertragsparteien hingegen im Rahmen der Tarifautonomie freier als der unmittelbar an § 6 Abs. 5 ArbZG gebundene Arbeitgeber. Ihnen kommt ein Beurteilungsspielraum zu, wie sie den Ausgleich für die Nachtarbeit regeln wollen ( - Rn. 18; HK-ArbZeitR/Lorenz 2. Aufl. ArbZG § 6 Rn. 127). § 6 Abs. 5 ArbZG sieht für tarifliche Regelungen keine konkreten Mindestvorgaben vor. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die tarifvertragliche Regelung den mit § 6 Abs. 5 ArbZG verfolgten Zwecken (vgl. dazu zuletzt - Rn. 28, 36 mwN) bei einer Gesamtbetrachtung gerecht wird. Die Tarifvertragsparteien sind deshalb auch nicht an die von der Rechtsprechung entwickelten Regelwerte für gesetzliche Nachtarbeitszuschläge gebunden (aA Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 14; J. Ulber AuR 2020, 157, 162 f.).
27ee) Soweit tarifvertragliche Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit einen Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich begründen, tritt unmittelbar eine gesundheitsschützende Wirkung in den Fällen ein, in denen sich die Dauer der Arbeitszeit für den Arbeitnehmer durch den bezahlten Freizeitausgleich insgesamt verringert und er zeitnah gewährt wird. Nachtarbeitszuschläge wirken sich dagegen nicht positiv auf die Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers aus. Der individuelle Gesundheitsschaden wird über den Zuschlag kommerzialisiert. Die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wird verteuert, um auf diesem Weg allgemein Nachtarbeit einzudämmen, wodurch die Gesundheit mittelbar geschützt wird. Außerdem soll der Nachtarbeitszuschlag den Arbeitnehmer in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen (vgl. - Rn. 48 mwN, BAGE 173, 205).
28e) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze haben die Tarifvertragsparteien für Beschäftigte, die - wie der Kläger - regelmäßige Nachtschichtarbeit in einem Drei-Schicht-System leisten, im MTV Regelungen geschaffen, die den Zwecken des § 6 Abs. 5 ArbZG gerecht werden und die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen angemessen kompensieren. Damit werden die gesetzlichen Ausgleichsansprüche für die streitgegenständlichen Schichtzeiten verdrängt.
29aa) Ob im jeweiligen Tarifvertrag ein angemessener Ausgleich für die Belastungen durch die Nachtarbeit vorgesehen ist und die entsprechende Regelung den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG verdrängt, ist jeweils anhand der betroffenen Arbeitnehmergruppe - hier die Arbeitnehmer, die regelmäßig Nachtschichtarbeit leisten, - und der konkreten Arbeitssituation, die im Streit steht, zu prüfen. Eine Gesamtbetrachtung des Tarifvertrags im Hinblick auf seinen persönlichen Geltungsbereich ist nicht vorzunehmen. Eine solche würde auf der einen Seite nicht sicherstellen, dass für jeden einzelnen Nachtarbeitnehmer iSd. ArbZG ein angemessener tariflicher Ausgleichsanspruch besteht. Auf der anderen Seite kann der Umstand, dass es für einzelne Arbeitnehmergruppen an einem angemessenen Ausgleich fehlt (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung zB -) nicht dazu führen, dass tariflichen Regelungen, die für andere Gruppen einen angemessenen Ausgleich beinhalten, entgegen § 6 Abs. 5 ArbZG der Vorrang verwehrt wird.
30bb) Danach wird § 6 Abs. 5 ArbZG auch im Hinblick auf Beschäftigte, die regelmäßige Nachtschichtarbeit in einem Drei-Schicht-System leisten, durch die streitgegenständliche tarifliche Regelung verdrängt. Diese erhalten grundsätzlich einen tariflichen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % auf den tatsächlichen Stundenverdienst (§ 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. e MTV). Dieser Wert erhöht sich nicht durch den in § 4 Abschn. III MTV geregelten Anspruch auf einen Tag Schichtfreizeit für je 60 geleistete Nachtschichten. Dabei handelt sich nicht um einen spezifischen Ausgleich für Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschicht, sondern - jedenfalls vorrangig - um eine Kompensation für die Belastungen durch den Schichtwechsel. Denn dieser Anspruch besteht nicht bei ständiger Nachtschichtarbeit. Dem MTV lässt sich auch nicht entnehmen, dass regelmäßige Nachtschichtarbeit in seinem Geltungsbereich nach den Vorstellungen der Tarifvertragsparteien nur im Rahmen von Wechselschicht im Drei-Schicht-Turnus anfallen kann. Gleichwohl stellt im Rahmen der bei der Beurteilung der Angemessenheit notwendigen wertenden Betrachtung der von den Tarifvertragsparteien vorgesehene Ausgleich unter Berücksichtigung der Art der zu leistenden Arbeit, also der Gegenleistung der Arbeitnehmer (vgl. dazu - Rn. 26 mwN), eine hinreichende Kompensation für die mit der Nachtarbeit verbundene Erschwernis dar und beinhaltet eine Entschädigung für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben.
31cc) Soweit der Kläger darauf verweist, dass eine Regelung, die für regelmäßige Nachtschichtarbeit geringere Zuschläge gewährt als für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, die gesetzliche Zielsetzung missachte und deshalb unwirksam sei, vermag dies nicht zu überzeugen (so aber zB auch J. Ulber AuR 2020, 157, 163). Dies vermengt die Frage der Angemessenheit des Ausgleichs mit der Frage der Gleichbehandlung. Die Frage der Angemessenheit iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG richtet sich aber nicht danach, ob andere Arbeitnehmer den gleichen oder ggf. einen höheren Nachtarbeitszuschlag erhalten.
32f) Die in § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. d und e MTV enthaltene Differenzierung zwischen den Zuschlägen für regelmäßige Nachtschichtarbeit und Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, verstößt - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es liegen zwar miteinander vergleichbare Arbeitnehmergruppen vor. Allerdings ist die unterschiedliche Behandlung bei den Zuschlägen für regelmäßige Nachtschichtarbeit und Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, sachlich gerechtfertigt. Mit dem höheren Zuschlag soll - wie die Auslegung der Bestimmungen des MTV ergibt - die schlechtere Planbarkeit von Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, ausgeglichen werden. Dieser erkennbare Wille der Tarifvertragsparteien ist Teil deren ausgeübter Tarifautonomie und genügt als sachlicher Grund.
33aa) Arbeitnehmer, die regelmäßige Nachtschichtarbeit bzw. Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, iSd. MTV leisten, sind - entgegen der Ansicht der Beklagten - miteinander vergleichbar. Die jeweiligen Zuschlagstatbestände knüpfen übereinstimmend an die Arbeitsleistung in der tarifvertraglich definierten Nachtzeit an, die sich - insbesondere durch das Maß an Belastung - von der Arbeit zu anderen Zeiten unterscheidet (vgl. - Rn. 50 ff. mwN auch zu krit. Stimmen, BAGE 173, 205). Dem steht auch nicht entgegen, dass die Tarifvertragsparteien grundsätzlich autonom die Tatbestandsvoraussetzungen festlegen können, auf deren Grundlage die Gruppen zu bilden sind. Das entbindet sie nicht davon, die Grenzen von Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. Die sich dabei stellende Frage, ob sachliche Gründe für die unterschiedliche Behandlung vorliegen, ist auf der Rechtfertigungsebene zu klären (vgl. - Rn. 52, aaO; aA zB Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 267 f.; ähnlich Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 16 ff.; Kleinebrink NZA 2019, 1458, 1461).
34bb) Die unterschiedlich hohen Zuschläge für Nachtarbeit in § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. d und e MTV führen dazu, dass zwei Gruppen von Arbeitnehmern, die nachts arbeiten, ungleich behandelt werden. Der Ausgleich, den Arbeitnehmer für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, erhalten, ist deutlich höher als derjenige für regelmäßige Nachtschichtarbeit.
35(1) Nach § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. e MTV erhalten Arbeitnehmer für regelmäßige Nachtschichtarbeit einen Zuschlag von 25 % des tatsächlichen Stundenverdiensts (§ 4 Abschn. II Nr. 4 MTV), während der Zuschlag für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, 60 % beträgt. Das führt zu einer Differenz in Höhe von 35 Prozentpunkten.
36(2) Die Differenz zwischen den beiden Zuschlagstatbeständen verringert sich nicht dadurch, dass nach § 4 Abschn. III MTV für je 60 geleistete Nachtschichten ein Tag bezahlte Schichtfreizeit zu gewähren ist. Dabei handelt es sich nicht um einen spezifischen Ausgleich für die Belastungen durch die Arbeit in der Nachtzeit (vgl. Rn. 30).
37(3) Die rechnerische Differenz bei der Zuschlagshöhe für regelmäßige Nachtschichtarbeit sowie Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, verringert sich auch nicht um die bezahlte Essenspause von 20 Minuten innerhalb der Arbeitszeit nach § 3 Nr. 9 MTV. Diese steht in Betrieben, in denen im Zwei- bzw. Drei-Schicht-System gearbeitet wird, Arbeitnehmern zu, die aus betrieblichen Gründen wegen ununterbrochenen Fortgangs der Arbeit ihren Arbeitsplatz nicht verlassen können. Der Anspruch setzt damit zwar im Drei-Schicht-System auch einen Einsatz in der Nachtschicht voraus. Die Pause wird aber bei Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen in allen Schichten gewährt, also auch in Tagschichten. Demnach dient sie nicht dem Ausgleich der spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit, sondern dem Ausgleich des ununterbrochenen Fortgangs der Arbeit verbunden mit dem Umstand, den Arbeitsplatz für eine Pause nicht verlassen zu können.
38(4) Unerheblich ist auch, dass der Nachtarbeitszuschlag nach § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. e MTV bereits für die Zeit ab 22:00 Uhr geschuldet wird und somit der Beginn der Nachtzeit gegenüber der gesetzlichen Regelung um eine Stunde vorgezogen ist (vgl. hierzu Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 251 „Ausgleichsfaktor“). Dem steht schon entgegen, dass die tarifliche Nachtzeit für Arbeitnehmer, die Nachtarbeit leisten, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, nach § 4 Abschn. I Nr. 2 MTV bereits um 20:00 Uhr beginnt.
39(5) Ob sich der Unterschied in der Zuschlagshöhe bei regelmäßiger Nachtschichtarbeit und Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, dadurch vermindert - wie die Beklagte meint -, dass Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, in der Regel Mehrarbeit ist und der Zuschlag für diese Nachtarbeit einen Mehrarbeitszuschlag umfasst, kann dahinstehen. Denn die Ungleichbehandlung bei der Höhe der Zuschläge ist unabhängig davon gerechtfertigt.
40cc) Die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die regelmäßige Nachtschichtarbeit leisten, gegenüber Arbeitnehmern, die Nachtarbeit leisten, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, ist - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt.
41(1) Die Tarifvertragsparteien sind im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative nicht gehindert, tatsächliche Unterschiede hinsichtlich der Belastungen durch regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit anzunehmen. Dabei sind sie nicht auf gesundheitliche Aspekte beschränkt. Diese tatsächlichen Unterschiede vermögen auf der Regelungsebene aufgrund des den Tarifvertragsparteien zukommenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums einen - auch deutlich - höheren Ausgleich für unregelmäßige Nachtarbeit zu rechtfertigen. Dabei hat sich die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung am - aus dem Tarifvertrag erkennbaren - Zweck der Leistung zu orientieren ( - Rn. 66, BAGE 165, 1; - 6 AZR 161/16 - Rn. 55, BAGE 158, 360). Ein solch weiterer Zweck liegt hier vor. Nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien soll mit dem höheren Zuschlag auch die schlechtere Planbarkeit unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden. Das ergibt die Auslegung der tariflichen Regelungen.
42(2) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags, die in der Revisionsinstanz in vollem Umfang überprüfbar ist, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung, ergänzend herangezogen werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr., zB - Rn. 13 mwN).
43(3) Dies zugrunde gelegt ergibt sich zunächst, dass die Tarifvertragsparteien des MTV mit der Regelung von Nachtarbeitszuschlägen den Gesundheitsschutz der Nachtarbeitnehmer bezwecken. Das gilt sowohl im Hinblick auf den Zuschlag für regelmäßige Nachtschichtarbeit als auch für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist. Dieser Zweck stellt aber keinen Sachgrund für höhere Zuschläge zugunsten der Arbeitnehmer dar, die Nachtarbeit leisten, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist.
44(a) Der Zweck des Gesundheitsschutzes ist zwar nicht ausdrücklich im MTV benannt. Er hat aber hinreichend Niederschlag gefunden. Die Zuschläge werden ausdrücklich als solche für Nachtarbeit bezeichnet (§ 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. d und e MTV). Der MTV definiert den Begriff der Nachtarbeit als die Zeit zwischen 20:00 Uhr bzw. 22:00 Uhr und 06:00 Uhr (§ 4 Abschn. I Nr. 2 MTV), knüpft damit an § 2 Abs. 3 ArbZG an und erweitert den Nachtzeitraum. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Ausgleichsregelung des § 6 Abs. 5 ArbZG und dem dort normierten grundsätzlichen Vorrang von Ausgleichsregelungen in Tarifverträgen liegt nahe, dass die Tarifvertragsparteien von dieser Kompetenz Gebrauch machen und auch der gesetzlichen Zwecksetzung genügen wollten. Die Gesundheit - über die Verteuerung der Arbeit zumindest mittelbar - zu schützen, ist der typischerweise mit Nachtarbeitszuschlägen verfolgte Zweck (vgl. - Rn. 25).
45(b) Der Zweck des Gesundheitsschutzes vermag die Ungleichbehandlung allerdings nicht zu rechtfertigen.
46(aa) Nachtarbeit ist nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen für jeden Menschen schädlich, weil sie negative gesundheitliche Auswirkungen hat ( ua. - zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 85, 191; ebenso - Rn. 70 f., BAGE 173, 205; - 10 AZR 123/19 - Rn. 27 mwN, BAGE 171, 280; - 10 AZR 34/17 - Rn. 49, BAGE 162, 230; - 10 AZR 47/17 - Rn. 39, BAGE 160, 325; Schlachter/Heinig/Bayreuther Europäisches Arbeits- und Sozialrecht [EnzEuR Bd. 7] § 11 Rn. 33; EuArbRK/Gallner 3. Aufl. RL 2003/88/EG Art. 8 Rn. 3 mwN). Das gilt im Ausgangspunkt unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb von Schichtsystemen geleistet wird. Die gesundheitliche Belastung durch Nachtarbeit steigt nach bisherigem Kenntnisstand in der Arbeitsmedizin durch die Zahl der Nächte im Monat und die Zahl der aufeinanderfolgenden Nächte, in denen Nachtarbeit geleistet wird ( - Rn. 24; - 10 AZR 123/19 - aaO; - 10 AZR 423/14 - Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378; - 10 AZR 736/12 - Rn. 19, BAGE 147, 33).
47(bb) Durch Arbeit während der Nachtzeit wird die sog. zirkadiane Rhythmik gestört. Zu der sozialen Desynchronisation kommt die physiologische Desynchronisation der Körperfunktionen, die sich typischerweise in Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden und kardiovaskulären Beeinträchtigungen äußert (Beermann Nacht- und Schichtarbeit - ein Problem der Vergangenheit? S. 4 f. = https://d-nb.info/992446481/34; Langhoff/Satzer Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit S. 26 ff., 37 f.; DGUV Report 1/2012 S. 81 f., 91 ff., 119 ff.). Sekundärstudien deuten darauf hin, dass sich Nachtarbeit auch negativ auf die Psyche auswirkt (vgl. Amlinger-Chatterjee Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt S. 31). Anerkannt ist, dass Nachtarbeit umso schädlicher ist, in je größerem Umfang sie geleistet wird ( - Rn. 24; - 10 AZR 123/19 - Rn. 27 mwN, BAGE 171, 280; - 10 AZR 423/14 - Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378; vgl. auch den siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG; Mitteilung der Europäischen Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. EU C 165 vom S. 42).
48(cc) Aufgrund der steigenden gesundheitlichen Belastung durch eine größere Zahl der Nächte im Monat und eine höhere Zahl der aufeinanderfolgenden Nächte, in denen Nachtarbeit geleistet wird, sollten möglichst wenige Nachtschichten aufeinanderfolgen. Dem steht nicht entgegen, dass viele Schichtarbeitnehmer, die in einem Rhythmus von fünf und mehr aufeinanderfolgenden Nachtschichten arbeiten, subjektiv den Eindruck haben, dass sich ihr Körper der Nachtschicht besser anpasst. Das trifft nicht zu (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Leitfaden zur Einführung und Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit 9. Aufl. S. 12 f.; Langhoff/Satzer Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit S. 32). Aufeinanderfolgende Nachtschichten sind besonders schädlich, obwohl sich Arbeitnehmer typabhängig unterschiedlich gut an die Nachtarbeit anpassen ( - Rn. 72, BAGE 173, 205; - 10 AZR 423/14 - Rn. 17, BAGE 153, 378; - 10 AZR 736/12 - Rn. 19 f. mwN, BAGE 147, 33; vgl. Langhoff/Satzer aaO S. 36). Bislang ist nicht belegt, dass aufeinanderfolgende Nachtschichten signifikant weniger gesundheitsschädlich sind, wenn Arbeitnehmer nach einem Schichtplan eingesetzt werden, der ihnen im Voraus bekannt ist. Nach Amlinger-Chatterjee zeigen extrahierte statistische Daten lediglich eine tendenziell geringere gesundheitliche Belastung, wenn die Arbeitszeiten vorhersagbar sind (Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt S. 52).
49(dd) Nach diesen Erkenntnissen läge es unter den Aspekten des Gesundheitsschutzes betrachtet näher, die in erheblichem Umfang geleistete regelmäßige Nachtschichtarbeit mit höheren Zuschlägen zu vergüten als die gelegentlich außerhalb von Schichtsystemen geleistete Nachtarbeit ( - Rn. 70, BAGE 173, 205; aA Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 31). Jedenfalls können danach Gesundheitsschutzaspekte die im MTV vorgenommene Differenzierung für sich genommen sachlich nicht rechtfertigen.
50(4) Soweit die Beklagte darauf hinweist, Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, falle sehr viel seltener an als regelmäßige Nachtschichtarbeit und betreffe insoweit nur eine geringe Anzahl von Arbeitnehmern, ergibt sich auch aus einem solchen Ausnahmecharakter der Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, für sich genommen kein sachlicher Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte. Der mögliche Ausnahmecharakter wäre zwar ein Umstand, der auf einen bestimmten Zweck der Leistung hindeuten kann, nicht aber ein selbständiger Zweck, der mit der Tarifregelung verfolgt wird. Auch die Größe der jeweils betroffenen Arbeitnehmergruppe - sollte die Beklagte hierauf abstellen - vermag die Begünstigung einer Mehrheit oder Minderheit allein nicht zu rechtfertigen. Denn Ungleichbehandlungen sind - dem Grundgedanken des Gleichheitsgebots folgend - unabhängig von der Größe der betroffenen Gruppen zu vermeiden.
51(5) Ob der Zuschlag für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, auch den Zweck hat, einen Ausgleich für Mehrarbeit zu gewähren, die - so die Beklagte - in der Regel mit dieser Form der Nachtarbeit verbunden sei, kann - wie ausgeführt (Rn. 39) - im Streitfall dahinstehen, weil ein anderer sachlicher Grund gegeben ist.
52(6) Ein Sachgrund ergibt sich aus dem von den Tarifvertragsparteien mit dem höheren Nachtarbeitszuschlag ebenfalls verfolgten Zweck, gerade die Belastungen durch die schlechter vorhersehbaren und somit schlechter planbaren Nachtarbeitszeiten bei Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, auszugleichen. Dieser Zweck hat auch ausreichend Niederschlag im MTV gefunden.
53(a) § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. d MTV benennt nicht ausdrücklich, welchem Zweck die höheren Zuschläge für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, dienen. Er enthält in den Bestimmungen, die die Zuschläge für Nachtarbeit regeln, auch nicht ein Begriffspaar wie „regelmäßig“ und „unregelmäßig“, aus dessen Gegenüberstellung sich der damit verbundene weitere Zweck erkennen ließe (vgl. dazu - Rn. 53 ff.). Die Verwendung des Begriffspaars „regelmäßige Schichtarbeit“ (§ 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. e MTV) und „Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist“ (§ 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. d MTV) kommt dem nach Wortlaut und Bedeutung nicht gleich (aa). Aus dem Regelungssystem des MTV lässt sich aber entnehmen, dass es sich bei der regelmäßigen Nachtschichtarbeit um die regelmäßige Form der Nachtarbeit handelt, während die Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, nur unregelmäßig anfällt (bb).
54(aa) Der Begriff der „regelmäßigen Schichtarbeit“ iSv. § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. e MTV beschreibt ein regelhaftes Arbeitszeitmodell. „Regelmäßig“ bedeutet „einer bestimmten festen Ordnung, Regelung (die besonders durch zeitlich stets gleiche Wiederkehr, gleichmäßige Aufeinanderfolge gekennzeichnet ist) entsprechend, ihr folgend“ (www.duden.de Stichwort „regelmäßig“, zuletzt abgerufen am ). Die Regelhaftigkeit entspricht auch dem Verständnis der Schichtarbeit in der - mangels eigener tariflicher Definition - allgemeinen arbeitsrechtlichen Bedeutung (vgl. dazu - Rn. 10; - 10 AZR 570/09 - Rn. 14 mwN). Eine solche regelmäßige Nachtarbeit ist bei typisierender Betrachtung besser vorhersehbar und planbar als unregelmäßige Nachtarbeit (vgl. - Rn. 54). Die Tarifvertragsparteien haben vorliegend allerdings nicht das Wort „unregelmäßig“ - als Gegensatzbegriff zu „regelmäßig“ - in § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. d MTV verwendet, sondern die Formulierung „Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist“ gewählt. Unter diesen Begriff kann aber isoliert betrachtet nicht nur unregelmäßige Nachtarbeit, sondern auch die ständige- und damit regelmäßige und planbare - Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit fallen.
55(bb) Dass es sich bei Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, aber um unregelmäßige Nachtarbeit handelt, lässt sich aus der Regelung in § 4 Abschn. I Nr. 5 MTV erkennen. Danach ist Nachtarbeit - außer regelmäßige Schichtarbeit - nach Möglichkeit zu vermeiden. Außer bei üblicher Schichtarbeit ist sie im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen nur vorübergehend in den Fällen einer dringenden betrieblichen Notwendigkeit im Einverständnis mit dem Betriebsrat zulässig. Bei einer nur auf solche besonderen, typischerweise nicht vorherseh- und planbaren, Ausnahmefälle beschränkten Nachtarbeit handelt es sich um eine unregelmäßig auftretende Form der Arbeit zur Nachtzeit. Eine ständige oder regelmäßige Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit im Tarifsinn scheidet damit nach dem System des MTV aus.
56(cc) Hieraus folgt insgesamt bei typisierender Betrachtung, dass regelmäßige Nachtschichtarbeit besser vorhersehbar und planbar ist als - unregelmäßige - Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist. Das gilt unabhängig davon, wie oft regelmäßige Nachtschichtarbeit geleistet wird. Typischerweise werden bei dieser Art der Nachtarbeit (Schicht-)Pläne mit zeitlichem Vorlauf aufgestellt, die einem gewissen Rhythmus folgen. Deshalb ist es auch besser möglich, dass der Arbeitnehmer sich auf diese regelmäßig geschuldete Arbeitsleistung einstellt und sein privates Umfeld ggf. darauf ausrichtet. Unregelmäßige Nachtarbeit richtet sich dagegen nicht nach festen Regeln, sondern folgt üblicherweise einem weniger vorhersehbaren Bedarf ( - Rn. 54; - 10 AZR 332/20 (A) - Rn. 130 mwN, BAGE 173, 165).
57(dd) Mit Blick darauf kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien angenommen haben, Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, sei aufgrund der typischerweise gegebenen Unvorhersehbarkeit schlechter planbar und mit ihr seien neben der gesundheitlichen Belastung durch die Nachtarbeit weitere Belastungen verbunden. Wird eine solche unregelmäßige Nachtarbeit geleistet, werden diese weiteren Belastungen mit dem höheren Nachtarbeitszuschlag finanziell kompensiert (zur anders gelagerten Belastung vgl. auch - Rn. 23, BAGE 147, 33). Dies entspricht dem langjährigen Begriffsverständnis in der Rechtsprechung zur Differenzierung bei Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige bzw. planbare und unplanbare Nachtarbeit auch bereits vor Abschluss des hier maßgeblichen MTV. Dieses ging dahin, „unregelmäßige“ Nachtarbeit sei weniger vorhersehbar und die ungeplante und nicht vorhersehbare Heranziehung bringe eine weitere, anders gelagerte Belastung - nicht unbedingt gesundheitlicher Art - mit sich (vgl. -; - 5 AZR 808/06 - Rn. 31 ff.; - 10 AZR 736/12 - aaO).
58(ee) Der Zweck, die schlechtere Plan- und Vorhersehbarkeit auszugleichen, wird zudem durch die Regelung in § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. e MTV bestätigt, wonach regelmäßige Schichtarbeit nicht vorliegt, wenn die Schichtarbeit weniger als eine Woche dauert. Denn je länger die Schichten sind, bevor gewechselt wird - hier die Mindestdauer von einer Woche -, desto planbarer ist das soziale Leben außerhalb der Arbeit. Je kürzer hingegen der zeitliche Abstand zwischen den Schichtwechseln ist, desto mehr Planung und Abstimmung ist im Privatleben erforderlich.
59(ff) Soweit der Kläger einwendet, der Zuschlag in Höhe von 60 % werde für jegliche Nachtarbeit gewährt, die keine regelmäßige Schichtarbeit im Tarifsinn sei, und insoweit umfasse § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. d MTV zum Beispiel auch regelmäßige Schichtarbeit, die in einem kürzeren Turnus als eine Woche geleistet werde oder regelmäßige nächtliche Einsätze wie Wartungsarbeiten, kann dem nicht gefolgt werden. Solche ständige oder regelmäßige Nachtarbeit außerhalb von regelmäßiger Schichtarbeit scheidet - wie bereits dargelegt - nach dem System des MTV aus. Regelmäßige Schichtarbeit liegt nach § 4 Abschn. II Nr. 1 Buchst. e MTV nur vor, wenn die Schichtarbeit mindestens eine Woche dauert. Gleichzeitig sieht § 4 Abschn. I Nr. 5 MTV vor, dass jede andere Form der Nachtarbeit möglichst zu vermeiden und nur vorübergehend in Fällen einer dringenden betrieblichen Notwendigkeit im Einvernehmen mit dem Betriebsrat zulässig ist. Die von dem Kläger erwähnten Beispiele stellen demnach keine vom MTV zugelassene Form regelmäßiger Nachtarbeit dar.
60(gg) Soweit der Kläger weiter meint, aus § 4 Abschn. I Nr. 5 iVm. Nr. 1 Abs. 2 MTV ergebe sich, dass bei der Anordnung von Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, wie bei Mehrarbeit auf die persönlichen und kulturellen Bedürfnisse der Arbeitnehmer weitestgehend Rücksicht zu nehmen sei und deshalb mangelnde Planbarkeit kein beabsichtigter Zweck sein könne, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. § 4 Abschn. I Nr. 1 Abs. 2 Satz 3 MTV gilt - unabhängig von der rechtlichen Bedeutung der Bestimmung - nur für die Anordnung von Mehrarbeit. § 4 Abschn. I Nr. 5 MTV enthält keine solche Beschränkung und nimmt diese auch nicht in Bezug.
61(b) Der Zweck des Ausgleichs der schlechteren Planbarkeit der unregelmäßigen Nachtarbeit vermag die Ungleichbehandlung bei der Zuschlagshöhe zu rechtfertigen. Es handelt sich um einen sachlich vertretbaren Grund. Dabei ist unerheblich, dass mit der tariflichen Zuschlagsregelung des MTV mehrere Zwecke gebündelt verfolgt werden und wie der weitere Zweck von den Tarifvertragsparteien finanziell bewertet wird.
62(aa) Die Tarifvertragsparteien sind grundsätzlich frei darin, in Ausübung ihrer grundrechtlich geschützten autonomen Regelungsmacht den Zweck einer tariflichen Leistung zu bestimmen. Es ist ihnen überlassen, die ihrer Ansicht nach auftretenden, prognostizierten Probleme in Bezug auf unregelmäßige Nachtarbeit im Vergleich zur regelmäßigen Nachtarbeit mit einem höheren Zuschlag zu vergüten. Den Gerichten ist eine eigene Bewertung nicht vorbehalten. Sie dürfen ihre Gerechtigkeitsvorstellungen nicht an die Stelle derjenigen der Tarifvertragsparteien setzen. Gleiches gilt für die Frage, mit welcher Regelungstechnik die Tarifvertragsparteien ihre Zwecksetzung im Tarifvertrag umsetzen wollen. So können die verschiedenen Erschwernisse mit getrennten Zuschlägen bedacht werden, was im Hinblick auf die Erkennbarkeit ihrer jeweiligen Zwecksetzung sicherlich vorzugswürdig ist. Ebenso ist es aber möglich, mit einem Zuschlag mehrere Zwecke zu verbinden und diese als sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung heranzuziehen, solange diese Zwecke aus den Tarifregelungen erkennbar sind (Rn. 20 f., 41 f.).
63(bb) Entgegen der Auffassung der Klägerseite gilt für Zuschläge, die auch dem Ausgleich der durch Nachtarbeit hervorgerufenen Erschwernisse dienen, nichts anderes. Weder § 6 Abs. 5 ArbZG noch andere Arbeitsschutzbestimmungen schreiben vor, dass Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit ausschließlich diesem Zweck dienen müssen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass durch den Tarifvertrag ein angemessener Ausgleich für Nachtarbeit gewährt wird (Rn. 22 ff.). Letzteres schließt aber nicht aus, dass mit einem einheitlichen Zuschlag auch weitere Zwecksetzungen, die nicht dem Gesundheitsschutz dienen, verbunden sind, wenn diese ihren Niederschlag in den Tarifregelungen gefunden haben.
64(cc) Auch die schlechtere Planbarkeit von unregelmäßiger Nachtarbeit ausgleichen zu wollen, genügt, um die unterschiedlichen Zuschlagshöhen für regelmäßige Nachtschichtarbeit und Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, zu rechtfertigen (vgl. - Rn. 22 f., BAGE 147, 33; Bayreuther RdA 2022, 290, 301; Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 270 f.; Temming jurisPR-ArbR 51/2022 Anm. 3 zu D; Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 21; aA Brandt/Lueken HSI-Report 3/2022 S. 5, 11 f.; Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 35 ff.).
65(aaa) Ein tarifvertraglicher Zuschlag kann den Zweck verfolgen, die Einbuße der Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit zu belohnen und Arbeitgeber von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abzuhalten (vgl. - Rn. 67, BAGE 165, 1). Da unregelmäßige Nachtarbeit weniger planbar ist, greift sie in dem Moment, in dem sie anfällt, stärker in das soziale Leben ein als regelmäßige und damit vorhersehbare Nachtarbeit, soweit die Teilhabe am sozialen Leben eine zeitliche Koordination mit anderen Vorhaben erfordert. Bei regelmäßiger - planbarer - Nachtarbeit können außerberufliche, insbesondere familiäre Verpflichtungen koordiniert, Verabredungen getroffen und die Freizeitplanung hieran ausgerichtet verlässlich gestaltet werden (vgl. - Rn. 22 f., BAGE 147, 33; vgl. auch Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 40: „[D]ie soziale Desynchronisation kann … bei nicht planmäßiger Nachtarbeit eine etwas stärkere Wirkung haben …“). Das ist bei unregelmäßiger Nachtarbeit schwieriger. Gleichzeitig beweisen die Arbeitnehmer bei unregelmäßiger Nachtarbeit eine größere Flexibilität. Ein Ausgleich für schlechter planbare Arbeitszeiten ist legitim, unabhängig davon, dass mit Nachtarbeit erhöhte Gesundheitsgefahren verbunden sind. Der höhere Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit dient - wie dargelegt (vgl. Rn. 52 ff.) - auch dem Zweck, diese besonderen Belastungen durch die Nachtarbeit zu kompensieren.
66(bbb) Diese Aspekte konnten die Tarifvertragsparteien bei der Regelung unterschiedlich hoher Nachtarbeitszuschläge berücksichtigen. Soweit der Senat in der Entscheidung vom (- 10 AZR 34/17 - Rn. 52, BAGE 162, 230) ausführt, die Teilhabe am sozialen Leben sei bei regelmäßiger Nachtarbeit jedenfalls genauso betroffen wie bei unregelmäßiger Nachtarbeit, steht dies nicht entgegen. Es geht hier nicht um den Aspekt der Betroffenheit im Allgemeinen, sondern darum, dass unregelmäßige Nachtarbeit weniger planbar ist und dass sie, wenn sie anfällt, im privaten Umfeld größere Probleme zu verursachen vermag als voraussehbare regelmäßige Nachtarbeit.
67(ccc) Ob - wie der Kläger meint - ein Zweck, der dem Gesundheitsschutz zuwiderlaufen würde, kein rechtfertigender Grund für eine Ungleichbehandlung sein kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn das ist vorliegend nicht der Fall. Der erhöhte Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit stellt keinen Anreiz dar, solche Arbeiten vermehrt ausführen zu lassen. Vielmehr wird der ökonomisch handelnde Arbeitgeber versuchen, diese möglichst zu vermeiden. Im Übrigen legt § 4 Abschn. I Nr. 5 MTV ausdrücklich fest, dass Nachtarbeit außer bei regelmäßiger Schichtarbeit nur vorübergehend zulässig ist.
68(dd) Das Ausmaß der Differenz der Zuschläge für regelmäßige Nachtschichtarbeit und Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, ist für die Beurteilung, ob ein Sachgrund die unterschiedliche Behandlung trägt, nicht von Bedeutung. Die Tarifautonomie schließt eine Angemessenheitsprüfung insoweit aus. Ergibt - wie hier - die Auslegung der tarifvertraglichen Regelungen, dass mit dem höheren Nachtarbeitszuschlag für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, ein weiterer Zweck verfolgt wird, der nicht dem Ausgleich der besonderen Belastungen durch Nachtarbeit dient, ist es den Tarifvertragsparteien überlassen, die Höhe dafür nach ihrem Ermessen festzulegen. Nach der Konzeption des Grundgesetzes ist die Festlegung der Höhe des Entgelts grundsätzlich den Tarifvertragsparteien übertragen, weil dies nach Überzeugung des Verfassungsgebers zu sachgerechteren Ergebnissen als eine staatlich beeinflusste Lohnfindung führt ( - Rn. 32, BAGE 151, 235; - 4 AZR 147/10 - Rn. 32 mwN, BAGE 140, 291; vgl. auch Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 25 - „Kernelement der Tarifautonomie“). Dies umfasst die Bewertung von Erschwernissen, die ausgeglichen werden sollen. Dabei haben die Tarifvertragsparteien auch die Befugnis, Regelungen zu treffen, die den Betroffenen ungerecht und Außenstehenden nicht zwingend sachgerecht erscheinen mögen ( - aaO). Soweit die Entscheidung des Senats vom (- 10 AZR 34/17 - Rn. 45 ff., BAGE 162, 230) so verstanden werden könnte, dass auch bei Vorliegen eines weiteren Zwecks die Höhe der Differenz für die Bewertung einer möglichen Gleichheitswidrigkeit von Bedeutung ist, wird daran nicht festgehalten.
693. Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf den höheren Nachtarbeitszuschlag, weil die tarifvertragliche Differenzierung zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit gegen Art. 20 und 21 GRC verstieße. Der EuGH, dem nach Art. 267 AEUV die Aufgabe der verbindlichen Auslegung von Richtlinien zugewiesen ist, hat auf die Vorlagen des Senats vom (- 10 AZR 332/20 (A) - BAGE 173, 165 und - 10 AZR 333/20 (A) -) entschieden, dass mit einer tarifvertraglichen Regelung, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Vergütungszuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, die Richtlinie 2003/88/EG nicht iSv. Art. 51 Abs. 1 GRC durchgeführt wird (vgl. und C-258/21 - [Coca-Cola European Partners Deutschland] Rn. 45 ff.). Damit kommen die Bestimmungen der GRC vorliegend nicht zum Tragen.
70III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 iVm. § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:220323.U.10AZR482.20.0
Fundstelle(n):
CAAAJ-43288