Instanzenzug: Az: 2 Ca 134/20 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 9 Sa 59/20 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche des Klägers aus einem Tarifvertrag.
2Der Kläger ist seit 1981 bei der Beklagten beschäftigt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts richtet sich das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß individualvertraglicher Vereinbarung in § 16 des Arbeitsvertrags „nach den für die Betriebe der Beklagten räumlich und fachlich geltenden Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung, soweit im Einzelfall nicht ausdrücklich etwas Anderes zwischen ihnen vereinbart worden ist“.
3Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie und beschäftigt ca. 600 Arbeitnehmer. Sie war zunächst Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. (Südwestmetall) und kündigte ihre Mitgliedschaft zum . Am schloss sie mit der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) einen „Firmen-Tarifvertrag“ (Firmen-TV) mit ua. folgendem Inhalt:
4In der Anlage 1 sind ua. der zwischen Südwestmetall und IG Metall abgeschlossene Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Südbaden vom (MTV), das Urlaubsabkommen für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in den Tarifgebieten Südbaden und Südwürttemberg-Hohenzollern vom , der Tarifvertrag über Entgelte und Ausbildungsvergütungen für die Beschäftigten und Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg vom und der Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung betrieblicher Sonderzahlungen für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in den Tarifgebieten Südbaden und Südwürttemberg-Hohenzollern vom aufgeführt.
5Der zwischen Südwestmetall und IG Metall abgeschlossene Tarifvertrag über Entgelte und Ausbildungsvergütungen für die Beschäftigten und Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg vom sah ua. eine Erhöhung der Grundentgelte um 4,3 vH ab dem vor. Nachdem die Beklagte der Anerkennung dieses Tarifvertrags widersprochen hatte, fanden zwischen ihr und der IG Metall - unter Beteiligung des damaligen Betriebsratsvorsitzenden der Beklagten - Verhandlungen über den Abschluss eines Haustarifvertrags statt. Am vereinbarten die Beklagte und die IG Metall den Tarifvertrag über Entgelte und Ausbildungsvergütung - Fa. König Metall GmbH & Co. KG (Entgelt-TV) mit ua. folgendem Inhalt:
6Die Betriebsvereinbarungen „Kindergartenzuschuss“ und „Raucherplätze/Pausenplätze“ sowie die baulichen Maßnahmen bezüglich der Raucher-/Pausenplätze wurden vor dem abgeschlossen.
7Der „Altbau“ verfügt im Erdgeschoss über zwei Herrentoiletten („WC Herren rechts“ und „WC Herren links“) sowie eine Damentoilette („WC Damen rechts“) und im 1. Obergeschoss über eine „Dusche Herren Aufgang rechts“ sowie eine Damen- und eine Herrenumkleide, jeweils mit Duschen. Die Bereiche „WC Herren links“ und „WC Damen rechts“ sind nach Sanierung am übergeben worden. Die Sanierung der „Duschen Herren Aufgang rechts“ wurde am beendet, diejenige des „WC Herren rechts“ am . Die Duschen in den Damen- und Herrenumkleiden wurden nicht saniert.
8Die Beklagte zahlte an den Kläger im zunächst streitgegenständlichen Zeitraum unter der Bezeichnung „Entgelt“ 2.517,86 Euro brutto (Juli 2019), 3.217,26 Euro brutto (August 2019), 3.217,26 Euro brutto (September 2019), 3.217,26 Euro brutto (Oktober 2019) und 3.064,06 Euro brutto zzgl. 1.930,36 Euro Weihnachtsgeld (November 2019). Im Jahr 2020 erhielt er Vergütung iHv. 3.217,26 Euro brutto (März), 2.308,02 Euro brutto (April), 2.065,29 Euro brutto (Mai), 2.337,65 Euro brutto (Juni), 3.217,26 Euro brutto (Juli), 3.349,32 Euro brutto (August), 3.217,26 Euro brutto (September) und 3.217,26 Euro brutto (Oktober).
9Nach erfolgloser Geltendmachung mit Schreiben vom und hat der Kläger mit seiner der Beklagten am zugestellten Klage sowie mit seiner in der Berufungsinstanz erfolgten, der Beklagten am zugestellten Klageerweiterung Zahlungsansprüche für den Zeitraum Juli bis November 2019 und März bis Oktober 2020 geltend gemacht. Er hat die Ansicht vertreten, ihm stehe ab Juli 2019 ein Anspruch auf Zahlung eines um 0,5 vH erhöhten Entgelts nach Nr. 6 Abs. 3 Entgelt-TV zu. Die im Entgelt-TV enthaltene Bedingung der nicht rechtzeitigen Erledigung der betrieblichen Themen sei eingetreten, da nicht alle baulichen Maßnahmen am abgeschlossen worden seien.
10Der Kläger hat - zusammengefasst - beantragt,
11Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und hierzu die Auffassung vertreten, in Nr. 6 Abs. 3 Entgelt-TV sei eine Vertragsstrafe vereinbart worden. Der vorgesehene Zeitplan sei nur geringfügig und zudem ohne ihr Verschulden überschritten worden, eine Verpflichtung zur Sanierung der Duschen in den Umkleiden habe nicht bestanden. Die Vertragsstrafe sei daher nicht verwirkt. Zudem sei die Vereinbarung nach § 344 BGB unwirksam. Die Sanierung betreffe das betriebliche Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeberin und Betriebsrat und könne nicht mit einer Entgelterhöhung verknüpft werden. Jedenfalls sei die - unverhältnismäßig hohe - Vertragsstrafe nach § 343 BGB, hilfsweise § 242 BGB auf ein angemessenes Maß herabzusetzen. Die Entgelterhöhung um 0,5 vH führe bei 600 Mitarbeitern für die Beklagte zu Kosten in Höhe von mehr als 150.000,00 Euro pro Jahr. Etwaige Ansprüche des Klägers seien nach der tariflichen Ausschlussfrist verfallen.
12Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und der Klage hinsichtlich einer Entgelterhöhung um 0,1 vH für die Monate September bis November 2019, März und April 2020 sowie Juni bis Oktober 2020 in Höhe von insgesamt 32,30 Euro brutto nebst Zinsen stattgegeben. Der Kläger wendet sich mit seiner Revision ausschließlich gegen die Herabsetzung der Entgelterhöhung von 0,5 vH auf 0,1 vH, nicht aber gegen die gänzliche Abweisung der Zahlungsansprüche für die Monate Juli und August 2019 sowie Mai 2020. Die Beklagte begehrt mit ihrer Anschlussrevision die vollständige Klageabweisung.
Gründe
13Die zulässige Revision des Klägers ist begründet, die ebenfalls zulässige Anschlussrevision der Beklagten bleibt - mit Ausnahme eines geringen Teils der zugesprochenen Zinsen - ohne Erfolg.
14I. Die Klage ist - soweit noch streitgegenständlich - entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht nur teilweise, sondern insgesamt begründet. Insoweit ist das Berufungsurteil daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und dem Antrag, da die Sache auf der Grundlage der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO), unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts stattzugeben. Der Kläger hat gegen die Beklagte für die Monate September bis November 2019, März und April 2020 sowie Juni bis Oktober 2020 einen Anspruch auf Zahlung weiterer 161,49 Euro brutto nebst Zinsen aus § 611a Abs. 2 BGB iVm. Nr. 6 Abs. 3 Entgelt-TV.
151. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft einzelvertraglicher Bezugnahme die Regelungen des Entgelt-TV und des Firmen-TV Anwendung.
16a) Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nach den für die Betriebe der Beklagten räumlich und fachlich geltenden Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung. Die Bezugnahmeklausel ist sowohl zeitdynamisch als auch hinsichtlich der anzuwendenden Tarifverträge inhaltsdynamisch ausgestaltet. Sie erfasst nicht nur Tarifverträge einer bestimmten Branche oder bestimmter Tarifvertragsparteien in ihrer jeweiligen Fassung, sondern zudem andere Tarifverträge, an die die Arbeitgeberin gebunden ist oder es zukünftig sein wird ( - Rn. 23 mwN, BAGE 174, 382).
17b) Der Entgelt-TV und der Firmen-TV als von der Beklagten mit der IG Metall abgeschlossene und für die Beklagte „derzeit“ nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG geltende Tarifverträge werden daher von der Bezugnahmeklausel erfasst.
182. Ab Juli 2019 haben sich die Vergütungsansprüche des Klägers nach Nr. 6 Abs. 3 Entgelt-TV um 0,5 vH erhöht.
19a) Die Tarifvertragsparteien haben in Nr. 6 Entgelt-TV das Inkrafttreten einer Entgelterhöhung um 0,5 vH an den Eintritt der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) der Nichterfüllung der „betrieblichen Themen“ geknüpft. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrags (zu den Grundsätzen - Rn. 35 mwN, BAGE 164, 326).
20aa) Bedingung iSd. §§ 158 ff. BGB ist die durch den Parteiwillen in ein Rechtsgeschäft eingefügte Bestimmung, die die Rechtswirkungen des Geschäfts von einem zukünftigen, ungewissen Ereignis abhängig macht ( - Rn. 37, BAGE 125, 147; - Rn. 19 mwN). Eine solche kann grundsätzlich auch in einem Tarifvertrag vereinbart werden. Die Tarifvertragsparteien können nicht nur für das Inkrafttreten von Tarifverträgen insgesamt eine aufschiebende Bedingung vereinbaren (etwa - Rn. 35; - 10 AZR 196/19 - Rn. 24), sondern auch die Geltung einzelner Regelungen von einer solchen abhängig machen (etwa - Rn. 39, 42, 51, BAGE 148, 139; zu einer auflösenden Bedingung sh. - Rn. 27).
21bb) Vorliegend soll nach Nr. 6 Abs. 3 Entgelt-TV eine weitere Erhöhung der Entgelte um 0,5 vH zum erfolgen, wenn die Zeitpläne zu den in Abs. 1 und Abs. 2 genannten „betrieblichen Themen“ nicht eingehalten werden. Das Inkrafttreten der Entgelterhöhung als Inhaltsnorm iSd. § 1 TVG (zum Begriff - Rn. 29; - GS 1/82 - zu C II 2 b der Gründe, BAGE 53, 42) und damit deren unmittelbare und zwingende Wirkung für die Tarifgebundenen (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG) ist damit von dem zukünftigen, ungewissen Ereignis - dem nicht rechtzeitigen Abschluss der Betriebsvereinbarungen, der Nichtfertigstellung der baulichen Maßnahmen bis zum (Nr. 6 Abs. 1 Entgelt-TV) oder der fehlenden Grundsanierung der sanitären Einrichtungen im Altbau bis zum (Nr. 6 Abs. 2 Entgelt-TV) - abhängig gemacht worden.
22cc) Diese Bedingung kann - entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts - nicht (zudem) als Vertragsstrafe iSd. §§ 339 ff. BGB angesehen werden.
23(1) Unter einer Vertragsstrafe wird das Versprechen einer Zahlung (§ 339 BGB) oder einer anderen Leistung (§ 342 BGB) durch den Schuldner für den Fall verstanden, dass dieser eine Verbindlichkeit nicht oder nicht in gehöriger Weise, insbesondere nicht rechtzeitig erfüllt ( - Rn. 11). Die Vertragsstrafe soll Ansprüche des Gläubigers durch Druck auf den Schuldner sichern und den Gläubiger vom Nachweis eines Schadens befreien ( - zu I 1 der Gründe; - Rn. 15; - V ZR 233/80 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 82, 398). Diese doppelte Zielrichtung gilt auch für das im Gesetz in § 343 Abs. 2 BGB geregelte selbstständige Strafversprechen. Mit ihm wird zwar nicht, wie im Fall der „echten“ Vertragsstrafe, die Hauptverbindlichkeit des Schuldners gesichert. Der Druck des Versprechens soll jedoch bewirken, dass der Schuldner eine von ihm an sich nicht geschuldete Handlung vornimmt ( - zu II der Gründe, BGHZ 105, 24). Maßgebend für die Abgrenzung, ob eine Vertragsstrafe vereinbart wurde, ist die primäre Zielrichtung der vertraglichen Abrede ( - zu II 2 a der Gründe).
24(2) Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei der tariflichen Regelung in Nr. 6 Entgelt-TV nicht um ein Vertragsstrafenversprechen. Die Beklagte verpflichtet sich zwar zur Zahlung einer höheren Vergütung für den Fall der nicht oder nicht rechtzeitigen Erfüllung der sich aus Nr. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Entgelt-TV ergebenden „betrieblichen Themen“. Die Vereinbarung entspricht aber ihrer Zielrichtung nach nicht einer Vertragsstrafe.
25(a) Dem Wortlaut der tariflichen Regelung lässt sich deren Zielrichtung nicht entnehmen. Die Tarifvertragsparteien haben in Nr. 6 Abs. 3 Entgelt-TV nicht ausdrücklich eine „Vertragsstrafe“ vereinbart. Sie haben auch nicht in anderer Weise das Verhältnis der „betrieblichen Themen“ zur Entgelterhöhung festgelegt, sondern lediglich vereinbart, dass zum eine „weitere Erhöhung der Entgelte um 0,5 %“ erfolgt, wenn für die „aufgeführten betrieblichen Themen die Zeitpläne nicht eingehalten“ werden.
26(b) Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang sowie Sinn und Zweck der Vereinbarung ergibt sich, dass deren Ziel nicht vorrangig die Durchsetzung der „betrieblichen Themen“ durch Ausübung von Druck und Schadenspauschalierung, sondern die Regelung der Entgeltbedingungen der Arbeitnehmer ist.
27(aa) Ziel des Entgelt-TV ist es, die Höhe der Entgelte der tarifgebundenen Arbeitnehmer festzulegen. Vereinbarungen zur Entgelthöhe sind Ausfluss des jedem Tarifvertrag innewohnenden Kompromisses widerstreitender Interessen (vgl. hierzu - Rn. 39, BAGE 174, 382; - 4 AZR 796/13 - Rn. 44 mwN, BAGE 151, 235; - 4 AZR 795/05 - Rn. 24, BAGE 118, 159). Dies gilt auch bei Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung für das Inkrafttreten einer Entgelterhöhung. Die Arbeitgeberin erhält die Möglichkeit, statt einer durch die Gewerkschaft geforderten - und von der Arbeitgeberin nicht gewünschten - Entgelterhöhung eine andere Leistung zu erbringen, für die die Gewerkschaft bereit ist, von ihrer Forderung Abstand zu nehmen (sh. auch die Fallgestaltung einer auflösenden Bedingung - Rn. 27 mit Rn. 4). In Nr. 6 Entgelt-TV dient die Vereinbarung der Entgelterhöhung daher nicht der Sicherung der Durchführung der „betrieblichen Themen“, sondern dem Ausgleich der widerstreitenden Interessen. Es geht vorrangig um die inhaltliche Regelung der Hauptpflichten der tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse, nicht um die Sanktionierung eines Verhaltens der Beklagten.
28(bb) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts spricht auch die Aussage des Zeugen S, er habe während der Tarifverhandlungen gesagt „Wenn ihr es bis dahin nicht schafft, dann muss es halt mal weh tun“, nicht für die Vereinbarung einer Vertragsstrafe. Durch die aufschiebende Bedingung wird zwar Druck auf die Beklagte ausgeübt, die vereinbarten Fristen einzuhalten. Dieser ist aber dadurch bedingt, dass die Beklagte die Erfüllung der „betrieblichen Themen“ offenbar als das „geringere Übel“ im Vergleich zur Entgelterhöhung angesehen hat. Allein durch diese Wertung wird die Bedingung nicht zu einer Vertragsstrafe.
29(cc) Weiterhin dient die Entgelterhöhung nicht der Vereinfachung eines Schadensnachweises. Die Zahlung der vereinbarten Vergütung ist Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Tätigkeit, nicht Schadensersatz. Zudem ist die Entgelterhöhung nach den tariflichen Regelungen nicht nur an die Arbeitnehmer zu zahlen, welche die Raucher-/Pausenplätze oder die Sanitäreinrichtungen nutzen oder vom Kindergartenzuschuss profitieren, sondern allen Arbeitnehmern, die unter den Geltungsbereich des Entgelt-TV fallen. Auch dies spricht gegen die Annahme, Ziel der Vereinbarung sei nicht die Festlegung des den Arbeitnehmern zustehenden Entgelts, sondern die Vereinbarung einer Strafe gewesen.
30b) Bei diesem Verständnis der tariflichen Regelung ist Nr. 6 Entgelt-TV wirksam vereinbart.
31aa) Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei den „betrieblichen Themen“ iSd. Nr. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Entgelt-TV um reine Zeitbedingungen, auf deren Eintritt die Beklagte Einfluss haben sollte, oder die Vereinbarung von schuldrechtlichen Verpflichtungen ihrerseits gegenüber der Gewerkschaft zur Durchführung der Maßnahmen handelt.
32(1) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegen mit den Vereinbarungen in Nr. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Entgelt-TV keine Betriebsnormen (vgl. zur Definition der Betriebsnormen - Rn. 33; - 4 AZR 159/09 - Rn. 24 ff., BAGE 137, 45; - 4 AZR 388/99 - zu I 2 c bb der Gründe, BAGE 98, 303) vor, so dass sich die von der Beklagten unter Heranziehung der Entscheidung des Ersten Senats vom (- 1 ABR 62/08 - BAGE 133, 69) aufgeworfene Frage der Zulässigkeit einer Verknüpfung einer Betriebsnorm mit einer Inhaltsnorm nicht stellt.
33(a) Für die nach Nr. 6 Abs. 1 Entgelt-TV zu schließenden Betriebsvereinbarungen ist die Annahme einer Betriebsnorm bereits ausgeschlossen, weil nicht die Organisation und Gestaltung des Betriebs, sondern lediglich das Verhältnis der Beklagten zu dem bei ihr bestehenden Betriebsrat betroffen ist.
34(b) Hinsichtlich Sanitäreinrichtungen kommt zwar grundsätzlich in Betracht, deren Einrichtung und Ausgestaltung im Betrieb durch eine Betriebsnorm zu vereinbaren (als sog. Solidarnorm, vgl. Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 1 Rn. 410; Kempen/Zachert/Kempen TVG 5. Aufl. § 3 Rn. 30; Dieterich FS Däubler S. 451, 453). Eine „betriebliche Frage“ liegt aber nicht schon dann vor, wenn eine Regelung im weitesten Sinne durch die Existenz des Betriebs und durch die besonderen Bedingungen der betrieblichen Zusammenarbeit entstehen kann. Vielmehr müssen Fragen geregelt werden, die unmittelbar die Organisation und die Gestaltung des Betriebs betreffen ( - Rn. 33). Den Vereinbarungen unter Nr. 6 Abs. 2 Entgelt-TV kann allerdings schon nicht entnommen werden, das betriebliche Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Belegschaft als Kollektiv solle geregelt werden. Die Abrede betrifft eine bereits bestehende Sozialeinrichtung und regelt lediglich deren Sanierung - als tatsächliche Handlung - durch die Arbeitgeberin bis zu einem bestimmten Datum. Es wird keine Ausgestaltung iSe. betriebsbezogenen Widmung getroffen, die sich auf die Organisationshoheit des Arbeitgebers hinsichtlich der Nutzungsberechtigungen bezieht. Zudem ist die rechtzeitige Durchführung der Sanierung als Bedingung normativ nur für die Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft geltende Tariflohnerhöhung ausgestaltet. Die (Nicht-)Erfüllung der Verpflichtung soll sich daher unmittelbar nur auf die tarifgebundenen, nicht auf alle Arbeitnehmer auswirken. Die Tariflohnerhöhung ist darüber hinaus unabhängig von der Nutzung der Raucher-/Pausenplätze oder Sanitäreinrichtungen oder der Inanspruchnahme des Kindergartenzuschusses. Das zeigt, dass mit den „betrieblichen Themen“ nicht die Rechtsverhältnisse zwischen der Beklagten und der Belegschaft als Kollektiv geregelt werden sollten.
35(2) Darüber hinaus kann dahinstehen, ob Nr. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Entgelt-TV schuldrechtliche Verpflichtungen der Beklagten zur Durchführung der betrieblichen Themen enthält. Die Tarifvertragsparteien wären nicht gehindert, eine solche Vereinbarung zu treffen. Für sie gilt die allgemeine Vertragsfreiheit. Ihre schuldrechtliche Vereinbarungsmacht ist im Grundsatz unbegrenzt ( - Rn. 31, BAGE 148, 139). Dies gilt auch, soweit der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zum Inhalt einer Bedingung erhoben worden ist. Damit haben die Tarifvertragsparteien nicht in unzulässiger Weise einem Dritten überlassen, ob eine Tarifnorm Geltung erlangt (vgl. hierzu MHdB ArbR/ Klumpp 5. Aufl. § 234 Rn. 44; Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 1 Rn. 1551). Der Eintritt der Bedingung mag zwar von dem Willen der Arbeitgeberin und des Betriebsrats zum Abschluss der fraglichen Betriebsvereinbarungen abhängen. Die Tarifvertragsparteien sind aber grundsätzlich berechtigt, die nähere Ausgestaltung einzelner Arbeitsbedingungen einem Dritten - zB den Betriebsparteien - zu überlassen ( - Rn. 48, BAGE 170, 56). Sie konnten daher vorliegend - zumal zwischen Bedingung und Tarifgeltung ein Sachzusammenhang besteht - das Inkrafttreten einer einzelnen Bestimmung ua. vom Handeln der Arbeitgeberin und des bei ihr bestehenden Betriebsrats abhängig machen.
36bb) Die Regelungen in Nr. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Entgelt-TV, die als Bedingung für die weitere Entgelterhöhung ausgestaltet sind, genügen dem für tarifvertragliche Normen geltenden Bestimmtheitsgebot.
37(1) Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit verlangt vom Normgeber, die von ihm erlassenen Regelungen so bestimmt zu fassen, dass die Rechtsunterworfenen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm angesprochene Rechtsfolge vorliegen. Dies gilt grundsätzlich auch für tarifvertragliche Regelungen, was insbesondere im Schriftformgebot des § 1 Abs. 2 TVG seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat. Der Normadressat muss erkennen können, ob er von einer Regelung erfasst ist und welchen Regelungsgehalt die tarifliche Vorschrift hat. Dabei ist den Tarifvertragsparteien allerdings die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht verwehrt. Dem Tarifvertrag als Normenvertrag für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen ist eine gewisse Unschärfe immanent. Lediglich in ganz besonderen Ausnahmefällen dürfen Gerichte tarifliche Regelungen wegen mangelnder Bestimmtheit und des darauf beruhenden Verstoßes gegen rechtsstaatliche Grundsätze für unwirksam erachten. Das ist dann der Fall, wenn der Regelungsgehalt einer Tarifnorm nicht mehr im Wege der Auslegung ermittelbar ist (ausf. - Rn. 38 mwN, BAGE 170, 56).
38(2) Hinsichtlich der abzuschließenden Betriebsvereinbarungen ergibt sich zwar aus dem Entgelt-TV nicht im Einzelnen, welchen Inhalt diese haben sollen. Es werden lediglich Themen („Kindergartenzuschuss“, „Rauchen“, „Raucherplätze/Pausenplätze“) genannt. Dies führt aber nicht zur Unbestimmtheit der Regelung. Vielmehr kann die Beklagte den Bedingungseintritt bereits durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen, die sich mit diesen Themen befassen, verhindern. Die Tarifvertragsparteien haben die Ausgestaltung der abzuschließenden Betriebsvereinbarungen in zulässiger Weise den Betriebsparteien überlassen. Gleiches gilt hinsichtlich der darüber hinaus vereinbarten „baulichen Maßnahmen“ „bezüglich der Raucher/Pausenplätze“.
39(3) Ebenso ist Nr. 6 Abs. 2 Entgelt-TV mit dem Bestimmtheitsgebot vereinbar. Der Inhalt der Verpflichtung lässt sich durch Auslegung ermitteln. Zur Verhinderung des Bedingungseintritts waren alle im Altbau befindlichen Sanitäreinrichtungen, mithin Duschen und Toiletten, zu sanieren. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit den Entgelt-TV rechtsfehlerhaft ausgelegt und den Umfang der Sanierung auf „sanierungsbedürftige“ Räumlichkeiten beschränkt.
40(a) Dem Wortlaut von Nr. 6 Abs. 2 Entgelt-TV nach sind „die sanitären Einrichtungen“ zu sanieren. Die Verwendung des bestimmten Artikels „die“ deutet darauf hin, dass nicht nur Teilbereiche, sondern alle sanitären Einrichtungen im Altbau hierdurch erfasst werden. Eine Einschränkung lässt sich dem Entgelt-TV, insbesondere dem Begriff „grundsaniert“, nicht entnehmen. „Sanieren“ bedeutet „modernisierend umgestalten“, „reformieren“, „wieder in einen intakten Zustand versetzen“ (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Stichwort „sanieren“; Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl. Stichwort „sanieren“), während die Vorsilbe „grund-“ eine Verstärkung, etwas Fundamentales (Duden aaO Stichwort „grund-“ und „Grund-“) oder „ganz u. gar“, „völlig“ ausdrückt (Wahrig aaO Stichwort „grund...“). Die Grundsanierung ist daher eine besonders intensive, nicht aber eine solche, die erst bei gravierenden Mängeln erforderlich würde.
41(b) Mit diesem Verständnis handelt es sich - anders als das Landesarbeitsgericht meint - bei Nr. 6 Abs. 2 Entgelt-TV nicht um eine „unsinnige Regelung“. Nach dessen Feststellungen waren alle Bereiche - und damit auch die Duschen in den Umkleiden - nicht in einwandfreiem Zustand. Selbst wenn also kein „zwingendes“ Sanierungsbedürfnis bestanden haben sollte, ist eine Modernisierung der Duschen in den Umkleiden möglich und sinnvoll, um die Wertigkeit der Einrichtung und die Zufriedenheit der Nutzer zu erhöhen.
42(c) Diese Auslegung entspricht dem durch das Landesarbeitsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung gefundenen Ergebnis, Gegenstand der Sanierungsverpflichtung sei ohne Ausnahme der gesamte sich aus den vorgelegten Grundrissen ergebende Bereich gewesen. Im Hinblick darauf kann dahinstehen, ob die Zeugenaussage eines an den Tarifverhandlungen Beteiligten für das Verständnis einer tariflichen Regelung unabhängig davon herangezogen werden kann, ob sich hierfür Anhaltspunkte im Tarifvertrag finden.
43c) Die Bedingung der nicht rechtzeitigen Durchführung der betrieblichen Themen ist eingetreten. Die in Nr. 6 Abs. 2 Entgelt-TV vorgesehene Sanierung hat die Beklagte nicht vollständig durchgeführt. Auf ein Verschulden der Beklagten kommt es für den Bedingungseintritt nicht an.
44d) Eine Herabsetzung der Entgelterhöhung nach § 343 BGB oder § 242 BGB kommt mangels Vereinbarung einer Vertragsstrafe nicht in Betracht.
453. Für den noch streitgegenständlichen Zeitraum ergibt sich ein Differenzentgelt in Höhe von 161,49 Euro brutto.
46a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts handelt es sich bei der durch die Beklagte an den Kläger gezahlten Vergütung um eine „tarifliche“, die nach den Regelungen des Entgelt-TV um 0,5 vH zu erhöhen ist.
47b) Der Kläger kann auch für die Monate Juni bis Oktober 2020 ein erhöhtes Entgelt verlangen, obwohl die Vergütungsansprüche erst nach Ende der Laufzeit des Entgelt-TV am (Nr. 7 Abs. 2 Entgelt-TV) entstanden sind. Mit Beendigung der normativen Wirkung „gilt“ der Entgelt-TV kraft Nachwirkung iSd. § 4 Abs. 5 TVG, bis er durch eine andere Abmachung ersetzt wird. Die Bezugnahmeregelung erfasst daher auch nachwirkende Tarifverträge (vgl. - Rn. 23, BAGE 174, 382). Die Beklagte hat nicht geltend gemacht, eine andere Abmachung iSd. § 4 Abs. 5 TVG mit dem Kläger oder der IG Metall getroffen zu haben.
484. Der Kläger hat seine Ansprüche rechtzeitig iSd. § 18 MTV geltend gemacht. Die Ansprüche aus September 2019 sind (frühestens) am fällig geworden und waren daher bis zum geltend zu machen. Diese Frist ist durch Zustellung der Klage an die Beklagte am gewahrt. Eine weitere Geltendmachung für die Entgeltdifferenzen aus dem Jahr 2020 war nach § 18.2 MTV entbehrlich, da der Kläger den Anspruch bereits „dem Grunde nach geltend gemacht“ hat.
495. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1, § 291 BGB. Soweit das Landesarbeitsgericht bereits ab dem und dem Zinsen zugesprochen hat, hat es, da der Kläger dies nicht beantragt hat, den Antragsgrundsatz verletzt (§ 308 ZPO). Insoweit ist die Anschlussrevision der Beklagten begründet.
50II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:220223.U.4AZR73.22.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-42684