Verfahrensrecht | Anwendung der Drei-Tages-Fiktion (FG)
Die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO entfällt nicht unabhängig von vom Empfänger erhobenen berechtigten Zweifeln gegen den nach der Zugangsvermutung berechneten Bekanntgabezeitpunkt, wenn innerhalb des Drei-Tages-Zeitraums planmäßig an zwei aufeinanderfolgenden Tagen keine Postzustellung stattfindet (; Revision zugelassen).
Sachverhalt: Das Finanzamt hatte einen Einspruch des Klägers gegen seinen Einkommensteuerbescheid 2020 mit Einspruchsentscheidung vom (einem Freitag) zurückgewiesen. Im Rahmen der Klageschrift, welche beim Gericht am einging, gab der Kläger an, dass die Einspruchsentscheidung am (einem Donnerstag) seinem Bevollmächtigten zugegangen sei. Der vom Finanzamt eingesetzte Postdienstleister stellt an der Kanzleianschrift des Bevollmächtigten an Samstagen keine Post zu.
Das FG Münster wies die Klage als unzulässig ab:
Die Klage ist verfristet erhoben worden, da nach der gesetzlichen Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO die Einspruchsentscheidung am (einem Montag) als bekanntgegeben gilt.
Die Drei-Tages-Fiktion ist anwendbar: Aus Sicht des Senats steht fest, dass die per einfachem Brief versandte Einspruchsentscheidung am zur Post aufgegeben worden ist. Hierfür stützt sich der Senat zum einen auf die Schilderung des Finanzamtes zur Organisation des finanzamtsinternen Postablaufs und zum anderen auf vom Postdienstleister eingeholte Auskünfte inklusive vorgelegter Sendungsdetails zweier in Frage kommender Postsendungen.
Dem Kläger ist es demgegenüber nicht gelungen, berechtigte Zweifel an der gesetzlichen Bekanntgabefiktion zu begründen. Hierfür reicht ein abweichender Eingangsvermerk wie z.B. der auf der Einspruchsentscheidung angebrachte Eingangsstempel der Kanzlei des Bevollmächtigten nicht aus. Auch hat nicht festgestellt werden können, welche Mitarbeiterin des Bevollmächtigten das Eingangsdatum auf der Einspruchsentscheidung aufgebracht hatte.
Der vom Kläger geltend gemachten generellen Unzuverlässigkeit des vom Finanzamt eingesetzten Postdienstleisters ist unter Hinweis auf die vom Postdienstleister vorgelegten Postlaufzeitmessungen nicht zu folgen. Bei einer vom Postdienstleister erzielten Zustellquote von 95,5 % für den Zeitraum zwischen Einlieferungstag und dem zweiten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag kann trotz zweier zustellfreier Tage (Samstag und Sonntag) auch nicht (generell) von einer atypischen Konstellation ausgegangen werden, die die Drei-Tages-Fiktion ohne Vorliegen weiterer Umstände entkräftet.
Der 8. Senat des FG Münster weicht mit seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des ) ab (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 3.1.2023) und hat deshalb die Revision zugelassen. Der Volltext der Entscheidung ist in der Entscheidungsdatenbank des Landes NRW veröffentlicht.
Quelle: FG Münster, Newsletter Juni 2023 (il)
Fundstelle(n):
NAAAJ-41994