BVerwG Beschluss v. - 2 WDB 3/23

Erfolglose Beschwerde gegen die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge

Gesetze: § 27 Abs 3 BBesG, § 27 Abs 9 S 2 BBesG, § 58 Abs 2 S 1 Nr 4 WDO 2002, § 114 WDO 2002, § 126 Abs 2 S 1 WDO 2002, § 126 Abs 2 S 2 WDO 2002, § 126 Abs 5 S 1 WDO 2002, § 126 Abs 5 S 3 WDO 2002, § 127 Abs 2 S 1 WDO 2002

Instanzenzug: Truppendienstgericht Süd Az: S 5 GL 03/21 Beschluss

Tatbestand

1Die Beschwerde betrifft die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge.

2Der ... geborene frühere Soldat war von April 2011 bis Ende September 2021 Zeitsoldat. Der Kommandeur ...kommando leitete gegen ihn mit Verfügung vom ein gerichtliches Disziplinarverfahren wegen folgender Vorwürfe ein:

"1.

Sie versandten am um 20:50 Uhr über den Messengerdienst 'WhatsApp' eine Nachricht an den Oberstabsgefreiten K., der ein Gutachten mit dem Titel 'Deutschland im Deutschen Reich; Neuorganisation des existenten Volks- und Heimatstaates Deutschland im Deutschen Reich. Herstellung der Souveränität des gesamtdeutschen Volkes und der gesamtdeutschen Staatsgewalt, durch die Verfassungsorgane' angehängt war, womit Sie zum Ausdruck bringen wollten, dass Sie die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht anerkennen und somit wussten, dass sie hierdurch gegen Ihre Pflicht zur Anerkennung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstießen.

2.

Sie versandten am um 21:00 Uhr über den Messengerdienst 'WhatsApp' eine Nachricht an den Oberstabsgefreiten K. und antworteten auf die Frage, wann Sie wieder zum Dienst erscheinen: 'Solange die BRD am Werk ist gar nicht', womit Sie zum Ausdruck bringen wollten, dass Sie die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht anerkennen und somit wussten, dass sie hierdurch gegen Ihre Pflicht zur Anerkennung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstießen.

3.

Sie bewahrten seit einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt, mindestens aber am in Ihrer Wohnung in der ... die folgende Munition auf,

- 290 Schuss gegurtet, Manövermunition, Kaliber 7,62 mm,

- 160 Schuss gegurtet, Manövermunition, Kaliber 5,56 mm,

- 1 Schuss Gefechtsmunition, Kaliber 5,56 mm,

um diese für sich zu behalten."

3Zugleich ordnete er die vorläufige Dienstenthebung, ein Uniformtrageverbot und die hälftige Einbehaltung der Dienstbezüge ab dem an. Die Verfügung wurde dem früheren Soldaten am zugestellt.

4Er beantragte beim Kommandeur ...kommando unter Berufung auf eine unzulässige Rückwirkung die Aufhebung aller Nebenentscheidungen. Dieser hob mit Bescheid vom die Einbehaltensanordnung für den Zeitraum 1. bis auf und hielt sie ab dem in Höhe von 40 % aufrecht. Im Übrigen wies er den Antrag zurück.

5Der frühere Soldat stellte am beim Truppendienstgericht einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Während dieses Gerichtsverfahrens hob der Kommandeur ...kommando wegen des Dienstzeitendes des Soldaten mit "Anordnungsverfügung" vom die Einbehaltensanordnung vom zum Ablauf des auf und ordnete an, dass 25 % der jeweiligen Versorgungsbezüge ab dem einbehalten werden.

6Das Truppendienstgericht hat mit Beschluss vom den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom zurückgewiesen, soweit er den Zeitraum bis zum betrifft; eine Entscheidung für die Zeit ab diesem Zeitpunkt ergehe im Verfahren S 5 GL 11/22. Der Antrag sei hinsichtlich der vorläufigen Dienstenthebung und des Uniformtrageverbots unzulässig, weil er sich insoweit wegen der Beendigung des Dienstverhältnisses des früheren Soldaten erledigt habe. Der Antrag sei demgegenüber zwar als Feststellungsantrag statthaft, soweit er die teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge betreffe. Denn solange nicht rechtskräftig festgestellt werde, dass diese rechtswidrig gewesen sei, könne jedenfalls bis zum Zeitpunkt des § 127 WDO keine Auszahlung der einbehaltenen Dienstbezüge erfolgen. Der Antrag sei insoweit aber unbegründet, weil die in der Einleitungsverfügung enthaltene Einbehaltensanordnung und ihre Änderung vom rechtmäßig seien.

7Der frühere Soldat hat gegen den Beschluss Beschwerde erhoben. Den Ausführungen zur Zulässigkeit des Antrags werde hinsichtlich der Begrenzung auf die Einbehaltung der Dienstbezüge nicht entgegengetreten. Insoweit werde aber nicht die Feststellung der Rechtswidrigkeit, sondern die Aufhebung beantragt. Die Anordnung der Einbehaltung der Dienstbezüge in der Einleitungsverfügung und die diesbezügliche Änderungsanordnung vom seien rechtswidrig. Denn mit der ihm erst am zugestellten Einleitungsverfügung sei eine Einbehaltung von 50 % der Dienstbezüge in unzulässiger Weise rückwirkend zum angeordnet worden. Daher hätte diese Einbehaltensanordnung vollständig aufgehoben werden müssen. Die Einleitungsbehörde habe sie mit Bescheid vom aber nur teilweise aufgehoben, nämlich für die Zeit bis zum vollständig und für die Zeit danach um 10 %, und im Übrigen aufrechterhalten. Dafür biete § 126 WDO keine Rechtsgrundlage. Daher sei die unter dem angeordnete Einbehaltung von 40 % der Dienstbezüge als eigenständige Entscheidung nach § 126 Abs. 2 WDO anzusehen, die wiederum frühestens ab dem Tag der Zustellung hätte angeordnet werden dürfen. Da dies nicht beachtet worden sei, sei auch diese Verfügung rechtswidrig.

8Der Vorsitzende der Truppendienstkammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom nicht abgeholfen und sie dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

9Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält die Beschwerde für unbegründet.

10Im Verfahren S 5 GL 11/22 hat das Truppendienstgericht mit einem ebenfalls vom datierenden Beschluss den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen, soweit er den Zeitraum ab betrifft. Die diesbezügliche Beschwerde des früheren Soldaten hat der Senat mit Beschluss vom (2 WDB 2.23) zurückgewiesen.

Gründe

11Die nach § 114 WDO zulässige Beschwerde ist unbegründet.

121. Beschwerdegegenstand ist die mit der Einleitungsverfügung in Gestalt des Bescheids vom und der "Anordnungsverfügung" vom angeordnete Einbehaltung der Dienstbezüge in Höhe von 40 % ab dem bis zum Ablauf des .

13Nicht verfahrensgegenständlich sind die vorläufige Dienstenthebung und das Uniformtrageverbot. Denn der frühere Soldat hat in seiner Beschwerdebegründung erklärt, den Ausführungen des Truppendienstgerichts zur Zulässigkeit seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung werde hinsichtlich der Begrenzung auf die Einbehaltung der Dienstbezüge nicht entgegengetreten.

142. Das Truppendienstgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hinsichtlich der teilweisen Einbehaltung der Dienstbezüge zu Recht abgelehnt.

15a) Der Antrag ist zwar nach § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO zulässig. Er ist als Aufhebungsantrag für die Vergangenheit statthaft, da eine Rechtswidrigkeit der Einbehaltensanordnung von Anfang an geltend gemacht wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - II DB 5.69 - BVerwGE 33, 332 <334 f.>, vom - 1 DB 27.83 - juris Rn. 10, vom - 2 WDB 9.20 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 13 Rn. 12 und vom - 2 WDB 10.20 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 15 Rn. 18). Weil die Dienstbezüge des früheren Soldaten ab dem bis zum Ablauf des auch tatsächlich im verfügten Umfang von 40 % einbehalten worden sind, würde dem Rechtsschutzbedürfnis des früheren Soldaten durch eine bloße Feststellung der Rechtswidrigkeit der Einbehaltensanordnung nicht hinreichend Rechnung getragen. Vielmehr ist für das von ihm weitergehend verfolgte Ziel einer Auszahlung der einbehaltenen Dienstbezüge vor dem rechtskräftigen Abschluss des gerichtlichen Disziplinarverfahrens eine Aufhebung der Einbehaltensanordnung als Rechtsgrundlage der fortbestehenden Einbehaltung erforderlich.

16b) Der Antrag ist aber unbegründet. Denn die Einbehaltung der Dienstbezüge in Höhe von 40 % ab dem bis zum Ablauf des ist bei der im vorläufigen Verfahren gemäß § 126 Abs. 5 Satz 3 i. V. m. § 114 Abs. 3 Satz 2 WDO nur möglichen summarischen Prüfung rechtmäßig.

17aa) Die Anordnung beruht auf § 126 Abs. 2 i. V. m. Abs. 5 Satz 1 WDO.

18Nach § 126 Abs. 2 Satz 1 WDO kann die Einleitungsbehörde gleichzeitig mit der vorläufigen Dienstenthebung oder später anordnen, dass dem Soldaten ein Teil, höchstens die Hälfte der jeweiligen Dienstbezüge einbehalten wird, wenn im gerichtlichen Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird.

19Nach § 126 Abs. 5 Satz 1 WDO kann die Einleitungsbehörde eine nach § 126 Abs. 2 WDO getroffene Anordnung jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen aufheben. Ungeachtet des Wortlauts "aufheben" gestattet § 126 Abs. 5 Satz 1 WDO neben einer vollständigen auch eine teilweise Aufhebung einer Einbehaltensanordnung (vgl. 2 WDB 4.09 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 6 Rn. 11; Dau/Schütz, Wehrdisziplinarordnung, 8. Aufl. 2022, § 126 Rn. 26).

20Tritt der Soldat während des gerichtlichen Disziplinarverfahrens - wie hier zum Ablauf des - in den Ruhestand, hebt die Einleitungsbehörde gemäß § 126 Abs. 2 Satz 2 WDO ihre Anordnung über die Einbehaltung der Dienstbezüge auf; gleichzeitig kann sie anordnen, dass ein Teil des Ruhegehalts einbehalten wird.

21Die genannten Vorschriften gestatten der Einleitungsbehörde damit entgegen der Annahme des früheren Soldaten dem Grunde nach auch eine Änderung einer Einbehaltensanordnung wie sie hier bezogen auf die mit der Einleitungsverfügung erlassene Einbehaltensanordnung durch den Bescheid vom hinsichtlich des Beginns und der Höhe und durch den Bescheid vom hinsichtlich des Endes der Einbehaltung verfügt worden ist. Durch eine danach zulässige nachträgliche Verkürzung der zeitlichen Geltungsdauer einer Einbehaltensanordnung kann auch der Mangel einer zunächst mit einer unzulässigen Rückwirkung verbundenen Anordnung beseitigt werden.

22bb) Die Einbehaltensanordnung in der Einleitungsverfügung in Gestalt des Bescheids vom und der "Anordnungsverfügung" vom ist formell rechtmäßig. Sie wurde unter Berücksichtigung der darin gemachten Ausführungen sowie den Ergänzungen durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft im Schriftsatz an das Truppendienstgericht vom ausreichend begründet (§§ 39, 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG).

23cc) Die Einbehaltensanordnung ab dem bis zum Ablauf des in Höhe von 40 % ist auch materiell rechtmäßig. Sie setzt neben einer wirksamen Einleitungsverfügung nach § 126 Abs. 2 Satz 1 WDO die Prognose voraus, dass im gerichtlichen Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Höchstmaßnahme erkannt werden wird. Zudem muss das Ermessen unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei ausgeübt worden sein (vgl. 2 WDB 10.20 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 15 Rn. 20).

24(1) An der Rechtswirksamkeit der Einleitungsverfügung ab dem bestehen keine Zweifel, insbesondere ist sie dem früheren Soldaten am zugestellt worden.

25(2) Im gerichtlichen Disziplinarverfahren wird dem früheren Soldaten voraussichtlich das Ruhegehalt aberkannt werden (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 WDO). Insoweit wird auf die Gründe des im Verfahren 2 WDB 2.23 ergangenen Senatsbeschlusses vom Bezug genommen. Diese Prognose galt gleichermaßen im hier in Rede stehenden Zeitraum vom bis zum Ablauf des .

26(3) Die Einbehaltensanordnung weist auch keine Ermessensfehler auf. Die Entschließung zur Anordnung einer teilweisen Einbehaltung der Dienstbezüge ist angesichts der Schwere der in Rede stehenden Pflichtverletzungen, auf die sich die Einleitungsbehörde berufen hat, nicht ermessensfehlerhaft. Die zeitliche Geltungsdauer ab dem bis zum Ablauf des weist ebenfalls keine Ermessensfehler auf. Der Einbehaltenssatz von 40 % hält sich in dem durch § 126 Abs. 2 Satz 1 WDO vorgegebenen Rahmen. Er ist in Anbetracht der vom früheren Soldaten zur Akte gereichten Bilanz nicht unverhältnismäßig.

27Sollte sich die Prognose bezüglich eines zur Aberkennung des Ruhegehalts führenden Dienstvergehens im weiteren Verlauf des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht bestätigen, würden die mit der vorliegenden Entscheidung verbundenen Folgen besoldungsrechtlicher Art kompensiert werden (§ 127 Abs. 2 Satz 1 WDO, § 27 Abs. 9 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 BBesG).

283. Einer Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bedarf es nicht. Diese werden von der zur Hauptsache ergehenden Kostenentscheidung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens miterfasst (vgl. 2 WDB 3.22 - juris Rn. 47 m. w. N.).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:030423B2WDB3.23.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-41333