BGH Beschluss v. - 6 StR 42/23

Revision: Absehen von der Erstattung der Kosten des zwischenzeitlich verstorbenen Angeklagten im Zusammenhang mit der Verfahrenseinstellung

Gesetze: § 467 Abs 3 S 2 Nr 2 StPO, § 27 Abs 1 StGB, § 211 StGB

Instanzenzug: LG Neuruppin Az: 11 Ks 4/21

Gründe

1Das Landgericht Neuruppin hat den Angeklagten am wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Beihilfe zum versuchten Mord zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen hat sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gewandt. Das Verfahren ist am beim Bundesgerichtshof eingegangen. Am ist der Angeklagte verstorben.

21. Der Senat stellt das Verfahren nach § 206a Abs. 1 StPO ein, weil durch den Tod des Angeklagten ein Verfahrenshindernis eingetreten ist. Das angefochtene Urteil ist damit gegenstandslos (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 164/20; vom – 5 StR 13/20; vom – 4 StR 595/97, BGHSt 45, 108).

32. Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last (§ 467 Abs. 1 StPO). Der Senat sieht jedoch nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon ab, ihr die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind gegeben. Im Revisionsverfahren ist dafür maßgeblich, ob das Rechtsmittel des Angeklagten – ohne das Verfahrenshindernis – erfolglos geblieben wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 576/18; vom – 4 StR 51/17, NStZ-RR 2018, 294; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 467 Rn. 16a). Dies ist hier der Fall, weil der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 576/18; vom – 3 StR 352/19; vom – 1 StR 631/13, NStZ-RR 2014, 160).

4a) Der Angeklagte, der vom bis zum als Wachmann im Konzentrationslager Sachsenhausen eingesetzt war, wird nur deshalb nicht rechtskräftig verurteilt, weil mit seinem Tod ein Verfahrenshindernis eingetreten ist. Nach den vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen zur rechtlichen Bewertung der durch das nationalsozialistische Deutschland in Konzentrationslagern begangenen Mordtaten unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe (vgl. , BGHSt 61, 252 mwN) hätte zumindest die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord (§§ 211, 27 Abs. 1 StGB) revisionsgerichtlicher Überprüfung standgehalten. Das gilt jedenfalls hinsichtlich der dem Angeklagten insoweit vom Landgericht zugerechneten Tötung von mindestens 300 sowjetischen Kriegsgefangenen im Rahmen der von Juli bis September 1942 durchgeführten „Aktion 14 f 14“ und der Tötung von mindestens 2.600 Lagerinsassen bei der „Aktion Alarmstufe Scharnhorst“ in der ersten Februarhälfte des Jahres 1945 unmittelbar vor der Räumung des Konzentrationslagers.

5b) Abweichend von § 467 Abs. 1 StPO eröffnet § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO die Möglichkeit, nach billigem Ermessen von der Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen. Bei der Entscheidung ist dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom – 2 BvR 1821/16, NJW 2017, 2459; vom – 2 BvR 388/13, NStZ-RR 2016, 159). Besondere Bedeutung hat dabei der Umstand, ob das Verfahrenshindernis bereits vor Anklage bestand oder erst – wie hier – im Laufe des Verfahrens eingetreten ist (vgl. BVerfG aaO; KG, StV 1991, 479; KK-StPO/Gieg, 9. Aufl., § 467 Rn. 10b). Während in der erstgenannten Konstellation eine Freistellung der Staatskasse in aller Regel ausscheidet, kommt dies anderenfalls etwa dann in Betracht, wenn der Angeklagte das Verfahrenshindernis selbst vorwerfbar herbeigeführt oder aber verschwiegen hat (vgl. MüKo-StPO/Grommes, § 467 Rn. 24; KK-StPO/Gieg, aaO; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO Rn. 18). Jedoch ist der Anwendungsbereich der Norm nicht darauf beschränkt. Dies ergibt sich nicht nur aus ihrem weiter gefassten Wortlaut, sondern auch aus ihrer Entstehungsgeschichte. Die Nummer 2 des § 467 Abs. 3 Satz 2 StPO ist erst auf Betreiben des Bundesrats nach Einigung im Vermittlungsausschuss eingefügt worden (vgl. dazu ausführlich LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 467 Entstehungsgeschichte und Rn. 50). Dabei war insbesondere auf NS-Gewaltverbrechen hingewiesen worden (vgl. MüKo-StPO/Grommes, aaO Rn. 19). In den Gesetzesmaterialien wird betont, dass es unbillig sei, wenn vor allem in derartigen Fällen „der Staat einem Verbrecher, der nur aus rein formellen Gründen nicht verurteilt werden kann, auch noch die Anwälte bezahlt“ (vgl. BT-Plenarprotokoll 05/173 S. 9250).

6So verhält es sich hier. Das Rechtsmittel des Angeklagten wäre – allenfalls mit Ausnahme einer geringfügigen Korrektur des Schuldspruchs im Hinblick auf das tateinheitlich abgeurteilte Delikt – erfolglos geblieben. Diese Feststellung ist dem Senat im Revisionsverfahren, zumal nach Ablauf sämtlicher Stellungnahmefristen, ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK möglich (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO Rn. 16a; MüKo-StPO/Grommes, aaO Rn. 20). Gerade mit Blick auf das Tatbild würde es auf Unverständnis stoßen, den Angeklagten von seinen notwendigen Auslagen freizustellen. Angesichts dieses Ergebnisses erübrigt sich die sonst gebotene kritische Auseinandersetzung mit den rechtlichen Ausführungen im (NJW 1969, 2056).

73. Die Nebenkläger tragen ihre notwendigen Auslagen selbst. Dies folgt aus § 472 Abs. 1 und 2 StPO, der die Überbürdung der Kosten auf den Angeklagten nur bei seiner Verurteilung oder einer Einstellung nach den §§ 153 ff. StPO erlaubt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 461/19; vom – 4 StR 252/12, NStZ-RR 2012, 359).

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ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:030523B6STR42.23.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-40435