BGH Beschluss v. - 6 StR 445/22

Anforderungen an die Beweiswürdigung bei einer Verurteilung aufgrund der Angaben eines selbst tatbeteiligten Zeugen

Gesetze: § 261 StPO

Instanzenzug: LG Stendal Az: 501 KLs 1/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten G.       wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, die Angeklagten E.    und M.    jeweils wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in mehreren Fällen und den Angeklagten L.    wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt, Einziehungsentscheidungen getroffen und die Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Den Angeklagten Z.           hat es – unter Freispruch im Übrigen – wegen Anbaus von Betäubungsmitteln und wegen „Verabredung zu einem Verbrechen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt.

21. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten Z.          erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Verurteilung im Fall II.5 der Urteilsgründe wegen Verabredung zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 2 StGB i.V.m. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; zur Tenorierung vgl. , BGHR StPO § 260 Abs. 4 S. 1 Tatbezeichnung 4) hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand, weil die zugrundeliegenden Feststellungen nicht auf einer tragfähigen Beweiswürdigung beruhen.

3a) Soll ein nicht geständiger Angeklagter zwar nicht allein, aber doch überwiegend durch die Angaben eines selbst tatbeteiligten Zeugen überführt werden, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 355/19; vom – 2 StR 352/18, StV 2020, 805, 808; vom – 1 StR 596/19, NStZ 2021, 183 mwN; Schmandt, StraFo 2010, 446, 450 mwN). Dabei kann es geboten sein, die Umstände der Entstehung und den näheren Inhalt der den Angeklagten belastenden Aussage sowie deren Entwicklung darzustellen und zu bewerten (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 662/08; vom – 2 StR 147/08; vom – 1 StR 596/19, NStZ 2021, 183), um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die Überzeugungsbildung des Tatgerichts auf rational-nachvollziehbaren Erwägungen beruht. Erhöhte Anforderungen an die Sorgfalt und Vollständigkeit der vorzunehmenden Gesamtwürdigung sind zu stellen, wenn die belastenden Angaben nur mittelbar über Vernehmungspersonen in die Hauptverhandlung eingeführt werden können (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 352/18, StV 2022, 805, 808; vom – 5 StR 223/21).

4b) Dem wird die Beweiswürdigung der Strafkammer nicht gerecht.

5aa) Eine differenzierte Bewertung anhand einer lückenlosen Gesamtwürdigung der Indizien, naheliegend unter Erörterung und Darstellung der Aussagen des tatbeteiligten, anderweitig verfolgten H.       auch in früheren Verfahrensabschnitten, war hier in mehrfacher Hinsicht sachlich-rechtlich geboten. Die Strafkammer hat die Angaben dieses Zeugen nicht durchgehend als glaubhaft angesehen. Vielmehr hat sie den Beschwerdeführer von dem – auch auf den Angaben dieses Zeugen gründenden – weiteren Tatvorwurf (Fall II.4) freigesprochen. Darüber hinaus legen die Urteilsgründe nahe – worauf der Generalbundesanwalt mit Recht hinweist –, dass der Zeuge H.       durch die Strafkammer nicht vernommen wurde, sondern dessen Angaben aus „seinem eigenen Verfahren“ mittelbar zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurden.

6bb) An der deshalb gebotenen kritischen Würdigung der Angaben des Zeugen H.      fehlt es. Zwar lassen die beweiswürdigenden Erwägungen des Landgerichts noch erkennen, dass dessen naheliegendes Aussagemotiv, eine Strafmilderung durch Aufklärungshilfe zu erzielen (§ 31 BtMG), Eingang in die Überzeugungsbildung gefunden hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 464/02, BGHSt 48, 161, 168; vom – 1 StR 88/03, NStZ-RR 2003, 245; Miebach in GS Joecks, 2018, S. 133, 147 mwN). Aus welchen Gründen die Strafkammer aber dessen detailarme Aussage zu einer mit dem Beschwerdeführer „abgesprochenen“ Errichtung einer Plantage gleichwohl für glaubhaft befunden hat, teilen die Urteilsgründe nicht mit. Dies gilt gleichermaßen für konkrete Angaben des Zeugen etwa zu Ort und Zeitpunkt der mit dem Beschwerdeführer getroffenen Übereinkunft, zu einer etwaigen Anwesenheit weiterer Personen am Tatort und zur Menge einzubringenden Pflanzenmaterials. Damit bleibt neben dem geringeren Beweiswert von Angaben eines mittelbaren Zeugen zudem ohne jede Erörterung, warum die Strafkammer die Zeugenaussage in den Fällen II.4 und II.5 der Urteilsgründe als unterschiedlich tragfähig bewertet hat.

7c) Der Wegfall der im Fall II.5 der Urteilsgründe verhängten Strafe bedingt die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.

8d) Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 3 StPO Gebrauch.

92. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten G.       , E.     , L.    und M.    bleiben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:220323B6STR445.22.0

Fundstelle(n):
QAAAJ-40097