Rücktritt vom Versuch der räuberischen Erpressung beim sogenannten "Abziehen"
Gesetze: § 22 StGB, § 23 StGB, § 24 Abs 2 S 1 StGB, § 25 Abs 2 StGB, § 27 StGB, § 255 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Magdeburg Az: 21 KLs 1/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall II.1) und wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung (Fall II.2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Den Angeklagten St. hat es wegen Beihilfe zur versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und mit Diebstahl (Fall II.1) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verurteilung der Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3a) Nach den Feststellungen verlangte der Angeklagte S. von dem Zeugen R. die Herausgabe von dessen Mobiltelefon und Betäubungsmitteln. Da der Zeuge sich weigerte, schlug der Angeklagte S. dem Zeugen dreimal mit der Faust ins Gesicht, um die Herausgabe der Gegenstände zu erzwingen, woraufhin dem Zeugen die Flucht gelang. Der Angeklagte St. und eine weitere unbekannt gebliebene Person unterstützten den Angeklagten S. bei seinen Handlungen durch ihre Bereitschaft zum Eingreifen, um Widerstandshandlungen des Zeugen von vornherein zu unterbinden.
4b) Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach dem Abschluss der letzten Ausführungshandlung (vgl. zum Rücktrittshorizont etwa , BGHSt 39, 221, 227 f.) hat das Landgericht nicht getroffen. Die Urteilsgründe belegen deshalb nicht, dass die Angeklagten keine Möglichkeit mehr sahen, die Gegenstände von dem Zeugen ausgehändigt zu erhalten, weil er sich zwischenzeitlich in Sicherheit gebracht hätte und eine Verfolgung ohne Erfolg bliebe (vgl. ).
5Der Generalbundesanwalt hat hierzu im Wesentlichen das Folgende ausgeführt:
Das Landgericht ist ohne nähere Begründung von einem fehlgeschlagenen Versuch ausgegangen (UA S. 14). Dahingehende Erörterungen waren nicht deswegen entbehrlich, weil vorliegend gleich mehrere Tatbeteiligte in das Tatgeschehen eingebunden waren (vgl. , NStZ-RR 2009, 335). Die Frage nach einem fehlgeschlagenen Versuch bedarf vielmehr für jeden Tatbeteiligten gesonderter Prüfung (vgl. , NStZ 2007, 91). Zur Bewertung eines Fehlschlags sind daher regelmäßig Feststellungen zur Tätervorstellung nach seiner letzten Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont, erforderlich (vgl. ).
Diesen Anforderungen werden die Darlegungen in den Gründen des angefochtenen Urteils nicht gerecht. Das Landgericht hat aus den getroffenen Feststellungen keine Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild der Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung gezogen. Festgestellt ist dazu lediglich, dass der Geschädigte, während er vom Angeklagten S. mit Faustschlägen traktiert wurde, sein Fahrrad fallen ließ und die Flucht ergriff (UA S. 13). Welche Vorstellungen die Angeklagten in diesem Moment des Entkommenlassens hatten, bleibt indessen unerörtert. Der Umstand, dass der Geschädigte dem Herausgabeverlangen des Angeklagten nicht entsprach, begründet für sich betrachtet noch keinen Fehlschlag des Erpressungsversuchs (vgl. , juris Rn. 5). Es versteht sich vorliegend auch nicht von selbst, dass sich die Befreiung und die Flucht des Geschädigten für die Angeklagten als unbezwingbar darstellten und beide davon ausgingen, dass der Tatplan in der konkreten Situation gescheitert war.
Einem strafbefreienden Rücktritt steht zudem nicht von vornherein entgegen, dass die Regelung des § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB von jedem zurücktretenden Beteiligten ohne Rücksicht auf die Frage, ob ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt, die Verhinderung der Vollendung verlangt. Hiervon werden von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nämlich auch Fälle erfasst, in denen die Tatbeteiligten den Rücktritt einvernehmlich durchführen. Dabei genügt es, wenn ein Beteiligter mit dem Rücktritt des anderen einverstanden ist. Handeln alle Beteiligten einvernehmlich, kann das bloße Nicht-Weiterhandeln für die Erfolgsverhinderung im Sinne von § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB ausreichen (vgl. , BGHSt 42, 158, 162; und vom – 4 StR 223/21, juris Rn. 23). Diese Grundsätze gelten auch für den Gehilfen, der anderenfalls bei einem wirksamen, den Erfolg verhindernden Rücktritt des Haupttäters nicht zurücktreten könnte (vgl. , NStZ-RR 2012, 167, 168).
6Dem tritt der Senat bei.
72. Die Aufhebung der Schuldsprüche im Fall II.1 entzieht den für diese Tat verhängten Strafen sowie betreffend den Angeklagten S. dem Gesamtstrafenausspruch und – aufgrund des damit verbundenen Wegfalls einer Anlasstat – der Maßregelanordnung (§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB) die Grundlage.
8Die rechtsfehlerfreien Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); ergänzende Feststellungen dürfen getroffen werden, wenn sie den bisherigen nicht widersprechen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:240123B6STR488.22.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-38395