BGH Beschluss v. - VIa ZR 1273/22

Instanzenzug: Az: 9 U 82/20vorgehend Az: 2 O 14/19

Gründe

I.

1Der Kläger erwarb im Juli 2015 bei der früheren Beklagten zu 1 (Verkäuferin) für 76.900 € einen Neuwagen VW Touareg 3.0 TDI einer anderen Fahrzeugherstellerin mit einem von der Beklagten zu 2 hergestellten Euro 6-Dieselmotor. Im Dezember 2017 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt einen Rückruf an. Ein Software-Update wurde 2018 aufgespielt.

2Das Landgericht hat die mit einer Vielzahl von (Hilfs-)Anträgen unter anderem gegen die frühere Beklagte zu 1 auf (Rück-)Zahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs und gegen die Beklagte zu 2 auf Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Klage abgewiesen. Dabei hat es unter anderem ausgeführt, eine Haftung der Beklagten zu 2 aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB komme nicht in Betracht. Der Kläger habe nicht substantiiert vorgetragen, dass die Beklagte zu 2 ihm gegenüber irgendwelche Erklärungen abgegeben habe, er also von ihr getäuscht worden sei. Er benenne die konkreten Erklärungen der Beklagten zu 2 nicht, sondern trage Erklärungen der Fahrzeugherstellerin vor. Auch eine Täuschung durch Unterlassen durch die Beklagte zu 2 sei nicht dargelegt. Die Beklagte zu 2 sei im Verhältnis zum Kläger bereits keine Garantin. Der Klägervortrag ergebe allein eine Täuschung durch die Fahrzeugherstellerin, so dass eine Haftung nach § 826 BGB ebenfalls ausscheide, da sich die Beklagte zu 2 das Verhalten der Fahrzeugherstellerin nicht zurechnen lassen müsse. Der Verweis des Klägers auf § 31 BGB führe nicht weiter, da die Fahrzeugherstellerin kein Organ der Beklagten zu 2 sei. Aus demselben Grund scheide eine Haftung nach § 831 BGB aus, denn die Fahrzeugherstellerin sei keine Verrichtungsgehilfin der Beklagten zu 2.

3Mit der zuletzt nur noch gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Berufung hat der Kläger schließlich unter anderem die Zahlung von 30.389,15 € sowie die Freistellung von Darlehensverbindlichkeiten von 10.800 € Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs und die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 2 für weitere Schäden begehrt. Außerdem hat er den Rechtsstreit teilweise einseitig für erledigt erklärt. Das Berufungsgericht hat die Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen, weil es an einer ausreichenden Berufungsbegründung fehle.

II.

4Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO) ist nicht gegeben. Entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerde hat das Berufungsgericht weder erheblichen Vortrag gehörswidrig übergangen noch die Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung überspannt und dem Kläger damit auch nicht den Zugang zur Berufungsinstanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (vgl. dazu nur , NJW-RR 2021, 789 Rn. 4).

51. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen in dem angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen, ein anderes Verfahren betreffenden Textbausteinen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr.; vgl. nur , NJW-RR 2020, 1187 Rn. 10 f. mwN).

62. Den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung wird, was das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend gesehen hat, die Berufungsbegründung des Klägers nicht gerecht.

7a) Das Berufungsgericht hat entgegen den Einwänden der Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend angenommen, die Berufungsbegründung habe sich mit den Ausführungen des Landgerichts zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB nur unzureichend befasst.

8Das Berufungsgericht hat insoweit bemerkt, soweit es um den vom Landgericht verneinten Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB gehe, führe die Berufung auf Seite 27 der Berufungsbegründung nur pauschal an, die Argumentation sei "absolut lebensfremd". Die nachfolgend gegebene Begründung beschäftige sich nicht mit den konkreten Ausführungen im landgerichtlichen Urteil. Warum die Ausführungen zur Täuschungshandlung "völlig an der Sache" vorbeigingen, werde nicht näher erläutert. Was den Schaden angehe, habe sich das Landgericht dazu mit keinem Wort geäußert; Ausführungen zur Stoffgleichheit fänden sich im angefochtenen Urteil nicht. Auch sei im landgerichtlichen Urteil in diesem Zusammenhang nicht davon die Rede, dass eine Täuschungshandlung ausscheide, weil es sich um ein Gebrauchtfahrzeug handele. Der Kläger habe das Fahrzeug als Neuwagen erworben. Die gesamten Ausführungen des Klägers seien augenscheinlich nicht fallbezogen.

9Diese Einschätzung trifft zu. Die Berufungsbegründung verhält sich zu einer Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB auf fünf Seiten, die im Wesentlichen aus Zitaten anderer Entscheidungen bestehen und auf die vom Landgericht angesprochenen Punkte nur durch die einleitende pauschale Behauptung eingehen, die "Ausführungen des LG zur Täuschungshandlung [und zum Schaden]" gingen "völlig an der Sache vorbei." Im Übrigen finden sich nur Angriffe gegen Aussagen, die das Landgericht - etwa zum Schaden, zur Stoffgleichheit und zur sekundären Darlegungslast - gar nicht getroffen hat und die anderen Verfahren entlehnt sein mögen. Ausführlicher geht die Berufungsbegründung auf die Behandlung von Gebrauchtfahrzeugen ein, obwohl der Kläger einen Neuwagen erworben hat. Auch in dem Einleitungssatz der Berufungsbegründung, das Landgericht übersehe "vollends, dass die Klägerpartei von der Beklagten getäuscht worden" sei, dies könne "auch nicht deshalb ausgeschlossen werden", weil "VW der Hersteller des Fahrzeugs und die Audi AG der Hersteller des Motors" seien; die Argumentation des LG sei daher absolut lebensfremd, liegt nicht mehr als die pauschale, in keiner Weise konkretisierte Behauptung einer Täuschung, wie sie dem Landgericht gerade nicht genügt hat. Daran ändert das Zitat der Entscheidung eines anderen Obergerichts zur Beurteilung von Gebrauchtfahrzeugen nichts.

10b) Entsprechendes gilt, soweit die Nichtzulassungsbeschwerde dem Berufungsgericht zur Last legt, Ausführungen zu §§ 826, 831 BGB für unzulänglich erachtet zu haben.

11Das Landgericht hat eine Haftung nach §§ 826, 31, 831 BGB verneint, weil die Fahrzeugherstellerin weder Organ noch Verrichtungsgehilfin der Beklagten zu 2 sei, eine Täuschungshandlung der Beklagten zu 2 aber nicht dargelegt sei. Zu § 31 BGB sagt die Berufungsbegründung nichts. Zu § 831 BGB rügt sie ohne Bezug zu der angegriffenen Entscheidung, aus der sich das Gegenteil ergibt, das Landgericht habe diese Norm überhaupt nicht erwähnt. Die Berufungsbegründung beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf Zitate aus und Ausführungen zu anderen Entscheidungen, die wiederum in keiner nachvollziehbaren Verbindung zu dem vom Landgericht entschiedenen Sachverhalt stehen. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet, das Berufungsgericht habe Vortrag in der Berufungsbegründung dazu übergangen, "Ingenieure der Beklagtenpartei" hätten die Motorsteuerungssoftware entwickelt und die subjektiven und objektiven Tatbestandsmerkmale der §§ 826, 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB verwirklicht, insbesondere aus Gewinnsucht gehandelt, ergibt sich, dass die Berufungsbegründung - möglicherweise wiederum wegen der Übernahme von Versatzstücken aus anderen Vorstücken - mit "Beklagte" die Volkswagen AG gemeint hat, die "dazu vortragen" könne, deren Parteistellung die Berufungsbegründung also fälschlich unterstellt.

12c) Schließlich greift die Rüge der Nichtzulassungsbeschwerde im Ergebnis nicht durch, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an die Berufungsbegründung überspannt, indem es Vortrag in der Berufungsbegründung zu einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV i.V.m. Art. 18 der Richtlinie 2007/46/EG als unzureichenden Angriff gegen die landgerichtliche Entscheidung gewertet habe.

13aa) Allerdings braucht die Berufungsbegründung, wenn in erster Instanz mehrere in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen verneint werden, nicht auf alle Anspruchsgrundlagen einzugehen; es reicht der Angriff gegen eine Verneinung (vgl. , VersR 2022, 1125 Rn. 10). Entsprechendes gilt, wenn das erstinstanzliche Gericht eine Anspruchsgrundlage übersieht oder nicht behandelt, auf die der Kläger in der Berufungsbegründung (erneut) seinen Anspruch stützt. Für die Zulässigkeit der Berufung wäre es auch ohne Bedeutung, dass die Ausführungen der Berufungsbegründung zum Schutzgesetzcharakter dieser Normen rechtlich nicht zutreffend sind (vgl. nur , BGHZ 225, 316 Rn. 73 ff.) und auch diese etwaigen Anspruchsgrundlagen eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fahrzeug des Klägers voraussetzten (vgl. , NJW-RR 2022, 998 Rn. 11).

14bb) Der Geltendmachung der etwaigen Verletzung des Grundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes oder auf rechtliches Gehör steht aber jedenfalls der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.

15Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (st. Rspr.; vgl. nur , WuM 2011, 178 Rn. 10; Urteil vom - III ZR 54/17, BGHZ 219, 77 Rn. 37; Urteil vom - VIII ZR 123/20, NJW-RR 2021, 76 Rn. 67; Beschluss vom - IX ZR 147/18, ZInsO 2019, 1026 Rn. 4; Beschluss vom - VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 15; jeweils mwN). Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren ( aaO; Beschluss vom - VIII ZR 226/19, VRS 141, 13, 20). Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen. Daher sind für ihre Beurteilung die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führen (vgl. , BGHZ 154, 288, 296 f.; Beschluss vom - VI ZB 4/20, NJW-RR 2022, 998 Rn. 13).

16Gemessen daran hat es der Kläger versäumt, ihm offenstehende prozessuale Möglichkeiten zur Verhinderung der nunmehr mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensgrundrechtsverletzung zu nutzen. Das Berufungsgericht hat ausweislich des Protokolls in der mündlichen Verhandlung vom ausführlich auf seine Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit der Berufungsbegründung hingewiesen und unter wörtlicher Vorwegnahme seines am verkündeten Urteils Ausführungen zum Ungenügen des Angriffs gegen Auslassungen des Landgerichts zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gemacht. Weder weist das Protokoll eine Erwiderung des Klägers dazu aus noch hat der Kläger ausweislich des Protokolls den Nachlass eines Schriftsatzes beantragt, um auf die Einwände des Berufungsgerichts in diesem Punkt erwidern zu können. In einem nicht nachgelassenen Schriftsatz nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vom hat sich der Kläger lediglich dazu verhalten, das Berufungsgericht habe Anlass, wegen der am ergangenen Schlussanträge des Generalanwalts in der Sache C-100/21 das Verfahren nach § 148 ZPO auszusetzen. Damit kommt eine Zulassung der Revision unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung auch unter diesem Aspekt nicht in Betracht (vgl. auch BVerfG, ZRI 2021, 574 Rn. 19 ff.).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:270223BVIAZR1273.22.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-37603