BVerwG Beschluss v. - 2 B 28/22

Beiordnung eines Notanwalts; Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung

Gesetze: § 60 VwGO, § 67 Abs 4 VwGO, § 88 Abs 3 VwGO, § 78b Abs 1 ZPO

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: OVG 4 B 33.21 Beschlussvorgehend Az: 5 K 580.19

Gründe

11. Die Klägerin steht im Amt einer Regierungsoberinspektorin (Besoldungsgruppe A 10 LBesO) im Dienst des Beklagten und macht ihm gegenüber Mobbing, insbesondere durch ihren früheren Referatsleiter geltend. Mit der im November 2019 erhobenen Klage hat die Klägerin zuletzt beantragt, ihr Schmerzensgeld in Höhe von 77 600 € und Schadensersatz in Höhe der Besoldungsdifferenz zwischen den Besoldungsgruppen A 10 und A 11 seit dem zu gewähren, das Bewährungsschreiben vom vorzulegen und Falschaussagen der Frauenvertreterin vom zu widerrufen. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren eingestellt, soweit die Klägerin ihre weitergehenden Anträge auf rückwirkende Beförderung und rückwirkende Zahlung einer Verwendungszulage zurückgenommen hat, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin verworfen und ihren Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das mit Schreiben vom von der Klägerin persönlich eingelegte Rechtsmittel sei als Berufung auszulegen. Die Berufung sei unzulässig. Sie könne auch nicht in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umgedeutet werden. Ein solcher von der Klägerin persönlich gestellter Zulassungsantrag wäre im Übrigen auch mangels ordnungsgemäßer Prozessvertretung unzulässig. Der sinngemäße Antrag der Klägerin auf Beiordnung eines Notanwalts sei abzulehnen. Sie habe es versäumt, innerhalb der Rechtsmittelfrist glaubhaft zu machen, welche Anwälte sie vergeblich um Mandatsübernahme ersucht habe.

22. Der Antrag der Klägerin auf Beiordnung eines Notanwalts für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist unbegründet.

3Zuständig für die Bescheidung eines Antrags auf Bestellung eines Notanwalts ist das Prozessgericht, das über den von dem Antragsteller verfolgten Rechtsbehelf zu entscheiden hat. Das ist beim angestrebten Zugang zur Revisionsinstanz auch im Fall einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision das Bundesverwaltungsgericht ( 2 B 4.17 - Buchholz 303 § 78b ZPO Nr. 5 Rn. 7).

4Nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 78b Abs. 1 ZPO ist einem Verfahrensbeteiligten auf dessen Antrag hin, soweit eine Vertretung durch Anwälte - wie hier gemäß § 67 Abs. 4 VwGO - geboten ist, durch Beschluss für den Rechtszug ein Rechtsanwalt zur Wahrung seiner Rechte beizuordnen, wenn er einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint.

5a) Die erstgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Verfahrensbeteiligte trotz zumutbarer Anstrengungen einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht gefunden und seine diesbezüglichen Bemühungen dem Gericht substantiiert dargelegt und gegebenenfalls nachgewiesen hat (vgl. 2 B 4.17 - Buchholz 303 § 78b ZPO Nr. 5 Rn. 9; s. a. BGH, Beschlüsse vom - IX ZB 186/06 - FamRZ 2007, 635 f. und vom - V ZA 14/11 - WuM 2011, 699 Rn. 3). Dem ist die Klägerin zwar im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nachgekommen. Sie hat innerhalb der Frist für die Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision am Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und zugleich den Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts gestellt. Die einmonatige Frist zur Einlegung der Beschwerde gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 VwGO endete mit Ablauf des , einem Montag (§ 57 Abs. 1 und 2 VwGO, § 222 Abs. 1 und 2 ZPO und § 188 Abs. 2 sowie § 193 BGB), nachdem der Beschluss des Berufungsgerichts der Klägerin am zugestellt worden war. Innerhalb dieser Frist hat die Klägerin auch glaubhaft gemacht, eine ausreichende Anzahl von Rechtsanwälten vergeblich um die Übernahme eines Mandats ersucht zu haben. Sie hat eine Reihe von Ausdrucken zu E-Mails zur Gerichtsakte gereicht, denen zufolge jedenfalls fünf der in der Nichtzulassungsbeschwerde namentlich benannten Rechtsanwälte am und am eine Mandatsanfrage erhielten und die Mandatsübernahme jeweils ablehnten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IV ZR 290/03 - NJW-RR 2004, 864, vom - IX ZB 186/06 - FamRZ 2007, 635, vom - IX ZA 26/10 - WuM 2010, 649 Rn. 1, vom - IX ZA 2/11 - WuM 2011, 323 Rn. 2 und vom - III ZR 211/14 - MDR 2015, 540 Rn. 3 <zum Erfordernis einer Mandatsanfrage an mehr als vier Rechtsanwälte>).

6b) Allerdings ist die weitere Voraussetzung für die Beiordnung eines Notanwalts nicht gegeben. Denn die Rechtsverfolgung der Klägerin erscheint aussichtslos. Aussichtslosigkeit i. S. v. § 78b Abs. 1 ZPO besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann (vgl. 2 B 4.17 - Buchholz 303 § 78b ZPO Nr. 5 Rn. 11). So liegt es hier. Dies folgt nicht bereits daraus, dass sich das Vorbringen der Klägerin in der bloßen Nennung der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO erschöpft. Für die Beurteilung, ob eine Rechtsverfolgung i. S. v. § 78b Abs. 1 ZPO aussichtslos erscheint, ist das Beschwerdegericht nicht auf ein etwaiges Vorbringen des Antragstellers beschränkt. Es hat nach Lage der Akten zu prüfen, ob ein Revisionszulassungsgrund ernsthaft in Betracht kommt.

7Dies ist anzunehmen, wenn das Berufungsgericht die in § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision zu Unrecht verneint hätte ( 2 B 4.17 - Buchholz 303 § 78b ZPO Nr. 5 Rn. 13, vgl. auch - NJW-RR 2003, 1074 zu § 543 Abs. 2 ZPO). Das ist hier nicht der Fall.

8aa) Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wirft das Verfahren nicht auf. Insbesondere ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass eine unzulässige Berufung nicht in einen zulässigen Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels umgedeutet werden kann ( 2 B 20.98 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 2 S. 2 f. m. w. N.). Zu beachten ist aber, dass dies nur für Rechtsmittelerklärungen gilt, die ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter abgegeben hat. Anwaltliche Erklärungen sind einer gerichtlichen Umdeutung grundsätzlich unzugänglich (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 2 C 83.60 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 27 S. 33 und vom - 6 CB 35.88 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 83 S. 25). Anders liegt es bei prozessualen Erklärungen von nicht anwaltlich vertretenen Beteiligten. In diesem Fall ist das im Klageantrag und im gesamten Parteivorbringen zum Ausdruck kommende Rechtsschutzziel der Naturalperson zu ermitteln, wie es sich aus der prozessualen Erklärung und den sonstigen Umständen, insbesondere aus der Gesamtheit des Vorbringens ergibt (stRspr, vgl. etwa 2 C 30.78 - BVerwGE 60, 144 <149 f.> und Beschluss vom - 2 B 48.19 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 45 Rn. 15 m. w. N.). Die für die Bestimmung des Rechtsschutzziels vom Gericht im Einzelfall vorgenommene Würdigung der konkreten Umstände ist einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

9bb) Anhaltspunkte für eine Divergenz i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sind nicht ersichtlich.

10cc) Ebenso wenig leidet die Entscheidung des Berufungsgerichts an einem Verfahrensmangel i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

11Das Berufungsgericht hat insbesondere nicht gegen seine Pflicht zur sachgerechten Erfassung des Klagebegehrens (§ 88 VwGO) der nicht anwaltlich vertretenen Klägerin verstoßen, weil es das mit Schreiben vom eingelegte Rechtsmittel als (unstatthafte) Berufung und nicht als (statthaften) Antrag auf Zulassung der Berufung ausgelegt hat. Denn es hat hilfsweise auch die Zulässigkeit eines Antrags auf Zulassung der Berufung geprüft und mangels ordnungsgemäßer Prozessvertretung der Klägerin verneint.

12Weiter hat das Berufungsgericht den sinngemäßen Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 78b Abs. 1 ZPO für das Berufungszulassungsverfahren verfahrensfehlerfrei abgelehnt. Wie ausgeführt, setzt die Beiordnung eines Notanwalts voraus, dass der Verfahrensbeteiligte trotz zumutbarer Anstrengungen einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht gefunden hat. Dabei hat er seine diesbezüglichen Bemühungen dem Gericht innerhalb der Rechtsmittelfrist substantiiert darzulegen und nachzuweisen ( 2 B 4.17 - Buchholz 303 § 78b ZPO Nr. 5 Rn. 9; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom - V ZA 14/11 - WuM 2011, 699 Rn. 3, vom - I ZR 98/11 - juris Rn. 2, vom - VIII ZB 80/11 - juris Rn. 9 und vom - III ZR 211/14 - MDR 2015, 540 Rn. 3). Das Berufungsgericht hat ohne die Darlegungsanforderungen zu überspannen zu Recht angenommen, dass es daran hier gefehlt hat.

13Die Klägerin hat zwar die Beiordnung eines Notanwalts am und damit vor Ablauf der einmonatigen Rechtsmittelfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO für den Antrag auf Zulassung der Berufung beantragt. Die Einlegungsfrist begann mit der Zustellung des mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehenen Urteils des Verwaltungsgerichts am zu laufen und endete mit Ablauf des , einem Montag (§ 57 Abs. 1 und 2 VwGO, § 222 Abs. 1 und 2 ZPO und § 188 Abs. 2 sowie § 193 BGB). Die Klägerin hat aber - anders als im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren - innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht dargelegt, welche Rechtsanwälte sie erfolglos um Übernahme des Mandats ersucht hat. Ihr Vorbringen hat sich in der vom Berufungsgericht zutreffend wiedergegebenen pauschalen Erklärung erschöpft, ohne dass sie die um Vertretung gebetenen Anwälte namentlich benannt hat. Auch aus den in Bezug genommenen Schriftsätzen vom 1. und im Eilverfahren, Aktenzeichen VG 5 L 190/21 (OVG 4 S 46/21), ergibt sich nicht, welche Rechtsanwälte die Klägerin innerhalb der Rechtsmittelfrist für eine Mandatsübernahme kontaktiert hat. Ihr Vorbringen beschränkt sich auf die Behauptung, es sei ihr über die "Liste der Anwaltskanzlei Berlin" nicht gelungen, einen neuen Rechtsanwalt zu verpflichten. Mit diesen pauschalen Erklärungen genügt die Klägerin - wie vom Berufungsgericht zutreffend angenommen - nicht den Anforderungen an eine substantiierte Darlegung und Glaubhaftmachung, innerhalb der Einlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO alles ihr Zumutbare getan zu haben, um sich vertreten zu lassen.

14Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass es das Berufungsgericht unter Verstoß gegen § 86 Abs. 3 VwGO unterlassen habe, sie auf die Darlegungsanforderungen hinzuweisen. Sie hat den Antrag nach § 78b ZPO per Telefax erst am Freitag, dem um 20:09 Uhr gestellt. Sie konnte bei zu unterstellendem ordnungsgemäßen Geschäftsgang nicht erwarten, dass ein richterlicher Hinweis noch bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist an sie ergeht.

153. Die von der Klägerin persönlich erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie die Monatsfrist zur Einlegung der Beschwerde (§ 133 Abs. 2 Satz 1 VwGO) und auch die weitere Frist zur Begründung derselben (zwei Monate nach Zustellung der Berufungsentscheidung, § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) versäumt hat. Die Beschwerde vom , eingegangen beim zuständigen Berufungsgericht am , hat die am endende Einlegungsfrist und die am endende Begründungsfrist nicht gewahrt, weil sie nicht von einem vertretungsberechtigten Prozessbevollmächtigten gezeichnet ist (§ 67 Abs. 4 Satz 1 bis 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 VwGO).

164. Es liegen auch keine Gründe dafür vor, der Klägerin wegen der Versäumung der Fristen zur Einlegung sowie zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 60 VwGO).

17Zwar ist entsprechend der Rechtsprechung zum Prozesskostenhilferecht einem Rechtsschutzsuchenden, der innerhalb der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde persönlich (als Naturalperson) einen Antrag auf Bestellung eines Notanwalts gestellt hat, weil er einen zur Einlegung der Beschwerde bereiten postulationsfähigen Prozessvertreter i. S. v. § 67 Abs. 4 VwGO nicht hat finden können, von Amts wegen Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung und Begründung des Rechtsmittels zu gewähren, wenn der Antrag auf Bestellung des Notanwalts erfolgreich ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 3 B 72.86 - Buchholz 303 § 78b ZPO Nr. 2 S. 2 und vom - 2 B 4.17 - Buchholz 303 § 78b ZPO Nr. 5 Rn. 11 ff.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - VI ZR 226/13 - NJW 2014, 3247 Rn. 5 m. w. N.). Wie vorstehend aber dargelegt, ist der Antrag der Klägerin auf Beiordnung eines Rechtsanwalts für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wegen ihrer Aussichtslosigkeit abzulehnen.

185. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:151222B2B28.22.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-35183