BGH Beschluss v. - StB 3/23

Pflichtverteidigerbestellung: Eröffnung des Tatvorwurfs gegenüber dem Beschuldigten

Gesetze: § 141 Abs 1 S 1 StPO

Instanzenzug: Az: 1 BGs 548/22

Gründe

I.

1Der Generalbundesanwalt führt unter dem Aktenzeichen 2 BJs 450/20-2 gegen Unbekannt und weitere namentlich bekannte Personen ein Ermittlungsverfahren wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 StGB und anderer Straftaten. Beschuldigter in diesem Verfahren war neben anderen Personen auch der Beschwerdeführer. Mit Verfügung vom hat der Generalbundesanwalt das gegen den Beschuldigten gerichtete Verfahren abgetrennt und diesen neben anderen unter dem Aktenzeichen 2 StE 7/21-2 vor dem Oberlandesgericht Dresden angeklagt. Die diesbezügliche Hauptverhandlung dauert an.

2Unter dem hat der Beschwerdeführer in dem Verfahren 2 BJs 450/20-2 die Beiordnung von Rechtsanwalt M.   aus L.    als Pflichtverteidiger beantragt mit der Begründung, in der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht Dresden sei durch die Einführung von Schriftstücken bekannt geworden, dass das genannte Ermittlungsverfahren weiterhin auch gegen ihn betrieben werde. Der Beschwerdeführer werde dort auch über den Zeitpunkt der Abtrennung hinaus als Tatverdächtiger (Auswertung eines Gutachtens durch das Landeskriminalamt vom , Anforderung einer kriminaltechnischen Vergleichsarbeit vom ) bzw. Beschuldigter (Vermerk des Landeskriminalamts vom ) bezeichnet.

3Mit Schreiben vom hat der Generalbundesanwalt dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass er weder formal noch materiell Beschuldigter des in Rede stehenden Ermittlungsverfahrens sei.

4Gegen die mit am zugestelltem Beschluss des Ermittlungsrichters des ) ausgesprochene Zurückweisung des Beiordnungsantrags hat der Beschwerdeführer am sofortige Beschwerde erhoben.

II.

5Die zulässige, insbesondere mit Blick auf § 311 Abs. 2 StPO fristgerechte sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

6Gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO wird bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen demjenigen Beschuldigten ein Pflichtverteidiger bestellt, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist. Hieran fehlt es vorliegend, und zwar unabhängig davon, ob unter der Eröffnung des Tatvorwurfs lediglich die förmliche Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens (vgl. KK-StPO/Willnow, 9. Aufl., § 141 Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 141 Rn. 3) oder darüber hinaus auch die Kenntniserlangung in sonstiger auf die Strafverfolgungsbehörde zurückgehender Weise (vgl. LG Magdeburg, Beschluss vom - 25 Qs 233 Js 9703/19 [65/20], StV 2021, 162; BeckOK StPO/Krawczyk, 45. Ed., § 141 Rn. 4; SSW-StPO/Beulke/Salat, 5. Aufl., § 141 Rn. 13; BT-Drucks. 19/13829 S. 36) zu verstehen ist. Im Einzelnen:

71. Regelmäßig wird der Verfolgungswille der Strafverfolgungsbehörde durch die förmliche Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens manifestiert (vgl. , NStZ 2019, 539 Rn. 30; Urteil vom - 3 StR 164/86, BGHSt 34, 138, 140; Meyer/Goßner/Schmitt, aaO, Einl. Rn. 76, jeweils mwN). Eine derartige Vorgehensweise des Generalbundesanwalts nach Abtrennung des gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfahrensteils ist mit der Beschwerde nicht dargelegt worden und auch sonst nicht ersichtlich.

82. Aber auch die Bezeichnung des Beschwerdeführers als Tatverdächtigen oder Beschuldigten in den mit der Beschwerde angeführten Schriftstücken lässt eine zureichende Manifestation des erforderlichen Verfolgungswillens des Generalbundesanwalts nicht erkennen. Ob eine solche gegeben ist, beurteilt sich danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des davon Betroffenen darstellt ( aaO). Nach diesem Maßstab ist von Belang, dass die in Bezug genommenen Schriftstücke nur verhältnismäßig kurze Zeit nach der Verfahrensabtrennung entstanden sind, das dem Datum zugeordnete in Wahrheit bereits am . Sie enthielten - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift vom im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat - jeweils Ergebnismitteilungen zu nicht gegen den Beschwerdeführer gerichteten Ermittlungsaufträgen, die ihrerseits deutlich vor dem erteilt worden waren. Bei dieser Sachlage konnte der Beschwerdeführer ersichtlich nicht davon ausgehen, dass die Bezeichnung seiner Person mit den Begriffen Beschuldigter bzw. Tatverdächtiger als Manifestation eines ihn betreffenden Verfolgungswillens der Strafverfolgungsbehörden aufzufassen war; naheliegend war vielmehr eine auf Unkenntnis oder Nachlässigkeit des jeweiligen Verfassers zurückzuführende Unvollständigkeit der Bezeichnung, die darin lag, dass die Verwendung eines Zusatzes wie etwa „vormals“ unterblieb. Es kommt hinzu, dass der Generalbundesanwalt mit Schreiben vom ausdrücklich klargestellt hat, den Beschwerdeführer in dem in Rede stehenden Ermittlungsverfahren nicht als Beschuldigten zu betrachten, so dass zumindest ab diesem Zeitpunkt von einer Manifestation eines Verfolgungswillens gegenüber dem Beschwerdeführer keine Rede mehr sein kann.

93. Anhaltspunkte dafür, dass der Generalbundesanwalt dem Beschwerdeführer eine verfahrensmäßige Stellung als Beschuldigter willkürlich vorenthielte (zum Maßstab der Willkür in diesem Zusammenhang vgl. aaO), bestehen nicht, wie auch der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs im Ergebnis zutreffend angenommen hat.

Schäfer                    Paul                     Kreicker

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:090223BSTB3.23.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-34867