Vorläufiger Rechtsschutz gegen den Widerruf von Sonderurlaub
Gesetze: § 47 VwVfG, § 48 VwVfG, § 9 SoldUrlV, § 33 Abs 1 SUrlV 2016, § 24 Nr 1 SUrlV 2016, § 22 Abs 1 S 1 SUrlV 2016
Tatbestand
1Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Widerruf von Sonderurlaub.
2Der ... geborene Antragsteller ist Berufssoldat. Auf seinen Antrag wird er mit Ablauf des aus dem Dienstverhältnis eines Berufssoldaten entlassen.
3Am 26. bzw. beantragte er zur Vorbereitung des Berufswechsels und Aufnahme eines Studiums die Gewährung von Sonderurlaub unter Wegfall der Bezüge für den Zeitraum vom bis . Seine Vorgesetzten befürworteten diesen Antrag.
4Mit dem Antragsteller am ausgehändigten Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom wurde er antragsgemäß für den Zeitraum vom bis unter Bezugnahme auf § 9 Soldatenurlaubsverordnung in Verbindung mit Nr. 350 ZDv A-1420/12 zur Vorbereitung eines Berufswechsels (Aufnahme eines Studiums an der Hamburger Fern-Hochschule) unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge beurlaubt.
5Mit Studienbeginn zum immatrikulierte sich der Antragsteller im Masterstudiengang Wirtschaftsrecht an der Hamburger Fern-Hochschule. Am unterzeichnete er einen Arbeitsvertrag, nach dem er ab dem eine Tätigkeit als Business Developer aufnehmen soll.
6Mit E-Mail vom wies das Bundesministerium der Verteidigung das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr an, die Gewährung von Sonderurlaub aufzuheben und erläuterte seine Auffassung zur Rechtswidrigkeit der Gewährung.
7Nachdem der Antragsteller nach eigenen Angaben am über die mögliche Aufhebung der Gewährung von Sonderurlaub unterrichtet worden war, erläuterte er ergänzend seine Beweggründe und beantragte unter dem 21. und unter Bezugnahme auf befürwortende Stellungnahmen seiner Vorgesetzten und einer Truppenpsychologin erneut die Gewährung von Sonderurlaub.
8Mit dem Antragsteller am ausgehändigten Bescheid vom hob das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr den Bescheid vom über die Gewährung von Sonderurlaub auf. Eine erneute Prüfung habe ergeben, dass unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Gewährung vorliegenden begründenden Antragsunterlagen die rechtlichen Voraussetzungen für eine Gewährung von Sonderurlaub nicht vorlägen. Zum einen mangele es an einem für die Gewährung erforderlichen wichtigen Grund. Zum anderen bestehe wegen der durch die Bundeswehr finanzierten Ausbildung des Antragstellers und des Bedarfs entsprechender Fachkenntnis ein dienstliches Interesse an seinem Verbleib.
9Unter dem erhob der Antragsteller Beschwerde gegen den Widerruf und beantragte, die Vollziehung des Bescheides bis zur Entscheidung über die Beschwerde auszusetzen. Für die Gewährung des Sonderurlaubes gebe es wichtige Gründe. Aus diesen sei zumindest dem erneuten Antrag stattzugeben. Andernfalls drohten ihm finanzielle Nachteile. Der bereits gewährte Sonderurlaub dürfe nur aus zwingenden dienstlichen Gründen widerrufen werden, die hier nicht ersichtlich seien. Wegen seiner Vermögensdispositionen sei der Widerruf zudem unverhältnismäßig. Er habe einen Vertrag über eine Krankenversicherung abgeschlossen, sich immatrikuliert und habe einen Arbeitsvertrag abgeschlossen.
10Am hat der Antragsteller eine gerichtliche Eilentscheidung beantragt und zu ihrer Begründung sein Beschwerdevorbringen wiederholt und vertieft. Insbesondere trägt er vor, die Gewährung von Sonderurlaub sei rechtmäßig gewesen. Die Differenzierung des Bundesministeriums der Verteidigung zwischen der Absolvierung des gesamten Studiums und dem Abschluss des Studiums sei willkürlich und gleichheitswidrig. Es handele sich um ein als reinen Online-Studiengang aufgebautes und daher höchst flexibles Masterstudium, das in etwa 1 1/2 Jahren beendet werden könne. Die Hochschule bewerbe es wegen seiner Flexibilität als Teilzeitstudium, ohne dass es sich aber um ein solches handele. Seine berufliche Tätigkeit stehe der Ausübung des Studiums nicht entgegen, da es auf die Absolvierung neben einer Berufstätigkeit ausgelegt sei. Selbst wenn die Voraussetzungen für die Gewährung von Sonderurlaub nicht vorlägen, fehle es jedenfalls an den zwingenden dienstlichen Gründen für den Widerruf. Das pauschale Interesse an der Dienstleistung des Antragstellers und der Ableistung der Mindestdienstzeit genüge hierfür nicht.
11Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen den Bescheid vom über den Widerruf des Sonderurlaubes anzuordnen,
hilfsweise die Vollziehung des Bescheides vom über den Widerruf des Sonderurlaubes bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung auszusetzen bzw. den Sonderurlaub, wie mit Bescheid vom gewährt, einstweilig wiederherzustellen,
hilfsweise dem Bundesminister der Verteidigung im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache auf seine vorsorglichen Anträge vom und vom Sonderurlaub zu gewähren.
12Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
13Es bestünden weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch. Die Gewährung von Sonderurlaub sei nach § 9 SUV i. V. m. § 24 Nr. 1 SUrlV zu widerrufen gewesen, weil zwingende dienstliche Gründe dies forderten. Die Sonderurlaubsgewährung sei rechtswidrig gewesen. Es habe an einem wichtigen Grund im Sinne von Nr. 350 und 352 AR A-1420/12 gefehlt. Der Antragsteller habe den Sonderurlaub nicht zur Erlangung eines Studienabschlusses, sondern zur Absolvierung des gesamten Studiums begehrt. Er habe zudem ein Fernstudium begonnen, das auch neben der beruflichen Tätigkeit absolviert werden könne. Der Sonderurlaub diene auch nicht der Vorbereitung eines Berufswechsels, vielmehr solle dieser direkt vollzogen werden. Nach dem Referentenentwurf zu § 22 SUrlV sei ein privat durchgeführtes Studium oder die Vereinbarung eines privatrechtlichen Studiums kein wichtiger Grund im Sinne der Norm. Für mehr als drei Monate dürfe Sonderurlaub zudem nur in besonders begründeten Ausnahmefällen gewährt werden. Hieran fehle es erst recht. Das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr sei für die Gewährung von Sonderurlaub in dieser Länge nicht zuständig. Außerdem bestehe ein dienstliches Interesse an der Dienstleistung durch den Antragsteller bis zum Ablauf seiner Dienstzeit am . Die vom Dienstherrn finanzierte Ausbildung des Antragstellers müsse für den Dienstherrn nach dem Sinn und Zweck des § 46 Abs. 3 SG nutzbar sein. Dies ändere auch die Einstufung des Antragstellers als nicht verwendungsfähig nicht, die sich nur auf eine bestimmte Verwendung beziehe und nichts über die Zeitdauer der Einstufung sage. Gewichtige dienstliche Nachteile im Sinne von § 24 Nr. 1 SUrlV folgten daher daraus, dass der Antragsteller für mehr als drei Jahre keinen Dienst leisten würde, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorlägen. Außerdem würde die notwendige Mindestdienstzeit nach § 46 Abs. 3 SG unterlaufen. Der Widerruf sei eine gebundene Entscheidung. Auf den Anhörungsmangel nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 SBG komme es nach § 46 VwVfG nicht an. Zudem könne die Anhörung im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden.
14Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Gründe
151. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde vom gegen den Aufhebungsbescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement vom anzuordnen, ist gemäß § 17 Abs. 6 Satz 2 und 3 WBO (hier i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) zulässig, nachdem das Bundesministerium der Verteidigung unter dem eine Abhilfe abgelehnt und damit auch deutlich gemacht hat, dass es dem unter dem gestellten Antrag nach § 3 Abs. 2 WBO nicht entsprechen wird.
16Der Antragsteller hat den richtigen Rechtsweg beschritten, weil Streitigkeiten um eine Beurlaubung (§ 28 SG) den Wehrdienstgerichten zugewiesen sind (§ 82 Abs. 1 SG i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO; vgl. 1 WB 78.19 - Buchholz 449.3 § 9 SUV Nr. 10 Rn. 24 m. w. N.).
17Der als Hauptantrag formulierte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs gegen den Widerruf der Gewährung von Sonderurlaub ist statthaft (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 17 Abs. 6 Satz 2 WBO). Denn damit wäre die Wirksamkeit des Aufhebungsbescheides vorläufig beseitigt und damit zugleich die Wirksamkeit der Gewährung von Sonderurlaub bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache wiederhergestellt.
182. Der Antrag ist bereits im Hauptantrag begründet, sodass über die Hilfsanträge nicht zu entscheiden ist.
19Der Gesetzgeber hat dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit truppendienstlicher Maßnahmen grundsätzlich den Vorrang vor den persönlichen Belangen des Soldaten eingeräumt (§ 17 Abs. 6 Satz 1 WBO). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt deshalb nur in Betracht, wenn sich bereits bei summarischer Prüfung durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme ergeben oder dem Soldaten durch deren sofortige Vollziehung unzumutbare, insbesondere nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden (stRspr, vgl. z. B. 1 WDS-VR 3.14 - juris Rn. 22 m. w. N.).
20Nach summarischer Prüfung ist der Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom rechtswidrig.
21a) Er ist zwar voraussichtlich nicht bereits aus formellen Gründen aufzuheben.
22Die unstreitig unterbliebene, aber nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 SBG erforderliche Anhörung der Vertrauensperson zur Aufhebung der Gewährung von Sonderurlaub für den Antragsteller kann jedenfalls im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nachgeholt werden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 60.04 - Buchholz 252 § 20 SBG Nr. 1 S. 3 f. und vom - 1 WDS-VR 7.06 - Buchholz 449.7 § 23 SBG Nr. 4 Rn. 27) und rechtfertigt daher gegenwärtig für sich genommen den Erfolg eines Rechtsbehelfs nicht. Da dem Antragsteller zumindest fernmündlich die Aufhebung des Bescheides vom angekündigt wurde und er hierzu schriftlich Stellung genommen hat, ist dem Erfordernis seiner Anhörung (§ 28 Abs. 1 VwVfG) voraussichtlich genügt. In den Grenzen des § 45 Abs. 2 VwVfG sind auch Mängel der Begründung des Bescheides nach § 39 Abs. 1 VwVfG heilbar.
23b) Jedoch ist der Bescheid über die Aufhebung der Gewährung von Sonderurlaub bei summarischer Prüfung materiell rechtswidrig.
24aa) Es fehlt voraussichtlich an den nach § 9 SUV i. V. m. § 24 Nr. 1 SUrlV erforderlichen zwingenden dienstlichen Gründen.
25(1) Zwingende dienstliche Gründe liegen vor, wenn ohne den Widerruf der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtig würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen wären ( 1 WB 5.02 - Buchholz 236.12 § 9 SUV Nr. 7 zur Vorgängernorm). Nach der - vom Bundesministerium der Verteidigung selbst in Bezug genommenen - Begründung des Referentenentwurfes des Bundesministeriums des Innern zur Verordnung über den Sonderurlaub für Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte sowie für Richterinnen und Richter des Bundes (Bearbeitungsstand: ) liegen zwingende dienstliche Gründe im Sinne von § 24 Nr. 1 SUrlV vor, wenn bei Abwesenheit der Beamtin oder des Beamten die ordnungsgemäße Erledigung der Dienstgeschäfte nicht mehr gewährleistet wäre. Dies bedeute, dass mit großer Wahrscheinlichkeit eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung droht und die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann.
26(2) Gründe von diesem Gewicht sind weder im angegriffenen Bescheid noch in der Stellungnahme des Bundesministeriums der Verteidigung dargelegt oder sonst ersichtlich.
27Zwar weist das Bundesministerium der Verteidigung mit Recht darauf hin, dass ein dienstliches Interesse an der Dienstleistung des Antragstellers bis zum Ablauf seiner Dienstzeit besteht. Der Dienstherr hat den Antragsteller ausgebildet und diese mit öffentlichen Mitteln finanzierte Investition in sein Personal muss er für eine angemessene Zeit nutzen können (vgl. § 46 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 SG). § 24 Nr. 1 SUrlV verlangt aber ausdrücklich nicht bloß das Vorliegen dienstlicher Gründe, sondern das Vorliegen zwingender dienstlicher Gründe. Damit verlangt die Norm schon ihrem Wortlaut nach für den nicht im Ermessen der Behörde stehenden Widerruf eines gewährten Sonderurlaubes ein besonderes Gewicht der durch den Widerruf verfolgten dienstlichen Interessen, das durch die oben beschriebenen gravierenden Gefährdungen der Erfüllung dienstlicher Aufgaben charakterisiert ist. Dass dienstliche Gründe für die Weiterverwendung des Antragstellers sprechen, ist zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für den Widerruf nach der angeführten Bestimmung. Hinzukommen muss vielmehr, dass zumindest vorübergehend eine Verwendung des Antragstellers auf einem Dienstposten unerlässlich ist, um die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben einer (Teil)Einheit sicherzustellen. Dies ist hier weder dargelegt, noch ersichtlich, zumal die Vorgesetzten des Antragstellers dessen Antrag auf Sonderurlaub befürwortet hatten.
28Das Fehlen der Voraussetzungen für die Gewährung von Sonderurlaub begründet für sich genommen ebenfalls keine zwingenden dienstlichen Gründe für den Widerruf eines erteilten Sonderurlaubes. Nach dem Wortlaut des § 24 Nr. 1 SUrlV ist die Rechtswidrigkeit der Gewährung von Sonderurlaub weder eine notwendige noch eine hinreichende Voraussetzung für den Widerruf.
29bb) Der Aufhebungsbescheid kann voraussichtlich auch nicht auf die - auf truppendienstliche Maßnahmen entsprechend anwendbare (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 22.11 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 82 Rn. 18 m. w. N. und vom - 1 WDS-VR 13.20 - Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 56 Rn. 24) - Vorschrift des § 48 VwVfG gestützt werden.
30(1) Zwar spricht Vieles dafür, dass die Gewährung von Sonderurlaub mit Bescheid vom rechtswidrig gewesen ist.
31(a) Zum einen fehlt dem Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr die Zuständigkeit für die Erteilung. Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SUrlV kann Sonderurlaub für mehr als drei Monate nur durch die oberste Dienstbehörde oder die von ihr bestimmte unmittelbar nachgeordnete Behörde genehmigt werden. Zwar hatte das Bundesministerium der Verteidigung als oberste Dienstbehörde mit Erlass vom - Gz P II 1 - Az 10-01-00 - das ihm unmittelbar nachgeordnete Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr für Soldaten bis einschließlich der Besoldungsgruppe A 16 mit der Entscheidung über Sonderurlaub unter Wegfall der Bezüge für mehr als sechs Monate beauftragt. Unabhängig davon, dass der Bescheid vom nicht - wie von diesem Erlass vorgesehen - "im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung" gezeichnet wurde, galt der Auftrag nur "bis zum Abschluss der bevorstehenden Anpassung der Vorschriften- und Erlasslage", also jedenfalls nicht mehr mit dem Wirksamwerden der seit geltenden Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-1420/12 "Ausführung der Soldatinnen- und Soldatenurlaubsverordnung", die in Nr. 505 Buchst c dezidiert eine Zuständigkeit des Bundesministeriums der Verteidigung für Sonderurlaub nach Nr. 350 - 352 mit einer Dauer von mehr als sechs Monaten vorsah, während das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr für Sonderurlaub nur in den in Nr. 504 aufgezählten - hier nicht vorliegenden - Sonderfällen entscheiden sollte. Entsprechendes gilt aktuell nach den Bestimmungen in Nr. 504 und 505 AR A-1420/12. Mithin ist eine aktuell wirksame und für den vorliegenden Bescheid eingreifende Beauftragung des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr mit der in Rede stehenden Entscheidung nicht ersichtlich. Dieser sachliche Zuständigkeitsmangel war aber nicht offensichtlich im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG und führte daher nicht zur Nichtigkeit der Sonderurlaubsbewilligung (vgl. Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 44 Rn. 15).
32(b) Zum anderen dürften voraussichtlich die Erteilungsvoraussetzungen nach § 9 SUV i. V. m. §§ 3, 22 Abs. 1 SUrlV nicht vorliegen.
33Hiernach kann gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SUrlV Sonderurlaub unter Wegfall der Bezüge gewährt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und dienstliche Gründe nach § 3 Nr. 2 SUrlV nicht entgegenstehen (vgl. auch Nr. 350 Satz 1 ZDv A-1420/12 bzw. AR A-1420/12). Sonderurlaub für mehr als drei Monate kann nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SUrlV nur in besonders begründeten Fällen erteilt werden (vgl. auch Nr. 350 Satz 2 ZDv A-1420/12 bzw. AR A-1420/12).
34(aa) Die Frage, ob ein wichtiger Grund für die Gewährung von Sonderurlaub anzunehmen ist, unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung (vgl. auch zum Nachfolgenden 1 WB 24.12 - Buchholz 449.3 § 9 SUV Nr. 9 Rn. 18 m. w. N.). Der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr erfordert grundsätzlich, dass Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit die freiwillig übernommenen Verpflichtungen zur Dienstleistung voll erfüllen. Da eine Beurlaubung aus wichtigem Grund die Erfüllung der Dienstpflicht tangiert, kann sie nicht schon in Betracht gezogen werden, wenn der Soldat seine Belange selbst für wichtig erachtet, sondern nur, wenn sie bei objektiver Betrachtung gewichtig und schutzwürdig sind. Je länger der beantragte Sonderurlaub dauern soll, umso stärker wird das öffentliche Interesse an der vollen Dienstleistung des Soldaten berührt und umso höhere Anforderungen sind an die Gewichtigkeit und Schutzwürdigkeit des geltend gemachten Beurlaubungsgrundes zu stellen. Handelt es sich um einen besonders langen Sonderurlaub, können die persönlichen Belange des Soldaten als wichtiger Grund nur dann anerkannt werden, wenn er sich in einer Ausnahmesituation befindet, die sich als eine wirkliche Zwangslage darstellt.
35Insbesondere sind wichtige Gründe für die Gewährung von Sonderurlaub ein Studienabschluss, Studienreisen, der Besuch von Tagungen, Erntehilfe im Familienbetrieb oder die Vorbereitung eines Berufswechsels außerhalb der Berufsförderung (Nr. 352 ZDv bzw. AR A-1420/12).
36(bb) Derartige Gründe sind vom Antragsteller bei summarischer Prüfung nicht vorgebracht. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob auch eine besondere Begründung für die Dauer des Sonderurlaubes über drei Monate hinaus besteht.
37Zwar mag ein Studium als Vorbereitung eines Berufswechsels grundsätzlich vom Begriff des wichtigen Grundes erfasst sein. Vorliegend steht jedoch ein Online-Studium an einer Fernhochschule in Rede, das der Antragsteller neben einer Berufstätigkeit für ein privatwirtschaftliches Unternehmen absolvieren will und nach eigenen Angaben auch absolvieren kann. Hiernach ist nicht ersichtlich, wieso für die Teilnahme an dem Studiengang eine (vollständige) Freistellung vom militärischen Dienst durch Sonderurlaub erforderlich sein und deshalb einen hinreichend gewichtigen Grund darstellen sollte.
38Der Wunsch, als Business Developer für ein privates Unternehmen arbeitsvertraglich tätig zu werden, begründet keinen wichtigen Grund im oben angeführten Sinn. Das Bundesministerium der Verteidigung weist zutreffend darauf hin, dass die Gewährung von Sonderurlaub die erst mit dem wirksam werdende Entlassung des Antragstellers faktisch vorzieht und damit § 46 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 SG unterläuft. Der Wunsch nach einer beruflichen Veränderung ist bis zum kein privater Grund für eine Beurlaubung, der bei objektiver Betrachtung so gewichtig und schutzwürdig wäre, dass er das öffentliche Interesse, zur Erfüllung des Auftrages der Streitkräfte die freiwillig übernommene Verpflichtung des Antragstellers zur Dienstleistung überwiegen würde.
39(2) Zweifelhaft ist bereits, ob der Bescheid vom , den das Bundesministerium der Verteidigung dezidiert als gebundene Entscheidung im Sinne eines Widerrufs nach § 9 SUV i. V. m. § 24 Nr. 1 SUrlV behandelt, in eine Ermessensentscheidung nach Maßgabe von § 48 VwVfG umgedeutet werden kann (vgl. Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 47 Rn. 17; § 47 Abs. 3 VwVfG).
40Eine solche Entscheidung wäre jedenfalls ermessensfehlerhaft. Denn bei einer Rücknahme muss nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Ermessen ausgeübt werden. Ein Ermessen - insbesondere eine Abwägung der dienstlichen Interessen an einer Aufhebung mit dem schutzwürdigen Vertrauen des Antragstellers auf den Bestand der Gewährung von Sonderurlaub - ist gar nicht ausgeübt worden, sodass eine Umdeutung ausscheidet. Im Übrigen dürfte dem Bundesamt die sachliche Zuständigkeit für eine Rücknahme fehlen (vgl. 7 C 42.98 - BVerwGE 110, 226 <230 f.>).
413. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:170123B1WVR32.22.0
Fundstelle(n):
JAAAJ-34688