Anordnung von Sicherungsverwahrung: Vorliegen einer Vorverurteilung bei Gesamtstrafe aus Katalogtaten und Nichtkatalogtaten mit Einzelstrafen unter 3 Jahren
Gesetze: § 52 Abs 2 S 1 StGB, § 66 Abs 3 S 1 StGB, § 176 StGB vom , § 176c StGB, § 184b StGB vom , Art 316l StGBEG
Instanzenzug: Az: 34 KLs 1/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten im zweiten Rechtsgang wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, ihn im Übrigen freigesprochen und die Sicherungsverwahrung gegen ihn angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist entsprechend den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2Der ergänzenden Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
3Die auf § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB gestützte Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
4Das Landgericht hat insbesondere zu Recht eine frühere Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht Rostock vom als hinreichende Vorverurteilung im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB erachtet.
51. Durch dieses Urteil wurde der Angeklagte wegen Straftaten, die er vor der jetzt abgeurteilten, im Sommer 2018 verübten Tat beging, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, die er bis zum vollständig verbüßte. Der Gesamtfreiheitsstrafe lagen zwei Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren und zwei Monaten und zwei Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Besitz kinderpornografischer Schriften, sieben Einzelfreiheitsstrafen zwischen acht Monaten und einem Jahr wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Besitz kinderpornografischer Schriften, sowie eine Einzelfreiheitsstrafe von acht Monaten wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu Grunde. Zudem wurden in diese Gesamtfreiheitsstrafe Einzelfreiheitsstrafen aus einem einbezogen, durch das der Angeklagte wegen Betruges in 39 Fällen, versuchten Betruges in zehn Fällen sowie Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden war.
62. Die auf § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB gestützte fakultative Anordnung der Sicherungsverwahrung erfordert, dass wegen einer oder mehrerer dort angeführter Straftaten gegen den Angeklagten schon einmal eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verhängt worden ist. Diese Strafhöhe erreicht das Urteil des Landgerichts Rostock nur im Gesamtstrafenausspruch; die zugrundeliegenden Einzelfreiheitsstrafen bleiben jeweils unterhalb der Schwelle von drei Jahren. Gleichwohl stellt es eine den formellen Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genügende Vorverurteilung dar. Hierzu gilt:
7a) Eine Gesamtfreiheitsstrafe genügt als Vorverurteilung den Anforderungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB, wenn sie wenigstens drei Jahre beträgt und ihr ausschließlich Einzelfreiheitsstrafen zugrunde liegen, die auf Katalogtaten beruhen; einer Einzelfreiheitsstrafe in der von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB vorausgesetzten Höhe bedarf es dann nicht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 309/15, juris; vom - 1 StR 238/06, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 3 Rn. 4; Urteil vom - 2 StR 261/02, BGHSt 48, 100, 103). Demgegenüber ist eine Gesamtfreiheitsstrafe keine hinreichende Vorverurteilung, wenn sie neben Einzelfreiheitsstrafen wegen Nichtkatalogtaten nur eine drei Jahre unterschreitende Einzelfreiheitsstrafe wegen einer Katalogtat enthält (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 238/06, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 3 Rn. 4; vom - 2 StR 123/04, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Satz 1 Vorverurteilung 2).
8b) Hier ist keine der beiden vorgenannten Konstellationen gegeben. Die vom Landgericht Rostock verhängte Gesamtfreiheitsstrafe wurde vielmehr aus elf Einzelstrafen für Taten aus dem Katalog des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB - dies sind die Verurteilungen wegen (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern - und einer Vielzahl von Einzelstrafen für Nichtkatalogtaten gebildet. Der Umstand, dass in den Fällen des (schweren) sexuellen Missbrauchs eine tateinheitliche Verurteilung auch wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften nach § 184b StGB aF und damit einer Nichtkatalogtat (s. Art. 316l EGStGB) erfolgte, steht der Berücksichtigung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht entgegen; eine Tat ist auch dann eine Katalogtat im Sinne dieser Vorschrift, wenn tateinheitlich mit einer von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB erfassten Straftat ein dort nicht genanntes Delikt verübt wurde (, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 3 Rn. 5).
9c) In dem hier vorliegenden Fall, in dem einer die Schwelle von drei Jahren erreichenden Gesamtfreiheitsstrafe einer Vorverurteilung neben mehreren Katalogtaten mit Einzelfreiheitsstrafen von jeweils unter drei Jahren auch Nichtkatalogtaten zugrunde liegen, scheidet eine Berücksichtigung des Urteils als hinreichende Vorverurteilung im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB allerdings nicht aus. Vielmehr ist im Sinne einer fiktiven Gesamtstrafenbildung zu prüfen, ob das damalige Tatgericht auch dann eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verhängt hätte, wenn es eine solche ausschließlich aus den der Gesamtstrafe zugrundeliegenden Einzelstrafen wegen Katalogtaten hätte bilden müssen. Kann - was eine vom Revisionsgericht eigenständig zu beurteilende Rechtsfrage ist - sicher ausgeschlossen werden, dass das frühere Tatgericht bei einer Gesamtstrafenbildung allein aus den Einzelstrafen wegen Katalogtaten eine unterhalb der Schwelle von drei Jahren liegende Gesamtfreiheitsstrafe gebildet hätte, ist eine den Anforderungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genügende Vorverurteilung gegeben (, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 3 Rn. 7; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 66 Rn. 64; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 66 Rn. 37 aE; SSW-StGB/Harrendorf, 5. Aufl., § 66 Rn. 42; Lackner/Kühl/Heger/Pohlreich, StGB, 29. Aufl., § 66 Rn. 10e; BeckOK StGB/Ziegler, 53. Ed., § 66 Rn. 24; LK/Peglau, StGB, 13. Aufl., § 66 Rn. 103; SK-StGB/Sinn, 9. Aufl., § 66 Rn. 45; aA MüKoStGB/Drenkhahn/Morgenstern, 4. Aufl., § 66 Rn. 176). Denn dann unterscheidet sich der Fall in der Sache nicht von einem solchen, in dem von vornherein eine allein auf Katalogtaten beruhende Gesamtstrafe von mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe vorlag (s. hierzu , BGHSt 48, 100, 103).
10Sofern - wie hier - relevanten Einzelstrafen eine tateinheitliche Verurteilung sowohl wegen einer Katalogtat als auch wegen einer Nichtkatalogtat zu Grunde liegt und der nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB maßgebliche Strafrahmen dem Katalogtatbestand zu entnehmen war, ist die Einzelstrafe bei der fiktiven Gesamtstrafenbildung in voller Höhe zu berücksichtigen (, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 3 Rn. 5; LK/Peglau, StGB, 13. Aufl., § 66 Rn. 106).
11d) Hier ist angesichts der Anzahl und Höhe der oben angeführten Einzelstrafen wegen der Katalogtaten, die dem Urteil vom zu Grunde lagen, sicher auszuschließen, dass das Landgericht Rostock, hätte es eine Gesamtfreiheitsstrafe ausschließlich aus den Einzelfreiheitsstrafen wegen - unter anderem - (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern zu bilden gehabt, eine Gesamtfreiheitsstrafe von unter drei Jahren verhängt hätte.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:280622B3STR179.22.0
Fundstelle(n):
EAAAJ-33388