Leitsatz
Ist ein nach § 53 Abs. 1 JustG NRW vorgeschriebenes Schlichtungsverfahren vor Klageerhebung durchgeführt worden, macht ein im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens vorgenommener Parteiwechsel auf Beklagtenseite keinen neuen Schlichtungsversuch erforderlich (Fortführung von Senat, Urteil vom - V ZR 9/10, NJW-RR 2010, 1726).
Gesetze: § 15a Abs 1 ZPOEG, § 53 Abs 1 Nr 1 JustG NW
Instanzenzug: Az: 8 S 48/20vorgehend AG Königswinter Az: 9 C 112/18
Tatbestand
1Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Die Kläger verlangten von der Mutter der Beklagten als damaliger Eigentümerin, auf deren Grundstück verschiedene Maßnahmen vorzunehmen. Aus diesem Grund kam es im Jahr 2015 zwischen den Klägern und der Mutter der Beklagten zu einem Schlichtungsverfahren, das nicht zu einer Einigung führte. Im Jahr 2016 erwarb die Beklagte das Eigentum an dem Grundstück ihrer Mutter.
2In Unkenntnis der geänderten Eigentumsverhältnisse haben die Kläger ihre Klage zunächst gegen die Mutter der Beklagten gerichtet und den Rückschnitt eines Strauchs, die Beseitigung herüberragender Äste, die Begradigung eines Holzschutzes sowie die Entfernung der Regenrinne eines Gartenhauses verlangt. Nach Zustellung der Klage haben die Kläger einen Parteiwechsel erklärt, durch den die Beklagte anstelle ihrer Mutter in den Prozess eingetreten ist. Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgen die Kläger ihre Klageanträge weiter.
Gründe
I.
3Das Berufungsgericht hält die Klage für unzulässig, weil das in § 53 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (nachfolgend: JustG NRW) vorgeschriebene Schlichtungsverfahren gegenüber der Beklagten nicht durchgeführt worden sei. Ein solches sei nicht deshalb entbehrlich, weil es bereits zwischen den ursprünglichen Parteien des Rechtsstreits stattgefunden habe. Die höchstrichterliche Rechtsprechung, nach der eine erneute Streitschlichtung bei einem Parteiwechsel auf Klägerseite nicht erforderlich sei, lasse sich auf einen Parteiwechsel auf Beklagtenseite nicht übertragen. Da die Beklagte nicht freiwillig in den Prozess eingetreten sei, könne aus ihrem Eintritt nicht auf die Aussichtslosigkeit eines Schlichtungsverfahrens geschlossen werden. Der Parteiwechsel auf Beklagtenseite ähnele prozessual einer Parteierweiterung auf Beklagtenseite, bei der anerkannt sei, dass zuvor ein Einigungsversuch zu erfolgen habe. In beiden Konstellationen würde der beklagten Partei ansonsten die Möglichkeit einer gesetzlich vorgesehenen Schlichtung genommen, obwohl diese nicht von vornherein aussichtslos sei.
II.
4Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
51. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die geltend gemachten Ansprüche in den Anwendungsbereich der auf der Öffnungsklausel von § 15a EGZPO beruhenden Vorschrift des § 53 Abs. 1 Nr. 1 lit. b und e JustG NRW fallen. Dagegen wendet sich die Revision ausdrücklich nicht.
62. Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts, der Parteiwechsel auf Beklagtenseite mache einen neuen Schlichtungsversuch erforderlich. Wegen der geltend gemachten Ansprüche hat bereits ein Schlichtungsversuch stattgefunden. Dass die Schlichtung nur gegenüber der früheren Beklagten versucht worden ist, führt nicht dazu, dass die Klage mit dem Parteiwechsel unzulässig geworden ist.
7a) Der Senat hat für § 10 Abs. 1 Nr. 1 lit. e GüSchlG NRW aF bereits entschieden, dass ein im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens vorgenommener Parteiwechsel auf Klägerseite keinen neuen Schlichtungsversuch erforderlich macht. Das Ziel der Entlastung der Zivilgerichte lässt sich nicht mehr erreichen, wenn die Schlichtung erfolglos geblieben und der Rechtsstreit bei Gericht anhängig geworden ist. Daher macht ein Parteiwechsel auf Klägerseite die Klage nicht unzulässig (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 9/10, NJW-RR 2010, 1726 Rn. 9). Diese Rechtsprechung ist auf Zustimmung gestoßen (vgl. Eymelt-Niemann in Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl., § 15a ZPOEG Rn. 14; MüKoZPO/Gruber, 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 15; Stein/Jonas/Jacobs, 23. Aufl., EGZPO § 15a Rn. 7). Für den gleichlautenden § 53 Abs. 1 JustG NRW gilt nichts anderes. Offengelassen hat der Senat, ob etwas anderes für den Parteiwechsel auf Beklagtenseite zu gelten hat (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 9/10, NJW-RR 2010, 1726 Rn. 13).
8b) Der Senat entscheidet die Frage nunmehr dahin, dass die Klage bei einem Parteiwechsel auf Beklagtenseite ebenfalls ohne neues Schlichtungsverfahren zulässig bleibt. Das gesetzliche Ziel der Entlastung der Zivilgerichte lässt sich auch in dieser Konstellation nicht mehr erreichen.
9aa) Teilweise wird allerdings angenommen, dass nach einem Parteiwechsel auf Beklagtenseite wegen des dadurch begründeten neuen Prozessrechtsverhältnisses ein neuer Schlichtungsversuch erforderlich sei, weil dem nunmehr Beklagten ansonsten die Möglichkeit der Schlichtung genommen werde (vgl. AG Neumünster, SchlHA 2006, 361).
10bb) Nach überwiegend vertretener Ansicht sind die Erwägungen des Senats in der Entscheidung zum Parteiwechsel auf Klägerseite auf den Parteiwechsel auf Beklagtenseite übertragbar. Nach dem Zweck des § 15a EGZPO sei auch in diesem Fall grundsätzlich kein erneutes obligatorisches Güteverfahren zu verlangen, wenn vor Klageerhebung ein Schlichtungsverfahren durchgeführt worden sei (vgl. BeckOK GVG/van der Grinten [], § 53 JustG NRW Rn. 10; MüKoZPO/Gruber, 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 20; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 7).
11cc) Die zuletzt genannte Ansicht trifft zu. Ist ein nach § 53 Abs. 1 JustG NRW vorgeschriebenes Schlichtungsverfahren vor Klageerhebung durchgeführt worden, macht ein im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens vorgenommener Parteiwechsel auf Beklagtenseite keinen neuen Schlichtungsversuch erforderlich.
12(1) Durch die Einführung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens sollten die Zivilgerichte entlastet und Konflikte rascher und kostengünstiger bereinigt werden (vgl. BT-Drucks. 14/980 S. 5 zu § 15a EGZPO sowie LT-Drucks. 12/4614 S. 27 zum nordrhein-westfälischen Ausführungsgesetz zu § 15a EGZPO). Zu diesem Zweck wurde es den Ländern durch die Öffnungsklausel des § 15a EGZPO ermöglicht, die Zulässigkeit einer Klage in bestimmten Fällen von der vorherigen Durchführung eines außergerichtlichen Schlichtungsversuches abhängig zu machen. Hierdurch sollen geeignete Streitigkeiten ohne Einschaltung der Gerichte beigelegt werden. Dieses Ziel lässt sich nicht mehr erreichen, wenn die Schlichtung erfolglos geblieben und die Streitigkeit bei Gericht anhängig geworden ist. Nach dem Scheitern der Schlichtung ist das gerichtliche Verfahren wie jedes andere Verfahren nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung durchzuführen. Die klagende Partei kann die Klage erweitern (§ 264 Nr. 2 ZPO) oder nach Maßgabe von § 263 ZPO ändern, ohne dass hierdurch die Zulässigkeit der Klage entfällt. Dies folgt im Übrigen auch daraus, dass § 15a EGZPO die Länder in den in Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 genannten Fällen nur ermächtigt, die Klageerhebung, nicht aber auch eine Klageerweiterung oder -änderung von der vorherigen Durchführung eines Schlichtungsverfahrens abhängig zu machen (Senat, Urteil vom - V ZR 47/04, NJW-RR 2005, 501, 503). Infolgedessen ändert - wie der Senat bereits entschieden hat - ein Parteiwechsel auf Klägerseite, welcher der Klageänderung gleichsteht, nichts an der Zulässigkeit der Klage (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 9/10, NJW-RR 2010, 1726 Rn. 9).
13(2) Es besteht kein Anlass, einen Parteiwechsel auf Beklagtenseite anders zu behandeln. Dieser steht - ebenso wie der Klägerwechsel - einer Klageänderung gleich und ist entsprechend § 263 ZPO zulässig, wenn der neue Prozessgegner zustimmt oder das Gericht den Wechsel als sachdienlich zulässt. Er ist zudem entsprechend § 269 Abs. 1 ZPO von Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache an nur mit Zustimmung des bisherigen Beklagten möglich (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 230/04, NJW 2006, 1351 Rn. 24; , BeckRS 2016, 15771 Rn. 9).
14(a) Stimmt der neue Beklagte dem Parteiwechsel zu, läuft die Forderung nach einem neuerlichen Schlichtungsversuch - wie auch beim Klägerwechsel - dem Ziel des Schlichtungsverfahrens, die Belastung der Zivilgerichte zu verringern, offensichtlich zuwider. Soweit der anstelle des bisherigen Beklagten in den Rechtsstreit eintretende Beklagte den Antrag des bisherigen Beklagten auf Abweisung der Klage weiterverfolgt, gibt er mit seinem Eintritt in den Prozess zu erkennen, dass er ebenfalls nicht bereit ist, die Klageforderung zu erfüllen. Im Hinblick auf den Wechsel der Beklagtenpartei die erneute Anrufung des Schlichtungsverfahrens zu verlangen, führte zu einer Verdopplung der gerichtlichen Verfahren und damit zum Gegenteil dessen, was durch § 53 Abs. 1 JustG NRW erreicht werden soll (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 9/10, NJW-RR 2010, 1726 Rn. 10).
15(b) Wird der Parteiwechsel von dem Gericht als sachdienlich zugelassen, verhält es sich - wie auch beim Klägerwechsel - nicht anders. Die Zulassung als sachdienlich dient dazu, einen neuen Prozess zu vermeiden. Mit diesem Ziel ist es nicht zu vereinbaren, wegen der Zulassung der Klageänderung einen neuerlichen Schlichtungsversuch als Voraussetzung einer Entscheidung in der Sache zu verlangen (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 9/10, NJW-RR 2010, 1726 Rn. 11 mwN). Auf die Frage, ob die Beklagte freiwillig in den Prozess eingetreten ist, kommt es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nach alledem nicht an.
16(c) Der mit einem weiteren Schlichtungsverfahren verbundene Aufwand ließe sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch dann nicht rechtfertigen, wenn nicht ausgeschlossen ist, dass die Schlichtung mit dem neuen Beklagten Erfolg haben wird. Primäres, nach Klageerhebung nicht mehr zu erreichendes Ziel des obligatorischen Schlichtungsverfahrens ist die Verringerung der Belastung der Gerichte, nicht etwa, den Parteien die Möglichkeit eines nicht offenkundig aussichtslosen vorprozessualen Schlichtungsversuchs zu eröffnen. Eine gütliche Streiterledigung können die Parteien auch im anhängigen Verfahren erreichen, ohne dass es hierzu eines neuerlichen außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens bedarf (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 9/10, NJW-RR 2010, 1726 Rn. 12).
17(d) Dem Berufungsgericht ist auch nicht darin zu folgen, dass der Beklagtenwechsel wie die subjektive Klagehäufung zu behandeln ist, bei der im Verhältnis zu jedem einzelnen Streitgenossen auf Beklagtenseite ein vom Landesgesetz vorgeschriebenes Güteverfahren durchgeführt werden muss (vgl. , NJW-RR 2010, 1725 Rn. 11). In diesen Fällen soll durch eine konsequente Auslegung des § 15a EGZPO erreicht werden, dass die Rechtsuchenden in den durch Landesgesetz vorgegebenen Fällen vor Anrufung der Gerichte auch tatsächlich den Weg zu den Schlichtungsstellen beschreiten müssen und den Einigungsversuch nicht einfach umgehen können (vgl. , NJW-RR 2010, 1725 Rn. 9 f.). Eine solche Umgehungsgefahr besteht beim Beklagtenwechsel nicht, weil - anders als bei der einfachen Streitgenossenschaft - nicht mehrere gesonderte Prozessrechtsverhältnisse bestehen, sondern nur ein gegen einen Beklagten geführtes Verfahren, dem ein obligatorischer Schlichtungsversuch vorausging.
III.
181. Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche keine Feststellungen getroffen hat.
192. Die Sache ist vorliegend nicht an das Berufungsgericht, sondern an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Das Revisionsgericht kann die Sache unmittelbar an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen, wenn die Zurückverweisung an dieses Gericht auch nach einer neuen Verhandlung die ermessensgerechte Entscheidung des Berufungsgerichts nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO wäre (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 120/16, NJW-RR 2017, 443 Rn. 15) und eine Partei die Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht in der Berufungs- oder Revisionsinstanz beantragt hat (§ 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Dies ist hier der Fall. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Zurückverweisung in die erste Instanz beantragt und hierdurch zu erkennen gegeben, dass die Kläger den Verlust einer Tatsacheninstanz nicht hinnehmen möchten. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat dagegen keine Einwände erhoben. Schon deshalb ist es ermessensgerecht, die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Von dieser Möglichkeit macht der Senat Gebrauch.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:161222UVZR34.22.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2023 S. 567 Nr. 8
CAAAJ-32797