BGH Beschluss v. - 1 StR 284/22

Strafverfahren: Auswechslung des Pflichtverteidigers bei Differenzen über die Verteidigungsstrategie

Gesetze: § 143a Abs 2 S 1 Nr 3 StPO

Instanzenzug: Az: 1 StR 284/22 Beschlussvorgehend Az: 1 StR 284/22 Beschlussvorgehend LG München I Az: 2 Ks 127 Js 123332/21nachgehend Az: 1 StR 284/22 Urteil

Gründe

11. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vierzehn Jahren verurteilt. Erstinstanzlich waren Rechtsanwältin K.   und Rechtsanwalt H.     , kanzleiansässig jeweils in M.      , zu Pflichtverteidigern des in dieser Sache in Untersuchungshaft genommenen Angeklagten bestellt worden. Mit am bei dem Bundesgerichtshof eingegangenem Schreiben vom hat der Angeklagte beantragt, Rechtsanwalt H.      aus seinem Verfahren „auszuschließen“, da kein Vertrauensverhältnis mehr bestehe. Denn wie er zwischenzeitlich erfahren habe, habe Rechtsanwalt H.       im Verhandlungstermin vor dem ohne sein Wissen einen Beweisantrag gestellt, welcher manipuliert worden sei und einer bösartigen Fantasie des Rechtsanwalts entspreche zum Zwecke seiner (des Angeklagten) Verurteilung.

22. Der Antrag bleibt ohne Erfolg. Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten endgültig zerstört, noch ist aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem substantiiert darzulegen (vgl. Rn. 12). Es müssen konkrete Umstände vorgetragen werden, aus denen sich der endgültige Fortfall der für ein Zusammenwirken zu Verteidigungszwecken notwendigen Grundlage ergibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 295/21 Rn. 3 und vom – 1 StR 649/07 Rn. 16 f.). Daran fehlt es. Etwaige Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie – wie hier das Verlesen eines Beweisantrages im Termin zur Hauptverhandlung – rechtfertigen für sich genommen die Entpflichtung nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom – StB 6/20 Rn. 11 und vom – StB 24/21 Rn. 8; jeweils mwN). Unüberwindbare, die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit erschütternde Meinungsverschiedenheiten oder gar ein von verteidigungsfremden Motiven getragenes pflichtwidriges Handeln von Rechtsanwalt H.      , in deren bzw. dessen Folge der Zweck der Pflichtverteidigung – dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und einen geordneten Verfahrensablauf zu gewährleisten ( Rn. 23) – ernsthaft gefährdet worden wäre, lassen bzw. lässt sich dem Vorbringen des Angeklagten nicht entnehmen. Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, der einer angemessenen Verteidigung des Angeklagten durch Rechtsanwalt H.     entgegensteht und eine Beendigung von dessen Bestellung zum Pflichtverteidiger gebietet.

Jäger

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:090123B1STR284.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 9 Nr. 8
MAAAJ-31508