Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei versäumter Berufungsfrist
Gesetze: § 91 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 91 Abs 1 S 2 WDO 2002, § 114 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 115 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 116 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 116 Abs 1 S 2 WDO 2002, § 141 Abs 1 WDO 2002, § 141 Abs 2 WDO 2002, § 43 Abs 1 StPO, § 44 S 1 StPO, § 45 Abs 1 S 1 StPO, § 418 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: Truppendienstgericht Nord Az: N 5 VL 14/17 Beschluss
Tatbestand
1Der frühere Soldat wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig.
2Das Truppendienstgericht hat ihm mit Urteil vom das Ruhegehalt aberkannt. In der Rechtsmittelbelehrung heißt es: "Gegen dieses Urteil ist gemäß § 115 WDO bis zum Ablauf eines Monats nach seiner Zustellung ... zulässig ..." Das Urteil ist ihm am zugestellt worden. Seine Verteidigerin hat vom Truppendienstgericht am formlos eine beglaubigte Urteilsabschrift mit folgendem Hinweis erhalten: "Dem Soldaten wurde eine Ausfertigung mit fristbestimmender Wirkung zugestellt."
3Sie hat dem früheren Soldaten mit E-Mail vom selben Tag das Urteil übersandt und mitgeteilt, es sei "hier am heutigen Tag zugestellt worden, so dass die Berufung bis zum 22. November zu erheben und zu begründen ist". Der frühere Soldat solle sie innerhalb des Oktobers wissen lassen, ob er Berufung einlegen wolle. Dieser hat mit E-Mail vom geantwortet, er sei mit dem Angebot einverstanden und könne eine Ratenzahlung anbieten, woraufhin seine Verteidigerin mit E-Mail vom geantwortet hat, das gehe in Ordnung und sie werde die Begründung demnächst fertigen und ihm senden.
4Am hat sie für den früheren Soldaten beim Truppendienstgericht Berufung eingelegt und diese begründet. Am hat der Vertretungsrichter sie darauf hingewiesen, dass die Berufung verfristet sei. Sie hat am selben Tag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und erneut Berufung eingelegt und diese begründet.
5Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat sie ausgeführt, dass sie die Frist falsch berechnet habe und ihr Verschulden dem früheren Soldaten nicht zuzurechnen sei. Dieser habe ihr am den Auftrag zur Berufung erteilt, auf eine korrekte Einreichung durch sie vertrauen dürfen und auf ihre Angaben vertraut. Von dem Fehler hätten sie und der frühere Soldat erst am Kenntnis erlangt.
6Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat entgegnet, aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gehe eine "Verschuldensfreiheit" des früheren Soldaten nicht hervor.
7Mit Beschluss vom hat der Vorsitzende der Truppendienstkammer die Berufung wegen Verfristung als unzulässig verworfen. Der Beschluss ist dem früheren Soldaten am zugestellt worden.
8Seine Verteidigerin hat für ihn am Beschwerde erhoben und beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Sie macht ergänzend zu ihrem bisherigen Vortrag geltend, sie habe es versäumt, sich beim früheren Soldaten zu erkundigen, wann bzw. ob ihm das Urteil früher zugestellt worden sei. Daher habe dieser davon ausgehen dürfen, dass ihre Fristberechnung korrekt gewesen sei und die Berufung fristgerecht eingereicht werde.
9Die Vorsitzende der Truppendienstkammer hat die Akten mit Schreiben vom dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
10Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält die Beschwerde für unbegründet, weil der frühere Soldat durch eigenes Verschulden zum Fristversäumnis beigetragen habe. Er habe mit seiner E-Mail vom keinen Auftrag zur Einlegung einer Berufung erteilt, sondern nur eine Ratenzahlungsvereinbarung bestätigt. Auch habe er seiner Verteidigerin das für die Fristberechnung maßgebliche Datum der Zustellung des Urteils an ihn nicht mitgeteilt.
Gründe
11Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
121. Zwar hat der frühere Soldat die Berufungsfrist versäumt.
13Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO ist die Berufung gegen das Urteil des Truppendienstgerichts bis zum Ablauf eines Monats nach seiner Zustellung beim Truppendienstgericht oder beim Bundesverwaltungsgericht einzulegen. Dabei entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Berufungsfrist bereits mit der Zustellung an den (früheren) Soldaten - nicht erst mit der formlosen Bekanntgabe an seinen Verteidiger - zu laufen beginnt (vgl. 2 WDB 4.18 - juris Rn. 9 zu § 145a StPO m.w.N. anders bei Mehrfachzustellung: Beschluss vom - 2 WNB 4.18 - Buchholz 450.1 § 12 WBO Nr. 1 Rn. 10 zu § 37 Abs. 2 StPO).
14Da dem früheren Soldaten das Urteil ausweislich der Postzustellungsurkunde am zugestellt worden ist, hat die Berufungsfrist mit Ablauf des geendet (vgl. § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 43 Abs. 1 StPO). Die Berufung ist jedoch erst am beim Truppendienstgericht eingegangen.
152. Dem früheren Soldaten ist aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
16a) Sein Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig. Der frühere Soldat hat insbesondere die gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 91 Abs. 1 Satz 2 WDO maßgebliche Frist von zwei Wochen gewahrt, innerhalb derer der Antrag auf Wiedereinsetzung unter Glaubhaftmachung der Gründe zu stellen und die versäumte Handlung nach Wegfall des Hindernisses nachzuholen ist. Denn er hat von dem Fristversäumnis erst am erfahren und seine Verteidigerin hat am selben Tag beim Truppendienstgericht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die versäumte Handlung - die bereits am beim Truppendienstgericht eingelegte Berufung - nachgeholt.
17b) Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch begründet.
18Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 44 Satz 1 StPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. Bei der Prüfung der Frage, ob den Angeschuldigten an einer Fristversäumung gemäß § 44 Satz 1 StPO ein Verschulden trifft, ist es den Gerichten in wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren regelmäßig verwehrt, ihm die Versäumnisse seines Verteidigers zuzurechnen, sofern er nicht durch eigenes Verschulden zur Fristversäumung beigetragen hat (vgl. 2 WDB 3.18 - BVerwGE 163, 89 Rn. 14 m.w.N.).
19Vorliegend hat das Fristversäumnis ausschließlich die Verteidigerin des früheren Soldaten zu vertreten. Sie hat die Berufungsfrist falsch berechnet, weil sie statt von dem maßgeblichen Datum der Zustellung des angefochtenen Urteils an den früheren Soldaten von dem Datum einer vermeintlichen Zustellung des Urteils an sie selbst ausgegangen ist, bei der es sich in Wirklichkeit nur um eine formlose Übersendung einer beglaubigten Abschrift des Urteils gehandelt hat.
20Der frühere Soldat hat nicht durch eigenes Verschulden zum Fristversäumnis beigetragen. Er hat seiner Verteidigerin rechtzeitig vor Fristablauf, nämlich mit E-Mail vom den Auftrag zur Einlegung der Berufung erteilt. Sein darin erklärtes Einverständnis bezog sich auf die vorherige Bitte seiner Verteidigerin, sie wissen zu lassen, ob er Berufung einlegen wolle. Zwar ist er in der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung darauf hingewiesen worden, dass gegen das Urteil bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung die Berufung zulässig sei. Auch war ausweislich der Zustellungsurkunde, bei der es sich um eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO handelt, der Tag der Zustellung des Urteils an ihn - also der - auf dem Briefumschlag vermerkt. Er durfte aber auf die Aussage in der E-Mail seiner Verteidigerin vom vertrauen, das Urteil sei dort am (ebenfalls) "zugestellt" worden, so dass das maßgebliche Fristende der (ein Montag) sei. Denn für ihn als juristischen Laien musste es sich nicht aufdrängen, dass das Urteil in Wahrheit seiner Verteidigerin nicht zugestellt worden war und dass es für die Fristberechnung darum auf die Zustellung an ihn selbst ankam.
213. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten (§ 141 Abs. 1 und 2 WDO), weil das Beschwerdeverfahren nach § 114 Abs. 1 Satz 1 WDO ein Nebenbestandteil des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ist (vgl. 2 WDB 1.07 - Rn. 21).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:150322B2WDB2.22.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-31392