BAG Beschluss v. - 6 AZR 102/22

Revisionsbegründung - gesellschaftlicher Wandel

Gesetze: § 72 Abs 5 ArbGG, § 74 Abs 2 S 3 ArbGG, § 551 Abs 3 S 1 Nr 2 Buchst a ZPO, § 552 Abs 1 S 2 ZPO, § 552 Abs 2 ZPO, § 97 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: ArbG Rheine Az: 3 Ca 333/21 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 3 Sa 1087/21 Urteil

Gründe

1Die Parteien streiten in der Revision noch über die Wirksamkeit einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung des zum geschlossenen befristeten Arbeitsvertrags der Klägerin.

2I. Die Klägerin, die sich bei dem Beklagten als Erzieherin auf eine ausgeschriebene Stelle beworben hatte, teilte während ihres Vorstellungsgesprächs am mit, dass bei ihr während einer früheren Schwangerschaft eine fehlende Immunität gegen das Zytomelagievirus festgestellt worden sei. In der Folgezeit vereinbarten die Parteien ein für die Zeit vom bis zum befristetes Arbeitsverhältnis. Bei ihrer Unterzeichnung des bereits zuvor vom Beklagten unterschriebenen Arbeitsvertrags am war der Klägerin ihre erneute Schwangerschaft bekannt. Nachdem sie den Vertrag am in den Postkasten des Beklagten eingeworfen hatte, informierte sie am Morgen des die stellvertretende Leiterin der Kindertagesstätte telefonisch über diesen Einwurf des Arbeitsvertrags und ihre Schwangerschaft. Die stellvertretende Leiterin forderte die Klägerin daraufhin auf, zu Hause zu bleiben.

3Mit Schreiben vom , der Klägerin am 4. oder zugegangen, zog der Beklagte sein Angebot auf Abschluss des Arbeitsvertrags zurück und erklärte hilfsweise dessen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, weil die Klägerin verpflichtet gewesen sei, ihn über ihre Schwangerschaft in Kenntnis zu setzen. Gleichzeitig kündigte er äußerst hilfsweise das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit.

4Am entband die Klägerin ihr Kind und beanspruchte mit Schreiben vom entgegen ihrer ursprünglichen Absicht ein Jahr Elternzeit nach Ende des Mutterschutzes.

5Mit ihrer am beim Arbeitsgericht erhobenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gewendet und die Auffassung vertreten, nicht zur Offenbarung ihrer Schwangerschaft verpflichtet gewesen zu sein. Sie hat beantragt

6Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

7Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Abweisungsantrag weiter.

8Der Senat hat den Beklagten darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Revision bestehen. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom dazu Stellung genommen.

9II. Die Revision ist mangels ausreichender Begründung unzulässig. Sie war daher nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 552 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO zu verwerfen. Die Entscheidung konnte gemäß § 74 Abs. 2 Satz 3 ArbGG ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss ergehen.

101. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision müssen gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revisionsgründe angegeben werden. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO). Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Die Revision muss darlegen, warum sie die Begründung des Berufungsgerichts für unrichtig hält. Allein die Darstellung anderer Rechtsansichten ohne jede Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung ebenso wenig wie die Wiedergabe des bisherigen Vorbringens. Es reicht auch nicht aus, die tatsächlichen und/oder rechtlichen Würdigungen des Berufungsgerichts lediglich mit formelhaften Wendungen zu rügen (st. Rspr., vgl. zB  - Rn. 13; - 10 AZR 208/20 - Rn. 11; - 6 AZR 836/16 - Rn. 11, BAGE 163, 257).

112. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht.

12a) Das Landesarbeitsgericht hat - soweit für die Revision bedeutsam - zusammengefasst angenommen, dass zwischen den Parteien zum ein befristeter Arbeitsvertrag wirksam zustande gekommen sei. Der Beklagte habe sein Angebot auf Abschluss des Arbeitsvertrags nicht mehr rechtswirksam widerrufen können. Er sei auch nicht zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung berechtigt gewesen. Die Klägerin sei trotz der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses nicht verpflichtet gewesen, ihre Schwangerschaft bei Vertragsabschluss zu offenbaren. Zur Begründung hat sich das Landesarbeitsgericht auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (- C-109/00 - [Tele Danmark]) gestützt. Es hat ausgeführt, bei Vertragsschluss habe nicht festgestanden, dass die Klägerin während der gesamten Vertragslaufzeit nicht arbeiten werde. Vor dem Hintergrund des voraussichtlichen Endes der Mutterschutzfrist Anfang Dezember 2021 und der Befristung bis zum bei Vertragsschluss habe die Möglichkeit einer Arbeitsaufnahme bestanden. Erst durch das Schreiben der Klägerin vom , mit dem sie Elternzeit beantragt habe, sei gewiss geworden, dass sie bis zum Vertragsende nicht mehr eingesetzt werden könne. Die Ungewissheit über die Durchführung des Arbeitsverhältnisses bei Vertragsschluss rechtfertige aber keine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Diese Fallgestaltung habe der Gerichtshof der Europäischen Union bei seiner Entscheidung zugunsten der dortigen Klägerin berücksichtigt und zudem darauf abgestellt, ein befristetes Arbeitsverhältnis könne verlängert oder erneuert werden. Seine tatsächliche Dauer sei daher höchst ungewiss. Das Landesarbeitsgericht hat deshalb angenommen, die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft bzw. die Pflicht zu deren Offenbarung sei nicht nach § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt. Bei der vorliegenden Sachlage könne auch nicht mit dem Rechtsinstitut des Rechtsmissbrauchs unbilligen Härten - zB weil der Arbeitgeber eine Mitarbeiterin als Vertretung für ausgefallene Stammkräfte suche und die ihre Schwangerschaft nicht offenbarende Arbeitnehmerin den Arbeitsplatz anstrebe, obwohl sie wisse, dass sie während eines wesentlichen Teils der Vertragszeit nicht arbeiten werde - entgegengewirkt werden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seiner Entscheidung vom ausgeführt, dass die Verfügbarkeit des Arbeitnehmers zwar wesentliche Voraussetzung für die ordnungsgemäße Erfüllung des Arbeitsvertrags sei. Der unionsrechtlich gewährte Schutz der Frau während der Schwangerschaft und nach der Entbindung könne jedoch nicht davon abhängen, ob ihre Anwesenheit in dem ihrem Mutterschaftsurlaub entsprechenden Zeitraum für das ordnungsgemäße Funktionieren des sie beschäftigenden Unternehmens unerlässlich sei. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass es der Klägerin lediglich darum gegangen sei, den formalen Status als Arbeitnehmerin mit dem ausschließlichen Ziel finanzieller Vorteile zu erlangen, seien nicht ersichtlich.

13b) Mit dieser Begründung setzt sich die Revision nicht hinreichend auseinander.

14aa) Zwar geht auch der Beklagte von einer Schutzbedürftigkeit schwangerer Frauen - jedenfalls in einem bestehenden Arbeitsverhältnis - aus. Seine Ausführungen beschränken sich im Wesentlichen jedoch darauf, die Würdigung des Landesarbeitsgerichts bloß pauschal als „Übergleichbehandlung“ zu bezeichnen, die gesellschaftlich ebenso wenig wünschenswert sei wie eine grundsätzliche Diskriminierung von Frauen im gebärfähigen Alter. Sie stehe daher einer gesellschaftlich akzeptierten Gleichbehandlung entgegen. Hiermit hat er jedoch keinen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts, das sich der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom in der Rechtssache - C-109/00 - [Tele Danmark] angeschlossen hat, aufgezeigt, sondern lediglich eine aus Sicht des Beklagten wünschenswerte rechtspolitische Forderung formuliert. Grundsätzlich kann ein Revisionsangriff zwar auch darauf gestützt werden, dass zB gesellschaftliche Entwicklungen eine Änderung der bestehenden Rechtsprechung, der sich ein Berufungsgericht in der angegriffenen Entscheidung angeschlossen hat, erforderten. Hierzu bedarf es aber einer konkreten Auseinandersetzung mit der infrage gestellten Rechtsprechung und der Darlegung, weshalb diese vor dem Hintergrund der behaupteten gesellschaftlichen Veränderungen aus Sicht des Revisionsführers nicht mehr geeignet ist, das ursprünglich mit ihr verfolgte Ziel umzusetzen, und damit rechtsfehlerhaft geworden ist. Eine solche Erläuterung fehlt vorliegend. Die Revisionsbegründung beschränkt sich auf die pauschale Behauptung, die Legitimierung eines Verhaltens wie das der Klägerin durch die Gerichte verhindere, dass Frauen im Arbeitsleben eine echte Gleichberechtigung erführen; es müsse einen Mittelweg geben, der die schwangeren Frauen schütze und gleichzeitig eine gesellschaftliche Stimmung schaffe, Frauen im gebärfähigen Alter bei Einstellungen vorurteilslos zu begegnen. Darum bedürfe es einer einzelfallbezogenen Rechtsprechung, die Einzelfallgerechtigkeit herstelle. Damit hat die Revision lediglich ihre Rechtsauffassung an die Stelle derjenigen des Landesarbeitsgerichts gesetzt. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Vorbringen des Revisionsführers auf die vom Senat in seinem Hinweis vom geäußerten Bedenken zur Zulässigkeit der Revisionsbegründung. Der diesbezügliche Vortrag beschränkt sich auf eine bloße Wiederholung des Revisionsvorbringens, ohne aufzuzeigen, dass und warum die Revision aufgrund der Ausführungen in ihrer Begründung zulässig gewesen sei.

15bb) Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, der Klägerin könne kein rechtsmissbräuchliches Verhalten bei Vertragsabschluss entgegengehalten werden, weil es keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür gebe, dass sie lediglich finanzielle Ziele verfolgt habe, hat sich der Beklagte damit nicht hinreichend befasst. Er hat lediglich behauptet, die Klägerin habe in Kenntnis ihrer Schwangerschaft und dem Wissen, dass sie für die bezweckte sofortige Entlastung des Kindertagesstättenteams nicht zur Verfügung stehen und während der Laufzeit des Vertrags voraussichtlich keinen Tag ihre Arbeitsleistung anbieten würde, bewusst ein befristetes Vertragsangebot angenommen. Damit hat er keine Umstände aufgezeigt, die nahelegen, die Klägerin habe von Anfang an nicht vorgehabt, beim Beklagten tatsächlich zu arbeiten. Insoweit hätte es der Darlegung von Umständen wie zB die Ablehnung einer vorübergehenden Tätigkeit ohne direkten bzw. engen Kinderkontakt bedurft. Daran fehlt es. Der Beklagte hat - anders als noch in der Berufung - auch nicht mehr behauptet, die Klägerin habe im Gegensatz zu ihren früheren Äußerungen niemals vorgehabt, direkt nach den Mutterschutzfristen ihre Tätigkeit aufzunehmen und keinerlei Elternzeit zu beanspruchen. Der Sache nach hat er ohne weiteren Begründungsansatz lediglich seine eigene Wertung gegen die des Landesarbeitsgerichts gesetzt. Auch dies erfüllt nicht die Anforderungen an eine zulässige Revisionsrüge.

163. Der Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2022:151222.B.6AZR102.22.0

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 307 Nr. 6
GmbHR 2023 S. 74 Nr. 5
NJW 2023 S. 10 Nr. 10
UAAAJ-31206