BGH Beschluss v. - NotZ (Brfg) 10/21

Gesetze: § 6 Abs 2 Nr 2 aF BNotO

Instanzenzug: Az: Not 15/20

Gründe

I.

1Die Klägerin war seit 2007 zunächst als angestellte Rechtsanwältin in verschiedenen Sozietäten tätig und hat sich im Jahr 2017 als Einzelanwältin selbständig gemacht. Seit Mitte Mai 2020 hat sie ihren Kanzleisitz in Essen; dort führt sie ihre Kanzlei in Bürogemeinschaft mit einem Anwaltsnotar, den sie bei Bedarf bei der Erledigung notarieller Angelegenheiten unterstützt. Im zweiten juristischen Examen erreichte die Klägerin die Note vollbefriedigend (9,10 Punkte), die notarielle Fachprüfung legte sie im Jahr 2020 ab und erzielte hierbei die Note "ausreichend" (6,24 Punkte). Seit dem Jahr 2019 nahm die Klägerin an zehn Fortbildungen mit Bezug zum notariellen Tätigkeitsfeld teil. Zudem absolvierte sie in der Zeit zwischen März 2019 und Ende Februar 2020 insgesamt 180 Praxisstunden und sammelte Erfahrung als Notarvertretung.

2Im Juni 2020 bewarb sich die Klägerin auf eine der im Justizministerialblatt Nordrhein-Westfalen vom Nr. 10 ausgeschriebenen 13 Notarstellen in Essen; die Bewerbungsfrist endete am .

3Mit am zugestelltem Bescheid der Beklagten vom wurde der Klägerin mitgeteilt, dass ihre Bewerbung mangels Erreichens der örtlichen Wartezeit nicht habe berücksichtigt werden können. Von den Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO in der bis geltenden Fassung (im Folgenden aF; vgl. nunmehr § 5b Abs. 1 Nr. 2 BNotO) habe auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden können, weil die Klägerin mit einer Bewertung von 7,27 Punkten weder über eine besonders hervorragende Qualifikation verfüge noch im Amtsgerichtsbezirk Essen eine Unterversorgung mit notariellen Dienstleistungen bestehe. Die letzte unbesetzte Stelle solle der Beigeladenen übertragen werden, die in der Bewertung 4,55 Punkte erreicht habe.

4Zwei hiergegen gerichtete Anträge der Klägerin auf einstweiligen Rechtsschutz hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen (Beschlüsse vom und vom ).

5Auch die gegen die Auswahlentscheidung gerichtete Klage, mit welcher die Klägerin die Aufhebung des Bescheids vom nebst Verpflichtung der Beklagten zur erneuten Bescheidung ihrer Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts begehrt, hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrem Antrag, die Berufung zuzulassen, verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

II.

6Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

7Ein Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 111d Satz 2 BNotO liegt nicht vor. Insbesondere bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) noch hat die Sache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 111d Satz 2 BNotO. Auch ein Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, § 111d Satz 2 BNotO) ist nicht dargetan.

81. Die Zulassung der Berufung ist zunächst nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geboten.

9a) Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) ist gegeben, wenn der Antragsteller im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat und sich dies auf die Richtigkeit des Ergebnisses auswirken kann (s. z.B. Senat, Beschlüsse vom - NotZ (Brfg) 12/14, DNotZ 2015, 872, 875 Rn. 19; vom - NotSt (Brfg) 5/15, DNotZ 2016, 311, 312 Rn. 5 und vom - NotZ (Brfg) 5/19, NJOZ 2020, 1373, 1374 Rn. 2, jeweils mwN; vgl. auch Senat, Beschluss vom - NotZ (Brfg) 6/17, NJW 2018, 2567, 2568 Rn. 11 mwN; Herrmann in Schippel/Görk, BNotO, 10. Aufl., § 111d Rn. 3; Müller in Frenz/Miermeister, BNotO, 5. Aufl., § 111d Rn. 5 mwN).

10b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das Oberlandesgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen; die dagegen von der Klägerin vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

11Die Klägerin hat keinen Anspruch auf erneute Bescheidung ihrer Bewerbung (§ 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO), weil der ablehnende Bescheid der Beklagten rechtmäßig ist. Ihr kann die ausgeschriebene Notarstelle mangels Erreichens der nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO aF erforderlichen örtlichen Wartezeit nicht übertragen werden.

12aa) Entgegen der möglicherweise von der Klägerin vertretenen Ansicht bestehen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils insbesondere nicht bereits deshalb, weil das Oberlandesgericht die formelle Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung, insbesondere die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Besetzung der ausgeschriebenen Notarstellen, nicht ausdrücklich geprüft beziehungsweise erörtert hat. Die Klägerin macht selbst nicht geltend, dass die für den Präsidenten des Oberlandesgerichts bei der Auswahlentscheidung handelnde Richterin am Oberlandesgericht Dr. W.     nicht für die Auswahlentscheidung zuständig und der Bescheid aus diesem Grunde rechtswidrig gewesen sei; dass dies der Fall gewesen sein könnte, ist auch nicht ersichtlich. Die Klägerin hat damit die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung mit ihrer Antragsbegründung nicht nachvollziehbar in Frage gestellt.

13bb) Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht wird die Richtigkeit der Entscheidung durch die Antragsschrift nicht in Zweifel gezogen.

14(1) Zum Anwaltsnotar soll nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO aF nur bestellt werden, wer nachweist, dass er seit mindestens drei Jahren ohne Unterbrechung in dem in Aussicht genommenen Amtsbereich tätig war. Diese Voraussetzung einer örtlichen Wartezeit soll nicht nur sicherstellen, dass der Bewerber mit den örtlichen Verhältnissen vertraut ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom - NotZ (Brfg) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 16 und vom - NotZ 17/01, NJW 2002, 968, 969 mwN); sie dient insbesondere auch dem Zweck zu gewährleisten, dass der Bewerber gerade im künftigen Amtsbezirk die erforderlichen organisatorischen und wirtschaftlichen Grundlagen für die angestrebte Notarpraxis gelegt hat, so dass die Voraussetzungen für seine persönliche Unabhängigkeit geschaffen sind (BT-Drs. 11/6007 S. 10 und BT-Drs. 16/11906 S. 13; Senat, Beschlüsse vom - NotZ (Brfg) 9/20, juris Rn. 10 mwN; vom aaO und vom aaO mwN; Urteil vom - NotZ (Brfg) 14/11, MDR 2012, 615 Rn. 6; Görk in Schippel/Görk, BNotO aaO § 6 Rn. 36 f.; Frenz in Frenz/Miermeister, BNotO aaO § 6 Rn. 14 mwN; Bormann in Diehn, BNotO, 2. Aufl., § 6 Rn. 20).

15(2) Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen weder hinsichtlich der Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO aF als solcher noch mit Blick auf ihre Auslegung durch den Senat. Dies entspricht der ständigen, vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandeten Rechtsprechung des Senats (zB Senat, Beschlüsse vom - NotZ (Brfg) 6/18, WM 2019, 704, 705 Rn. 4; vom - NotZ (Brfg) 5/15, DNotZ 2016, 879, 881 Rn. 9; vom - NotZ (Brfg) 6/10, NJW 2011, 1517 Rn. 2 und vom - NotZ 10/08, NJW-RR 2009, 350, 353 Rn. 26; vgl. BVerfG, NJW 2004, 1935, 1936 Rn. 66 ff., 72 f.; NJW 2005, 50; AnwBl 2014, 189, 192; siehe auch Bormann in Diehn, BNotO aaO; Görk in Schippel/Görk, BNotO aaO Rn. 37).

16Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung über die örtliche Wartezeit (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO aF), insbesondere deren Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit, wird durch die Ausführungen der Klägerin nicht in Frage gestellt.

17Der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO aF von dem ihm zustehenden Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht (vgl. hierzu näher z.B. u.a., juris Rn. 185 ff. mwN; WM 2009, 986, 987 Rn. 38, 40; NJW 1984, 556, 557). Ein Einschätzungs-, Wertungs- und Prognosespielraum kommt dem Gesetzgeber dabei nicht nur für die Frage der Geeignetheit einer Maßnahme zu, sondern auch für ihre Erforderlichkeit ( aaO Rn. 185 ff., 214). In diesem ihm gesetzten Rahmen hat sich der Gesetzgeber gehalten; es stand ihm frei, zur Sicherstellung einer nachhaltigen Versorgung der Bevölkerung mit notariellen Dienstleistungen als Teil der vorsorgenden Rechtspflege eine dreijährige Zeit der anwaltlichen Tätigkeit des Bewerbers im künftigen Notariatsbezirk für die Bestellung als Anwaltsnotar zu verlangen.

18Seine Grenzen findet der Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Frage der Geeignetheit erst dort, wo die Regelung zur Erreichung des verfolgten legitimen Zwecks objektiv untauglich oder schlechthin ungeeignet ist (vgl. BVerfG, WM 2009 aaO; NJW 1984 aaO). Dies ist bei der Regelung in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO aF über die örtliche Wartezeit ersichtlich nicht der Fall.

19Die von der Klägerin hiergegen vorgebrachten Argumente, die der Senat vollumfänglich geprüft hat, stellen dies ebenso wenig in Frage wie die Erforderlichkeit der Regelung und deren Verhältnismäßigkeit; sie begründen auch keine Zweifel an der Vereinbarkeit der Regelung mit Art. 33 Abs. 2 GG und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Zwar mögen einzelne von der Klägerin angeführte Gesichtspunkte rechtspolitisch erwägenswert sein. Sie sind jedoch nicht geeignet, dem Senat entgegen seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung die gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erforderliche Überzeugung zu verschaffen, der Gesetzgeber habe mit der Statuierung der örtlichen Wartezeit den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten oder auf andere Weise Verfassungsrecht verletzt. Auch für eine Unvereinbarkeit von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO aF mit dem Recht der Europäischen Union ist nichts ernstlich ersichtlich.

20(3) Die nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO aF vorgeschriebene örtliche Wartezeit hat die Klägerin verfehlt, nachdem diese ihren Kanzleisitz erst im Mai 2020 in den Notariatsbezirk verlegt hat.

21Zutreffend hat der Notarsenat des Oberlandesgerichts auch angenommen, dass die Voraussetzungen für ein ausnahmsweises Absehen von der örtlichen Wartezeit mit Blick auf die Klägerin nicht vorlagen.

22(3.1) § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO aF ist eine Sollvorschrift und eröffnet damit der Landesjustizverwaltung kein uneingeschränktes Ermessen. Vielmehr sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats dem Ermessen enge Grenzen gesetzt. Die Bestellung eines Bewerbers, der die örtliche Wartezeit nicht erfüllt, ist auf seltene Ausnahmefälle beschränkt. Sie kommt nur in Betracht, wenn angesichts eines ganz außergewöhnlichen Sachverhalts die Abkürzung der Regelzeit aus Gerechtigkeitsgründen oder aus Bedarfsgründen zwingend erscheint (Senat, Beschlüsse vom aaO Rn. 3; vom aaO Rn. 11; vom - NotZ (Brfg) 6/12 aaO Rn. 17; vom - NotZ (Brfg) 7/12, juris Rn. 12; vom aaO Rn. 29; vom - NotZ 13/06, DNotZ 2007, 75, 76 und vom aaO). Zudem muss den Zwecken der örtlichen Wartezeit, wenn auch auf andere Weise, in jedem Fall genügt sein (Senat, Beschlüsse vom aaO; vom aaO; vom - NotZ (Brfg) 6/12 aaO Rn. 19; vom aaO und vom aaO). Je kürzer die Dauer der hauptberuflichen anwaltlichen Tätigkeit in dem in Aussicht genommenen Amtsbereich ist, umso strikter sind die Ausnahmen zu handhaben (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom aaO Rn. 5 und vom aaO Rn. 13 ff.).

23(3.2) Schon mit Blick darauf, dass die Klägerin die Anforderungen der gesetzlich vorgesehenen örtlichen Wartezeit mit nur etwa einem Monat anwaltlicher Tätigkeit im Notariatsbezirk bei Weitem verfehlt, ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte und mit ihr das Oberlandesgericht angenommen haben, dass ein Ausnahmefall, in dem von der örtlichen Wartezeit abgesehen werden könnte, nicht vorliege. Dass sich die Klägerin in dieser kurzen Zeit mit den örtlichen Verhältnissen vertraut gemacht haben könnte, hat sie bereits nicht dargelegt.

24Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen aber auch nicht etwa deshalb, weil - so die Klägerin - die Beklagte nicht ausreichend geprüft habe, ob sie, die Klägerin, obwohl sie die örtliche Wartezeit nicht erreicht hat, nach gebotener Gesamtwürdigung die organisatorischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen geordneten Notariatsbetrieb erfülle. Allein der Umstand, dass die Klägerin einen Monat vor Ende der Bewerbungsfrist in Bürogemeinschaft mit einem Anwaltsnotar getreten ist, rechtfertigt diese Annahme nicht. Denn die kurze Dauer der Tätigkeit der Klägerin in dem in Aussicht genommenen Amtsbereich gewährleistet gerade nicht, dass eine eingespielte Kanzleiorganisation als Grundlage für den künftigen Notariatsbetrieb geschaffen ist und die rechtsanwaltliche Tätigkeit der Klägerin in diesem Bezirk auch wirtschaftlich eine tragfähige Grundlage für den beginnenden Notariatsbetrieb bietet. Im Gegenteil stellt sich die mit einem Ortswechsel des Kanzleisitzes verbundene Situation regelmäßig als fragil und herausfordernd dar, so dass bei einer derart kurzen Tätigkeit im Bereich des in Aussicht genommenen Amtssitzes - ungeachtet der Vermögensverhältnisse des Bewerbers - regelmäßig gerade nicht davon ausgegangen werden kann, dass die von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO aF verfolgten Zwecke anderweitig erreicht sind.

25Dass vorliegend ausnahmsweise auch ohne längerfristig erprobte Kooperation mit dem in Bürogemeinschaft stehenden Anwaltsnotar bei Ablauf der Bewerbungsfrist eine stabile und damit verlässliche organisatorische Grundlage für das Notariat geschaffen war, ist nicht erkennbar. Dass die von der Klägerin am neuen Kanzleisitz aufgenommene Anwaltstätigkeit absehbar eine ausreichende und stabile wirtschaftliche Grundlage für den künftigen Notariatsbetrieb gewährleisten könne, hat die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt; ihre allgemeinen Ausführungen zur möglichen Treue eines anwaltlichen Mandantenstamms besagen hierüber nichts.

26(3.3) Dass genügend geeignete Bewerber vorhanden sind, ergibt sich bereits aus dem eigenen Vortrag der Klägerin, wonach die Beigeladene die notarielle Fachprüfung bestanden und eine Bewertung von 4,55 Punkten erreicht hat; Anhaltspunkte für eine dennoch fehlende fachliche Eignung der Beigeladenen bringt die Klägerin nicht vor und sind auch nicht ersichtlich. Das Erreichen der örtlichen Wartezeit der Beigeladenen ist durch die von der Beklagten eingeholten Auskünfte belegt. Das Vorhandensein der für den Notariatsbetrieb erforderlichen wirtschaftlichen und organisatorischen Grundlagen ist durch das Erfüllen der örtlichen Wartezeit indiziert; besondere Nachforschungen waren mangels Vorliegens konkreter Anhaltspunkte für das Fehlen dieser Grundlagen mit Blick auf die Beigeladene nicht geboten.

27(3.4) Ebenso zutreffend sind die Beklagte und das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin mit inzwischen auf 7,38 Punkte korrigierter Wertungspunktzahl keine derart überragende fachliche Qualifikation aufweist, als dass ein Absehen von der örtlichen Wartezeit ausnahmsweise gerechtfertigt wäre. Die mangels Erreichens der örtlichen Wartezeit bei der Klägerin fehlende Ernennungsvoraussetzung wird durch die in ihrer Bewertungspunktzahl zum Ausdruck gekommene bessere fachliche Qualifikation im Vergleich zu der Beigeladenen nicht vollständig ausgeglichen.

28Nichts Anderes ergibt sich unter Berücksichtigung der von der Klägerin absolvierten Fortbildungen, der von ihr übernommenen Vertretungstätigkeit und der Mitarbeit in einem Anwaltsnotariat. Dass das Oberlandesgericht diesen Gesichtspunkten keine derart große Bedeutung beigemessen und deshalb die Qualifikation der Klägerin als nicht so hoch bewertet hat, dass diese trotz des deutlichen Verfehlens der örtlichen Wartezeit hätte berücksichtigt werden können, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. In der gebotenen Gesamtschau - auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin absolvierten Fortbildungen, der geleisteten Notarvertretung und der sonstigen Qualifikationsmerkmale - weist die Klägerin keine derart herausragende Eignung auf, als dass ein Abweichen von der Voraussetzung der örtlichen Wartezeit ausnahmsweise gerechtfertigt wäre.

29Dies gilt ungeachtet der konkreten Eignung der Beigeladenen, weil die Qualifikation der Klägerin diejenige der Beigeladenen selbst dann nicht derart übersteigen würde, dass eine Ausnahme von der örtlichen Wartezeit gerechtfertigt wäre, wenn die Beigeladene neben der von ihr erreichten Wertungspunktzahl keinerlei zusätzlich erworbene Qualifikationsmerkmale (zusätzliche Fortbildungen, geleistete Notarvertretungen u.a.) aufwiese. Der Einwand der Klägerin, die Grundlagen für den Eignungsvergleich beider Bewerberinnen seien mit Blick auf die Beigeladene nicht hinreichend aufgeklärt worden, greift daher nicht durch.

30c) Die Richtigkeit des Urteils ist durch die Ausführungen in der Antragsschrift auch nicht etwa hinsichtlich der Kostenentscheidung schlüssig infrage gestellt. Die Klägerin hat bereits keinen tragenden Rechtssatz beziehungsweise keine konkrete Tatsachenfeststellung, welche die Richtigkeit der Kostenentscheidung in Zweifel ziehen könnte, mit nachvollziehbaren Argumenten angegriffen. Ihr Hinweis auf verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (, juris Rn. 12), nach der eine Kostenentscheidung zu Gunsten eines Beigeladenen nicht veranlasst sei, wenn dieser im Verfahren keinen Antrag gestellt habe, greift bereits deshalb nicht durch, weil die Beigeladene mit Schriftsatz vom (GA S. 188) einen Abweisungsantrag gestellt hat. Durch die Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung ihrer Interessen im Ausgangsverfahren sind der Beigeladenen außergerichtliche Kosten entstanden, die es ungeachtet einer späteren Teilnahme an der mündlichen Verhandlung - hierzu ist es ausweislich des Verhandlungsprotokolls wegen Netzwerkschwierigkeiten nicht gekommen - unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit rechtfertigen, sie der in der Sache unterlegenen Klägerin aufzuerlegen.

312. Die Zulassung der Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 111d Satz 2 BNotO) veranlasst.

32a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und die deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. zB Senat, Beschlüsse vom - NotZ (Brfg) 2/19, ZNotP 2021, 33, 34 Rn. 5 und vom - NotZ (Brfg) 12/14, DNotZ 2015, 872, 873 Rn. 9; Herrmann in Schippel/Görk, BNotO aaO § 111d Rn. 5; Müller in Frenz/Miermeister, BNotO aaO § 111d Rn. 7; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl., § 124 Rn. 10 jeweils mwN). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dabei nur dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen (zB Senat, Beschluss vom - NotZ (Brfg) 5/15, DNotZ 2016, 879, 882 f. Rn. 15 mwN).

33b) Dies ist hinsichtlich der von der Klägerin in den Fokus gestellten Verfassungsmäßigkeit der Regelung über die örtliche Wartezeit nicht der Fall. Die aufgeworfene Frage war wiederholt Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen und ist abschließend geklärt (siehe oben Nachweise in Nr. 1 Buchst. b bb Nr. [2]).

34Weiterer Klärungsbedarf besteht insoweit - auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin angeführten Entwicklungen in der Rechtswirklichkeit, den zwischenzeitlichen Änderungen im notariellen Gebührenrecht sowie der Neuregelung in § 5b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 BNotO und mit Blick auf das europäische Recht - nicht. Der Gesetzgeber hat im Rahmen des ihm eröffneten Gestaltungsspielraums entschieden, dass für ihn die durch die örtliche Wartezeit gewährleisteten Eignungsaspekte von zumindest gleichgroßem Gewicht sind, wie die von der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf (BT-Drucks. 16/4972 S. 14 und 15) betonte Förderung einer Qualitätssteigerung in fachlicher Hinsicht. Dies hat er durch die Neuregelung der örtlichen Wartezeit in § 5b Abs. 1 Nr. 2 BNotO nochmals unterstrichen.

353. Schließlich ist die Zulassung der Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, § 111d Satz 2 BNotO) veranlasst.

36a) Eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO, auf der die angegriffene Entscheidung beruhen könnte, hat die Klägerin schon nicht nachvollziehbar dargetan; eine solche ist auch nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Eignung der Beigeladenen durch deren Bestehen der notariellen Fachprüfung und die von ihr erreichte Wertungspunktzahl belegt. Dass die mit der örtlichen Wartezeit verfolgten Zwecke im Falle der Klägerin nicht anderweitig erreicht sind, ist ebenfalls belegt und bedurfte daher keiner weiteren Aufklärung.

37b) Ein Verfahrensverstoß liegt auch nicht in der Mitwirkung des von der Klägerin als befangen abgelehnten Vorsitzenden des Notarsenats, Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. S.    .

38aa) Die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs stellt eine der Überprüfung im Berufungszulassungsverfahren entzogene unanfechtbare Vorentscheidung dar (zB: Senatsbeschluss vom - NotZ (Brfg) 3/21, juris Rn. 15 mwN). Die Rüge der unrichtigen Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs ist daher nur ausnahmsweise beachtlich, wenn die zurückweisende Entscheidung zugleich gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom - OVG 9 N 100.08, juris Rn. 3 und vom - 5 N 2.08, juris Rn. 3; 15 ZB 07.429, juris Rn. 17; ferner für das Revisionsverfahren BVerwG, NVwZ 2008, 1025 Rn. 6; vgl. zum Willkürmaßstab zB , juris Rn. 12 mwN).

39bb) Dies ist hier nicht der Fall. Die Begründung, mit der das Ablehnungsgesuch der Klägerin vom zurückgewiesen wurde (Beschluss vom ), und die Begründung des Beschlusses vom , mit dem in der Folge die diesbezügliche Gegenvorstellung vom zurückgewiesen wurde, sind zumindest vertretbar; eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von dem Recht auf den gesetzlichen - unparteilichen und unvoreingenommenen - Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) kommt hierin nicht zum Ausdruck.

40cc) Auch das weitere Vorbringen der Klägerin zur Befangenheit des Vorsitzenden des Notarsenats des Oberlandesgerichts (Schriftsatz vom ), das sie auf aus der Akteneinsicht gewonnene Erkenntnisse stützt, vermag aus Sicht eines vernünftigen, besonnenen Verfahrensbeteiligten (vgl. zum Maßstab der Befangenheit zB , WM 2021, 1109 Rn. 7 mwN) eine Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden des Notarsenats weder mit Blick auf jeden einzelnen Aspekt gesondert noch in der gebotenen Gesamtschau zu begründen.

41c) Ein Verfahrensfehler liegt schließlich auch nicht darin, dass Notar Dr. L.   vor der mündlichen Verhandlung mit dem Verfahren befasst war, obwohl dessen Sozius, Rechtsanwalt Wi.    , die Beigeladene vertritt. Die Entscheidung beruht jedenfalls nicht auf einem Verfahrensmangel in dem Sinne, dass mit Notar Dr. L.   ein nach § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO, § 54 Abs. 1 VwGO, § 41 Nr. 4 ZPO von Gesetzes wegen von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossener oder zumindest nach § 42 Abs. 2 ZPO auszuschließender Richter am Verfahren mitgewirkt hat. Denn Herr Dr. L.   war an der mündlichen Verhandlung und dem darauf ergangenen Urteil nicht beteiligt. Auch für eine mittelbare Beeinflussung der verfahrensabschließenden Entscheidung durch die vorherige Mitwirkung des Notars hat die Klägerin nichts Durchgreifendes vorgebracht und ist auch sonst nichts ersichtlich.

42d) Mit ihrem Einwand, sie könne nicht erkennen, dass der Notarsenat mit den das Urteil unterzeichnenden Richtern richtig besetzt gewesen sei, legt die Klägerin einen Verfahrensfehler nicht schlüssig dar.

43e) Soweit die Klägerin in ihrem nach Ablauf der Begründungsfrist eingereichten Schriftsatz beanstandet, dass ihr drei Schriftsätze der Beklagten vom Notarsenat des Oberlandesgerichts nicht zur Kenntnis gegeben worden seien, ist hiermit ein entscheidungserheblicher Verfahrensmangel im Sinne einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) weder geltend gemacht noch schlüssig dargetan. Die Klägerin hat eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs nicht ausdrücklich beanstandet. Vor allem aber hat sie nicht mitgeteilt, was sie im Falle der Zuleitung der Schriftsätze der Beklagten vorgetragen hätte. Dass die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin beruhen könnte, ist daher nicht ersichtlich.

III.

44Die Kostenentscheidung beruht auf § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO in Verbindung mit § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entsprach der Billigkeit, der in der Hauptsache unterlegenen Klägerin die außergerichtlichen Kosten der anwaltlich vertretenen Beigeladenen, die sich schriftsätzlich am Zulassungsverfahren beteiligt hat, aufzuerlegen.

45Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 111g Abs. 2 Satz 1 BNotO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:140322BNOTZ.BRFG.10.21.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-30146