Partielle Tariffähigkeit - Tariffähigkeit von ver.di
Leitsatz
Ein auf die Feststellung einer lediglich partiellen Tarifunfähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung gerichteter Antrag ist unzulässig.
Gesetze: § 2a Abs 1 Nr 4 ArbGG, § 72 Abs 5 ArbGG, § 92 Abs 2 S 1 ArbGG, § 94 Abs 2 ArbGG, § 97 Abs 2a S 1 ArbGG, § 551 Abs 3 S 1 Nr 2 Buchst b ZPO, Art 9 Abs 3 GG, Art 12 Abs 1 GG, Art 14 GG
Instanzenzug: LArbG Berlin-Brandenburg Az: 21 BVL 5001/21 Beschluss
Gründe
1I. Die Beteiligten streiten vorrangig darüber, ob die am Verfahren zu 2. beteiligte ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) in der Pflegebranche tariffähig ist.
2Ver.di wurde im Jahr 2001 durch den Zusammenschluss von fünf Gewerkschaften gegründet. Sie hat etwa 1,9 Millionen Mitglieder. Ausweislich § 3 Nr. 1 ihrer Satzung in der zuletzt durch den 5. Ordentlichen Bundeskongress vom 22. bis geänderten Fassung (Satzung) erstreckt sich ihr Organisationsgebiet auf die Bundesrepublik Deutschland. Der Organisationsbereich von ver.di umfasst nach § 4 Nr. 1 ihrer Satzung „Unternehmen, Betriebe, Einrichtungen und Verwaltungen der im Anhang 1 aufgeführten Bereiche“. Zum Organisationskatalog im Anhang 1 der Satzung gehören ua. die Bereiche „Postdienste, Postbank und Telekommunikation“, „Handel, Banken, Versicherungen“, „Medien, Druck und Papier, Publizistik und Kunst“ sowie „Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr“. Zum letztgenannten Bereich zählen nach Nr. 1.4 des Anhangs 1 auch „Gesundheits- und Sozialdienste, ... insbesondere ... Verwaltungen, Betriebe und Einrichtungen des öffentlichen und privaten Gesundheitswesens“.
3Ver.di hat in der Vergangenheit mit einigen Trägern von Pflegeeinrichtungen Tarifverträge abgeschlossen. Im Februar 2021 vereinbarte sie mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche einen Tarifvertrag über Mindestarbeitsbedingungen in der Pflegebranche.
4Der Arbeitgeberverband Pflege e. V. (AGVP) hat das vorliegende Verfahren eingeleitet. Beteiligt sind zudem die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e. V. (BDA), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) - dem ver.di angehört - sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS).
5Der AGVP hat geltend gemacht, ver.di sei in der Pflegebranche nicht tariffähig. Ihr fehle in diesem Bereich die erforderliche - durch die Zahl der organisierten Arbeitnehmer vermittelte - Durchsetzungskraft gegenüber der Arbeitgeberseite. Die Regelungen in § 7a und §§ 10 bis 13 AEntG bedingten die Anerkennung einer auf den Bereich der Pflegebranche bezogenen partiellen Tariffähigkeit. Hilfsweise hat der AGVP - mit einem ver.di am zugestellten Schriftsatz - vorgebracht, ver.di sei bezogen auf ihren gesamten satzungsmäßigen Organisationsbereich nicht tariffähig.
6Der AGVP hat beantragt
7Ver.di und der DGB haben beantragt, die Anträge abzuweisen.
8Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.
9II. Die Rechtsbeschwerde des AGVP ist erfolglos.
101. Am Verfahren sind - neben dem Antragsteller - ver.di als Arbeitnehmervereinigung, über deren (teilweise) Tariffähigkeit gestritten wird, der DGB und die BDA als Spitzenorganisationen beteiligt. Da sich die beanspruchte Zuständigkeit von ver.di auf das gesamte Bundesgebiet und damit auf mehr als ein Bundesland erstreckt, ist auch das BMAS als oberste Arbeitsbehörde des Bundes im Verfahren zu hören. Weitere Arbeitgeberverbände oder Arbeitgeber, mit denen ver.di Tarifverträge abgeschlossen hat, mussten nicht beteiligt werden. Deren Interessen sind - selbst bei fehlender mitgliedschaftlicher Legimitation - durch die Beteiligung der BDA als ausreichend gewahrt anzusehen (vgl. - Rn. 14, BAGE 145, 205; - 1 ABR 19/10 - Rn. 59, BAGE 136, 302).
112. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Abweisung des Hauptantrags wendet. Der Antrag ist unzulässig.
12a) Sowohl seine sprachliche Fassung als auch der hierzu gehaltene Vortrag des AGVP zeigen, dass das hauptsächliche Begehren des Antragstellers auf die Feststellung einer branchenbezogenen Tarifunfähigkeit von ver.di gerichtet ist. Durch gerichtlichen Beschluss soll festgestellt werden, dass ver.di in der Pflegebranche iSv. § 10 Satz 2 und Satz 4 AEntG nicht tariffähig ist.
13b) Das für eine Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung in § 97 ArbGG vorgesehene besondere Beschlussverfahren ermöglicht es nicht, einen solchen Antrag anzubringen. Dies folgt aus seinem Zweck.
14aa) Das gerichtliche Verfahren zur Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG dient der Sicherung der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Tarifautonomie. Auf Antrag einer nach § 97 Abs. 1 ArbGG antragsberechtigten Vereinigung oder Stelle soll durch Beschluss mit Wirkung für und gegen jedermann (§ 97 Abs. 3 Satz 1 ArbGG) geklärt werden, ob die Vereinigung, deren Tariffähigkeit im Arbeitsleben in Zweifel gezogen wird, die rechtliche Voraussetzung für den Abschluss von Tarifverträgen besitzt und damit über die Eigenschaft verfügt, für ihre Mitglieder eine normative Regelung von Arbeitsbedingungen herbeiführen zu können (vgl. - Rn. 17 mwN, BAGE 145, 205).
15bb) Entsprechend diesem Ordnungszweck kann Gegenstand eines Verfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4, § 97 ArbGG nur die vom Antragsteller begehrte Feststellung sein, ob eine Vereinigung tariffähig (oder tarifzuständig) ist. Durch eine lediglich auf die partielle Tariffähigkeit einer Vereinigung gerichtete Antragstellung kann die mit diesem Verfahren beabsichtigte Klärung einer für die Teilnahme am Tarifgeschehen unerlässlichen Eigenschaft nicht erreicht werden.
16(1) Die Tariffähigkeit ist die rechtliche Fähigkeit, im selbst beanspruchten Organisationsbereich wirksam Tarifverträge mit dem sozialen Gegenspieler abzuschließen. Diese Fähigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für den beanspruchten Zuständigkeitsbereich einer Vereinigung einheitlich und unteilbar. Eine teilweise, auf bestimmte Branchen, Regionen, Berufskreise oder Personengruppen beschränkte Tariffähigkeit gibt es nicht (vgl. - Rn. 32; - 1 ABR 37/16 - Rn. 59, BAGE 163, 108; - 1 ABR 19/10 - Rn. 81, BAGE 136, 302; - 1 ABR 88/09 - Rn. 24, BAGE 136, 1; ausf. - Rn. 56 ff., BAGE 117, 308). Das Prinzip der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerorganisation bedingt einerseits, dass ihr diese Eigenschaft insgesamt nicht versagt werden kann, wenn ihr die Durchsetzungskraft oder die organisatorische Leistungsfähigkeit in einem Teilbereich des von ihr gewählten Organisationsbereichs fehlt. Andererseits liegt die Tariffähigkeit jedoch nicht bereits dann vor, wenn die Vereinigung nur in irgendeinem Teilbereich ihrer Tarifzuständigkeit durchsetzungsfähig ist. Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr, wenn die Arbeitnehmerkoalition in einem zumindest nicht unbedeutenden Teil des von ihr selbst bestimmten Zuständigkeitsbereichs über Durchsetzungsmacht und organisatorische Leistungsfähigkeit verfügt (vgl. - Rn. 32 mwN). Im Normalfall lässt dies erwarten, dass sich die Arbeitnehmervereinigung auch in den Bereichen, in denen es ihr an Mächtigkeit fehlt, beim Abschluss von Tarifverträgen nicht den Forderungen der Arbeitgeberseite unterwirft. Zugleich steht dies von vornherein der Annahme entgegen, die Arbeitgeberseite ließe sich in diesen Bereichen nur deshalb auf Tarifverhandlungen und -abschlüsse mit der Arbeitnehmerorganisation ein, um auf diesem Weg gesetzliche Tarifvorbehalte oder -öffnungen zu ihren Gunsten nutzen, die geltenden Regelungen einer weiteren Angemessenheitskontrolle entziehen (vgl. § 310 Abs. 4 BGB) und die Arbeitsbedingungen auch der nichtorganisierten Arbeitnehmer durch entsprechende Verweise regeln zu können (vgl. - Rn. 49).
17(2) Das Prinzip der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerorganisation ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es sichert die Funktionsfähigkeit der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Tarifautonomie (vgl. hierzu auch - Rn. 62, BVerfGE 138, 261 [„Grundrecht der Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG“]). Wäre die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung nicht einheitlich bezogen auf den von ihr selbst gewählten Organisationsbereich zu beurteilen, könnte sich bei jedem Tarifvertrag die Frage stellen, ob die ihn abschließende Arbeitnehmerkoalition im jeweiligen räumlichen, fachlichen und ggf. personellen Bereich über eine ausreichende Durchsetzungsmacht verfügt und deshalb insoweit partiell tariffähig ist. Hinzu kommt, dass damit die Grenzen, innerhalb derer eine nur teilweise Tariffähigkeit anzunehmen wäre, kaum bestimmt werden könnten. Die sich hieraus ergebenden Rechtsunsicherheiten würden die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie ernsthaft gefährden (vgl. bereits - Rn. 58, BAGE 117, 308).
18(3) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde gilt das Prinzip der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der Tariffähigkeit auch für die Pflegebranche.
19(a) Weder der Wortlaut noch der sich aus den Gesetzesmaterialien ergebende Sinn und Zweck von §§ 10 bis 13 sowie §§ 7, 7a AEntG geben Veranlassung zu der Annahme, für diese Branche könne eine partielle Tariffähigkeit anerkannt werden.
20(aa) Die Regelungen in §§ 10 bis 13 AEntG, die erst auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales in das zum in Kraft getretene Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen wurden, zielen ausschließlich darauf ab, in der Pflegebranche auf der Grundlage einer Kommissionsempfehlung Mindestarbeitsbedingungen durch Rechtsverordnung zu schaffen und durchzusetzen (vgl. BT-Drs. 16/11669 S. 24). Auch die zum in Kraft getretenen Modifikationen dieser Vorschriften durch Art. 1 des Gesetzes für bessere Löhne in der Pflege (Pflegelöhneverbesserungsgesetz) bezwecken lediglich die einfachere Festlegung besserer Arbeitsbedingungen in dieser Branche (vgl. BT-Drs. 19/13395 S. 11). Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Gesetzgeber habe mit diesen Bestimmungen vom Grundsatz der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition abweichen wollen. Vielmehr gewährte bereits § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AEntG in der bis zum geltenden Fassung ausdrücklich den in der Pflegebranche tarifzuständigen „Gewerkschaften“ das Recht, Mitglieder für die Pflegekommission vorzuschlagen. Damit hat sich der Gesetzgeber bewusst eines gesetzesübergreifend einheitlichen Gewerkschaftsbegriffs bedient, der das Erfordernis der Tariffähigkeit dieser Arbeitnehmervereinigung - im Sinn der von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen hieran - mit einschließt (vgl. - Rn. 23 mwN). Dies gilt auch für die Regelungen in § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a und Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 AEntG in der seit dem geltenden Fassung. Das für eine Auswahl zwischen mehreren Vorschlägen konkurrierender Gewerkschaften vorgesehene ermessensleitende Kriterium ihrer Repräsentativität - das im Übrigen gleichermaßen auf vorschlagsberechtigte Arbeitgebervereinigungen und deren Zusammenschlüsse sowie auf Zusammenschlüsse von Gewerkschaften anzuwenden ist - kann nur bei Arbeitnehmerorganisationen greifen, die tariffähig sind.
21(bb) Aus dem zum durch Art. 6 des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz eingefügten § 7a lässt sich ebenfalls nichts Gegenteiliges ableiten. Mit dieser Regelung soll nur ein besonderer Weg zur Erstreckung von Branchentarifverträgen für die nicht ausdrücklich in § 4 Abs. 1 AEntG definierten Branchen zur Verfügung gestellt werden (vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 52). Soweit nach § 7a Abs. 2 iVm. § 7 Abs. 2 AEntG im Fall konkurrierender Branchentarifverträge auf deren jeweilige Repräsentativität abzustellen ist, setzt auch dies nach § 2 Abs. 1 TVG ihren Abschluss durch eine Gewerkschaft und damit eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung voraus.
22(b) Entsprechendes gilt für die ab dem geltenden und durch Art. 2 des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz) in § 72 SGB XI eingefügten Absätze 3a und 3b. Das Erfordernis einer Tarifgebundenheit oder einer zumindest tariflichen Vorgaben entsprechenden Entlohnung des Pflegepersonals als Voraussetzung für den Abschluss eines Versorgungsvertrags zwischen einer Pflegeeinrichtung und den Pflegekassen lässt nicht den Schluss zu, der Grundsatz der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der Tariffähigkeit gelte nicht für die Pflegebranche.
23(c) Den Arbeitgebern in der Pflegebranche muss - anders als die Rechtsbeschwerde meint - auch nicht von Verfassungs wegen ein ausdrücklich in dieser Branche durchsetzungsmächtiger Tarifpartner zur Verfügung stehen. Mit den Anforderungen an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition soll nicht den Interessen des jeweiligen sozialen Gegenspielers Rechnung getragen, sondern die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie als solche gesichert werden (vgl. ausf. zuletzt - Rn. 35 ff.).
24(4) Das Prinzip der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerorganisation verletzt weder den Antragsteller in seinen Grundrechten noch beeinträchtigt es grundrechtliche Gewährleistungen seiner Mitglieder.
25(a) Art. 9 Abs. 3 GG schützt Koalitionen in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihren Betätigungen, sofern sie der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen. Der Schutz erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Die Wahl der Mittel, die die Koalitionen für geeignet halten, um ihre Zwecke zu erreichen, überlässt Art. 9 Abs. 3 GG grundsätzlich ihnen selbst, wobei der Schutz zumindest so weit reicht, wie es eine funktionierende Tarifautonomie erfordert (vgl. - Rn. 30 mwN). Zudem gewährleistet die Verfassungsnorm dem einzelnen Mitglied einer Vereinigung das Recht, aktiv an der verfassungsrechtlich geschützten Koalitionstätigkeit teilzunehmen und sich damit selbst koalitions-spezifisch zu betätigen (vgl. - Rn. 21 mwN, BAGE 171, 340). Diese Freiheit wird durch den Umstand, dass die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerorganisation - auch im Bereich der Pflege - einheitlich und unteilbar ist, nicht beeinträchtigt. Dem AGVP und seinen Mitgliedern steht es frei, mit einer tariffähigen Arbeitnehmervereinigung in Tarifverhandlungen einzutreten oder hiervon abzusehen.
26(b) Auch Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Die Norm schützt die freie berufliche Betätigung und gewährleistet dem Einzelnen das Recht, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen. Dieser besondere Freiheitsraum kann auch durch rechtliche Vorgaben berührt werden, die keine unmittelbar berufsregelnde Zielsetzung haben. Kommt ihnen zumindest eine objektive Tendenz zur Regelung unternehmerischer Tätigkeiten zu, ist der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG betroffen (vgl. etwa ua. - zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 111, 191). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Das Erfordernis, dass die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition nur einheitlich und unteilbar ist, hat weder für den Antragsteller noch seine Mitglieder berufsregelnde Tendenz.
27(c) Art. 14 GG ist ebenfalls nicht beeinträchtigt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller oder seine Mitglieder durch das Prinzip der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerorganisation in einer dem Schutz dieses Grundrechts unterfallenden eigentumsfähigen Position verletzt werden. Die Rechtsbeschwerde zeigt eine solche Beeinträchtigung auch nicht auf.
28(5) Selbst wenn der Senat zugunsten des AGVP davon ausginge, der Grundsatz der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der Tariffähigkeit berühre ihn oder seine Mitglieder in den (oder einer der) genannten grundrechtlichen Gewährleistungen, wäre eine solche Beeinträchtigung jedenfalls durch das Erfordernis der Funktionsfähigkeit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie gerechtfertigt. Die Annahme der partiellen Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung gefährdete sie ernsthaft.
29(6) Die von der Rechtsbeschwerde erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen auf der Grundlage von §§ 7a, 10 ff. AEntG erlassene Rechtsvorordnungen sind unerheblich. Sie betreffen lediglich ein etwaiges - hier allerdings nicht verfahrensgegenständliches - Tätigwerden des Gesetzgebers zur Regelung der Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche.
303. Soweit die Rechtsbeschwerde sich gegen die Abweisung des auf die Feststellung der Tarifunfähigkeit von ver.di gerichteten Hilfsantrags durch das Landesarbeitsgericht wendet, ist sie unzulässig.
31a) Nach § 97 Abs. 2a Satz 1 iVm. § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG muss die Rechtsbeschwerdebegründung angeben, welche rechtliche Bestimmung durch den angefochtenen Beschluss verletzt sein soll und worin diese Verletzung bestehen soll. Für eine Sachrüge hat sie den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzuzeigen, dass Gegenstand und Richtung ihres Angriffs erkennbar sind. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Beschlusses. Der Rechtsbeschwerdeführer muss darlegen, warum er die Begründung des Landesarbeitsgerichts für unrichtig hält (vgl. - Rn. 19 mwN). Wird die Rechtsbeschwerde auf Verfahrensrügen gestützt, sind nach § 97 Abs. 2a Satz 1, § 92 Abs. 2 Satz 1, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO die Tatsachen zu bezeichnen, die den Mangel ergeben, auf den sich die Rechtsbeschwerde beruft. Zudem ist die Kausalität zwischen dem Verfahrensmangel und dem Ergebnis des Landesarbeitsgerichts darzulegen (vgl. für das Urteilsverfahren - Rn. 9). Bei mehreren Verfahrensgegenständen muss für jeden eine auf die angefochtene Entscheidung zugeschnittene Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Verfahrensgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (vgl. - aaO).
32b) Diesen Anforderungen genügt die Rechtsbeschwerde nicht, soweit sie sich gegen die Abweisung des Hilfsantrags wendet.
33aa) Das Landesarbeitsgericht hat - zusammengefasst - angenommen, ver.di sei tariffähig. Ausweislich ihrer Satzung handele es sich um eine Vereinigung, die sich zur Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer zusammengeschlossen habe und willens sei, Tarifverträge abzuschließen. Ver.di sei frei gebildet, gegnerunabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert. Zudem erkenne sie in ihrer Satzung das geltende Tarifrecht als Teil der Grundsätze des demokratischen und sozialen Rechtsstaats als verbindlich an. Darüber hinaus verfüge ver.di nicht nur über eine leistungsfähige Organisation, sondern - trotz fehlender Angaben zum Organisationsgrad - schon angesichts der Zahl ihrer Mitglieder auch über die notwendige Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler. Unabhängig davon habe sie in weiten und bedeutenden Teilen ihres nach dem Zusammenschluss ihrer Gründungsgewerkschaften nicht nennenswert erweiterten satzungsmäßigen Organisationsbereichs langjährig am Tarifgeschehen teilgenommen und zahlreiche Tarifverträge abgeschlossen. Selbst eine etwa fehlende Durchsetzungsmacht in der Pflegebranche habe nicht zur Folge, dass ver.di nicht tariffähig sei. Diese Branche stelle nicht das Kernstück des von ver.di beanspruchten Organisationsbereichs dar.
34bb) Mit diesen tragenden Erwägungen setzt sich die Rechtsbeschwerde nicht auseinander.
35(1) Mit ihrem Hinweis, der Hilfsantrag werde aufrechterhalten, sei aber nur eine Folge des Bestehens auf einer strikten Anwendung des Einheitsprinzips, die weder von der gesetzgeberischen Lage noch aufgrund der besonderen Struktur der Pflegebranche geboten sei, zeigt die Rechtsbeschwerde keinen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts auf. Ihr Vorbringen, ver.di habe zu Unrecht seine Mitgliederstärke in der Pflegebranche nicht offenlegen müssen, wendet sich nicht gegen die tragende Argumentation des Landesarbeitsgerichts. Nach dessen Ausführungen kam es auf die Organisationsstärke von ver.di im Bereich der Pflege nicht an. Der hiergegen nur pauschal erhobene Einwand, dieser Organisationsgrad sei auch für den Hilfsantrag bedeutsam gewesen, genügt nicht. Er lässt nicht erkennen, aus welchen Gründen der AGVP die hierzu gegebene Begründung des Gerichts für unzutreffend hält.
36(2) Ob die Rechtsbeschwerde mit ihrem Vortrag, das Landesarbeitsgericht habe nicht ohne eigene Ermittlungen davon ausgehen dürfen, dass ver.di tariffähig sei, eine Verfahrensrüge anbringen wollte, kann dahinstehen. Sollte dies der Fall sein, wäre auch sie unzulässig. Es fehlt die Darlegung, welche konkrete Sachverhaltsaufklärung das Landesarbeitsgericht hätte durchführen müssen und warum dies nach seinen tragenden Ausführungen hätte entscheidungserheblich sein können.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2022:130922.B.1ABR24.21.0
Fundstelle(n):
BB 2023 S. 179 Nr. 4
DStR-Aktuell 2022 S. 12 Nr. 39
ZIP 2023 S. 97 Nr. 2
JAAAJ-29997