Pflichtverteidigerwechsel bei Strafanzeige des Angeklagten gegen den bisherigen Verteidiger
Gesetze: § 143a Abs 2 S 1 Nr 3 StPO
Instanzenzug: LG Görlitz Az: 1 Ks 430 Js 27465/21
Gründe
I.
1Bezüglich des Angeklagten ist seit dem beim Senat ein Revisionsverfahren wegen lebensgefährdenden und erniedrigenden Einschleusens von Ausländern anhängig.
2Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht Görlitz im Ermittlungsverfahren auf Antrag des Angeklagten den zunächst beigeordneten Rechtsanwalt D. entpflichtet und ihm stattdessen Rechtsanwalt I. zum Pflichtverteidiger bestellt.
3Nach Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsverkündung am hat der Angeklagte mit Schreiben vom und die Beiordnung eines neuen Verteidigers beantragt, da er mit der Arbeit seines derzeitigen Rechtsanwalts „nicht zufrieden“ sei und dieser überdies „gekündigt“ habe. Einen konkreten Personenwunsch bezüglich des neuen Verteidigers hat er nicht geäußert. Mit Verfügung vom hat der Strafkammervorsitzende des Landgerichts die Bestellung eines neuen Verteidigers abgelehnt, da Gründe für einen Wechsel nicht substantiiert vorgetragen seien und der Angeklagte den von ihm gewünschten neuen Verteidiger auch nicht namentlich benannt habe.
4Der bisherige Pflichtverteidiger Rechtsanwalt I. hat gegen das Urteil vom fristgemäß Revision eingelegt und diese im Anschluss an die am erfolgte Urteilszustellung mit der allgemeinen Sachrüge begründet.
5Mit Schreiben vom hat der Angeklagte mitgeteilt, dass dem Verfahren entscheidende Bedeutung für seine Ehre und seine Familie zukomme. Gegen seinen bisherigen Pflichtverteidiger Rechtsanwalt I. habe er Strafanzeige gestellt. Es sei daher notwendig, ihm statt Rechtsanwalt I. nunmehr Rechtsanwalt D. beizuordnen, zumal ihm dieser bereits zuvor zum Pflichtverteidiger bestellt worden sei.
II.
6Der Antrag ist unbegründet, da die Voraussetzungen für einen Pflichtverteidigerwechsel gemäß § 143a Abs. 3 und 2 StPO nicht vorliegen.
7Die Regelung des § 143a Abs. 3 StPO, der eine vereinfachte Möglichkeit für den Pflichtverteidigerwechsel im Revisionsverfahren enthält, greift nicht ein. Die Anträge des Angeklagten vom und wurden bereits durch den zuständigen Strafkammervorsitzenden mit der Verfügung vom beschieden (vgl. zur Zuständigkeit auch ; BeckOK-StPO/Krawczyk, 45. Ed., § 142 Rn. 11). Bezüglich des hier zu entscheidenden Antrags vom ist die Wochenfrist des § 143a Abs. 3 StPO bereits abgelaufen.
8Auch die daneben anwendbaren allgemeinen Tatbestände für einen Wechsel des Pflichtverteidigers gemäß § 143a Abs. 2 StPO liegen nicht vor. Insbesondere eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zum bisherigen Pflichtverteidiger (§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 StPO) ist nicht glaubhaft gemacht. Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen ( Rn. 12). Daran fehlt es. Dass der Angeklagte angibt, Strafanzeige gegen den bisherigen Verteidiger erstattet zu haben, reicht nicht aus, weil nicht ersichtlich ist, aus welchem Grund dies erfolgte. Ansonsten könnte ein Angeklagter durch Erstattung unberechtigter Beschwerden und Anzeigen die Entpflichtung seines Verteidigers faktisch erzwingen, was nicht sachgerecht ist ( Rn. 6).
9Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, der einer angemessenen Verteidigung des Angeklagten entgegensteht und einen Wechsel in der Person des Pflichtverteidigers gebietet (§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 StPO). Eine offenkundige Untätigkeit des Pflichtverteidigers, durch die dem Angeklagten ein an sich zustehendes Rechtsmittel genommen wird (vgl. hierzu EGMR, Urteil vom – 59519/00, NJW 2008, 2317, 2320; , NStZ-RR 2019, 349) liegt nicht vor. So hat der Pflichtverteidiger Rechtsanwalt I. die Revision ordnungsgemäß mit der allgemeinen Sachrüge begründet und damit eine Überprüfung des Urteils durch den Senat ermöglicht.
Cirener
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:051222B5STR429.22.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-29505