BVerwG Beschluss v. - 9 A 3/22, 9 A 3/22 (9 A 12/21)

Gründe

I

1Die Kläger haben am die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht ... B., die Richter am Bundesverwaltungsgericht ... M. und ... D. sowie die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht ... S. und ... Sch. sowie am den Richter am Bundesverwaltungsgericht St. wegen der Besorgnis einer Befangenheit abgelehnt. Mit Beschluss vom (9 A 12.21) hat der Senat unter Mitwirkung des Richters St. das gegen diesen gerichtete Ablehnungsgesuch verworfen und das Ablehnungsgesuch im Übrigen zurückgewiesen.

2Die Kläger haben hiergegen mit Schriftsatz vom Anhörungsrüge gemäß § 152a VwGO erhoben und den Richter am Bundesverwaltungsgericht St. erneut wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

II

3Das Ablehnungsgesuch, über das unter Mitwirkung des abgelehnten Richters entschieden werden kann (1.), sowie die Anhörungsrüge (2.) haben, ohne dass es einer Aussetzung des Verfahrens gemäß § 94 VwGO bedurfte (3.), keinen Erfolg.

41. Der Senat entscheidet gemäß § 10 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO in seiner im Präsidiumsbeschluss nach § 21e Abs. 1 GVG vom (3101 E-23-2021/16) in Abschnitt B. I. und Abschnitt C. III. vorgesehenen Zusammensetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters am Bundesverwaltungsgericht St. Das grundsätzliche Verbot der Selbstentscheidung (§ 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 45 Abs. 1 ZPO) steht dem nicht entgegen. Denn die Ablehnung des Richters ist unzulässig.

5Ein Ablehnungsgesuch nach § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO kann ausnahmsweise unter Mitwirkung abgelehnter Richter verworfen werden, wenn es sich als offenbarer Missbrauch des Ablehnungsrechts darstellt oder sonst offensichtlich unzulässig ist. Dahingestellt bleiben kann, ob dies vorliegend schon deshalb der Fall ist, weil eine Richterablehnung im Rahmen einer Anhörungsrüge von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. zum Streitstand 9 B 26.18 - juris Rn. 3 ff.; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 54 Rn. 22 f.). Jedenfalls folgt die offensichtliche Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs daraus, dass sowohl über die von den Klägern erhobenen Bedenken hinsichtlich der Unvoreingenommenheit des Richters als auch über die Zulässigkeit seiner Mitwirkung an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vom mit Beschluss vom rechtskräftig entschieden wurde. Dessen Unanfechtbarkeit (§ 146 Abs. 2 VwGO) kann nicht dadurch umgangen werden, dass sein Inhalt zum Gegenstand eines weiteren Ablehnungsgesuchs gemacht wird.

6Ist das Ablehnungsgesuch somit unzulässig, bedurfte es keiner Einholung einer dienstlichen Äußerung nach § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 44 Abs. 3 ZPO (vgl. 9 A 12.21 - NVwZ 2022, 884 Rn. 13). Eine Offenlegung der Rechtsansicht eines Richters in einem Verfahren kann darüber hinaus unabhängig von dem Zeitpunkt nicht verlangt werden.

7Soweit die Kläger unter dem die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht ... B. aus Gründen, die bislang nicht Gegenstand des Verfahrens waren, erneut als befangen ablehnen, ist hierüber nicht im vorliegenden Verfahren zu entscheiden. Durch die Erhebung der Anhörungsrüge ist das Ende der Wartepflicht gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 47 Abs. 1 ZPO hinausgeschoben worden (vgl. - NJW-RR 2011, 427 Rn. 17; 10 B 4.16 - juris Rn. 35), weshalb die Richterin von vornherein nicht zur Entscheidung über die Anhörungsrüge berufen ist.

82. Die Anhörungsrüge legt keine Verletzung des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör dar (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 6 VwGO).

9Sie beschränkt sich vielmehr in der Sache darauf, der Senat sei von den von den Klägern vorgebrachten Rechtsansichten, Wertungen und Auslegungen gerichtlicher Entscheidungen abgewichen. Hierbei verkennen die Kläger weiterhin, dass die grundsätzliche Berufung zur Mitwirkung an der Entscheidung Voraussetzung für die Verhinderung eines Richters ist, weshalb Letztere - unabhängig davon, ob ein Richter abwesend oder, wie vorliegend, im Dienst war - weder vorliegen noch fehlen kann, wenn er nach der Geschäftsverteilung in dem Verfahren nicht mitwirken darf. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist indes nicht verletzt, wenn das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern aus Gründen des materiellen oder des Prozessrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt, als es die Beteiligten für richtig halten ( 9 VR 13.08 - NVwZ 2008, 1027 Rn. 3).

10Soweit die Kläger rügen, der Senat habe in seiner Entscheidung auf ihnen nicht bekannte Geschäftsverteilungspläne vom 1. November und vom Bezug genommen, räumen sie selbst ein, den letztgenannten Geschäftsverteilungsplan zu kennen. Da die hier maßgebliche Regelung in beiden Geschäftsverteilungsplänen gleich war, scheidet ein Gehörsverstoß bzw. eine Überraschungsentscheidung schon aus diesem Grunde aus.

113. Danach ist eine Vorgreiflichkeit der Entscheidung des vor dem Verwaltungsgericht Leipzig geführten Rechtsstreits, in welchem die Kläger auf die Erteilung u. a. der Auskunft klagen, ob der Richter am Bundesverwaltungsgericht St. verhindert war, an der Verhandlung und Entscheidung des Verfahrens 9 A 8.19 mitzuwirken, weder ersichtlich noch von den Klägern dargetan. Das vorliegende Verfahren war daher nicht nach § 94 VwGO auszusetzen.

124. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 ZPO. Eine Streitwertfestsetzung ist nicht notwendig, weil sich die Gerichtsgebühr aus Nr. 5400 der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz ergibt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:111022B9A3.22.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-29136