Differenzierung zwischen einer Prostituierten und einer „unbescholtenen Frau“ im Rahmen der Strafzumessung einer Vergewaltigung
Gesetze: § 177 StGB, Art 36 EWGÜbk Istanbul
Instanzenzug: LG Braunschweig Az: 4 KLs 5/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2Schuld- und Rechtsfolgenausspruch halten revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Lediglich ergänzend bemerkt der Senat zur Strafzumessungsentscheidung:
31. Es benachteiligt den Angeklagten nicht, dass das Landgericht bei der Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten die – an Entscheidungen des Bundesgerichtshofs anknüpfende (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 135/73; vom – 4 StR 723/94; vom – 4 StR 452/95; vom – 4 StR 529/95, StV 1996, 26; vom – 5 StR 404/00, NStZ 2001, 29 mit abl. Anm. Hörnle StV 2001, 454) – Erwägung eingestellt hat, die Nebenklägerin arbeite als Prostituierte, und habe sich vor der Tat zum geschützten Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten bereiterklärt, was regelmäßig geeignet sei, die Tat in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. Diese Frage kann deshalb hier dahinstehen.
42. Der Senat könnte sich dieser Bewertung indes nicht anschließen (vgl. ablehnend bereits ; vom – 2 StR 159/00; Beschluss vom – 2 StR 517/08, NStZ 2009, 207; Urteil vom – 3 StR 214/01, NStZ 2001, 646; Urteil vom – 5 StR 235/71; ferner Urteil vom – 5 StR 598/18). Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Neufassung des § 177 StGB durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom (BGBl. I S. 2460; vgl. Hörnle, NStZ 2017, 13 ff.). Der Tatbestand erfasst nach geltender Rechtslage die Vornahme sexueller Handlungen, mit denen sich der Täter – auch ohne Nötigungsmittel (vgl. Hoven, NStZ 2020, 578; zur früheren Rechtslage noch BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 529/95, StV 1996, 26; vom – 4 StR 79/01, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 16; abl. Gaede, NStZ 2002, 238, 241) – über den entgegenstehenden Willen des Opfers hinwegsetzt und dadurch das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung verletzt (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 22). Nach dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen ist es jedenfalls nunmehr unerheblich, aus welchen Gründen das Opfer die sexuelle Handlung ablehnt (vgl. BT-Drucks. aaO, S. 23). Der damit – entsprechend den rechtlichen Maßgaben aus Art. 36 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom (Istanbul-Konvention), umgesetzt in deutsches Recht durch Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarates vom zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (BGBl. 2017 II, S. 1026 ff.; BT-Drucks. 18/12037, S. 76 f.) – unterschiedslos erstrebte Schutz der sexuellen Selbstbestimmung ist mit einer regelhaften Differenzierung zwischen einer Prostituierten und einer „unbescholtenen Frau“ (vgl. ) unvereinbar (vgl. Schneider in LK-StGB, 13. Aufl., § 46 Rn. 123; Renzikowski in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 177 Rn. 201; Wolters in SSW-StGB, 5. Aufl., § 177 Rn. 105; Steinl, ZStW [133] 2021, 819).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:090822B6STR279.22.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-26971