BGH Beschluss v. - 2 StR 236/22

Gefährliche Körperverletzung: Prüfungsreihenfolge bei minder schwerem Fall

Gesetze: § 21 StGB, § 49 Abs 1 StGB, § 224 Abs 1 StGB

Instanzenzug: LG Erfurt Az: 1 Ks 103 Js 60007/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, vorsätzlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge, die den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg hat; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die materiellrechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revision des Angeklagten hat zum Schuldspruch, zum Strafausspruch im Fall II. 1. der Urteilsgründe und zur Einziehungsentscheidung keinen ihn beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

32. Der Strafausspruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil das Landgericht bei der Bemessung der Einzelstrafe den Strafrahmen nicht richtig bestimmt hat.

4a) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen eines minder schweren Falls gemäß § 224 Abs. 1 StGB abgelehnt hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

5Sieht das Gesetz einen besonderen Strafrahmen für minder schwere Fälle vor und ist ‒ wie hier gemäß § 21, § 49 Abs. 1 StGB ‒ auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl im Rahmen einer Gesamtabwägung zunächst geprüft werden, ob die allgemeinen Milderungsgründe die Annahme eines minder schweren Falles tragen. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, so sind zusätzlich die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter die Anwendung des milderen Strafrahmens danach weiterhin nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. etwa , juris Rn. 5 mwN).

6Diese Prüfungsreihenfolge hat das Landgericht nicht beachtet, sondern hat einen minder schweren Fall allein unter Berücksichtigung allgemeiner Strafzumessungsgründe abgelehnt und sodann eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 21, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen.

7b) Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Einzelstrafe im Fall II. 1. der Urteilsgründe. Denn der Senat kann ein Beruhen der in diesem Fall verhängten Einsatzstrafe von vier Jahren und acht Monaten auf dem Rechtsfehler angesichts der Diskrepanz zwischen dem angewandten Strafrahmen von einem Monat bis sieben Jahren und sechs Monaten und dem möglicherweise in Betracht kommenden Strafrahmen von drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe nicht ausschließen.

8c) Die Aufhebung der Einzelstrafe entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage. Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie zu den bereits getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch treten.

93. Nach dem Wegfall des die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründenden Tatvorwurfs des versuchten Totschlags verweist der Senat die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:130922B2STR236.22.0

Fundstelle(n):
QAAAJ-26752