Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - Abrechnungsprüfung - materielle Präklusion
Gesetze: § 109 Abs 4 S 3 SGB 5, § 275 Abs 1c SGB 5, § 17c Abs 2 KHG, § 7 Abs 2 S 2 PrüfvVbg vom , § 7 Abs 2 S 3 PrüfvVbg vom , § 7 Abs 2 S 4 PrüfvVbg vom
Instanzenzug: Az: S 39 KR 1429/16 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 16 KR 505/17 Urteil
Tatbestand
1Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.
2Das klagende Krankenhaus behandelte eine Versicherte der beklagten Krankenkasse (KK) stationär vom bis zum sowie vom bis zum und berechnete hierfür 32 940,89 Euro nach Fallpauschale (DRG) I01Z (Beidseitige Eingriffe oder mehrere große Eingriffe an Gelenken der unteren Extremität mit komplexer Diagnose). Die KK zahlte diesen Betrag zunächst, leitete anschließend jedoch eine Überprüfung der kodierten Prozeduren und Zusatzentgelte sowie der medizinischen Notwendigkeit der Überschreitung der oberen Grenzverweildauer durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Der MDK forderte das Krankenhaus daraufhin auf, sämtliche Behandlungsunterlagen zu übersenden, die geeignet seien, die Fragestellung der Krankenkasse bezogen auf den Prüfanlass vollumfänglich zu beantworten bzw die zur Beurteilung der Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung benötigt würden, auf jeden Fall aber den Entlassungsbericht und für den Fall, dass Interventionen durchgeführt worden seien, auch die OP- bzw Interventionsberichte. Beim MDK gingen nicht näher bezeichnete Unterlagen ein. In seinem Gutachten vom teilte der MDK auf der Grundlage von "Auszügen aus der Patientenakte" mit, die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer sei medizinisch nicht begründet und die Prozeduren und Zusatzentgelte seien nicht belegt. Weder der Entlassungsbericht noch ein OP-Bericht seien übersandt worden. Nach erfolgloser Rückforderung des sich daraus ergebenden Betrags von 17 125,02 Euro, verrechnete die KK diesen Betrag am mit anderweitigen unstreitigen Forderungen des Krankenhauses.
3Im Klageverfahren hat das SG die Patientenakte (einschließlich des OP-Berichts) beigezogen. Die KK hat daraufhin mitgeteilt, auf Grundlage dieser Unterlagen sei die Abrechnung nicht zu beanstanden. Das SG hat die KK zur Zahlung der ausstehenden Vergütung von 17 125,02 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das LSG hat die Berufung der KK zurückgewiesen: Aus den vorliegenden Unterlagen ergebe sich, dass die durchgeführte Behandlung notwendig gewesen und zutreffend abgerechnet worden sei. Dies sei zwischen den Beteiligten inzwischen auch unstreitig. Dem Krankenhaus sei zwar nicht der Nachweis gelungen, dass es die angeforderten OP- und Entlassungsberichte übersandt habe. § 7 Abs 2 der Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V (Prüfverfahrensvereinbarung - PrüfvV 2014) stehe dem Vergütungsanspruch aber nicht entgegen. Diese Vorschrift enthalte keine materielle Ausschlussfrist, sondern eine Verfahrensvorschrift. Die Berücksichtigung der erst im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen zur Begründung des Anspruchs sei daher nicht ausgeschlossen (Urteil vom ).
4Die KK rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 39 Abs 1 Satz 3 und § 109 Abs 4 Satz 2 SGB V, § 17c Abs 2 KHG und § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014. Das Krankenhaus sei mit der Begründung des Vergütungsanspruchs durch die nicht fristgerecht vorgelegten Unterlagen nach § 7 Abs 2 PrüfvV 2014 präkludiert.
6Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.
7Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Gründe
8Die zulässige Revision der beklagten KK ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
9Der Senat kann auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob dem Krankenhaus der geltend gemachte Vergütungsanspruch zusteht, oder ob die KK mit einem aus der Behandlung der Versicherten resultierenden Erstattungsanspruch wirksam aufgerechnet hat.
10Das LSG hat den Erstattungsanspruch verneint. Es ist davon ausgegangen, dass § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 keine materielle Ausschlussfrist regelt, sondern lediglich verfahrensrechtliche Bedeutung hat mit der Folge, dass zur Begründung von Vergütungsansprüchen auch noch nach Ablauf der Frist von vier Wochen nach § 7 Abs 2 Satz 3 PrüfvV 2014 im Klageverfahren vorgelegte Unterlagen berücksichtigt werden können. Dies hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 enthält zwar - wie dies auch das LSG zu Recht angenommen hat - keine materielle Ausschlussfrist. Die vom Krankenhaus zu vertretende Versäumung der Frist hat aber zur Folge, dass die vom MDK angeforderten, ihrer Art nach konkret bezeichneten Unterlagen, die das Krankenhaus aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht fristgerecht übermittelt hat, als Beweismittel präkludiert sind. Das LSG muss daher unter Außerachtlassung dieser Unterlagen erneut über den Vergütungsanspruch des Krankenhauses entscheiden.
111. Wie der Senat bereits entschieden hat, enthält § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 eine materielle Präklusionsregelung mit der Rechtsfolge, dass konkret bezeichnete Unterlagen, die der MDK im Rahmen eines ordnungsgemäßen Prüfverfahrens angefordert, das Krankenhaus aber nicht innerhalb der Frist von vier Wochen vorgelegt hat, auch in einem späteren Gerichtsverfahren nicht mehr zur Begründung des Vergütungsanspruchs berücksichtigt werden dürfen. Die präkludierten Unterlagen sind als Beweismittel endgültig ausgeschlossen. Dies ist von der Ermächtigungsgrundlage in § 17c Abs 2 KHG (idF des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom , BGBl I 2423) getragen und mit dem GG vereinbar (siehe dazu im Einzelnen - BSGE 132, 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr 33; - juris).
122. Die Voraussetzungen der Präklusion liegen nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen und für den Senat daher bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hier vor. Die PrüfvV 2014 ist zeitlich und sachlich insoweit anwendbar, als es um eine Auffälligkeitsprüfung geht (dazu a). Die Voraussetzungen des § 7 Abs 2 Satz 2 PrüfvV 2014 sind erfüllt (dazu b). Das Krankenhaus hat die vom MDK angeforderten, konkret bezeichneten Unterlagen nicht innerhalb von vier Wochen übermittelt (dazu c).
13a) § 7 Abs 2 PrüfvV 2014 ist zeitlich, aber auch sachlich anwendbar, soweit der Prüfauftrag der KK auf eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Krankenhausbehandlung gerichtet war, nicht hingegen hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Prüfung (vgl zum Ganzen - juris RdNr 14 ff). Davon ist das LSG auch zutreffend ausgegangen. Dies betraf vorliegend die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer und die Abrechnung der Zusatzentgelte.
14Das LSG hat den Prüfauftrag der KK ohne Rechtsfehler und daher für den Senat bindend (vgl zum Maßstab - juris RdNr 40; - BSGE 127, 240 = SozR 4-2500 § 13 Nr 46, RdNr 15, jeweils mwN) dahingehend ausgelegt, dass die Prüfung im Sinne einer "Vollprüfung" sowohl eine sachlich-rechnerische Prüfung bezogen auf die Kodierung der Prozeduren als auch Auffälligkeitsprüfungen bezüglich einer Überschreitung der oberen Grenzverweildauer sowie der Abrechnung der Zusatzentgelte erfasste. Die Anwendbarkeit der PrüfvV 2014 ist hier insoweit ausgeschlossen, als der von der KK erteilte Prüfauftrag neben der Wirtschaftlichkeitsprüfung auch die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung, dh der Kodierung der Prozeduren umfasste. In Bezug auf die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer und der Abrechnung der Zusatzentgelte fand die PrüfvV 2014 hingegen Anwendung (vgl hierzu - juris RdNr 17).
15b) Die Voraussetzungen des § 7 Abs 2 Satz 2 PrüfvV lagen nach den bindenden Feststellungen des LSG vor. Der MDK hat die Prüfung im schriftlichen Verfahren durchgeführt und die für die Prüfung benötigten Unterlagen mit dem Schreiben vom ihrer Art nach konkret bezeichnet angefordert (vgl dazu - juris RdNr 17; - juris RdNr 10 ff). Ihrer Art nach konkret bezeichnet hat der MDK den Entlassungsbericht, sowie OP- und Interventionsberichte. Die pauschale Forderung nach Übersendung "sämtlicher Behandlungsunterlagen, die geeignet sind, die Fragestellung der Krankenkasse bezogen auf den Prüfanlass vollumfänglich zu beantworten bzw. die zur Beurteilung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung benötigt werden", hat die Rechtsfolge des § 7 Abs 2 PrüfvV 2014 hingegen nicht ausgelöst (vgl hierzu im Einzelnen zB - juris RdNr 17 ff, 38; - juris RdNr 17).
16c) Nach den bindenden Feststellungen des LSG hat das Krankenhaus die ihrer Art nach konkret bezeichneten Unterlagen, dh den Entlassungsbericht sowie OP- und Interventionsberichte, nicht fristgerecht übersandt. Es ist hierbei zu Recht davon ausgegangen, dass das Krankenhaus hierfür die objektive Beweislast trägt, es also zu seinen Lasten geht, wenn der fristgerechte Zugang der Unterlagen trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Amtsermittlung nicht nachweisbar ist (vgl - juris RdNr 22 mwN). Aus den Feststellungen des LSG ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der nicht fristgerechte Eingang der angeforderten Unterlagen beim MDK vom Krankenhaus nicht zu vertreten gewesen sein könnte (vgl hierzu - juris RdNr 23 ff).
173. Die durch § 7 Abs 2 Satz 4 PrüfvV 2014 bewirkte materielle Präklusion hat vorliegend zur Folge, dass der Entlassungsbericht sowie OP- und Interventionsberichte auch im Gerichtsverfahren nicht mehr zur Begründung des Vergütungsanspruchs berücksichtigt werden dürfen, soweit die KK die Unwirtschaftlichkeit der stationären Behandlung behauptet. Sie sind als Beweismittel endgültig ausgeschlossen (vgl - BSGE 132, 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr 33, RdNr 10; - juris RdNr 11). Es ist insofern unerheblich, dass der Vergütungsanspruch der Sache nach zwischen den Beteiligten "unstreitig" ist, nachdem die KK im Klageverfahren mitgeteilt hat, auf Grundlage der erst jetzt vom Krankenhaus übersandten Patientenakte einschließlich des OP-Berichts sei die Abrechnung nicht zu beanstanden. Denn darin liegt weder ein prozessuales Anerkenntnis der KK, noch hat sie damit ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis unter der Bedingung abgegeben, auf andere Einwendungen als die materiell-rechtliche Ausschlussfrist verzichten zu wollen (vgl hierzu - juris RdNr 20; - juris RdNr 38).
184. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren muss das LSG feststellen, ob und ggf in welcher Höhe sich der streitige Vergütungsanspruch auch hinsichtlich der Überschreitung der oberen Grenzverweildauer und der Abrechnung der Zusatzentgelte unter Außerachtlassung der - ihrer Art nach konkret bezeichneten - Unterlagen nachweisen lässt. Der Inhalt präkludierter Unterlagen darf dabei auch nicht unter Umgehung der Präklusionsregelung, etwa durch ersetzende Zeugenaussagen, in das Verfahren eingeführt werden (vgl - BSGE 132, 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr 33, RdNr 35). Lässt sich nach Ausschöpfen der gebotenen Aufklärung nicht feststellen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der abgerechneten Fallpauschale erfüllt gewesen sind, trägt das Krankenhaus die objektive Beweislast für das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen (vgl dazu zB - BSGE 117, 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr 40, RdNr 18).
195. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.
Dr. Estelmann ist wegen Krankheit Bockholdt Geiger
an der Signatur gehindert
gez. Bockholdt
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:220622UB1KR1721R0
Fundstelle(n):
IAAAJ-25200