Gesetzgebung | Sachverständige für höheren Inflationsausgleich (hib)
Angesichts der drastisch steigenden Preise haben mehrere Sachverständige in einer Anhörung des Finanzausschusses des Bundestages zum Inflationsausgleichsgesetz – InflAusG (BT-Drucks. 20/3496) am die bisher geplanten Maßnahmen als unzureichend bezeichnet und deutlich höhere Entlastungen vor allem der Familien angemahnt.
Das geplante Gesetz sieht verschiedene steuerliche Maßnahmen wie die Anhebung des Grundfreibetrages und des Kinderfreibetrages sowie ein höheres Kindergeld vor. Das Kindergeld soll im nächsten Jahr für das erste, zweite und dritte Kind auf einheitlich 237 Euro pro Monat erhöht werden. Diese Erhöhung in einem Schritt soll für die Jahre 2023 und 2024 gelten. Somit steigt das Kindergeld für das erste und zweite Kind um 18 Euro und für das dritte Kind um zwölf Euro monatlich.
Der Bund der Steuerzahler erklärte, im Sinne eines schnellen Inflationsausgleichs für die Steuerzahler wäre es geboten, schon den Steuertarif 2022 mit einer höheren Inflationsrate zu indexieren. Auch die Annahme der Bundesregierung einer Inflationsrate von rund 5,76 Prozent für den Steuertarif 2023 sei kein echter Inflationsausgleich. Der Gesetzgeber müsse den Einkommensteuertarif 2023 um die zu erwartende Inflation 2023 bereinigen, die nach der derzeitigen Prognose der Gemeinschaftsdiagnose 8,8 Prozent betragen werde.
Professor Johanna Hey (Universität zu Köln) erklärte, wenn sich die Entwicklung der Inflation so fortsetze wie in den letzten Monaten, sei bei Grund- und Kinderfreibeträgen eine weitere Anhebung erforderlich. Sie kritisierte, dass sich der Entwurf des Inflationsausgleichsgesetzes auf die mittlerweile überholte Frühjahrsprojektion der Bundesregierung zur Inflation für 2022 von 5,76 Prozent stütze. Das sei die „Crux“ des Gesetzentwurfs
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bezeichnete eine Inflationsbereinigung des Einkommensteuertarifs als grundsätzlich sinnvoll. Angesichts der hohen fiskalischen Kosten sollte diese auf Steuerpflichtige mit niedrigen und mittleren Einkommen konzentriert werden. Diese seien von der Inflation besonders stark betroffen. Die Kindergelderhöhung wurde als sinnvoll bezeichnet. Auf eine Erhöhung des Kinderfreibetrags könne jedoch verzichtet werden, da Familien mit hohem Einkommen bisher zu stark zusätzlich steuerlich entlastet würden. Ein vollständiger Ausgleich der kalten Progression sei „nicht das richtige Signal“. Die Kosten würden sich auf bis zu 13 Milliarden Euro belaufen.
Der Deutsche Familienverband begrüßte die Maßnahmen zum Abbau der kalten Progression, erklärte aber andererseits, dass die geplanten Erhöhungen bei Kinderfreibetrag und Kindergeld leider deutlich hinter dem Notwendigen zurückbleiben würden. Kindergeld, Kinderfreibetrag und weitere kinderbezogene Freibeträge müssten kurzfristig an die Inflationsrate angepasst werden. Nach Ansicht der Organisation werden große Familien zu wenig entlastet. Das vierte Kind und weitere Kinder würden bei der vorgesehenen Kindergelderhöhung leer ausgehen. Als problematisch wurde der im Gesetzestitel gewählte Begriff eines „fairen Einkommensteuertarifs“ bezeichnet. Es gehe bei der Besteuerung weniger um Fairness, sondern um Gerechtigkeit. Alleinerziehende und Kinderreiche würden leer ausgehen. Das sei ein „fatales Zeichen“.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisierte, dass Bezieher höherer Einkommen durch den Kinderfreibetrag stärker entlastet würden als Normalverdiener. Beim heutigen System gelte: Je höher das Einkommen, desto größer sei der sich daraus ergebende finanzielle Vorteil durch den Kinderfreibetrag. Gleichzeitig reiche das geringere Kindergeld für viele Kinder nicht aus, um gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten. In Deutschland lebten 20 Prozent aller Kinder in Armut. Eine gerechte Förderung von Kindern müsse das Ziel sein. Daher müsse der Kinderfreibetrag zugunsten eines für alle erhöhten Kindergeldes im Rahmen einer Kindergrundsicherung abgeschafft werden.
Katja Rietzler vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung bezeichnete die Änderungen am Einkommensteuertarif für das Jahr 2023 als nicht dringend. Sie wies darauf hin, dass die Einkommensteuerbelastung in Deutschland nach wie vor deutlich unter dem Niveau der 1990er Jahre liege. In der aktuellen Situation sollte zielgerecht mit Unterstützungsmaßnahmen am unteren Ende der Einkommensskala gearbeitet werden.
Auch die Arbeiterkammer Bremen bezeichnete den Abbau der kalten Progression als wenig zielgenau. Es böten sich alternative Maßnahmen an. Die Arbeiterkammer schlug vor, den Grundfreibetrag deutlich über den durch das Existenzminimum gebotenen Rahmen hinaus anzuheben, beispielsweise auf 12.000 Euro.
Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter bedauerte, dass das Ziel des Gesetzentwurfs, die Inflation auszugleichen, für Alleinerziehende nicht erreicht werde. Wegen der Anrechnung auf Unterhaltsleistungen werde die Anhebung des Kindergelds zum Nullsummenspiel. Viele Alleinerziehende fühlten sich von der Politik allein gelassen.
Professor Frank Hechtner (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) kritisierte, dass der Progressionsbericht von der Bundesregierung noch nicht vorgelegt worden sei. Es müsste wohl ein höherer Wert zum Ausgleich der kalten Progression eingesetzt werden, als im Gesetzentwurf vorgesehen. Professor Rudolf Mellinghoff (Ludwig-Maximilians-Universität München) sagte, angesichts der aktuellen Inflationsverhältnisse sollte der Progressionsbericht in jedem Jahr und nicht nur alle zwei Jahre vorgelegt werden. Dass Bezieher höherer Einkommen stärker von den Maßnahmen profitieren würden, sei eine natürliche Folge des progressiv verlaufenen Steuertarifs. Nur bei einer „Flat Tax“ (einheitlicher Steuersatz) würden alle gleich profitieren.
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Quelle: hib – heute im bundestag Nr. 561 (il)
Fundstelle(n):
NWB OAAAJ-24090