Instanzenzug: Az: 1 U 946/21vorgehend LG Trier Az: 5 O 442/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
2Der Kläger erwarb am von einem Händler ein Neufahrzeug des Typs Volkswagen Tiguan zum Preis von 35.028,49 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Motorsteuerungssoftware, die das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus auf dem Prüfstand erkannte und in diesem Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Die Software wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt und vom Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet.
3Mit der im Jahr 2020 erhobenen Klage hat der Kläger die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten begehrt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Gegen das landgerichtliche Urteil haben die Beklagte im Rahmen ihrer Beschwer Berufung und der Kläger Anschlussberufung mit dem Ziel einer höheren Verurteilung der Beklagten eingelegt. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Feststellung des Annahmeverzugs aufgehoben und auf die Anschlussberufung des Klägers die Beklagte verurteilt, 23.979,52 € nebst Zinsen und weitere Zinsen aus einem höheren Betrag Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Rechtsmittel der Parteien - die Berufung der Beklagten auch betreffend ihre Verurteilung zur Zahlung von 1.211,50 € (vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten) nebst Zinsen - zurückgewiesen.
4Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte zuletzt ihr Begehren auf Abweisung der Klage weiter, soweit das Berufungsgericht ihre Verurteilung zur Zahlung von mehr als 18.725,25 € nebst Prozesszinsen und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.211,50 € bestätigt, ihre Berufung in diesem Umfang zurückgewiesen und sie auf die Anschlussberufung in weiterem Umfang verurteilt hat.
Gründe
5Die unbeschränkt zugelassene (vgl. VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 16 ff., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ; Urteil vom - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 7) und auch im Übrigen zulässige Revision der Beklagten ist, nachdem die Beklagte das Rechtsmittel durch eine Beschränkung ihres Revisionsangriffs nach Einreichung der Revisionsbegründung in der Sache teilweise zurückgenommen hat (vgl. VIa ZR 601/21, juris Rn. 5), begründet.
I.
6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:
7Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB, der jedoch aufgrund der Verjährungseinrede der Beklagten nicht mehr durchsetzbar sei. Das Inverkehrbringen des Motors EA 189 mit einer offensichtlich unzulässigen Abschalteinrichtung sei als sittenwidrige Schädigung der unwissenden Fahrzeugkäufer anzusehen. Der Schaden des Klägers liege im Abschluss des Fahrzeugkaufvertrags. Sein Anspruch sei auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich des Wertes gezogener Nutzungen, der sich auf 11.048,97 € belaufe, also auf Zahlung von 23.979,52 € Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtet. Nach Verjährung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB stehe dem Kläger ein Restschadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB zu. Der Restschadensersatzanspruch belaufe sich wie der verjährte Anspruch aus §§ 826, 31 BGB auf 23.979,52 €, da der von der Beklagten erlangte Händlereinkaufspreis in Höhe von 29.774,22 € diesen Betrag übersteige. Prozesszinsen könne der Kläger schließlich auf diesen Betrag, anfänglich aber auf einen Betrag von 25.389,14 € beanspruchen. Dabei sei von einer linearen Reduktion des zu verzinsenden Anspruchs auszugehen, weil der Kläger das Fahrzeug ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit linear weiter benutzt habe. Der Kläger habe zudem Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, die für ein Anspruchsschreiben vom entstanden seien.
II.
8Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Umfang des nachträglich reduzierten Revisionsangriffs nicht stand. Der Kläger hat gegen die Beklagte aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB einen Restschadensersatzanspruch nur in Höhe von 18.725,25 € zuzüglich Prozesszinsen aus einem Betrag von anfänglich 20.134,87 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs. Ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen besteht nach Verjährung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB weder aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB noch aus Verzug.
91. Das Berufungsgericht hat bei der Ermittlung der Höhe des aus §§ 826, 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB geschuldeten Restschadensersatzes übersehen, dass - was der Senat nach Erlass des Berufungsurteils näher ausgeführt hat ( VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16) - der von der Beklagten erlangte Händlereinkaufspreis nicht lediglich als Vergleichsgröße heranzuziehen, sondern Ausgangspunkt für die Berechnung der Anspruchshöhe ist. Entsprechend hätte das Berufungsgericht, weil auch der Restschadensersatzanspruch der Vorteilsausgleichung unterliegt, die von ihm gemäß § 287 ZPO geschätzten Nutzungsvorteile in Höhe von 11.048,97 € von dem von ihm als erlangt ermittelten Händlereinkaufspreis in Höhe von 29.774,22 €, den die Revision als richtig hinnimmt, abziehen müssen, so dass es rechtsfehlerfrei zu einem Anspruch in der Hauptsache von nur 18.725,25 € gelangt wäre.
102. Außerdem hat das Berufungsgericht dem Kläger unzutreffend einen Anspruch auf Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zugesprochen. §§ 826, 852 Satz 1 BGB ergeben einen solchen Anspruch nicht, weil Vermögensnachteile, die dem Kläger durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der vorgerichtlichen Geltendmachung seines Schadensersatzanspruchs entstanden sind, nicht zu einer Vermögensmehrung bei der Beklagten geführt haben ( VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 77). Da sich die Beklagte bis zum Erhalt des anwaltlichen Aufforderungsschreibens vom nicht in Verzug befand, kann der Kläger die Freistellung auch nicht als Verzugsschaden beanspruchen (vgl. aaO, Rn. 78).
III.
11Das Berufungsurteil ist in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Da die teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
12Der Kläger hat einen Anspruch auf Restschadensersatz in Höhe von 18.725,25 € nebst Prozesszinsen ab dem . Außerdem kann der Kläger von der Beklagten ab dem Prozesszinsen aus anfänglich 20.134,87 € nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, § 187 Abs. 1 BGB verlangen, weil die Klage, was der Senat der Akte entnehmen kann (vgl. , NJW-RR 2014, 903 Rn. 14), der Beklagten am zugestellt worden ist (vgl. , NJW-RR 1990, 518, 519; , BAGE 96, 228, 233). Die lineare Reduktion des zu verzinsenden Betrags bis auf 18.725,25 € auf der Grundlage einer unterstellt gleichmäßigen Nutzung des erworbenen Fahrzeugs stellt die Revision, die die Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von Prozesszinsen auf der Grundlage der §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, § 187 Abs. 1 BGB nicht leugnet, nicht in Frage.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:190922UVIAZR95.22.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-23925