NWB Nr. 42 vom Seite 2945

Die Wohnung ist unverletzlich

Dr. Lukas Hilbert | Diplom-Kaufmann, M.I.Tax, Bonn | Herausgeber des Steuer-Stichwort-Kommentars Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer | www.lhilbert.de

Grundrecht schlägt Steuerrecht

So eindimensional ist es freilich nicht, allein schon, wenn man betrachtet, dass Steuern das Fundament der Finanzierung des Gemeinwesens bilden und – ganz praktisch – ohne sie „kein Staat zu machen“ ist. Zudem folgen dem (in der Überschrift zitierten) ehernen Abs. 1 des Art. 13 GG seit jeher weitere Absätze mit Ausnahmen von der Unverletzlichkeit. Gleichwohl hat der BFH in der Sache VIII R 8/19 die unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Flankenschutzprüfer der Steuerfahndung zur Überprüfung der Angaben der Steuerpflichtigen zu einem häuslichen Arbeitszimmer im Besteuerungsverfahren zutreffend als rechtswidrig eingestuft. Die Lektüre des facettenreichen Urteils v.  sei allen am spannenden Verhältnis von Verfassungs- und Steuerrecht Interessierten sehr empfohlen. Zwar verneint das Gericht ein Feststellungsinteresse aus Gründen der Rehabilitation und auch – aufgrund der Einwilligung der hier betroffenen Steuerpflichtigen in das Betreten – infolge eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs, sieht ein solches aber mit Blick auf eine Wiederholungsgefahr. Was sodann aus der Urteilsbegründung vor allem „hängen bleibt“, sind die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit. Ebenjene ist denn auch der springende Punkt. Die persönliche Lebenssphäre genießt aus wohlerwogenen Gründen besonderen grundrechtlichen Schutz. Arbeiten von zu Hause aus ist dabei für etliche Bundesbürger tägliche Realität. Nicht nur bei vielen Selbständigen und Gewerbetreibenden galt dies schon immer, sondern nunmehr vor allem – seit der Pandemie oftmals gar obligatorisch respektive faktisch unvermeidbar – ferner für unzählige Arbeitnehmer. Das Recht, in den eigenen Wohnräumen „in Ruhe gelassen zu werden“, wäre nicht viel wert, würde der steuerrechtliche Rahmen dabei dem möglichen Eindringen staatlicher Organe in die private Wohnung Vorschub leisten.

„Spontane Besuche“ – zumal vollends unangekündigte – durch Vertreter der Finanzverwaltung sind deshalb in diesem Zusammenhang mithin tunlichst zu vermeiden und der Lösungsweg ganz vornehmlich ein anderer: Steuerpflichtige sollten die Situation rund um ihr häusliches Arbeitszimmer entlang der gesetzlich recht gut gezeichneten Linien nach bestem Wissen und Gewissen erklären, die Verwaltung diese Angaben grundsätzlich als zutreffend ansehen. Wo weiterer Aufklärungsbedarf besteht, kann dieser – bei entsprechender Bereitschaft zur Mitwirkung – durch Nachfragen oder die Einreichung von Unterlagen und ähnliche Beweismittel in aller Regel hinreichend befriedigt werden. Diesen „milderen Mitteln“ ist eigentlich fast immer Vorrang zu gewähren. Kommt es „hart auf hart“, sollte daran gedacht werden, dass in einem solchen wie dem Urteilsfall der Zutritt verweigert werden darf. Steuerliche Berater können ihre Mandantschaft darauf hinweisen. Eine Belehrungspflicht der Verwaltung gegenüber den Betroffenen ins Gesetz aufzunehmen, stünde dem liberalen Staat gut an. Den leider häufig streitanfälligen Gesamtkomplex hat der Gesetzgeber richtigerweise im Blick. Die „Home-Office-Pauschale“ hat die Situation vielleicht schon ein wenig entschärft. Vorhaben wie ihre nunmehr mit dem JStG 2022 geplante Verbesserung und Verstetigung sowie auch generell Vereinfachungen der Vorschriften scheinen der richtige Weg vorwärts.

Lukas Hilbert

Fundstelle(n):
NWB 2022 Seite 2945
JAAAJ-23876