BGH Beschluss v. - 5 StR 27/22

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung: Zäsurwirkung eines Berufungsurteils

Gesetze: § 55 Abs 1 StGB

Instanzenzug: Az: 5 KLs 809 Js 63042/16 (2)

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten schuldig gesprochen des Diebstahls mit Waffen in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit Sachbeschädigung, des versuchten Diebstahls mit Waffen in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Sachbeschädigung, des Diebstahls in vier Fällen, dabei in drei Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung, des Vortäuschens einer Straftat, der gefährlichen Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, des Hausfriedensbruchs in zwei Fällen sowie der Nötigung und der vorsätzlichen Brandstiftung. Es hat ihn hinsichtlich der Taten nach Ziffer II.1 bis II.8 der Gründe unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus mehreren Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hinsichtlich der Taten nach Ziffer II.9 bis II.16 der Gründe hat es gegen ihn unter Einbeziehung weiterer Einzelstrafen eine Gesamtfreiheitstrafe von einem Jahr und acht Monaten verhängt.

2Die Revision des Beschwerdeführers, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, führt zu dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen erweist sie sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

3Bei der Bildung der Gesamtstrafen nach § 55 StGB hat das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe dem eine Zäsurwirkung beigemessen. Es hat daher für die vor und nach diesem Urteil begangenen Taten je eine Gesamtstrafe gebildet. Dabei hat es jedoch verkannt, dass eine Zäsurwirkung erst dem in gleicher Sache ergangenen Berufungsurteil zukam:

4Nach den Feststellungen erhoben der Angeklagte wie die Staatsanwaltschaft gegen das das Rechtsmittel der Berufung, das beiderseits auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde. Das Landgericht Leipzig entschied hierüber durch Sachurteil vom , wobei es jedenfalls eine abweichende Gesamtstrafe verhängte. Im Zeitraum zwischen der Ausgangsentscheidung des Amtsgerichts und der Berufungsentscheidung beging der Angeklagte die im hiesigen Verfahren abgeurteilten Taten nach Ziffer II.9 bis II.15 der Gründe.

5Zäsurwirkung entfaltet gemäß § 55 Abs. 1 StGB das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. Das kann auch ein Berufungsurteil sein (, NStZ 2002, 590; LK/Rissing-van Saan/Scholze, StGB, 13. Aufl., § 55 Rn. 7), wobei nicht entgegensteht, dass die Berufung auf den Strafausspruch beschränkt war. Denn für die Auslegung der Worte „vor der früheren Verurteilung begangen“ kommt es auf die letzte tatrichterliche Entscheidung zur Schuld- oder Straffrage an; relevant ist daher sogar eine bloße Entscheidung über die Bildung einer Gesamtstrafe, wenn sie aufgrund einer tatgerichtlichen Verhandlung ergangen ist (, NStZ-RR 2010, 41; siehe auch , NStZ-RR 2014, 242; LK/Rissing-van Saan/Scholze, aaO Rn. 6).

6Nachdem das Landgericht Leipzig im Rahmen der beiden Berufungen über den gesamten Rechtsfolgenausspruch zu entscheiden hatte, hätte die Strafkammer für die Zäsurwirkung auf das Berufungsurteil vom abstellen müssen. Entsprechend wäre jeweils unter Berücksichtigung der weiteren einbeziehungsfähigen Einzelstrafen – für die Taten nach Ziffer II.1 bis II.15 der Gründe eine Gesamtstrafe zu verhängen und in eine zweite Gesamtstrafe lediglich die Strafe zu integrieren gewesen, die für die Tat nach Ziffer II.16 der Gründe (begangen zwischen 16. und ) bestimmt wurde.

7Dies kann der Senat jedoch nicht abschließend beurteilen, weil das Landgericht den Vollstreckungsstand der potentiell einzubeziehenden Einzelstrafen nicht ausreichend festgestellt hat. Zwar hat es mitgeteilt, dass die Strafen aus dem und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Chemnitz vom jeweils weder vollstreckt, verjährt, noch erlassen seien. Alle hier relevanten Einzelstrafen deckt diese Angabe aber nur ab, wenn die weitere Feststellung zutrifft, wonach in das auch die Strafen aus den früheren Urteilen dieses Gerichts vom und vom einbezogen worden seien. Zweifeln unterliegt das jedoch insofern, als ausweislich der Feststellungen die dem Urteil vom nachfolgende Berufungsentscheidung vom durch das im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben worden sein soll. Das würde bedeuten, dass die Einzelstrafen aus dem Urteil vom im Urteil vom einbezogen wurden, obwohl diese Entscheidung noch nicht rechtskräftig war. Eine Klärung des Vollstreckungsstands wird daher nachzuholen sein. Maßgeblicher Zeitpunkt hierfür ist derjenige der tatrichterlichen Entscheidung im ersten Rechtsgang des hiesigen Verfahrens (vgl. nur , StraFo 2013, 474). Zudem wird das neue Tatgericht Gelegenheit haben, im Tenor seines Strafausspruchs zum Ausdruck zu bringen, für welche Taten der Angeklagte zu welcher Gesamtstrafe verurteilt wird (vgl. nur ) sowie die bereits getroffene Entscheidung über die Anrechnung der in der Schweiz vollzogenen Auslieferungshaft wie geboten (vgl. , BGHSt 35, 172; LK/Schneider, StGB, 13. Aufl., § 51 Rn. 63) in die Urteilsformel aufzunehmen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:190722B5STR27.22.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-23378