BGH Beschluss v. - V ZB 75/21

Zulässigkeit der Berufung: Beschwerdewert einer Unterlassungsklage bei Eigentumsstörung

Gesetze: § 1004 BGB, § 3 ZPO, § 511 Abs 2 Nr 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 83 S 20/21vorgehend AG Berlin-Mitte Az: 116 C 160/20

Gründe

I.

1Die Klägerin ist Eigentümerin eines mit einem vermieteten Wohn- und Geschäftshaus bebauten Grundstücks in Berlin. Die Beklagte, ein städtisches Wasserversorgungsunternehmen, ließ an dem Haus mehrmals Zettel anbringen, auf denen sie über Wassersperrungen informierte. Zu einem späteren Zeitpunkt waren zudem an den Eingangstüren zum Vorderhaus und zum Seitenflügel sowie im Durchgang Zettel mit einem Hinweis auf eine Sperrung der Grundstückszufahrt angebracht worden. Die Klägerin forderte die Beklagte erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf.

2Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte müsse derartige Maßnahmen rechtzeitig ankündigen bzw. terminlich mit ihr absprechen. Sie beantragt, die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, 1a) jegliches Betreten des Objektes ohne vorherige Genehmigung außer bei Gefahr in Verzug, 1b) jegliches Anbringen von Informationszetteln im oder am Objekt, 1c) jegliche Maßnahmen, welche die Zufahrt, die Wasser- und Abwasserversorgung oder das Leitungsnetz des Grundstücks direkt betreffen, ohne rechtzeitige vorherige Information außer bei Gefahr in Verzug zu unterlassen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Landgericht als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3Das Berufungsgericht sieht die Berufung gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO als unzulässig an, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € nicht übersteige, sondern auf 150 € festzusetzen sei. Der Wert entspreche dem Interesse der Klägerin an der Unterlassung der Störung. Hiernach lasse keiner der drei Anträge eine Beschwer von über 50 € erkennen. Durch das Betreten der Mitarbeiter der Beklagten zum Zwecke der Zettelanbringung sei nicht mehr als eine Bagatellbeeinträchtigung zu befürchten. Auch der Wert der Unterlassung einer Information durch Handzettel liege im Bagatellbereich. Eine Substanzbeeinträchtigung durch das Anbringen der Zettel mit Klebestreifen sei nicht erkennbar; die Kosten für das Entfernen eines Zettels betrügen nicht mehr als 50 €. Eine optische Beeinträchtigung durch die Zettel liege angesichts des sonstigen Erscheinungsbildes des Eingangsbereichs nicht vor. Soweit die Beklagte zum Anbringen der Zettel das Grundstück betreten habe, beeinträchtige dies die Klägerin allenfalls geringfügig, da der Beklagten nach § 16 der Vertragsbestimmungen der Wasserversorgung von Berlin (VBW) bzw. § 7 der Allgemeinen Bedingungen für die Entwässerung in Berlin (ABE) grundsätzlich ein Zutrittsrecht zustehe. Auch der Wert des Antrags zu 1c) könne nicht höher als mit 50 € bemessen werden. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, welche Maßnahmen sie ihren Mietern gegenüber getroffen hätte oder inwiefern es für sie einen geringeren Aufwand oder Kosten bedeute, die Mieter selbst zu informieren. Dass ihr Schäden entstanden seien, die sie in Zukunft durch eine rechtzeitige Information abwenden würde, sei nicht erkennbar. Auch der Umstand, dass der geschäftsführende Gesellschafter eine grundlegende Klärung der Befugnisse der Beklagten anstrebe, führe nicht zu einer höheren Bewertung. Auf den anwaltsgebührenrechtlichen Auffangwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG könne nicht zurückgegriffen werden.

III.

4Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil es an den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere ist der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 193/10, NZM 2011, 488 Rn. 7 mwN). Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Wert der Beschwer 600 € nicht überschreitet, weist keine zulassungsrelevanten Ermessenfehler auf.

51. Der Wert der Beschwer der Klägerin war gemäß § 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzen. Eine solche Festsetzung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf hin überprüft werden, ob das Berufungsgericht die Grenzen seines Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 14/19, WuM 2020, 453 Rn. 4; Beschluss vom - V ZB 6/04, NJW-RR 2005, 219, 220; jeweils mwN).

62. Die Wertfestsetzung durch das Berufungsgericht lässt einen derartigen Rechtsfehler nicht erkennen.

7a) Zutreffend geht es davon aus, dass sich bei der Abweisung einer Klage auf Unterlassung einer Eigentumsstörung die Beschwer der klagenden Partei nach ihrem Interesse an der Unterlassung der Störung bemisst; dieses Interesse ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gemäß § 3 ZPO zu bestimmen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 21/21, WuM 2022, 177 Rn. 6; Beschluss vom - V ZR 94/15, juris Rn. 7 mwN). Eine Orientierung an dem anwaltsgebührenrechtlichen Auffangwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG kommt hingegen nicht in Betracht. Dies wäre zwar bei einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit denkbar (vgl. , WM 2016, 96 Rn. 13 mwN). Hier liegt aber eine vermögensrechtliche Streitigkeit vor.

8b) Das Berufungsgericht bemisst das Interesse der Klägerin an der beantragten Unterlassung des Betretens des Objektes ohne vorherige Genehmigung außer bei Gefahr in Verzug (Antrag zu 1a) nach der Beeinträchtigung, die durch das Betreten der Mitarbeiter der Beklagten zum Zwecke der Zettelanbringung zu befürchten ist, und veranschlagt insoweit 50 €. Das hält sich im Rahmen des eingeräumten Ermessens.

9aa) Die Störung, deren Unterlassung die Klägerin mit diesem Antrag verfolgt, besteht im Wesentlichen darin, dass ihr Grundstück von den Mitarbeitern der Beklagten zum Zwecke der Zettelanbringung betreten wird. Ob theoretisch in der Zukunft Störungen denkbar sind, die über die zur Begründung des Antrags dargelegten Störungen hinausgehen und das Abwehrinteresse auf ein allgemeines Betretensverbot ausweiten könnten, ist für die wirtschaftliche Bewertung des Abwehrinteresses der Klägerin unerheblich (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation Senat, Urteil vom - V ZR 225/97, NJW 1998, 2368).

10bb) Eine höhere Bewertung ist auch nicht wegen der Rechtskraftwirkung des amtsgerichtlichen Urteils veranlasst. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist durch die Abweisung des Klageantrags zu 1a) nicht festgestellt, dass der Beklagte ein Betretensrecht zusteht.

11(1) Worin im konkreten Fall die festgestellte und daher für die Parteien maßgebliche Rechtsfolge besteht, muss jeweils aus dem Inhalt der Entscheidung entnommen werden. Handelt es sich dabei um ein klageabweisendes Urteil, dessen abstrakte Formel für sich allein keinen Aufschluss über den Streitgegenstand gibt, ist zunächst der Klageantrag zu betrachten und im Übrigen an Hand der Urteilsbegründung der ausschlaggebende Abweisungsgrund zu ermitteln (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 263/86, WM 1989, 1897, 1899; Urteil vom - V ZR 249/62, NJW 1965, 42; , NJW 1993, 3204, 3205; Urteil vom - I ZR 224/90, NJW 1993, 333, 334).

12(2) Hier hat das Amtsgericht nach den Entscheidungsgründen die Klage bezüglich des Antrags zu 1a) wegen Rechtsmissbrauchs und fehlender Wiederholungsgefahr als unbegründet abgewiesen. Damit hat es keine Aussage über die Rechtmäßigkeit des beanstandeten Verhaltens getroffen (vgl. zur Abweisung wegen fehlender Wiederholungsgefahr Anders/Gehle/Gehle, ZPO, 80. Aufl., § 322 Rn. 23 und zur entsprechenden Konstellation bei der Erstbegehungsgefahr , NJW 1990, 2469, 2470). Es ergibt sich daher aus der Klageabweisung nicht als kontradiktorisches Gegenteil, dass ein Betretensrecht der Beklagten besteht.

13Soweit in Rechtsprechung und Literatur zum Teil ausgeführt wird, bei Abweisung einer Unterlassungsklage stehe zugleich die Berechtigung der beklagten Partei zu dem von dem Antrag umfassten Handeln fest (vgl. BAG NZA 2020, 1491 Rn. 31; BAGE 144, 1 Rn. 90; Anders/Gehle/Gehle, ZPO, 80. Aufl., § 322 Rn. 40), umfassen derartige Aussagen soweit ersichtlich nur Konstellationen, in denen eine Klage wegen der fehlenden Rechtswidrigkeit der beanstandeten Handlung oder wegen des Bestehens einer Duldungspflicht als unbegründet abgewiesen wird (vgl. Anders/Gehle/Gehle, ZPO, 80. Aufl., § 322 Rn. 23). So liegt der Fall hier, wie ausgeführt, nicht.

14(3) Auch bei der Bemessung der Beschwer bezüglich des Antrags zu 1b) hält sich das Berufungsgericht mit den angenommenen 50 € im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens. Es schätzt den wirtschaftlichen Wert der Unterlassung des Anbringens von Informationszetteln im Hinblick auf die optische Beeinträchtigung und die Kosten für deren Entfernen als niedrig und sieht das erforderliche Betreten für das Anbringen von Zetteln unter Beachtung des grundsätzlichen Zutrittsrechts der Beklagten gemäß § 16 VBW bzw. § 7 ABE als geringfügige Beeinträchtigung an. Da das Amtsgericht auch diesen Antrag wegen fehlender Wiederholungsgefahr abgewiesen hat, scheidet eine Erhöhung des Werts im Hinblick auf eine weitergehende Rechtskraftwirkung aus.

15(4) Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Bewertung der Beschwer im Hinblick auf den Antrag zu 1c) mit 50 €. Gegenstand des Antrags, den das Amtsgericht wiederum wegen fehlender Wiederholungsgefahr abgewiesen hat, ist das Unterlassen von Maßnahmen ohne vorherige Information. Insoweit stellt das Berufungsgericht zutreffend darauf ab, welche wirtschaftliche Beeinträchtigung der Klägerin durch die fehlende Information erwächst.

IV.

16Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts orientiert sich an der Festsetzung des Berufungsgerichts.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:070722BVZB75.21.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2022 S. 1669 Nr. 24
CAAAJ-23365