BBK Nr. 12 vom Seite 567

Die Unveränderbarkeit der (Kassen-)Buchführung nach § 146 Abs. 4 AO im EDV-Zeitalter und INSIKA

Teil 1: Historische Wurzeln und Realzustand

Erich Huber, Jens Reckendorf und Dr. Norbert Zisky *

Das [i]Teutemacher, Aufbewahrung digitaler Unterlagen bei Bargeschäften – Checkliste für eine ordnungsgemäße Kassenführung, BBK 23/2012 S. 1073 NWB SAAAE-23904Verbot nicht erkennbarer Veränderungen nach § 146 Abs. 4 AO hat herausragende Bedeutung für die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit einer Buchführung. Die Vorschrift und ihre Vorgängerregelung stammen aus einer Zeit, als Aufzeichnungen nur mittels Tinte und Papier geführt wurden. Sachverständige Dritte konnten eine Buchführung so auf relativ einfache Weise verifizieren. Gleichwohl gilt die Unveränderbarkeit der Buchführung auch für Aufzeichnungen mittels digitaler Medien. Im Bereich der Kassensysteme stellt die Finanzverwaltung fest, dass ein unbekannter, aber hoher Anteil der verbreitet eingesetzten Einrichtungen und Geräte technisch und damit auch rechtlich unmittelbar gegen die Norm verstößt.

Die [i]www.insika.deAnforderungen an die Unveränderbarkeit der Buchführung gilt es nun in die digitale Welt zu transformieren. Das Konzept der „integrierten Sicherheitslösung für messwertverarbeitende Kassensysteme” (INSIKA) bietet eine Möglichkeit, Daten von Registrierkassen und Taxametern sicher aufzuzeichnen.

Dieser [i]Dreiteiliger Beitragdreiteilige Beitrag beschreibt die Bedeutung des § 146 Abs. 4 AO für den Vertrauensvorschuss des § 158 AO aus historischer und gegenwärtiger Sicht und stellt die rechtlichen Anforderungen für Registrierkassen und Kassensysteme dar. Die Probleme und Lösungsoptionen aus technischer und praktischer Sicht sind Gegenstand des zweiten Teils. Die INSIKA-Lösung wird im dritten Teil so dargestellt, dass sie auch ohne Vorkenntnisse von EDV-Sicherheitslösungen und Kryptographie verständlich ist.

Eine Kurzfassung des Beitrags finden Sie in .

Die Reihe „Die Unveränderbarkeit der (Kassen-)Buchführung im EDV-Zeitalter und INSIKA” gliedert sich in die folgenden Teile:

I. Unveränderbarkeit der (Kassen-)Buchführung – Zustand in der Gegenwart

Im [i]Hohes Risiko von Steuerausfällen bei BargeschäftenUmfeld der Registrierkassen und Kassensysteme existiert ein hohes Risiko endgültiger Steuerausfälle in den Wirtschaftsbereichen, in denen unmittelbar an EndS. 568kunden und überwiegend gegen Barzahlung [1] geleistet wird. Durch das unternehmerische Interesse z. B. an Mitarbeiterkontrolle, Unternehmensplanung oder Warenbewirtschaftung besteht Bedarf an umfassenden Informationen, den eine Fülle von Daten in Software-Systemen deckt. Nicht jeder Unternehmer wirtschaftet steuerehrlich, und so könnte die Finanzverwaltung diese Daten und Informationen gegen den Unternehmer verwenden, um zu prüfen, ob er seine Daten vollständig erfasst und als Grundlage der Besteuerung angegeben hat.

Die [i]Manipulationstechniken weit fortgeschrittenManipulationstechniken im Bereich der Kassenführung haben sich in den letzten 15 Jahren qualitativ hochgradig profiliert: Bei einfachen elektronischen Registrierkassen konnten in der Vergangenheit Umsätze durch plumpe Auslassungen in den Tagesabschlüssen verkürzt werden.

Beispiele

Unterdrückung des Aufdrucks der Trainingsbuchungen oder Stornos ohne Ausweis in den Berichten.

Aber [i]Software-basierte Manipulationen der Datenbankenseit etwa fünf Jahren sind „Zusatztools” auf dem Markt, die Daten nachträglich weitgehend spurlos verändern können, die sog. „Zapper”. Betroffen sind insbesondere PC-Kassen und proprietäre Kassensysteme mit ihren Back-office-Funktionen.

Hinweis:

Zweck [i]Nachträgliche Erzeugung manipulierter Datender betrugstechnischen Weiterentwicklung ist es, dem Unternehmer einerseits den größtmöglichen Überblick und die optimale Kontrolle über das Betriebsgeschehen auf der Ebene des Geschäftsvorfalls zu geben, und andererseits eben diesen Datenbestand anschließend ohne hohen Arbeitsaufwand hinsichtlich der erfassten Geschäftsvorfälle manipulativ nachbearbeiten zu können. Dabei werden Tagesabschlüsse und sogar Journale nachträglich auf Basis verminderter Umsatzzahlen erzeugt.

Diese Zapper [2] sind [i]Datenveränderungen bei Bedarfals Programme oder Programmbestandteile nicht permanent im System vorhanden und können daher bei einer Prüfungsmaßnahme nicht aufgefunden werden. Sie werden nur bei Bedarf zur Manipulation eingespielt. Finanzverwaltungen weltweit haben die Betrugsprogramme vermehrt [3] vorgefunden. Möglich ist diese Vorgehensweise nur unter permanentem Verstoß

  • gegen die Gebote der Ordnungsmäßigkeit in der Abgabenordnung (§§ 140 ff. AO) im Allgemeinen sowie

  • gegen das Verbot nicht erkennbarer Veränderungen des § 146 Abs. 4 AO im EDV-Umfeld der Buchführung und Aufzeichnungen im Besonderen. Und das, obwohl die Voraussetzungen für eine ordnungsmäßige Kassenführung klar definiert sind [4].

Die Vorschrift des § 146 Abs. 4 AO besagt im Wortlaut:S. 569

„Eine [i]§ 146 Abs. 4 AO zur Unveränderbarkeit der BuchführungBuchung oder eine Aufzeichnung darf nicht in einer Weise verändert werden, dass der ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar ist. Auch solche Veränderungen dürfen nicht vorgenommen werden, deren Beschaffenheit es ungewiss lässt, ob sie ursprünglich oder erst später gemacht worden sind.”

Die mangelnde Beachtung der Rechtsvorschrift erfolgt auf breiter Ebene [i]Verstoß gegen Abgabenrecht nach Feststellung der Finanzverwaltung weit verbreitet und ist den Experten [5] bekannt – dies ist der Ordnungsmäßigkeit von Rechenwerken wenig förderlich und für sich schon schlimm genug. Wesentlich schwerer aber wiegt die Tatsache, dass das derzeit außerhalb der Lehre herrschende Bewusstsein und Verständnis für § 146 Abs. 4 AO aus der Sicht der Ordnungsmäßigkeit und damit in weiterer Folge auch der Steuergerechtigkeit als realitätsfremd bezeichnet werden kann. Das gilt sowohl in rechtlicher als auch in technischer Hinsicht.

Hinweis:

Dieser [i]§ 158 AO: Vertrauensvorschuss in die Beweiskraft der BuchführungZustand birgt für den Unternehmer die Gefahr, für die Buchführung im Bereich der Kassen- und Bargeschäfte die Beweiskraft des § 158 AO und die Legitimation (Vertrauensvorschuss) zu verlieren. § 158 AO zur Beweiskraft der Buchführung ordnet an, dass „die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen sind.” Das gilt aber nur, soweit nach dem Einzelfall kein Anlass besteht, „ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden”.

II. Unveränderbarkeit der Buchführung als Voraussetzung für den Vertrauensvorschuss – Verhältnis von § 146 Abs. 4 AO und § 158 AO

§ 146 Abs. 4 AO [i]Grundsatz der Klarheitkonkretisiert nach herrschender Lehre [6] den Grundsatz der Klarheit und gewährleistet den Dokumentationszweck. Die Erfüllung des § 146 Abs. 4 AO ist eine der zentralen Vorbedingungen, damit ein sachverständiger Dritter die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und Aufzeichnungen beurteilen kann (§ 145 AO). Dies ist die Grundlage zur Klärung der Frage, ob der Vertrauensvorschuss des § 158 AO gültig ist.

Abb. 1: Die besondere Stellung des sachverständigen Dritten

S. 570

Jeder Prüfer ist durch seine berufliche Fachausbildung befähigt und kompetent und befindet sich in der Stellung des „sachverständigen Dritten” (vgl. Abb. 1). Der Prüfer

  • beurteilt die Erfüllung der Ordnungsmäßigkeitsvorschriften,

  • kann [i]Prüfschritte des sachverständigen Drittenermitteln, ob es Anlässe für Beanstandungen der sachlichen Richtigkeit gibt,

  • akzeptiert Buchführung und Aufzeichnungen, wenn es keine Anlässe zur Beanstandung gibt, so dass Buchführung und Aufzeichnungen der Besteuerung zugrunde gelegt werden können.

Die [i]Anforderungen der FormvorschriftenFeststellung, ob Bücher und Aufzeichnungen die allgemeinen Formvorschriften der §§ 140 ff. AO erfüllen, sind üblicherweise ja/nein-Entscheidungen.

Beispiele

Hat [i]Beispiele einfacher Fragender Unternehmer die Gebote der Vollständigkeit, Richtigkeit, Zeitgerechtheit und Ordnung befolgt? Hat er die Kasseneinnahmen und -ausgaben täglich festgehalten? Sind die Belege geordnet abgelegt? Sind die Daten der Buchführung und Aufzeichnungen auf Datenträgern während der Dauer der Aufbewahrungsfrist jederzeit verfügbar? Können sie unverzüglich lesbar gemacht werden?

Die [i]Früher: Prüfschritte wenig komplexBeurteilung der Buchführung und Aufzeichnungen setzt wohl Sachverständnis voraus, dabei stellen sich aber üblicherweise weniger komplexe ablauflogistische oder technische Probleme. Im Bereich der Buchführungssysteme kann diese Beurteilung nach über 80 Jahren Praxis mit dem aus § 162 Absatz 5 der Reichsabgabenordnung (RAO) hervorgegangenen § 146 Abs. 4 AO i. d. R. gut vollzogen werden. Im Umfeld der historischen Vorsysteme genügten die „Papier-/Tinte-/Bleistift-/Radierer-Normen” durchaus, um die Ordnungsmäßigkeit beurteilen zu können.

Ganz [i]Heute: Hoch komplexe Prüfschritte von Vorsystemenanders verhält es sich seit den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts bei den Prinzipien der Wahrheit und Klarheit im Bereich der weit verbreiteten elektronischen Vorsysteme „Registrierkasse und Kassensystem”. Durch die wirtschaftliche Größenstruktur der Betriebe in Mitteleuropa ist steuerlich eine große Anzahl kleinerer und mittlerer Unternehmen betroffen – von denen wiederum eine Vielzahl elektronische Aufzeichnungen nutzt. Der Durchsetzung des § 146 Abs. 4 AO kommt somit eine zentrale Rolle zu

  • sowohl im Bereich der formellen Ordnungsmäßigkeit

  • als auch im Bereich der sachlichen Richtigkeit

  • und damit auch für die Gleichmäßigkeit und Rechtmäßigkeit der Besteuerung.

Dies [i]Vorbedingung für den Vertrauensvorschussvor allem deshalb, weil § 146 Abs. 4 AO Vorbedingung für den Vertrauensvorschuss nach § 158 AO ist. Diese Beurteilung ist für den sachverständigen Dritten unter Umständen sehr diffizil; er muss kassentechnisch hoch qualifiziert sein.

Hinweis:

Es hat sich gezeigt, dass innerhalb der Finanzverwaltung keineswegs jeder Prüfer durch seine Fachausbildung zum Betriebsprüfer über ausreichendes Know-how verfügt, um die Erfüllung des § 146 Abs. 4 AO in jedem Kassensystem oder jeder Registrierkasse mit Gewissheit beurteilen zu können.

Das [i]Auch steuerliche Berater benötigen Spezialwissenliegt weniger an mangelnder Qualifikation als vielmehr an den tatsächlich oft „unsichtbaren” Kassen-Betrugsoptionen. Es ist unserer Ansicht nach darüber hinaus auch unwahrscheinlich, dass alle Angehörigen der beratenden Berufe im steuerlichen Kassenumfeld über solch detaillierte Kenntnisse verfügen.

In [i]Möglichkeit nachträglicher Änderungen erschüttert Vertrauen in die Buchführungseiner Bedeutung für § 158 AO darf beim Verbot nicht erkennbarer Veränderungen nicht außer Acht gelassen werden, dass Verstöße gegen die Aufzeichnungspflichten S. 571danach zu beurteilen sind, ob sie die Aussagekraft der Buchführung in ihrer Gesamtheit oder nur teilweise beeinträchtigen [7].

Wenn aus der Art und Technik der Aufzeichnungen, also dem Medium der Datenspeicherung, nicht feststellbar ist, ob Buchungen unerkannt veränderbar sind, kann auch nicht der Nachweis einer konkreten Veränderung geführt werden – und zwar systembedingt im Falle aller Buchungen.

Hinweis:

Veränderte [i]Veränderte Buchungen in ungesicherten Systemen nicht erkennbarBuchungen sind in einem offenen System ohne geeignete Sicherheitsvorkehrungen gar nicht erkennbar, da keine Rückschlüsse auf die ursprünglichen Buchungen nach deren Löschung gezogen werden können. Dies geht über Formalmängel weit hinaus und betrifft unmittelbar den Bereich der sachlichen Richtigkeit und damit die Grundlagen der richtigen Besteuerung.

[i]Besteuerungsgrundlagen müssen zutreffend festgestellt werden könnenEs spricht schon gegen die Annahme, dass Verstöße gegen das Gebot vollständiger und richtiger Dokumentation weniger schwer wiegen als die Nichteinhaltung der Vorschriften über die äußere Gestaltung der Dokumentation, dass es letztlich immer darauf ankommt, ob die Besteuerungsgrundlagen zutreffend festgestellt werden können [8].

Damit stehen aber gewichtige Umstände der Gewähr des rechtlich unbedenklichen Vollzuges der Bestimmung im Kassenbereich entgegen.

III. Historische Entwicklung der Aufzeichnungen und das Verbot nicht erkennbarer Veränderungen aus rechtlicher und technischer Sicht [9]

1. Zeitalter von Papier/Tinte/Bleistift/Radierer

Dr. Enno Becker [i]Verbot nicht erkennbarer Veränderungenformulierte in § 162 der Ende 1919 beschlossenen RAO die grundlegenden Kriterien und Vorgaben für formell ordnungsmäßige Buchführung und Aufzeichnungen. Sie alle bewegten sich im Bereich der Aufschreibung mittels mehr oder weniger dauerhafter Schreibmittel auf Papier. Das Verbot nicht erkennbarer Änderungen sollte den Verdacht nachträglicher Vertuschungen ausschließen, ebenso wie das Unleserlichmachen oder nachträgliche Änderungen, deren Zeitpunkt nicht erkennbar war. Leere Zwischenräume erhöhten die Gefahr nachträglicher Änderungen oder Hinzufügungen. Wurde nach vorläufigen Aufzeichnungen eingetragen, so waren diese auch aufzubewahren [10].

Eintragungen [i]Buchhaltung mit Tintemit Tinte dienten gleichfalls dem Zweck, nachträglich nicht erkennbare Änderungen auszuschließen – ebenso wie die Verwendung von Maschinenschrift und von Kohlepapier für Durchschläge. Bleistift wurde als nicht statthaft und als schwerer Mangel angesehen [11]. Tintenstift war nur dann gestattet, wenn Durchschriften angefertigt wurden. Später [12] wurden Kugelschreiber zugelassen, da sie meist innerhalb der Aufbewahrungsfrist eine Lesbarkeit gewährleisten – aber nur unter Gefahrtragung durch den Steuerpflichtigen. Noch 1955 wurden Kugelschreiber für die Kassenbelege als unzulässig angesehen [13]. S. 572

Auch [i]Nachvollziehbarkeit durch mitlaufende Journaledie mechanischen Registrierkassen der Vergangenheit fügen sich hier noch gut ein: Durch die mitlaufenden Journalstreifen, die mit dauerhaftem Druckmittel beschrieben wurden und ein Spiegelbild der ausgedruckten Kassenbelege darstellten, war die Unveränderbarkeit gewährleistet [14].

Die [i]Mechanische Zählwerkeabgelesenen und aufgeschriebenen Stände mechanisch laufender Zählwerke als Vorläufer der Summenspeicher in einfachen elektronischen Registrierkassen konnten aus den Zahlen der Rechenstreifen auf inhaltliche Richtigkeit rekonstruiert werden, wenn auch mit großem Aufwand. [i]Spektrum der Manipulationen war kleinerMechanisch waren Funktionen wie spurlose Trainingsbuchungen oder die Ausblendung von Master-Stornos als Verkürzungstrick einfach nicht möglich, da alle durchgeführten Buchungen aus dem Streifen ersichtlich waren. Technisch aufwendige Manipulationen während der Erfassung oder nachträglich waren nicht nötig – bei Bedarf wurde der Geschäftsvorfall einfach nicht eingegeben.

Gleichzeitig [i]Wunsch des Unternehmers nach Kontrolle seiner Mitarbeiterwar der Unternehmer, der nicht die ganze Zeit an der Kasse seines Betriebs anwesend war, an einer vollständig aufzeichnenden Kasse sehr interessiert, wenn seine Angestellten Geschäftsvorfälle abrechneten.

Zwischenfazit:

Der [i]Technische Qualifikation der Prüfer in überschaubarem Umfangsachverständige Dritte brauchte also über seine beruflich erlernten Buchhaltungskenntnisse hinaus in der Papier-/Tinte-/Bleistift-/Radierer-Zeit keine außergewöhnlich hohe technische Qualifikation [15], um die Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben feststellen zu können.

2. Übergang von der Papier-Buchführung zur Datenträger-Buchführung

Bei [i]Anpassung der Voraussetzungen in § 146 AOder Neufassung der AO trat § 146 AO an die Stelle von § 162 Abs. 1 bis 7 RAO und trug der technischen Entwicklung Rechnung; es entfielen damit die bisherigen Voraussetzungen wie [16]

  • gebundene, fortlaufend nummerierte Bücher,

  • keine leeren Zwischenräume,

  • kein Unleserlichmachen mittels Durchstreichen oder Radieren,

  • Eintragungen mit Tinte,

  • Aufbewahrung vorläufiger Aufzeichnungen,

  • Nummerierung von Belegen.

Andererseits [i]Maschinelle Lesbarkeit seit 2002 verlangtverlangte der Gesetzgeber [17], dass ab 2002 beim Einsatz von Datenträgern die Daten maschinell lesbar und auswertbar archiviert werden müssen. Daraus ist vordergründig und primär die Befürchtung der Praktiker erkennbar, dass in datenträgergestützten Rechenwerken Lesbarkeit und Auswertbarkeit nicht gegeben sein könnten, also die Gewähr, die Dateninhalte erkennen, verstehen und prüfungshalber verarbeiten zu können.

Der [i]Bedeutung des Kriteriums Unveränderbarkeit unterschätztfür die Ordnungsmäßigkeit sowie insbesondere die sachliche Richtigkeit fast noch wichtigere Bereich der Ursprünglichkeit von Buchungen wurde offenbar hinsichtlich der technischen Neuerungen nicht so sehr hinterfragt. Das betraf also die Frage, ob der sachliche Inhalt einer Buchung unter dem Grundsatz der Wahrheit und Klarheit original und unverändert gewährleistet ist. S. 573

Der zweite Satz des § 162 Abs. 5 RAO ging textlich ähnlich, der Bedeutung nach aber unverändert in § 146 Abs. 4 AO auf, jedoch ohne insbesondere auf die neue technische Umwelt wie Datenträgernutzung einzugehen.

Hinweis:

Daraus kann unserer Ansicht nach nur das Verständnis des Gesetzgebers abgeleitet werden, die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auch heute unter den jeweils gegebenen technischen Gegebenheiten hinsichtlich Vollständigkeit, Richtigkeit, Zeitgerechtheit, Sicherheit und Überprüfbarkeit vollinhaltlich umzusetzen – unabhängig von deren technischer Spezifikation.

Trzaskalik [i]Anpassung der bestehenden Vorgaben an neue Technologieführt als Grundsatz für die Anwendung neuer Verfahren an, „dass neue Buchführungstechniken die gleiche Zuverlässigkeit und Aussagekraft haben müssen, wie herkömmliche Techniken” [18]. Es muss also im Kern gewährleistet sein, dass eine Buchung nicht unerkennbar verändert werden kann. Nur wenn diese Aussage zutrifft, besteht die essentielle Grundlage für die Beurteilung der sachlichen Richtigkeit der Buchungen. Und auch nur dann kann der Vertrauensvorschuss von § 158 AO wirksam werden.

Stoll [19] betonte im österreichischen BAO-Kommentar 1994 zum Erfordernis der Unabänderbarkeit und Sicherheit der Eintragungen:

„… dass [i]Fortführung der bewährten Betrachtungsweisees sich bei den an die modernen Organisationen, Techniken und Buchführungsformen zu stellenden Anforderungen im Wesentlichen nicht um neue Prinzipien aufgrund neuer Erkenntnisse handle, sondern um das Ergebnis einer Fortführung und um eine neue Systematik in der alten (gemeint herkömmlich und bewährten) Betrachtungsweise. Die Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ändern sich nicht dadurch, dass die Buchhaltung [20] mit Hilfe moderner Techniken erstellt wird.

Mit der Veränderung der Technik, die zur Durchführung der Buchhaltung eingesetzt wird, ändert sich lediglich die Realisierung der mit Hinblick auf die EDV-Besonderheiten spezifischen Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit im technischen, nicht aber im Grundsatzbereich. In ihrem Kern ändern sich die klassischen Ordnungsmäßigkeitsgrundsätze somit nicht. Es sind lediglich bestimmte Aussagen der BAO [21] in die „neue Sprache der EDV-Welt” zu übersetzen. Die alten Grundsätze sind gültig und weiterhin anzuwenden. Sie seien den neuen Herausforderungen gewachsen, erwiesen sich als flexibel, akkomodabel und transportabel. … Es sei entscheidend, dass sich die allgemeinen (klassischen) Ordnungsmäßigkeitskriterien – entsprechend weitergeführt – in den computergestützten Buchführungssystemen verwirklicht finden [22]”.

In Abb. 2 auf [i]Synopse der Begriffe von der Papier- zur EDV-Buchführungden folgenden Seiten sind Begriffe, Abläufe, Verstöße und Maßnahmen sinnhaft in Korrespondenz ihrer Bedeutungen in der „alten” und der „neuen Sprache” samt ihren Inhalten dargestellt. Erkennbar ist eine Vielzahl gegenseitiger Entsprechungen, was Stolls Ausführungen durchaus bestätigt.

In den letzten vier Zeilen der Tabelle sind moderne Termini enthalten, zu denen es wohl eine inhaltliche Entsprechung in der „alten” Sprache gibt, die aber unter damaligen S. 574Verhältnissen als Ordnungsmäßigkeitsvoraussetzung zurecht als überzogen bezeichnet worden wären. Heute aber haben diese Begriffe durch die hohen Risiken der Veränderbarkeit auf der Datenebene durchaus elementare Bedeutung. Sie bilden eine Umsetzungsoption für das Verbot nicht erkennbarer Veränderungen.


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Terminus im Papier-/Tinte-/ Bleistift-/Radierer-Zeitalter
Inhalt, Vorgang, Zustand, Ergebnis
Terminus im EDV-Zeitalter
Tinte oder Kugelschreiber als Schreibmittel:
Primäre Unveränderbarkeit oder nur auffällige Veränderbarkeit.
Einrichtung zur Verhinderung der spurlosen Veränderbarkeit von Elementen in Datenbanksystemen; Verwendung von Dateiformen oder Dateistrukturen, die Veränderungen erkennbar machen.
Nummerierung:
Elemente werden in der (zeitlichen) Reihenfolge ihres Auftretens eindeutig identifizierbar gekennzeichnet.
Sequenznummerierung von Einzel- buchungen.
Gebundene Form und Nummerierung:
Verhinderung des spurlosen Entfernens von Elementen; Sicherstellung von Reihung, Ordnung, Chronologie.
Einrichtung zur eindeutigen temporären, chronologischen und inhaltlichen Ordnungs-Identifikation von Buchungen, um spurlose Löschungen zu verhindern.
Verwendung von Kohlepapier:
Durchschrift oder inhaltliches Duplikat als Ersatzunterlage bei Untergang des Originals.
Datensicherung auf nur beschreib- barem Datenträger.
Leserliches Durchstreichen:
Kennzeichnung einer Eintragung als ungültig; lesbare Aufhebung einer Eintragung.
Stornierung mit verbleibender Erkennbarkeit der Existenz des ursprünglichen Elements und seines Inhalts.
Vorläufige Aufzeichnungen:
Eintragungen in eine vor dem Hauptsystem liegende Voraufzeichnung.
Vorgelagertes System, Primärsystem.
Belassen eines leeren Zwischen- raumes:
Eröffnung der Option zur nach- träglichen Eintragung.
Offene Datenbank.
Verwendung entfernbarer Schreibmittel:
Schaffung der Voraussetzungen zur Veränderung der Inhalte.
Erfassung von Elementen unter dem Risiko der unmittelbaren Veränderbarkeit, z. B. in Datenbank ohne zusätzliche Einrichtungen zur Verhinderung spurloser Veränderung oder Löschung; Verwendung elektro- magnetischer oder elektronischer Speichermedien.
Grobes Radieren bis zur Unleserlichkeit; Unleserlichmachung, z. B. durch Übertuschung oder vielfaches Durchstreichen:
Ersatzlose Löschung von Inhalten (Wertlöschung), so dass Spuren der seinerzeitigen Existenz der Eintragung verbleiben.
Löschen eines Elements mit verblei-benden Spuren seiner früheren Existenz.
„Spurloses” Radieren; „glatte” Rasur; perfekter Tintenkiller:
Ersatzlose und spurlose Löschung der Inhalte ohne Verbleiben von Spuren der seinerzeitigen Existenz der Eintragung (Positions- und Wert- löschung).
Löschen eines Elements in der Datenbank ohne verbleibende Spuren seiner früheren Existenz.
Erneutes Beschreiben nach Radieren:
Ersetzen der Inhalte (Wertveränderung).
Veränderung von Elementen mit oder ohne Spuren der Veränderung.
S. 575
Ungewisser früherer Schreibinhalt vor Radieren/vor Unleserlichmachung:
Früher erfasste, jetzt nicht mehr erkennbare Elemente.
Gelöschte oder veränderte Elemente in Datenbank.
Unterbrochener Journalstreifen einer mechanischen Registrierkasse:
Bruch in der Aufzeichnungskontinuität.
Erkennbare Lücke in elektronischem Journal oder Datenerfassungsprotokoll als Hinweis auf Unvollständigkeit, Unrichtigkeit oder Unordnung.
Überkleben von mittels Tinte aufgeschriebenen Elementen mittels durchsichtiger Selbstklebefolie:
Sicherung gegen Veränderung, Unmöglichmachung der Veränderung.
Eintragung auf Datenträger mit Nur-Lesezugriff, z. B. CD, DVD.
Eintragung nummerierter Elemente mit Tinte in gebundenes Buch:
Erfassung der Elemente in der Reihenfolge ihres Auftretens in einer hinsichtlich Reihenfolge und Ordnung eindeutig nachprüfbaren Form auf einem nicht spurlos veränderbaren Medium.
Erfassung der Journaldaten samt Identifikationsmerkmalen (Sequenznummer, Zeitstempel) auf nur beschreibbarem Datenträger; „Fiskaljournal”.
Verschluss der einzelnen Aufzeichnungselemente in einem durchsichtigen und versiegelten Umschlag:
Eindeutige Identifizierbarkeit eines erfassten, nicht mehr veränderbaren Elements samt qualifizierter Nachprüfbarkeit von dessen inhaltlicher Information.
Digitale Signatur.
Übergabe einer Durchschrift der Aufzeichnungen an einen integren Dritten unmittelbar nach dem Aufzeichnungsvorgang:
Sicherung der Aufzeichnungselemente außerhalb der Verfügungsmacht des Aufzeichnenden.
Absenden der erfassten Elemente an einen integren Dritten zur Verwahrung, z. B. Übertragung von Elementen oder deren Dokumentation bei Cloud-Lösungen.

Abb. 2: Glossar zum Begriffswandel vom Papier hin zur EDV

Zwischenfazit:

Die [i]Alte Grundsätze sind neuen Anforderungen gewachsenalten Grundsätze wären sehr wohl den neuen Herausforderungen gewachsen, doch EDV-technisch wurde die zitierte „Übersetzung” Stolls nicht annähernd umfassend genug um- und durchgesetzt.

3. EDV-Zeitalter

Ab [i]Keine Differenzierung nach Art der DatenträgerEnde der 1970er Jahre kam die EDV immer stärker auf, und die Datenspeicherung wurde zugelassen, ohne sie nach der Art der Datenträger einzuschränken [23]. Darüber freuten sich die Experten und gingen seitdem davon aus, dass Bücher (und wohl auch Aufzeichnungen) bedenkenlos auf magnetischen Speichern [24]gespeichert werden könnten.

Damals gab es außer magnetischen Datenträgern, Mikrofilm und Lochstreifen noch keine anderen nutzbaren Datenträger. § 146 Abs. 4 AO wurde „nicht so richtig” beachtet, obwohl die gesetzliche Messlatte über die AO und über § 239 Abs. 3 HGB sehr hoch gesetzt worden war.

Hinweis:

Die [i]Versäumnis, genutzte Technologie zu hinterfragenFachgremien hinterfragten diesen Umstand viel zu wenig. Die Experten begnügten sich mit der Erlaubnis für „Datenträger” – und fragten nicht ernsthaft danach, ob und wie diese Bedingungen z. B. mit dem magnetischen Datenträger physikalisch erfüllt werden könnten. S. 576

Das Gesetz selbst differenziert nicht nach Datenträgern. Laut Trzaskalik [25] steht die Wahl des Datenträgers frei, falls die Dokumentation die den §§ 145, 146 Abs. 1 bis 4 AO entsprechenden Anforderungen Vollständigkeit, Richtigkeit, Zeitgerechtheit, Sicherheit und Überprüfbarkeit entspricht.

Der [i]Datenträger sind jederzeit veränderbarmagnetische Datenträger ist seiner Physik nach jederzeit veränderbar, ohne dass der ursprüngliche Inhalt festgestellt werden kann [26]. Seine Beschaffenheit lässt niemals erkennen, ob er verändert worden ist oder nicht. Ebenso verhält es sich mit elektronischen Speichermedien, z. B. Flash-Speicherkarten oder USB-Sticks. Gerade die magnetischen Datenträger und die elektronischen Speichermedien sind aber jene, die im Bereich der Aufzeichnungen mit Vorsystemen wie Registrierkassen und Kassensystemen bis heute eingesetzt werden.

4. Risiken und Systemanforderungen der Gegenwart

4.1 Theoretisch notwendige Anforderungen

Einzig [i]CD und DVD fälschungssicherer als magnetische Speicherdie opto-elektronischen Datenträger wie CD oder DVD wären nach Schuppenhauer [27] fälschungssicher und auch dauerhafter als magnetische Speicher. Jedoch könnten auch diese ausgelesen, verändert und auf einen neuen Datenträger geschrieben werden, der den alten ersetzt. Daneben fügt Schuppenhauer noch hinzu, dass dieses Ergebnis für manchen überraschend sein mag oder unbequem. Seines Erachtens sollte sich die Fachwelt gründlich damit auseinandersetzen – was bisher wohl noch nicht geschehen ist.

Eine [i]Administrative Schutzmaßnahmenmögliche Lösung sind administrative Schutzmaßnahmen [28]. Der Buchführungspflichtige müsse seine Datenverwaltung so organisieren, dass Buchungsdaten nachträglich nicht mehr verändert werden könnten.

Beispiel

Absolute Sperren, nachträgliche Änderungen nur durch Storno und Neueinbuchung, Protokollierung von Änderungen.

Nachträgliche [i]Nachträgliche Änderungen nur bei Speicherung auch des ursprünglichen ZustandsÄnderungen müssten so vorgenommen werden, dass der vorherige Zustand mit abgespeichert wird. Die Fälschungssicherheit bei der Datenspeicherung wie auch der Datenübermittlung (z. B. Ordermen [29]) könnte erhöht werden durch zusätzliche Sicherungen, z. B. Abstimmsummen, Hash-totals oder auch Signaturverfahren.

Neben [i]Schutz vor Manipulationden sinngemäß weiter gültigen „alten” Anforderungen sind im elektronischen Buchführungsbereich Maßnahmen zum Schutz des Buchungswerks vor Manipulation [30] zu treffen. Moderne EDV-Buchführungsprogramme müssen programm- mäßige Sicherungen und Sperren enthalten, die verhindern, dass einmal eingegebene Daten dem Zugriff zur Wiederaufbereitung (Änderung) preisgegeben sind. Das muss bereits vom Zeitpunkt der erstmaligen Speicherung an gewährleistet sein – nicht erst nach durchgeführter Verarbeitung.

Die [i]Überschreiben oder Löschen müssen erkennbar seineingesetzten Datenträger müssen so eingerichtet sein, dass nachträglich vorhandene Daten weder vollständig noch teilweise gelöscht und neue Daten nicht ohne Kenntlichmachung eingespielt werden können. Dazu hat der Steuerpflichtige programmmäßige Vorkehrungen zu treffen. Änderungen wie Überschreiben oder Löschen müssen erkennbar sein. S. 577

4.2 Praktische Umsetzung

Nun [i]Sicherheitsmaßnahmen wenig verbreitetsind aber die beschriebenen Sicherheitsmaßnahmen in der Praxis der digitalen Grundaufzeichnungen nach wie vor nicht oder kaum vorzufinden. Als zusätzliches Problem stellt sich die Frage der realen Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen zur Datenintegrität, wenn viele der als „moderne” Sicherheiten eingebauten und teuer verkauften Einrichtungen mangels Redundanz wieder zu „knacken” sind.

Beispiele

Die Schlüsselproblematik digitaler Signaturen oder die Erzeugung von Vollständigkeitsprotokollen aus der Datenbank nach Veränderung der Buchungen.

Das [i]Bisheriges Vertrauen in die Z-Abschlüsse ist technisch überholtunter Betrachtung der Realzustände im Kassenbereich in den letzten Jahren schon nahezu als naiv zu bezeichnende Vertrauen der Praxis in die Z-Abschlüsse ist technisch vollkommen überholt. Bei „einfachen” summenspeicherbasierten Registrierkassen boten solche Gerätschaften aufgrund des rechenmaschinenartigen programmtechnischen Automatismus ursprünglich eine relativ hohe Gewähr für die Vollständigkeit.

Mittlerweile [i]Editorfunktion für Z-Bonsgibt es Registrierkassen, die durch optimierte Programmierung Editorfunktionen [31] für die Z-Bons eröffnen. Damit kommt unter den derzeit herrschenden Verhältnissen und der damit verbundenen Unsicherheit der fortlaufenden Nummer, dem Datum, der Uhrzeit und den ausgewiesenen Beträgen tatsächlich keinerlei Gewissheit mehr zu.

Hinweis:

Mit dem Tagesabschluss aus Kassensystemen (mit Ausnahme der „einfachen” Registrierkasse) legt sich der Steuerpflichtige zwar auf bestimmte Beträge als zu verbuchende Tageseinnahmen fest – aber durch die Dokumentation auf dem Tagesabschluss (Z-Bon oder wie er sonst auch immer bezeichnet wird) ist die vollständige Erfassung dieser Beträge noch keineswegs als tatsächliche Tageseinnahmen gewährleistet.

Zusätzlich müssen aber diese Manipulationsfunktionen an der Kasse erst einmal in einer Betriebsprüfung erkannt werden. In proprietären Systemen oder bei „optimiert” programmierten elektronischen Registrierkassen sind sie bei regulärer Kassenprüfung meist gar nicht aufzufinden, sondern eröffnen sich erst, wenn das Kassensystem mit einem Back-office-Rechner wie einem PC verbunden wird.

Die [i]VerfahrensdokumentationBeschreibung dieser Funktionen wäre eine der wichtigsten Inhalte der Verfahrensdokumentation. Doch ist sie in der Praxis nicht immer im Handbuch enthalten und daher werden auch üblicherweise diese Funktionen mangels Erkennbarkeit in der Betriebsprüfung nicht geprüft.

Hinweis:

Im [i]Einsatz von Manipulationssoftware strafbarBereich der Vorsysteme führt der Einsatz eines Manipulationsprogramms [32] auch ohne Nachweis einzelner Verstöße zur Nicht-Ordnungsmäßigkeit der (Kassen-)Buchführung. Der Einsatz mit Hilfe von Manipulationsprogrammen erstellter Kassenaufzeichnungen als Eigenbelege (z. B. Z-Bon mit „Wunschzahlen” aus einem Editor) kann bereits nach § 379 Abs. 1 Nr. 1 AO [33] strafbar sein. Der Vertrieb von manipulationseröffnenden Programmen mit dem Verkaufsargument der Manipulationsoption kann Anstiftung oder Beihilfe nach § 370 AO (Steuerhinterziehung) sein und zur Haftung nach § 71 AO führen.S. 578

IV. Notwendigkeit einer angepassten Interpretation des § 146 Abs. 4 AO

§ 146 Abs. 4 AO [i]Keine Gesetzesänderung notwendigbraucht nicht umformuliert zu werden. Aber die Durchsetzbarkeit der Vorschrift sollte in einer zeitgemäßen technischen Sicherheitslösung im Verfahrensrecht verankert sein und sich mittels geeigneter Steueraufsichts- und Prüfungsmaßnahmen umsetzen lassen. Die Machbarkeit ihres – tatsächlich flächendeckenden – Vollzugs einschließlich der steuerlichen Folgen scheitert seit über 30 Jahren an der mangelnden inhaltlichen und technischen Auseinandersetzung mit der Vorschrift und an den gegenwärtigen Umständen im Bereich der elektronischen Aufzeichnungen.

Wohl prüft die Finanzverwaltung im Kassenbereich mit zunehmend optimiertem Kassen-Know-how in größerem Ausmaß. Allein durch die in Ansehung des Verbreitungsgrades von spurloser Datenveränderung in Vorsystemen dennoch ungenügende Prüfungsdichte ist die flächendeckende Umsetzung der Ordnungsmäßigkeit und damit der Gleichmäßigkeit und Rechtmäßigkeit der Besteuerung keinesfalls zu erreichen.

Hinweis:

Es [i]Abgabenrecht gilt auch für Vorsysteme wie Kassenmuss sich das allgemeine Bewusstsein verbreiten, dass die Bestimmung des § 146 Abs. 4 AO in ihrer Geltung nicht erst bei der Buchführung anfängt, sondern auch schon für die Ordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen durch Vorsysteme maßgebend ist.

Die [i]Prüfungsdichte bleibt zwangsläufig zu niedrigLösung besteht also weder in einer unnötigen Rechtsanpassung hinsichtlich der Unveränderbarkeit an sich noch in vermehrter, aber dennoch unvermeidbar viel zu geringer Prüfungsdichte, wenn nahezu alle Systeme „offen” sind. Darüber hinaus herrscht im Bereich der Bar-Kassen großflächig ein Zustand vollkommener Ignoranz gegenüber § 146 Abs. 4 AO. Für eine definitive Durchsetzung fehlt schlicht und einfach die Technik,

  • die einerseits mittels machbarer Mechanismen und unmittelbarer Wirkungsorientierung zu mehr Kassensicherheit führt und Schwindeleien verhindern kann,

  • und andererseits durch tatsächliche prozesslogische und technische Erfüllung der Ordnungsmäßigkeitsgebote samt deren Prüfbarkeit und Kontrollierbarkeit allen rechtschaffenen Betroffenen [34] einen Anspruch auf den Vertrauensvorschuss des § 158 AO einräumt und auch tatsächlich gewährleisten kann.

Eben diese Technik müsste aber über das Verfahrensrecht implementiert werden. Seer schreibt hierzu [35]:

„In dem für Manipulationen besonders anfälligen Bereich von Kassen- und Bargeschäften (…) sind in letzter Zeit mit erheblicher krimineller Energie und Unterstützung spezieller Kassensoftware neue Möglichkeiten entwickelt worden, um einer manipulierten Buchhaltung den Anschein der formellen Ordnungsmäßigkeit zu geben. Die Perfektionierung der Prüfsoftware und damit die einhergehende Ausbildung der Betriebsprüfer (…) ist geboten, weil sich für den Bereich der Kassen- und Bargeschäfte mit Hilfe herkömmlicher Prüfungsmethoden vielfach kaum mehr Aussagen über die Ordnungsmäßigkeit einer Buchführung machen lassen. Es besteht die Gefahr, dass dadurch im Bereich der Kassen- und Bargeschäfte die Beweiskraft des § 158 ihre Legitimation (Vertrauensvorschuss) verliert. (…) [i]Sicheres System Voraussetzung für Vertrauensvorschuss S. 579 Eine Lösungsmöglichkeit könnte de lege ferenda darin bestehen, die Rechtsvermutung des § 158 an die Verwendung eines zertifizierten Fiskalspeichers, der dem Standard einer „Integrierten Sicherheitslösung für messwertverarbeitende Kassensysteme – INSIKA” (…) entspricht, zu knüpfen.”

FAZIT

Durch die nach wie vor nicht erfolgte technische Umsetzung der Anforderungen des § 146 Abs. 4 AO angesichts der Möglichkeiten und Risiken digitaler Datenaufzeichnungen konnten speziell bei Registrierkassen und Taxametern umfangreiche Manipulationsmöglichkeiten entstehen. Durch Betriebsprüfungsmaßnahmen sind diese – jedenfalls flächendeckend – nicht zu verhindern, so dass eine systematische Lösung unbedingt erforderlich erscheint.

Bei allen Schwierigkeiten der Steuerverwaltung mit Kassenmanipulanten darf daneben keinesfalls jene Gruppe der Kassenanwender vergessen werden, die steuerehrlich aufzeichnen wollen, sich aber durch technische Unzulänglichkeit der Systeme im Bereich der Beweisbarkeit der Ordnungsmäßigkeit ihrer Unterlagen überaus schwer tun. Sie kommen womöglich dadurch „unschuldig” unter die Räder des mangelnden Vertrauens.

Die [i]Teil 2 zu Lösungsoptionen, Teil 3 im Detail zu INSIKALösung kann nur umfassend angegangen werden durch eine finanziell und organisatorisch machbare technische Lösung, die darüber hinaus in der gesamten Breite über alle Betriebe angewandt werden kann. Eine Möglichkeit besteht bereits im INSIKA-System, wie in den zwei weiteren folgenden Beitragsteilen gezeigt werden soll.

Autoren

Erich Huber
ist Leiter des Bereiches Prüfungs- und Analysetechnik im Risiko-, Informations- und Analysezentrum des österreichischen BMF und hat in beratender Funktion am INSIKA-Projekt mitgewirkt.

Jens Reckendorf
ist bei der Vectron Systems AG, einem Hersteller von Kassensystemen, für die Produktentwicklung verantwortlich und war für Vectron im INSIKA-Projektkonsortium tätig.

Dr. Norbert Zisky
ist Leiter der Arbeitsgruppe „Datenkommunikation und -sicherheit” bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt und war Projektleiter des INSIKA-Projekts.

Fundstelle(n):
BBK 2013 Seite 567 - 579
NWB MAAAE-37806

1Schon historisch wurde dieser Wirtschaftsbereich stets als fiskalisch hochriskant angesehen, vgl. Becker, RAO-Komm, 7. Auflage 1930, und dort den Verweis auf die Verordnung über Buchführung auf wertbeständiger Grundlage nach Art. I § 32 der II. StRBO vom (RStBl S. 36), „welche besonders für Betriebe, die wie Bäckereien, Konditoreien, Schlachtereien hauptsächlich Bareinnahmen haben, an die vollständige Aufzeichnung der Tageseinnahmen scharfe Forderungen stellt.”

2Vgl. Huber, Steueraufsicht und Betriebsprüfung in der Zeit der Kassenandroiden und ohne INSIKA – Grundgedanken, Ziele, Risiken und zweitbeste Lösungen, Beitragsserie in StBp 11/2012 bis 4/2013. Vgl. auch Härtl/Schieder, Ordnungsmäßigkeit digital geführter Erlösaufzeichnungen – elektronische Registrierkassen und digitale Erlöserfassungssysteme im Brennpunkt des Steuerrisikos Erlösverkürzung, Beitragsserie in StBp 2-4/2011 und 1/2013, sowie Huber, Über Registrierkassen, Phantomware, Zapping und Fiskallösungen aus Deutschland und Österreich, Beitragsserie in StBp 6/2009 bis 12/2009.

3Vgl. Ainsworth, Electronic Tax Fraud – Are there „Sales Zappers” in Japan?, Boston University School of Law Working Paper No. 08-31, www.bu.edu/law/faculty/scholarship/workingpapers/documents/AinsworthR102708.pdf.

4Vgl. Teutemacher, Aufbewahrung digitaler Unterlagen bei Bargeschäften – Checkliste für eine ordnungsgemäße Kassenführung, NWB SAAAE-23904.

5Vgl. Schuppenhauer, GoDV-Handbuch, 6. Aufl., München 2007, S. 288.

6Vgl. Drüen, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 146 Tz. 58.

7Vgl. Trzaskalik, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 176. Erg.-Lfg., Köln, vor § 140 - 148 AO, Rz. 44.

8Vgl. Becker/Riewald/Koch, § 208 RAO Anm. 1, zit. bei: Trzaskalik, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 176. Erg.-Lfg., Köln, vor § 140 - 148 AO, Rz. 46.

9Vgl. Huber, StBp 2012 S. 76.

10§ 162 Abs. 2 Satz 2 RAO.

11Siehe Becker/Riewald/Koch, RAO, 9. Aufl., S. 36.

12BdF-Erlass vom , BB 1952 S. 538.

13BdF-Erlass vom , BZBl 1955 S. 87.

14Schwindel mit mechanischen Kassen setzte üblicherweise Manipulationen mit dem Papierstreifen voraus (Abschneiden und Kleben mit der Ausrede: „Ist leider eingerissen”). Diese Manipulationen fielen aber formell nahezu immer auf. Ratschlag aus einer alten Prüfungsanleitung: Ausrollen der Kassenrollen auf dem längsten Gang des Finanzamtes und Nachmessen der Länge.

15Vgl. Huber, StBp 2012 S. 76.

16Vgl. § 162 Abs. 4 bis 6 RAO.

17§ 146 Abs. 5 Sätze 2 und 3 i. d. F. des Steuersenkungsgesetzes vom .

18Trzaskalik, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 176. Erg.-Lfg., Köln, § 146 AO Tz. 29.

19Stoll, Bundesabgabenordnung - BAO, S. 1469, mit Hinweis auf Kurz, SWK 1990 C41.

20Anmerkung der Verfasser: Das gilt wohl sinngemäß auch für die Erstellung der Grundaufzeichnungen mittels Vorsystemen.

21Anders als in der AO sind in der österreichischen Bundesabgabenordnung (BAO) die „alten Grundsätze” (korrespondierend mit § 162 Abs. 4 bis 6 RAO) in modifizierter Ausdrucksweise noch enthalten.

22Stoll, Bundesabgabenordnung - BAO, S. 1470.

23Schuppenhauer, GoDV-Handbuch, 6. Aufl., München 2007, S. 288.

24Magnetband, z. B. DLT, Magnetkarte, Magnetstreifen, Diskettenlaufwerk, Trommelspeicher, Festplatte.

25Trzaskalik, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 176. Erg.-Lfg., Köln, § 146 AO Tz. 29.

26Schuppenhauer, GoDV-Handbuch, 6. Aufl., München 2007, S. 289.

27Schuppenhauer, GoDV-Handbuch, 6. Aufl., München 2007, S. 290.

28Schuppenhauer, GoDV-Handbuch, 6. Aufl., München 2007, S. 291.

29Die Praxis der Bp zeigt, dass auch dort derzeit Schwindel an der Tagesordnung ist. Die tragbaren Eingabegeräte können nur externe Tastaturen sein oder aber selbständige Kassen, die wahlweise programmgesteuert die Umsatzdaten an die Hauptkasse abliefern („konsolidieren„) oder die Umsatzdaten selbständig speichern können (Concealer). Im Tagesabschluss der Hauptkasse sind diese Umsätze dann nicht enthalten.

30Drüen, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 146 Tz. 59.

31Siehe Huber, Steueraufsicht und Betriebsprüfung in der Zeit der Kassenandroiden und ohne INSIKA – Grundgedanken, Ziele, Risiken und zweitbeste Lösungen, StBp 2013 S. 37.

32Vgl. Härtl/Schieder, StBp 2011 S. 74.

33§ 379 Abs. 1 Nr. 1 AO: „Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig 1. Belege ausstellt, die in tatsächlicher Hinsicht unrichtig sind, ...”

34Marcus Tullius Cicero „Summa ius summa iniura”, de officiis 1, 33: „Auf die Spitze getriebenes Recht kann schwerstes Unrecht bedeuten.”

35Seer, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 158 Tz. 21b.