Umsatzsteuer: Voraussetzungen für eine Aufrechnung in Bauträgerfällen
Leitsatz
1. Hat ein Bauunternehmer seine Ansprüche auf Nachzahlung von Umsatzsteuer gegenüber einem Bauträger, an den er zuvor Bauleistungen unter fälschlicher Anwendung der Umkehr der Steuerschuldnerschaft erbracht hatte, an das Finanzamt abgetreten, so kann das Finanzamt abgetretene, noch nicht verjährte Nachzahlungsansprüche des Bauunternehmers gegen einen sich aus dem berichtigten Umsatzsteuerbescheid des Bauträgers ergebenden Erstattungsanspruch aufrechnen.
2. Die Nachzahlungsansprüche des Bauunternehmers sind auch nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist noch nicht verjährt, wenn sich der Beginn der Verjährungsfrist gem. § 199 Abs. 1 BGB in Fällen unsicherer und zweifelhafter Rechtslage ausnahmsweise wegen Rechtsunkenntnis des Bauunternehmers hinausgeschoben hat.
Gesetze: Umsatzsteuer-Richtlinie Nr. 182a Abs. 11
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt) gegen einen Erstattungsanspruch der Klägerin mit abgetretenen Ansprüchen anderer Unternehmer aufrechnen durfte.
Die Klägerin ist Bauträgerin. Im Jahr 2012 bezog sie zahlreiche Eingangsleistungen von Bauunternehmern, bei denen die Klägerin und die leistenden Unternehmer übereinstimmend davon ausgingen, dass entsprechend Abschn. 182a Abs. 11 der Umsatzsteuerrichtlinien (UStR) 2005 die Klägerin als Leistungsempfängerin die Umsatzsteuer schulde.
Für das Jahr 2012 gab sie am eine Umsatzsteuererklärung ab, in der sie die Umsatzsteuer, die vom Leistungsempfänger geschuldet wird, mit 927.150,95 € und die Umsatzsteuerschuld insgesamt mit 903.217,16 € ermittelte. Dabei ging sie von der Rechtsauffassung in Abschn. 182a Abs. 11 UStR 2005 aus. Die Umsatzsteuererklärung wirkte als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Am gab die Klägerin eine berichtigte Umsatzsteuererklärung ab, in der sie sich auf die Rechtsgrundsätze des (BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128) bezog und die Umsatzsteuer, die vom Leistungsempfänger geschuldet wird, mit 791.152,78 € und die Umsatzsteuerschuld insgesamt mit 767.218,99 € ermittelte.
Das Finanzamt stimmte der berichtigten Umsatzsteuererklärung nicht zu, sondern erließ am einen geänderten Umsatzsteuerbescheid, der Gegenstand eines gesonderten Klageverfahrens ist und in dem es die Umsatzsteuer, die vom Leistungsempfänger geschuldet wird, mit 865.717,33 € feststellte und die Umsatzsteuer insgesamt auf 841.783,54 € festsetzte. Die Herabsetzung der Umsatzsteuer beruhte auf der Anwendung der Rechtsgrundsätze des BFH-Urteils in BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128, soweit nach Auffassung des Finanzamts die tatsächlichen Voraussetzungen nachgewiesen waren. Daraus ergab sich ein Erstattungsbetrag von 61.433,62 €, gegen den das Finanzamt mit Erklärung vom , zugestellt am , mit abgetretenen Ansprüchen von sieben Bauunternehmern (Zedenten) aufrechnete. Die einzelnen Forderungen ergeben sich aus der Einspruchsentscheidung und aus den Abtretungserklärungen auf Bl. 14 ff. der vom Finanzamt vorgelegten Aktenheftung. Die Klägerin hat darüber einen Abrechnungsbescheid angefordert, in dem das Finanzamt entschied, dass der Erstattungsanspruch durch Aufrechnung erloschen sei. Der dagegen eingelegte Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.
Mit der daraufhin erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, die Voraussetzungen für eine Aufrechnung lägen nicht vor. Die Verträge mit den Zedenten seien im Vertrauen auf die seinerzeit geltende Rechtsauffassung der Finanzverwaltung ohne Mehrwertsteuer abgeschlossen worden. Jedenfalls seien etwa bestehende Nachzahlungsansprüche der Zedenten verjährt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Abrechnungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom zu ändern und einen Erstattungsanspruch von 61.433,62 € festzustellen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Beide Beteiligte haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Der Abrechnungsbescheid verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO-). Zwar ergab sich aus dem Umsatzsteuerbescheid 2012 vom unter Berücksichtigung der zuvor geleisteten Zahlungen ein Erstattungsanspruch der Klägerin in der geltend gemachten Höhe. Dieser Erstattungsanspruch ist aber erloschen, weil das Finanzamt durch Abtretung von den Zedenten Ansprüche gegen die Klägerin in gleicher Höhe erworben und mit diesen Ansprüchen wirksam aufgerechnet hat. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
1. Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche gelten nach § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, soweit nichts anderes bestimmt ist. Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann nach § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Die Aufrechnung erfolgt nach § 388 Satz 1 BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Sie bewirkt nach § 389 BGB, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind. Eine Forderung, der eine Einrede entgegensteht, kann nach § 390 BGB nicht aufgerechnet werden.
2. Nach diesen Grundsätzen hat das Finanzamt durch die Erklärung vom wirksam aufgerechnet, so dass der Erstattungsanspruch der Klägerin erloschen ist.
Das Finanzamt hatte gegen die Klägerin Ansprüche in entsprechender Höhe aus abgetretenem Recht der Zedenten. Die Zedenten konnten von der Klägerin die Nachzahlung der Umsatzsteuer verlangen, die sich aus den in irriger Annahme einer Umkehr der Steuerschuldnerschaft abgeschlossenen und durchgeführten Verträgen ergab, und haben diese Zahlungsansprüche gemäß § 27 Abs. 19 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) an das Finanzamt abgetreten.
aa) Sind der leistende Unternehmer und der Leistungsempfänger im Vertrauen auf Abschn. 182a Abs. 11 UStR 2005 davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG alter Fassung die Umsatzsteuer schulde, obwohl dies nach den Grundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128 nicht der Fall war, hat der leistende Unternehmer gegen den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Zahlung der für die Leistung gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer, der sich aus § 313 Abs. 1 BGB ergibt (, BFHE 257, 177, BStBl. II 2017, 760, Rz 50 ff.). Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann nach dieser Vorschrift die Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
bb) So verhält es sich im Streitfall. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Zedenten an die Klägerin Umsätze ausgeführt haben, bei denen beide Seiten wegen der damals veröffentlichten Rechtsauffassung der Finanzverwaltung irrig annahmen, dass die Klägerin die Umsatzsteuer schulde, und dementsprechend abrechneten. Die Klägerin hat dies in ihrer Einspruchsbegründung ausdrücklich hervorgehoben. Insofern bestehen Nachzahlungsansprüche dem Grunde nach. Die Nachzahlungsansprüche bestehen auch in der angegebenen Höhe. Die Zedenten haben in den Abtretungserklärungen versichert, dass die abgetretenen Ansprüche bestehen und ihnen keine Beeinträchtigungen bekannt sind, die ihnen entgegen gehalten werden könnten. Für den Senat besteht kein Anlass, diese Versicherungen anzuzweifeln. Die Zedenten sind sämtlich Unternehmer und es ist davon auszugehen, dass sie eine solche Versicherung nicht ungeprüft angegeben haben. Es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte, dass die Versicherungen wider besseres Wissen abgegeben worden sein könnten.
Diesen Ansprüchen stand auch nicht die Einrede der Verjährung entgegen.
aa) Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt nach § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem (1.) der Anspruch entstanden ist und (2.) der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Dabei ist es aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich ausreichend, wenn der Gläubiger die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen sich der Anspruch ergibt. Ausnahmsweise kann Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag. In diesem Fall fehlt es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn (st. Rspr. z. B. , BGHZ 204, 30, Rz 38, m.w.N.). Ist der Beginn der Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 1 BGB in Fällen unsicherer und zweifelhafter Rechtslage ausnahmsweise wegen der Rechtsunkenntnis des Gläubigers hinausgeschoben, beginnt die Verjährung mit der objektiven Klärung der Rechtslage. Auf die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von dieser Klärung kommt es nicht an (, ZIP 2008, 2164, Leitsatz 1).
bb) Nach diesen Grundsätzen verjähren die Nachzahlungsansprüche nicht vor dem , da der Beginn der Verjährungsfrist nicht vor dem ausgelöst wurde. An diesem Tag hat der BFH sein Urteil vom V R 16, 24/16 (BFHE 257, 177, BStBl. II 2017, 760) veröffentlicht. Dieses Urteil war die erste höchstrichterliche Entscheidung über mögliche Nachzahlungsansprüche. Davor war hinsichtlich der Nachzahlungsansprüche der Zedenten die Rechtslage nicht im vorgenannten Sinne geklärt. Es bestand weder eine gefestigte Rechtsprechung noch eine einhellige Auffassung im Schrifttum. Soweit ersichtlich, waren lediglich eine obergerichtliche Entscheidung (, NJW 2017, 677) und widersprüchliche erstinstanzliche Entscheidungen ergangen (für einen Nachzahlungsanspruch , juris; dagegen , UR 2016, 720). Auch im Schrifttum war umstritten, ob Nachzahlungsansprüche bestanden (vgl. die Nachweise bei LG Düsseldorf, Urteil in UR 2016, 720). Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob es für die Verjährung des Nachzahlungsanspruchs des leistenden Unternehmers gegen den Leistungsempfänger auch darauf ankommt, ob der leistende Unternehmer seinerseits erwarten musste, von der Finanzverwaltung in Anspruch genommen zu werden (vgl. OLG Köln, Urteil in NJW 2017, 677, Rz 21).
cc) Im Übrigen wären die abgetretenen Ansprüche bei Erklärung der Aufrechnung selbst dann nicht verjährt gewesen, wenn, wie die Klägerin meint, schon die Veröffentlichung des BFH-Urteils in BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128 den Beginn der Verjährungsfrist ausgelöst hätte. Der BFH hat dieses Urteil am veröffentlicht, so dass die Verjährungsfrist am begonnen hätte und am Verjährung eingetreten wäre. Die Aufrechnungserklärung datiert vom und wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin am übergeben, wie sich aus der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde ergibt. Damit war die Aufrechnung vor dem bewirkt. Dass der Abrechnungsbescheid erst im Januar 2017 erging, ist insoweit unschädlich.
Der Senat hat auch keine Hinweise, dass die Abtretung oder die Aufrechnung aus anderen Gründen unzulässig oder unwirksam gewesen sein könnten.
3. Die Revisionszulassung beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Frage, wann in Fällen, in denen der leistende Unternehmer und der Leistungsempfänger im Vertrauen auf Abschn. 182a Abs. 11 UStR 2005 davon ausgegangen sind, dass der Leistungsempfänger nach § 13b Abs. 2 UStG alter Fassung die Umsatzsteuer schulde, obwohl dies nach den Grundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128 nicht der Fall war, die Verjährung des Nachzahlungsanspruchs beginnt, ist von grundsätzlicher Bedeutung.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
EFG 2018 S. 533 Nr. 7
ZAAAG-79399