IWB Nr. 13 vom Seite 521

„Finale“ ausländische Betriebsstättenverluste – back to the roots

„Bevola und Jens W. Trock“

David Heckerodt *

[i]EuGH, Urteil v. 12.6.2018 - Rs. C-650/16 „Bevola und Jens W. Trock“ NWB PAAAG-87352 Durch das Grundsatzurteil „Marks & Spencer“ des EuGH im Jahr 2005 und die damit einhergehende Geburtsstunde der europarechtlichen „Finalen Verluste“-Doktrin begann eine nun fast 13jährige Interpretation der teils umstrittenen jedoch fiskalisch höchst bedeutsamen EU-Rechtsprechung zu dieser Problematik. Aufgrund des 2015 ergangenen EuGH-Urteils „Timac Agro“, bei dem der Gerichtshof abermals über die grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung bei Freistellungsbetriebsstätten in zwei Vorlagefragen zu entscheiden hatte, verlautbarte die Mehrheit in der Fachliteratur [1] und auch der BFH in einem Urteil v.  [2] eine Kehrtwende in Bezug auf die Berücksichtigung „finaler“ Verluste – insbesondere bei Freistellungsbetriebsstätten. Dass der EuGH mit dem „Timac Agro“-Urteil jedoch keine Abkehr von seiner bis dahin gefestigten Rechtsprechung zur „finalen“ Verlustberücksichtigung bei Betriebsstätten einläuten wollte, stellte er in dem jüngst ergangenen Urteil zur Rechtssache „Bevola und Jens W. Trock“ v.  klar.

Kernaussagen
  • Die (objektive) Vergleichbarkeitsprüfung bei der Auslegung der europäischen Grundfreiheiten muss stets das mit der fraglichen nationalen Regelung verfolgte Ziel berücksichtigen. Die unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung der in- und ausländischen Sachverhalte – z. B. in- und ausländischer Betriebsstätten – führt nicht zwangsläufig zu einer Unvergleichbarkeit der Situationen, da sonst die Niederlassungsfreiheit ihres Sinnes entleert würde.

  • Bei endgültigen Verlusten unterscheidet sich eine inländische Betriebsstätte von einer ausländischen Betriebsstätte – insbesondere in Bezug auf die Gefahr der doppelten Verlustberücksichtigung – gerade nicht, weshalb der EuGH die Vergleichbarkeit der Situationen im Verlustfinalitätsfall als gegeben erachtet und in der Folge „finale“ Verluste auch bei (Freistellungs-)Betriebsstätten berücksichtigt werden müssen.

  • Der EuGH räumt im Verlustfinalitätsfall einem „unionalen steuerlichen Leistungsfähigkeitsprinzip“ Vorrang vor dem Territorialitätsprinzip und den fiskalischen Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten ein.S. 522

I. Problematik des unionsrechtlich gebotenen Verlustimports

Bei [i]Notwendigkeit des Verlustabzugs ist Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzipsausländischen verlustträchtigen Betriebsstätten sowie auch bei Tochterkapitalgesellschaften stellt sich – wie im Inlandsfall – die Frage, ob etwaige im Ausland angefallene Verluste auch steuerwirksam grenzüberschreitend im Inland genutzt werden können. Dass Verluste im Steuerrecht grundsätzlich Berücksichtigung finden müssen, ergibt sich aus den allgemein geltenden Besteuerungsprinzipien und hierbei insbesondere aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip.

Doch existiert auch ein unionales steuerliches Leistungsfähigkeitsprinzip, das in grenzüberschreitenden Konstellationen einen Verlustabzug innerhalb des EU-Raums gebietet? Dass eine derartige grenzüberschreitende steuerliche Verlustberücksichtigung mit anderen im internationalen Steuerrecht geltenden Prinzipien wie dem Territorialitätsprinzip, der Kohärenz der Steuersysteme bzw. mit der Zuordnung der Besteuerungsbefugnisse der betreffenden Mitgliedstaaten kollidiert, begründet verständlicherweise ein Spannungsverhältnis, wobei sich wohl je nach Interessenlage und Blickwinkel Argumente für und gegen einen (finalen) Verlustimport finden lassen.

Denn im Outbound-Fall ergeben sich zwischen ausländischen Tochtergesellschaften, die vorbehaltlich etwaiger Regelungen wie der Hinzurechnungsbesteuerung i. S. der §§ 7 ff. AStG Abschirmwirkung entfalten und Betriebsstätten, die einen rechtlich unselbständigen Teil des im Inland befindlichen Stammhauses darstellen, bereits steuersystematisch Unterschiede, die bei der Prüfung der Verlustnutzung zusätzlich berücksichtigt werden müssen.

Eine infolge des Welteinkommensprinzips bzw. Universalitätsprinzips eintretende Doppelbesteuerung bei Betriebsstätten im Outbound-Fall wird in den meisten DBA durch die Anwendung der Freistellungsmethode ggf. unter Progressionsvorbehalt (vgl. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG) vermieden. [3]

[i]Im Anrechnungsfall stellt sich die Frage der Finalität gar nicht erstIm (Steuer-)Anrechnungsfall werden die ausländischen Verluste bereits aufgrund der Systematik der Methode im Inland berücksichtigt (§ 34c EStG, § 26 KStG), sodass sich im Anrechnungsfall grundsätzlich nicht die Frage nach einer „finalen“ Verlustberücksichtigung stellt. Aus der vom BFH in seiner ständigen Rechtsprechung entwickelten sog. Symmetriethese ergibt sich zudem, dass bei der Freistellung der ausländischen Einkünfte durch die Freistellungsmethode der Begriff „Einkünfte“ nicht nur positive, sondern – symmetrisch dazu – auch negative Einkünfte umfasst. [4] Etwaige ausländische Verluste von Betriebsstätten sind nach der durch Richterrecht geschaffenen Symmetriethese im DBA-Fall grundsätzlich nicht im Inland berücksichtigungsfähig.

Europarechtlich stellt sich seit der „Marks & Spencer“-Rechtsprechung [5] jedoch die Frage, inwieweit durch die europäischen Grundfreiheiten eine grenzüberschreitende Verlustnutzung innerhalb der Europäischen Union geboten ist.

[i]Symmetriethese wurde durch den EuGH mehrfach bestätigt – aber keine Geltung für bleibende LetztverlusteDie Symmetriethese wurde durch den EuGH bereits vielfach bestätigt [6] und aufgrund entsprechender Rechtfertigungsgründe als europarechtskonform erachtet. Doch ausländische Verluste grenzüberschreitend nicht zu berücksichtigen, ist nur dann nach der Rechtsprechung des EuGH verhältnismäßig, soweit es sich nicht um „finale“ bzw. endgültige Verluste i. S. der „Marks & Spencer“-Rechtsprechung handelt. Mit anderen Worten: Finale Verluste ausländischer Tochterkapitalgesellschaften oder BetriebsstättenS. 523 – also Verluste, die im anderen Mitgliedstaat unter keinen Umständen [7] mehr berücksichtigt werden können – sind bei der Muttergesellschaft bzw. beim Stammhaus aufgrund der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 und Art. 54 AEUV) zu berücksichtigen und durchbrechen die zuvor beschriebene Symmetriethese.

II. Die „Kehrtwende“ durch das „Timac Agro“-Urteil

[i]Keine Ungleichbehandlung bei fehlender Vergleichbarkeit der Situationen im In- und AuslandDer Paradigmenwechsel bei der „finalen“ Verlustberücksichtigung von Freistellungsbetriebsstätten wurde mit dem (juristischen) Prüfungsschritt der objektiven Vergleichbarkeit begründet, den der EuGH bei seiner Prüfung der Grundfreiheiten grundsätzlich vornimmt. Denn eine grenzüberschreitende Ungleichbehandlung durch eine (innerstaatliche) Regelung stellt dann keine Beschränkung einer europäischen Grundfreiheit [8] dar, wenn die zu beurteilende Regelung Situationen betrifft, die objektiv nicht miteinander vergleichbar sind oder wenn ein verhältniswahrender Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung existiert.

Dass die Versagung grenzüberschreitender endgültiger Verluste nicht verhältnismäßig ist und demnach gegen Unionsrecht verstößt, hat der EuGH in der Vergangenheit mehrfach bestätigt. In der „Timac Agro“-Entscheidung [9] wurde dann ein Rettungsanker gesehen, um aus der für die EU-Mitgliedstaaten fiskalisch unbefriedigenden Verlustabzugsmisere herauszukommen. [10]

Wie in einer (vor-)schnellen Ablehnung der Vergleichbarkeit der grenzüberschreitenden Situationen – insbesondere seit der „Timac Agro“-Entscheidung – bei steuerlichen Sachverhalten ein Ausweg vor unionsrechtliche Bedenken gesucht wird, zeigt ein weiteres aktuelles Urteil des EuGH, [11] in dem der Gerichtshof über die europarechtskonforme Anwendung des § 1 AStG zu entscheiden hatte. Auch in dieser Entscheidung hat der EuGH das von der Bundesregierung und dem Generalanwalt [12] vorgebrachte Argument der mangelnden Vergleichbarkeit einer inländischen mit einer ausländischen Tochtergesellschaft mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass dies in diesem Fall keine Frage der Vergleichbarkeit, sondern vielmehr eine Frage des Rechtfertigungsgrunds der Territorialität sei. [13]

[i]Jüngste BFH-Urteile umgehen die Prüfung der VerhältnismäßigkeitWenn man nun dennoch der (noch aktuellen) Auffassung des BFH folgt und die „finale“ Verlustberücksichtigung bereits aufgrund der Vergleichbarkeit der zu beurteilenden Situationen scheitern lässt, weil unterschiedliche Besteuerungsbefugnisse von in- und ausländischen Betriebsstätten von vornherein eine Vergleichbarkeit ausschließen, stellt sich natürlich die letzte tatbestandliche Anforderung des EuGH nicht mehr – d. h. die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der betreffenden Regelung wäre obsolet.

Dass mittels dieses juristischen Kunstgriffs letztlich der ursprüngliche Grundgedanke der „Finalen Verluste“-Doktrin außer Acht gelassen wird, nämlich, dass es sich dabei um eine Ultima-ratio-Regelung handelt, die unter Berücksichtigung des Leistungsfähigkeitsprinzips die Besteuerungssymmetrie durchbricht, sodass es innerhalb der EU zu einer punktuellen Harmonisierung der Steuersysteme kommt, wird bei dieser Argumentationsweise jedoch vernachlässigt.S. 524

[i]Der BFH sah die Rechtsprechung des EuGH als unzweifelhaft an – in wichtigen Fällen schien die Rechtsfigur der „finalen“ Verluste damit erledigtIn der Urteilsbegründung v.  kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass im Fall der abkommensrechtlichen DBA-Freistellung der ausländischen Einkünfte im Sitzstaat wegen der fehlenden Besteuerungsbefugnis nunmehr tatbestandlich eine Vergleichbarkeit mit der Behandlung reiner Inlandsfälle abzulehnen sei, mit der Folge, dass (wie beschrieben) die Prüfungsebene der Verhältnismäßigkeitsprüfung – auf der die finale Verlustberücksichtigung fußt – entfallen soll. Da bei nicht vergleichbaren Sachverhalten eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht gegeben ist, ist eine weitere Prüfung der Rechtfertigung und Verhältnismäßigkeit somit ebenfalls redundant und ein „finaler“ Verlustabzug unionsrechtlich nicht geboten. [14]

Der BFH sah somit im „Timac Agro“-Urteil des EuGH dessen Kehrtwende in Bezug auf die Berücksichtigung „finaler“ Verluste bei Freistellungsbetriebsstätten. In der Folge wandte der BFH die Acte-clair-Doktrin an. [15] Nach Ansicht des BFH waren auch im Anfang 2017 zu entscheidenden Fall – trotz der vielfach vorgebrachten Zweifel an der dogmatischen Begründung des EuGH – die Voraussetzungen für ein (nochmaliges) Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV nicht erfüllt.

[i]Besprechungsfall lässt aufhorchenDass diese in sein Urteil in der Rechtssache „Timac Agro“ interpretierte restriktive Vergleichbarkeitsprüfung, derzufolge die (objektive) Vergleichbarkeit der Betriebsstätten an ein etwaiges Besteuerungsrecht des Stammhauses statisch festgeschrieben wird, jedoch nicht für den Fall der „finalen“ Verlustberücksichtigung greift, hat der Gerichtshof nun in seinem Urteil zur Rechtssache „Bevola und Jens W. Trock“ klargestellt.

III. Sachverhalt und Vorlagefrage der Rechtsache „Bevola und Jens W. Trock“

Die Rechtssache „Bevola und Jens W. Trock“ betrifft eine Gesellschaft mit Sitz in Dänemark, die u. a. eine verlustträchtige (Freistellungs-)Betriebsstätte in Finnland besaß. Gemäß § 8 Abs. 2 des dänischen Körperschaftsteuergesetzes umfasst das steuerpflichtige Einkommen in Dänemark – vorbehaltlich der Wahl zur internationalen gemeinsamen Besteuerung – nicht die Einnahmen und Ausgaben einer im Ausland belegenen Betriebsstätte. [16]

Abb. 1 Vereinfachter Sachverhalt der EuGH-Rechtssache C-650/16

S. 525Im Jahr 2009 hat die finnische Betriebsstätte ihre Tätigkeit eingestellt, sodass ihre Verluste i. H. von 2,8 Mio. DKK (ca. 375.000 €) in Finnland nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Die Gesellschaft beantragte daraufhin den Verlustabzug in Dänemark. Die dänische Steuerverwaltung lehnte den Verlustabzug unter Verweis auf § 8 Abs. 2 dänKStG ab. Die Option, nach dänischem Recht zur sog. internationalen gemeinsamen Besteuerung zu wechseln, wurde ebenfalls nicht ausgeübt. Diese Wahl wäre zudem für zehn Jahre bindend gewesen. Vor diesem Hintergrund beantragte die Aktiengesellschaft (A/S) Bevola unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit den Verlustabzug in Dänemark. [17]

IV. Urteilsgründe in der Bevola und Jens W. Trock Entscheidung

[i]Einige Mitgliedstaaten plädierten im Sinne des dänischen FiskusWie zu erwarten, plädierten die dänische, die deutsche und die österreichische Regierung darauf, dass die finnische Zweigniederlassung bzw. Betriebsstätte der dänischen Gesellschaft sich nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation wie eine dänische Betriebsstätte befindet, weil Dänemark keine Steuerhoheit über die ausländische Betriebsstätte innehat (EuGH Rs. C-650/16, Rz. 30).

[i]Generalanwalt sprach sich für ein EU-weites Leistungsfähigkeitsprinzip ausEntgegen dieser Auffassung hatte bereits der zuständige Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona in seinem Schlussantrag v.  bei der Vergleichbarkeitsprüfung explizit differenziert und kam zu dem Schluss, dass durch endgültige Verluste eine Verbindung im grenzüberschreitenden Fall hergeleitet werden kann – die Situationen in- und ausländischer Betriebsstätten im Verlustfinalitätsfall also objektiv vergleichbar sind. Zudem hob der Generalanwalt hervor, dass eine finale Verlustberücksichtigung gerade aufgrund der zu beachtenden steuerlichen Leistungsfähigkeit auch grenzüberschreitend geboten sei.

[i]EuGH bestätigte Pflicht zur Berücksichtigung „finaler“ Verluste EU-ausländischer BetriebsstättenDer EuGH folgte den Ausführungen des spanischen Generalanwalts und bestätigte abermals, dass „finale“ Verluste – auch bei Betriebsstätten – im grenzüberschreitenden Fall beim Stammhaus berücksichtigt werden müssen.

Der Gerichtshof stellt in seinem Urteil zunächst fest, dass es grundsätzlich eine Ungleichbehandlung darstellt, wenn nur ausländische Betriebsstättenverluste aufgrund etwaiger (innerstaatlicher) Regelungen beim Stammhaus keine Berücksichtigung finden können. Dass die Gesellschaft dänischen Rechts die internationale gemeinsame Besteuerung hätte wählen können, ändert nach Ansicht des EuGH daran nichts. Dem EuGH genügt die dänische Möglichkeit zur Wahl der „internationalen gemeinsamen Besteuerung“ gerade nicht, da diese Wahl zwei schwere Bürden mit sich bringt. Erstens sind dann die gesamten Einkünfte des Konzerns, unabhängig davon, ob es Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten sind, in die dänische Bemessungsgrundlage mit einzubeziehen und zweitens ist diese Regelung an einen fixen Mindestzeitraum von zehn Jahren gebunden. Diese Option ist nach Ansicht des EuGH nicht geeignet, die bestehende Ungleichbehandlung zu neutralisieren. Denn die Ungleichbehandlung – dass Betriebsstättenverluste einer inländischen Betriebsstätte steuerlich berücksichtigt werden können, aber ausländische Betriebsstättenverluste nicht – könnte eine Gesellschaft davon abhalten, ihre Tätigkeiten über ausländische Betriebsstätten auszuüben. Daher verstößt die Regelung grds. gegen die Niederlassungsfreiheit (Rz. 19).

Die Ungleichbehandlung stellt jedoch dann keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, wenn sie Situationen betrifft, die objektiv nicht miteinander vergleichbar oder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und diese Rechtfertigungsgründe verhältnismäßig zu dem verfolgten Ziel stehen (Rz. 20).S. 526

[i]Sachverhalt ist unter Berücksichtigung des mit den nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels zu prüfen Bei der Prüfung der Vergleichbarkeit stellt der Gerichtshof klar, dass die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt stets unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels zu prüfen ist (Rz. 32). Die dänische Regelung i. S. des § 8 Abs. 2 dänKStG soll, so der EuGH, eine Doppelbesteuerung der Gewinne und – symmetrisch dazu – einen doppelten Abzug der Verluste vermeiden (Rz. 36). Dies entspricht dem Sinn und Zweck der deutschen richterlichen Symmetrietheorie im Freistellungsfall und ist daher mit der hiesigen nationalen Regelung für den Fall, dass Deutschland kein Besteuerungsrecht aufgrund bilateraler Abkommen über eine ausländische Betriebsstätte innehat, vergleichbar. Der EuGH stellt ebenfalls fest, dass das „Timac Agro“-Urteil keine Abkehr von dieser Vergleichbarkeitsprüfung der Sachverhalte darstellte.

Aus den EuGH Urteilen „Nordea Bank“ [18] und „Timac Agro“ [19] könne in Bezug auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht geschlussfolgert werden, dass die unterschiedliche steuerliche Behandlung der [i]EuGH sieht seine früheren Entscheidungen missverstanden – keine Änderung der Rechtsprechung in- und ausländischen Sachverhalte automatisch zu einer Unvergleichbarkeit der Situationen führt und somit keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vorliegt. Wäre dies der Fall, würde in Bezug auf steuerliche Sachverhalte die Vergleichbarkeit i. d. R. immer zu verneinen sein und die Niederlassungsfreiheit würde in der Folge ins Leere laufen und letzten Endes ihres Sinnes beraubt (Rz. 35). Die Anwendung unterschiedlicher Steuerregelungen ist nämlich gerade der Grund für die unterschiedliche Behandlung, deren Rechtfertigung zu prüfen ist. [20]

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass nach st. Rechtsprechung des EuGH die Mitgliedstaaten zwar im Rahmen bilateraler Abkommen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Anknüpfungspunkte für die Bestimmung ihrer jeweiligen Steuerhoheit festlegen können, jedoch erlaubt es diese Aufteilung der Steuerhoheit den Mitgliedstaaten nicht, Maßnahmen anzuwenden, die gegen die vom AEUV garantierten Verkehrsfreiheiten verstoßen. Denn auch bei der Ausübung der in dieser Weise in DBA aufgeteilten Steuerhoheit sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Unionsvorschriften nachzukommen. [21] Der EuGH äußert sich zur Vergleichbarkeitsprüfung bei finalen Verlusten daher wie folgt (Rz. 38): „In Bezug auf Verluste einer gebietsfremden Betriebsstätte, die jede Tätigkeit eingestellt hat und deren Verluste nicht von ihrem steuerpflichtigen Gewinn in dem Mitgliedstaat, in dem sie tätig war, abgezogen werden konnten und nicht mehr abgezogen werden können, unterscheidet sich die Situation einer gebietsansässigen Gesellschaft, die eine solche Betriebsstätte hat, in Anbetracht des Ziels, den doppelten Abzug der Verluste zu vermeiden, jedoch nicht von der Situation einer gebietsansässigen Gesellschaft mit einer gebietsansässigen Betriebsstätte.“

[i]Grenzüberschreitende Leistungsfähigkeit der Unternehmen spielt entscheidende Rolle Das heißt, so der Gerichtshof, bei endgültigen bzw. „finalen“ Verlusten unterscheidet sich eine inländische Betriebsstätte von einer ausländischen Betriebsstätte in Bezug auf die Gefahr der doppelten Verlustberücksichtigung gerade nicht, weshalb der EuGH die Vergleichbarkeit der Situationen im Verlustfinalitätsfall als gegeben erachtet und alle weiteren Prüfungsstufen (Rechtfertigungs- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) zu beachten sind (Rz. 38–40). Auch misst der EuGH der grenzüberschreitenden Leistungsfähigkeit der Unternehmen eine entscheidende Rolle zu. Diese ist innerhalb der EU nämlich durch einen „finalen“ Verlust, der im EU-Ausland durch eine Betriebsstätte erzielt wird, in gleicher Weise beeinträchtigt wie durch einen finalen Verlust einer S. 527inländischen Betriebsstätte. Daraus lässt sich wohl auch die Anerkennung eines „unionalen steuerlichen Leistungsfähigkeitsprinzips“ durch den EuGH ableiten. [22]

[i]EuGH prüft Rechtfertigungsgründe ...In der Folge prüft der EuGH bestehende Rechtfertigungsgründe für die Nichtberücksichtigung ausländischer Betriebsstättenverluste, wobei er dabei die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses und dabei insbesondere die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten, die Kohärenz des dänischen Steuersystems und die Vermeidung einer doppelten Verlustberücksichtigung als Rechtfertigungsgründe anerkennt. Der Gerichtshof bestätigt abermals, dass insbesondere die Kohärenz des dänischen Steuersystems einen Rechtfertigungsgrund für die Nichtberücksichtigung der ausländischen Betriebsstättenverluste darstellt, dieser aber verhältnismäßig sein muss, was im Verlustfinalitätsfall nicht der Fall ist (Rz. 51).

[i]... sieht aber keinen Grund gegen die Berücksichtigung „finaler“ Verluste durchgreifenDer EuGH kommt jedoch innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu dem Schluss, dass Dänemark etwaige Verluste zu berücksichtigen hat, wenn es sich um „finale“ Verluste i. S. der „Marks & Spencer“-Rechtsprechung handelt. Der EuGH begründet die „finale“ Verlustberücksichtigung zusätzlich damit, dass bei „finalen“ Verlusten insbesondere keine Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung besteht.

Der EuGH verweist für die Prüfung der „Finalität“ auf das Grundsatzurteil „Marks & Spencer“ [23] – überträgt also erneut wie im „Lidl Belgium“-Urteil die Finalitätsgrundsätze dieser Entscheidung von 2005 auf Betriebsstättensachverhalte – und definiert einen Verlust einer Betriebsstätte dann als „final“, wenn die Gesellschaft bzw. das Stammhaus alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, den Verlust in dem Staat, in dem die Betriebsstätte belegen ist, zu berücksichtigen.

[i]Anspruchsteller muss „Finalität“ der Verluste nachweisenEine „Finalität“ ist demnach nicht gegeben, wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass die Betriebsstätte noch Einkünfte im Belegenheitsstaat erzielen kann und demzufolge eine zukünftige Verlustberücksichtigung möglich wäre. Dabei liegt die Nachweispflicht, so der Gerichtshof, für das Vorliegen der „finalen“ Verluste bei der Gesellschaft, die den Verlustabzug begehrt.

V. Konsequenzen für die Praxis

[i]Durchbrechung der Symmetrietheorie, aber in engen AusnahmefällenDer EuGH bleibt seinem bisherigen Kurs der „finalen“ Verlustberücksichtigung – entgegen aller Kritik [24] – treu. Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass es sich bei der „Finalen Verluste“-Doktrin gerade um eine Ultima-ratio-Regelung bzw. „ultima-ratio Ausfallbürgschaft“ [25] handelt, die im Hinblick auf die Verwirklichung der Ziele der Grundfreiheiten – unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit grenzüberschreitend agierender Unternehmen – eingreift und nur zu diesem Zweck die Besteuerungssymmetrie durchbricht, sodass es innerhalb der EU zu einer punktuellen Harmonisierung der Steuersysteme kommt. [26] Eine derart restriktive Vergleichbarkeitsprüfung, welche eine „finale“ Verlustberücksichtigung i. S. der „Marks & Spencer“-Rechtsprechung bei Freistellungsbetriebsstätten gänzlich ausschloss, war im Hinblick auf die europäischen Ziele nicht das gewollte Ergebnis des EuGH.

[i]Gesetzesänderung in Deutschland ist notwendig Der Gerichtshof hat im Verlustfinalitätsfall einem „unionalen steuerlichen Leistungsfähigkeitsprinzip“ Vorrang vor dem Territorialitätsprinzip und dem Prinzip der Kohärenz der Steuersysteme eingeräumt und abermals klargestellt, dass „finale“ bzw. endgültige Verluste innerhalb der EU grenzüberschreitend zu berücksichtigen sind. Es wäre m. E. daher zwingend erforderlich, dass der deutsche Gesetzgeber eine innerstaatlicheS. 528 Rechtsnorm implementiert, die den „finalen“ Verlustimport i. S. der EuGH- Rechtsprechung definiert. Dabei könnte sich der Gesetzgeber an der Spruchpraxis des BFH zur tatsächlichen Finalität orientieren. Das Unionsrecht verbietet es dem nationalen Gesetzgeber nämlich nicht, sein Be- und Nachweisrecht bei strukturell missbrauchsanfälligen Gestaltungen restriktiv zu handhaben. [27] Der Gesetzgeber kann den „finalen“ Verlustabzug von Nachweiserfordernissen des Steuerpflichtigen bis hin zu einer typisierten Beweislastumkehr abhängig machen. [28]

[i]Formelle Beschränkungen (nach englischem Vorbild) wären zulässigVerfahrensrechtlich wäre es deshalb an der Zeit, festzuschreiben, wann – also in welchem Veranlagungszeitraum – der „finale“ Verlustabzug im Inland erfolgt und auf welchen Zeitpunkt der „finale“ Verlust festgestellt werden muss. Großbritannien hatte nach der „Marks & Spencer“-Entscheidung des EuGH zügig reagiert und u. a. innerstaatliche Regelungen geschaffen, die eine fristgebundene Feststellung „unmittelbar nach Ende“ des Steuerzeitraums, in dem die Verluste entstanden sind, verlangen. [29] Der deutsche Gesetzgeber könnte sich an derartigen Regelungen, die der EuGH mitunter als unionskonform ansieht, [30] durchaus orientieren. Eine derartige „finale“ Verlustfeststellung ließe sich beispielsweise in § 10d EStG integrieren.

Fazit

Gerade bei einem starken Wirtschaftsstandort wie Deutschland ist die (grenzüberschreitende) Verlustberücksichtigung fiskalisch von zentraler Bedeutung und bringt direkte steuerliche Auswirkungen mit sich. Bereits 2004 bestanden in Deutschland Verlustvorträge von ca. 500 Mrd. €. Allein in den Jahren 2004 bis 2008 sind im EU-Raum Verluste von ausländischen Betriebsstätten inländischer Unternehmen i. H. von 16,5 Mrd. € ausgewiesen worden. [31] Während der Gesetzgeber aktuell neue unilaterale Maßnahmen gegen missbrauchsanfällige Gestaltungen eingeführt hat, wurden in Bezug auf die mindestens genauso bedeutsame unionsrechtliche Problematik „finaler“ Verlustberücksichtigung bislang keine innerstaatlichen Regelungen eingeführt. Der Gesetzgeber sah sich insoweit bis heute nicht in der Pflicht, sondern überließ die Interpretation der teils kryptischen EuGH-Rechtsprechung den nationalen Gerichten. Während die Finanzverwaltung der Berücksichtigung „finaler“ Verluste stets kritisch entgegentrat – u. a. auch mit einem Nichtanwendungserlass [32] –, folgten die Finanzgerichte und auch der BFH grundsätzlich der Spruchpraxis des EuGH. [33] Bereits in einer Anfrage v.  [34] wurde bei der Bundesregierung explizit angefragt, welche EuGH-Urteile sich mit der (grenzüberschreitenden) Verlustberücksichtigung beschäftigen und welche Konsequenzen sich daraus für die nationale Steuergesetzgebung ergäben. Leider blieb es dabei. Mit dem Urteil „Bevola und Jens W. Trock“ sind nun nationale gesetzliche Anpassungen dringend erforderlich.

Autor

Dipl.-Finw. (FH) David Heckerodt
ist Bundesbetriebsprüfer im BZSt (Handelsreferat).

Fundstelle(n):
IWB 13 / 2018 Seite 521 - 528
YAAAG-88052

1Vgl. Hruschka, DStR 2013 S. 396, 397; Mitschke, IStR 2014 S. 381; Schulz-Trieglaff, NWB IAAAF-87502.

2 NWB XAAAG-45098.

3Im Verlustfall kommt es natürlich insoweit zu keiner „Doppelbesteuerung“. Bei Verlusten stellt sich im internationalen Steuerrecht dann die Frage, ob und ggf. wo – also in welchem Staat – die Verluste berücksichtigt werden können. Insbesondere die Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung muss dabei stets beachtet werden, weshalb auch der EuGH diese Gefahr als Rechtfertigungsgrund in seiner Prüfung beachtet.

4 NWB QAAAC-17286; NWB GAAAC-17285; NWB UAAAC-79968.

5 „Marks & Spencer“ NWB ZAAAB-79456.

6 „Lidl Belgium“ NWB JAAAC-80208.

7Das heißt, im Ausland darf für die Tochterkapitalgesellschaften oder einen Dritten kein Verlustrücktrag, kein Verlustausgleich und kein Verlustvortrag mehr möglich sein.

8Bei „finalen“ Verlusten also der der Niederlassungsfreiheit i. S. von Art. 49 und Art. 54 AEUV.

9 „Timac Agro“ NWB WAAAF-19164.

10 „Marks & Spencer“; „Lidl Belgium“ NWB JAAAC-80208.

11 „Hornbach Baumarkt“ NWB PAAAG-86743.

12EuGH-Rechtssache C-382/16 „Hornbach Baumarkt“ Schlussantrag des Generalanwalts Bobek v. , Rz. 63.

13 „Hornbach Baumarkt“ NWB PAAAG-86743, Rz. 38 ff.

14 NWB XAAAG-45098, Rz. 37 und 38.

15 NWB XAAAG-45098, Rz. 41.

16Vergleichbar der DBA-Freistellung mit der damit einhergehenden Symmetriethese.

17Vgl. EuGH-Verfahren Rs. C-650/16, Antrag des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona v. , Rz. 7–9.

18 „Nordea Bank Danmark“ NWB RAAAE-71055.

19 „Timac Agro“ NWB WAAAF-19164.

20 „STEKO“ NWB GAAAD-03784, Rz. 33.

21 „Bechtel und Bechtel“ NWB FAAAG-48704, Rz. 66; vgl. in diesem Sinne „de Groot“ NWB CAAAB-72777, Rz. 93 f.; „Bouanich“ NWB UAAAB-80336, Rz. 49 f.; „Imfeld und Garcet“ NWB KAAAE-51840, Rz. 41 f.

22 „Bevola und Jens W. Trock“ NWB ABCDE-12345, Rz. 39, 49, 50 und 59.

23 „Marks & Spencer“ NWB ZAAAB-79456.

24Insbesondere Generalanwältin Kokott spricht sich seit Langem gegen eine finale Verlustberücksichtigung aus.

25Gosch in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl. 2016, § 2a EStG Rz. 5a.

26Vgl. zu den Konsequenzen der EuGH-Entscheidung „Timac Agro“ Schlücke, FR 2016 S. 126; Kögel, IWB 1/2017 S. 7 NWB UAAAF-90031.

27Vgl. Gosch in Kirchhof, Einkommensteuergesetz,, a. a. O., § 2a EStG Rz. 5b.

28Vgl. Gosch in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, a. a. O., § 2a EStG Rz. 5b.

29Sec. 119(4) CTA 2010 (Corporation Tax Act).

30 „Kommission gegen Vereinigtes Königreich“ NWB KAAAE-87445.

31Vgl. BT-Drucks. 17/4653 S. 19 zu Frage 37.

32 NWB VAAAD-25792.

33 NWB QAAAC-17286; NWB KAAAD-48036; NWB EAAAD-48038; NWB IAAAD-59900; NWB OAAAE-62159.

34Vgl. Kleine Anfrage v. , BT-Drucks. 17/4279, darin u. a. Frage 15.