FG Köln Urteil v. - 15 K 3280/15 EFG 2017 S. 1055 Nr. 13

Offenbare Unrichtigkeit

Übertragungsfehler bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG

Leitsatz

Eine berichtigungsfähige ähnliche Unrichtigkeit i.S.v. § 129 AO in Form eines Übertragungsfehlers liegt vor, wenn Aufwendungen in der Buchführung zutreffend auf einem Aufwandskonto verbucht, jedoch aufgrund eines technischen Fehlers versehentlich nicht in die Berechnung des Gewinns nach § 4 Abs. 3 EStG übernommen wurden. Unbeachtlich ist, wenn der Fehler bei bloßer Sichtung der Gewinnermittlung ohne Berücksichtigung des Kontennachweises schwer bzw. nur bei einem Abgleich mit Vorjahres-Gewinnermittlungen ersichtlich ist.

Gesetze: AO § 129 Satz 1

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2013 über die Frage, ob der Beklagte zum Erlass eines Änderungsbescheids verpflichtet ist, in welchem der Gewinn um bisher nicht berücksichtigte Personalkosten (hier: gesetzliche soziale Aufwendungen) i.H.v. 55.709,08 EUR zu vermindern ist.

Der Kläger ist Arzt, seine Einkünfte werden vom Beklagten im Wege der gesonderten Gewinnfeststellung festgestellt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wirkt seit vielen Jahren an der Erstellung der Feststellungserklärungen mit.

Im Streitjahr 2013 verbuchte der Prozessbevollmächtigte für den Kläger im Rahmen des im Buchführungsprogramm „DATEV” eingerichteten Kontenrahmen „SKR 81” (für Ärzte; siehe aktuelle Fassung des Kontenrahmens Bl. 38 ff. der Gerichtsakte – d.A.) u.a. „Gesetzliche Sozialaufwendungen” (Konto 4130) i.H.v. insgesamt 55.709,08 EUR (siehe Kontenblatt Bl. 36 f. d.A.). Das Konto ist allgemein der Kontengruppe 4 – „Betriebliche Aufwendungen” – zugeordnet und stellt ein Unterkonto des Kontenbereichs 4100 (Personalkosten) dar.

Ausweislich der Bilanzakte reichte der Kläger im Februar 2015 – vorab zur später im April 2015 eingereichten Feststellungserklärung – die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für das Streitjahr ein. Hierin wird ein Gewinn von 349.567,78 EUR erklärt. Als Vorjahreswert (= 2012) wird ein Gewinn von 355.558,22 EUR angegeben, ausweislich der Vorjahres-Gewinnermittlung betrug der tatsächlich erklärte Gewinn des Vorjahres hingegen 296.935,80 EUR.

Auf Blatt 2 der Gewinnermittlung 2013 sind keine wesentlichen Veränderungen der Personalkosten erkennbar (Vorjahr: 136.239,14 EUR; Streitjahr: 131.083,95 EUR), die ausgewiesenen Personalkosten des Vorjahres weichen jedoch auch hier von den tatsächlich im Vorjahr erklärten Personalkosten (194.861,56 EUR) ab.

Grund dieser Differenzen ist, dass im Büro des Prozessbevollmächtigten ein von diesem im Rahmen des Schriftsatzes vom 10. November 2016 nebst Anlagen (Bl. 32 ff. d.A.), auf den vollumfänglich verwiesen wird, geschilderter Zuordnungsfehler unterlaufen ist. Während im Vorjahr 2012 mehrere Aufwandskategorien der Personalkosten erstellt wurden (Löhne und Gehälter; Gesetzliche soziale Aufwendungen; Freiwillige soziale Aufwendungen; Sonstige Personalkosten) und diese zutreffend mit ihren Salden in die Gewinnermittlung einflossen (siehe insbes. Bl. 2, 15 der Gewinnermittlung 2012), wurde im Streitjahr 2013 eine Aufwandskategorie „Personalaufwendungen” erstellt, in welche dann Einzelkonten mit ihren Salden eingegliedert wurden (siehe Bl. 2, 14 der Gewinnermittlung 2013). Bei dieser Zuordnung, welche technisch in DATEV über eine sog. „Zuordnungstabelle” funktioniert, ist jedoch fehlerhaft das hier maßgebliche Konto 4130 (Gesetzliche Sozialaufwendungen) mit dem Saldo von 55.709,08 EUR nicht in die Personalaufwendungen oder eine andere Aufwandskategorie eingruppiert worden. Das Konto wird – wie in Bl. 17 der Gewinnermittlung 2013 erkennbar ist – unter „Sonstige Konten” am Ende des Kontennachweises aufgeführt, ohne in die Gewinnermittlung einzufließen. Unter den „Sonstigen Konten” sind ansonsten nur Bestandskonten (z. B. Praxiseinrichtung, Verbindlichkeiten, Bank, Kasse) sowie Entnahme- und Einlagekonten aufgeführt. Das Konto 4130 ist das einzige Konto der „4000er-Gruppe”, welches unter den „sonstigen Konten” aufgeführt wird.

Zum Programmablauf hat der Prozessbevollmächtigte hierzu im Klageverfahren mit Vorlage von Kontenrahmen und Bildschirmausdrucken erläutert, dass bei Erstellung der Zuordnungstabellen von einem seiner Mitarbeiter ein „Haken” falsch gesetzt worden ist, wodurch das Konto entgegen der eigentlich vorgesehenen Darstellung im Rahmen des DATEV-Kontenrahmen 05 „Freiberufler, § 4 Abs. 3 EStG”) nicht gewinnwirksam geworden ist.

In der Gewinnermittlung des Folgejahres (2014) ist der Prozessbevollmächtigte zur Darstellung wie im Jahre 2012 zurückgekehrt, das Konto 4130 wird dort wieder zutreffend als Aufwandskonto erfasst und in der Gewinnermittlung gewinnmindernd berücksichtigt.

Im April 2015 reichte der Kläger im Anschluss an die Erstellung durch den Prozessbevollmächtigten, welcher unter „Bei der Ausfertigung dieser Steuererklärung hat mitgewirkt” aufgeführt wird, die Feststellungserklärung beim Beklagten ein und wurde durch Feststellungsbescheid vom mit einem Gewinn von 349.567,78 EUR antragsgemäß endgültig, d.h. ohne einen Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 der Abgabenordnung (AO), veranlagt. Der erklärte Gewinn weicht vom Vorjahresgewinn (laut Feststellungserklärung und Veranlagung 2012: ca. 297.000 EUR; in der Gewinnermittlung 2013 wird hingegen aufgrund des Zuordnungsfehlers auch für 2012 ein abweichender Gewinn fehlerhaft benannt) deutlich ab, entspricht aber etwa dem Gewinn des Folgejahres 2014 (erklärter Gewinn dort ca. 354.000 EUR).

Am stellte der Kläger, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, einen Änderungsantrag nach § 129 AO. Zur Begründung führte er aus, bei Erstellung der Feststellungserklärung 2014 sei aufgefallen, dass im Streitjahr 2013 aufgrund der fehlerhaften Zuordnung des Aufwandskontos versehentlich ein zu hoher Gewinn ausgewiesen worden sei. Diesen Änderungsantrag lehnte der Beklagte unter dem ab, einen hiergegen gerichteten Einspruch wies er mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück.

Mit seiner hiergegen erhobenen Klage begehrt der Kläger weiterhin eine Verpflichtung des Beklagten zur Änderung des Feststellungsbescheids 2013. Zur Begründung führt er aus, bei Erstellung der Gewinnermittlung sei ein offensichtlicher und mechanischer Fehler unterlaufen, der vom Beklagten übernommen worden sei. Das Konto 4130 sei fehlerhaft nicht den Aufwandskonten, sondern den sonstigen Konten zugeordnet worden. Dies sei eindeutig anhand des Kontennachweises auf Bl. 17 der Gewinnermittlung erkennbar. Es sei offensichtlich, dass beim DATEV-Kontenrahmen 03 das Konto 4130 generell ein Betriebsausgabenkonto sei. Dem Beklagten sei diese Zuordnung aufgrund der Vielzahl von Jahresabschlüssen, welche mit DATEV erstellt werden, bekannt. Auch zeige die Bezeichnung „gesetzliche Sozialaufwendungen” den eindeutigen Betriebsausgabencharakter des Kontos. Die falsche Zuordnung des Kontos, hier durch einen fehlerhaften Mausklick eines Mitarbeiters, hätte dem Beklagten ins Auge springen müssen. Auch hätten dem Beklagten die Gewinnveränderungen auffallen müssen. Im Streitfall sei auch ein Rechtsfehler ausgeschlossen, da die Bezeichnung als Aufwandskonto eine Gewinnauswirkung impliziere. Die Aufwendungen seien auch i.S.d. § 11 EStG abgeflossen.

Alternativ sei eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO möglich. In diesem Falle sei anzunehmen, dass dem Beklagten mit dem Antrag vom nachträglich eine neue Tatsache, nämlich die Nichtberücksichtigung der gesetzlichen Sozialaufwendungen, bekannt geworden sei. An der nachträglich bekannt gewordenen steuermindernden Tatsache treffe weder den Kläger noch dessen Prozessbevollmächtigten ein grobes Verschulden, da der Prozessbevollmächtigte im Rahmen der Erstellung der Gewinnermittlung eine zutreffende Erfassung der Aufwendungen auf dem Konto 4130 überprüft habe. Erst im Anschluss an die Überprüfung durch den Prozessbevollmächtigten als Steuerberater habe eine seiner Mitarbeiterinnen, welche Steuerfachangestellte sei, die rein organisatorische Tätigkeit der maschinell unterstützten Erzeugung der Gewinnermittlung durch Erstellung einer Zuordnungstabelle und die spätere Versendung an den Mandanten übernommen. Bei diesem mechanischen Schritt sei durch einen „fehlerhaften Mausklick” eine richtige Zuordnung des Kontos unterblieben. Der Berufsträger habe diese späteren Arbeiten nicht mehr kontrolliert, dies stellte aufgrund des „mechanischen Charakters” der Arbeiten aber kein grobes Verschulden dar.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom und der Einspruchsentscheidung vom zu verpflichten, den Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2013 dahingehend zu verändern, dass Aufwendungen i.H.v. 55.709,08 EUR zusätzlich gewinnmindernd berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, die Veranlagung sei seinerzeit antragsgemäß erfolgt, bei der gebotenen überschlägigen Prüfung der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG habe es keine offensichtlichen Beanstandungen gegeben. Die streitigen Ausgaben des Kontos 4130 fänden nur im Kontennachweis eine Darstellung. Für ihn, den Beklagten, sei nicht offensichtlich erkennbar gewesen, dass dieses Konto Betriebsausgaben darstellen sollte. Es sei denkbar, dass das Konto, beispielsweise aufgrund eines fehlenden Abflusses von Ausgaben (i.S.d. § 11 EStG), manuell „ausgesteuert” worden sei und deshalb nicht in die Gewinnermittlung habe einfließen sollen. Dieser bereits mehr als theoretisch denkbare Rechtsirrtum, ebenso ein mehr als theoretisch denkbarer Fehler in der Sachaufklärung, schließe eine Änderung nach § 129 AO aus.

Auch scheide eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aus. Nach dem Klägervortrag sei die Tatsache der Sozialaufwendungen bereits offensichtlich, wodurch sie keine neue, nachträglich bekannt gewordene Tatsache darstelle. Auch wenn man die fehlende Gewinnminderung durch das Konto als neue Tatsache ansähe, sei dem Kläger ein grobes Verschulden entgegenzuhalten. Handlungen des Prozessbevollmächtigten seien dem Kläger zuzurechnen. Hier sei nicht bloß ein mechanischer Fehler bei Erstellung des Jahresabschlusses erfolgt, sondern der Prozessbevollmächtigte habe den dann erfolgenden Ausdruck vor der Übermittlung an den Kläger nicht kontrolliert, was ein grobes Verschulden darstelle. Ebenso habe er später den Bescheid nicht sorgfältig kontrolliert, was ebenso ein grobes Verschulden darstelle.

In der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die technischen Abläufe im DATEV-Programm mit Auswahl einer Zuordnungstabelle weiter erläutert. Er hat erläutert, er habe seinerzeit die Buchführung kontrolliert, hierbei sei ein zutreffender Gewinn ausgewiesen worden. Durch den Fehler seiner Mitarbeiterin bei Erstellung der Gewinnermittlung durch (manuelle) Auswahl einer Zuordnungstabelle und fehlerhafter Zuordnung des Kontos 4130 sei dann im Ausdruck ein von der Buchführung abweichender Gewinn ausgegeben worden, der auch in das Erklärungsformular übertragen worden sei. Diese organisatorischen und technischen Schritte habe er – der Prozessbevollmächtigte – nicht mehr kontrolliert, da seine Mitarbeiterin eine erfahrene, im Umgang mit DATEV ausgebildete und seit Jahren zuverlässig arbeitende Fachkraft sei.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist begründet. Die Ablehnung des Beklagten, einen geänderten Feststellungsbescheid zu erlassen, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger dadurch in seinen Rechten, § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Änderung des Feststellungsbescheids nach § 129 AO.

1. Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.

a. Die Regelung erfasst nach ihrer Zielsetzung Fälle, in denen der erklärte Inhalt eines Verwaltungsaktes vom gewollten Inhalt abweicht (, BStBl II 2013, 307; vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 129 AO Rn. 1). Dies kommt auch im Gesetzeswortlaut „berichtigen” anstatt „aufheben / ändern”) zum Ausdruck.

Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten sind einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche mechanische Versehen. Sie können beispielsweise bei Eingabe- oder Übertragungsfehlern vorliegen. So können Fehler bei Eintragungen in Eingabewertbögen für die automatische Datenverarbeitung als rein mechanische Versehen ähnliche offenbare Unrichtigkeiten sein, etwa bei einem unbeabsichtigten, unrichtigen Ausfüllen des Eingabebogens oder bei Irrtümern über den tatsächlichen Ablauf des maschinellen Verfahrens bzw. bei der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisung, bei Verwendung falscher Schlüsselzahlen oder beim Übersehen notwendiger Eintragungen (vgl. etwa , BFH/NV 2010, 2004).

b. § 129 AO gilt nicht für offenbare Versehen des Steuerpflichtigen oder eines anderen Beteiligten, sondern nur für Fehler, welche der Finanzbehörde beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind. Eine offenbare Unrichtigkeit kann jedoch vorliegen, wenn die Finanzbehörde eine bspw. in der Steuererklärung enthaltene offenbare Unrichtigkeit als eigene in den Bescheid übernimmt (sog. „Übernahmefehler”, st. Rspr., vgl. etwa , BStBl II 1984, 785).

c. Die Vorschrift des § 129 AO ist nicht verschuldensabhängig ausgestaltet (vgl. zur Vorgängervorschrift , BStBl II 1980, 18; ebenso , BFH/NV 1993, 509). Eine oberflächliche Bearbeitung der Finanzbehörde hindert die Anwendung des § 129 AO daher grundsätzlich nicht (, BStBl II 1986, 293; vom III R 22/08, BFH/NV 2010, 1410). Gleiches gilt für Fehler, die dem Steuerpflichtigen unterlaufen und von der Finanzbehörde als eigene Fehler übernommen werden. Die Finanzbehörde, die die Berechnung eines Steuerpflichtigen übernommen hat, kann nicht anders behandelt werden, als wäre der Fehler ihr selbst unterlaufen (vgl. , BStBl II 1987, 762, Rn. 13 der in Juris veröffentlichten Entscheidungsgründe).

d. Offenbar ist eine Unrichtigkeit, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist und der Fehler auf bloßes mechanisches Versehen zurückzuführen ist. Nicht erforderlich ist es, dass für den Steuerpflichtigen auch der an Stelle des unrichtigen zu setzende richtige Inhalt offenbar ist oder der unterlaufene Fehler aus dem bekannt gegebenen Bescheid selbst ersichtlich ist und der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit anhand des Bescheides und der ihm vorliegenden Unterlagen erkennen konnte (vgl. zum Ganzen etwa von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 129 AO Rn. 38 ff.; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 129 AO Rn. 14; jeweils m.w.N.).

Dieses weitgehende Verständnis der „Offenbarkeit” beruht auf der Gesetzeshistorie und dem von anderen Verfahrensordnungen abweichenden Wortlaut der Regelung (ausführlich hierzu Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 129 AO Rn. 3 ff.). Bei Einführung der Regelung war es das Anliegen der Finanzverwaltung, aufgrund der Bedürfnisse einer „Massenverwaltung” eine weitgehende Durchbrechung der Bestandskraft für mechanische Fehler zu ermöglichen. Ursprünglich sollte dies im Gesetzeswortlaut sogar dadurch zum Ausdruck kommen, dass jede Abweichung des ausgefertigten und bekannt gegebenen Verwaltungsakts von der getroffenen Aktenverfügung eine offenbare Unrichtigkeit darstellt (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 129 AO Rn. 5).

Bei der Prüfung, ob eine offenbare Unrichtigkeit durch Übernahme fehlerhafter Angaben des Steuerpflichtigen vorliegt, ist auf die Erklärung, die beigefügten Anlagen und die Akten des Finanzamtes für das betreffende Veranlagungsjahr abzustellen (vgl. nur von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 129 AO Rn. 43 sowie Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 129 AO Rn. 14, jeweils mit Verweis auf die st. Rspr.).

Bei Prüfung einer offenbaren (von der Finanzbehörde „übernommenen”) Unrichtigkeit in einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG hat der BFH dementsprechend darauf abgestellt, ob der Fehler aus „den beigefügten Gewinnermittlungsunterlagen für das Finanzamt ohne weiteres ersichtlich war” (, BStBl II 1987, 762). In der in BStBl II 1987, 762, veröffentlichten Entscheidung sah es der BFH als offenbare (übernommene) Unrichtigkeit an, dass der dortige Kläger in einer Übersicht über die Entwicklung des Anlagevermögens einen Vermögensabgang ausgewiesen hatte, diesen aber nicht gewinnmindernd als Betriebsausgabe in die Einnahme-Überschussrechnung übernommen hatte. Ein Übertragungsfehler lag für den BFH „auf der Hand”. Der Umstand, dass die Ursache für den Fehler in der Sphäre des Steuerpflichtigen lag, hatte wegen der verschuldensunabhängigen Ausgestaltung der Norm für den BFH keine Bedeutung.

In einer jüngeren Entscheidung vom (VIII R 9/11, BStBl II 2014, 439) hat es der BFH als offenbare (von der Finanzbehörde übernommene) Unrichtigkeit angesehen, dass der Steuerpflichtige in seiner Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG keine geleisteten Umsatzsteuerzahlungen als Betriebsausgaben geltend gemacht hatte, in einer zeitgleich eingereichten Umsatzsteuererklärung aber ausgewiesene Umsatzsteuerzahlungen (Vorauszahlungen) enthalten waren. Der BFH hat dadurch einen Abgleich von zwei Erklärungen vorgenommen und Widersprüchlichkeiten als „offenbar” beurteilt. Den von der Finanzbehörde erhobenen Einwand, der zuständige Sachbearbeiter hätte annehmen können, die geleisteten Umsatzsteuerzahlungen seien mit Blick auf § 11 EStG wegen der Zuordnung zu einem anderen Veranlagungszeitraum nicht angesetzt worden, wies der BFH als „abwegig” zurück.

In vergleichbarer Weise hat der BFH eine offenbare (Übernahme-)Unrichtigkeit bei doppelter Erfassung von Mieterlösen angenommen (, BFH/NV 2008, 1801). Der BFH sah es dort als offenbaren Fehler an, dass der Steuerpflichtige Mieterlöse in der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG seiner gewerblichen Tätigkeit als auch als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung erklärt hatte. Dieser Fehler war für den BFH aus den Angaben in der Anlage zur Gewinnermittlung ersichtlich.

Insgesamt folgt hieraus für den erkennenden Senat, dass das Merkmal der „Offenbarkeit” im Lichte der BFH-Rechtsprechung nicht in dem Sinne verstanden werden kann, dass ein Mangel bereits bei oberflächlicher Bearbeitung oder bei bloßer Sichtung der Steuererklärung ohne nähere Befassung mit hierzu eingereichten Gewinnermittlungen nebst eingereichten Anlagen (mit Herleitung der einzelnen Positionen der Gewinnermittlung) ersichtlich sein muss. Vielmehr verlangt die Prüfung der „Offenbarkeit”, dass der Mangel bei Sichtung der genannten Unterlagen erkennbar wird. Eine solche Auslegung des Begriffs der Offenbarkeit begegnet aus Sicht des Senats keinen Bedenken, da Bezugspunkt der offenbaren Unrichtigkeit nicht die Angaben im Steuerbescheid sind, sondern die Unrichtigkeit „beim Erlass des Verwaltungsakts” unterlaufen sein muss. Die vorgenannte Gesetzeshistorie und der Gesetzeswortlaut stehen deshalb im Einklang mit dem Auslegungsergebnis. Die Auslegung steht auch im Einklang mit der BFH-Rechtsprechung zur fehlenden Verschuldensorientierung. Der BFH hat im Urteil vom (III R 22/08, BFH/NV 2919, 1410) ausgeführt, dass es für die Anwendung des § 129 AO nicht darauf ankommt, ob der Bearbeiter bei gehöriger Sorgfalt sein Versehen hätten erkennen und die offenbare Unrichtigkeit bei der Steuerfestsetzung hätte vermeiden können (Rn. 20 der in Juris veröffentlichten Entscheidungsgründe).

Soweit der Beklagte ein anderes Verständnis der Vorschrift vertritt und meint, ein bei der „üblichen Prüfungstiefe” in der Fallbearbeitung nicht auffallender Fehler sei nicht offenbar, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die vorgenannte BFH-Rechtsprechung spricht vielmehr für eine größere als die üblicherweise im Veranlagungsverfahren von der Finanzbehörde angewandte Prüfungstiefe, welche durch nunmehr in § 88 Abs. 2 Satz 3 AO n.F. normierte Methoden der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit geprägt ist. Hierdurch ist es möglich, dass ein mechanischer Fehler im Veranlagungsverfahren nicht auffällt, aber gleichwohl bei späterer Prüfung die Voraussetzungen des § 129 AO erfüllt sind. Dies wirkt zugunsten und zuungunsten aller Beteiligten.

e. Nicht unter § 129 AO fallen jedoch – in Abgrenzung zu „mechanischen” Fehlern – Rechtsirrtümer, unrichtige Tatsachenwürdigung, die unzutreffenden Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts und Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen (vgl. nur , BFH/NV 2010, 1410; vom X R 47/07, BFH/NV 2008, 1801; vom XI R 40/91, BFH/NV 1993, 509, jeweils m.w.N.). Eine offenbare Unrichtigkeit scheidet bereits dann aus, wenn eine mehr als theoretische Möglichkeit besteht, dass der Fehler auf den vorgenannten Ursachen beruht (, BFH/NV 2010, 2004, m.w.N.).

Ob die Möglichkeit eines Rechtsirrtums oder eines diesem gleichgestellten Fehlers auszuschließen ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles, vor allem nach der Aktenlage (vgl. nur , BFH/NV 2010, 1410 und vom VIII R 15/10, BStBl II 2013, 307). Bei der Übernahme eines Fehlers des Steuerpflichtigen dürfen keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Veranlagungsbeamte rechtliche Überlegungen angestellt hat oder dass der Fehler auf einer fehlerhaften oder unterlassenen Sachaufklärung der Finanzbehörde beruht (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 129 AO Rn. 14 m.w.N.).

f. Die Berichtigung nach § 129 AO liegt grds. im Ermessen der Behörde (§ 129 Satz 1 AO: „kann”). Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist jedoch zu berichtigen (§ 129 Satz 2 AO). Ein berechtigtes Interesse besteht etwa dann, wenn sich die Unrichtigkeit – wie im Streitfall – auf die Höhe der Steuerfestsetzung ausgewirkt hat (vgl. von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 129 AO Rn. 48; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 129 AO Rn. 31, jeweils m.w.N.).

2. Bei Übertragung der vorgenannten Grundsätze auf den Streitfall liegt eine dem Kläger unterlaufene Unrichtigkeit vor, die vom Beklagten übernommen worden ist (hierzu a.). Die Unrichtigkeit war „offenbar” im vorgenannten Sinne, d.h. ohne weiteres erkennbar (hierzu b.). Im Streitfall liegen auch keine Anhaltspunkte für einen über die theoretische Möglichkeit hinausgehenden Rechtsanwendungs-, Sachverhaltsermittlungs- oder Sachverhaltswürdigungsfehlers des Veranlagungsbeamten vor (hierzu c.). Der Kläger hat deshalb einen Anspruch auf Berichtigung (hierzu d.).

a. Im Streitfall liegt eine dem Schreib- und Rechenfehler ähnliche Unrichtigkeit in Form eines Übertragungsfehlers vor. In der vom Kläger erstellten Buchführung wurden – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – Sozialversicherungsaufwendungen zutreffend auf dem Konto 4130 als Aufwand verbucht, jedoch versehentlich nicht in die Berechnung des Gewinns nach § 4 Abs. 3 EStG übernommen. Durch einen technischen Fehler bei Erstellung der Einnahme-Überschuss-Rechnung ist das Konto 4130 den sonstigen Konten und nicht den Aufwandskonten zugeordnet worden, wodurch ein unstreitig zu hoher Gewinn ausgewiesen und besteuert worden ist. Ob die Fehlerursache auf einer – dem Senat unwahrscheinlich erscheinenden – fehlerhaften Programmierung des DATEV-Programms oder auf einer – dem Senat eher wahrscheinlich erscheinenden – Fehlbedienung beruht, ist für die Fehlerhaftigkeit unerheblich. Beide Fehlerursachen führen zu einem technischen Fehler. Dem Senat drängt sich deshalb keine weitere Sachaufklärung zur Fehlerursache auf. Unerheblich ist im Streitfall auch, ob der Kläger oder sein Prozessbevollmächtigter den Fehler schuldhaft herbeigeführt haben.

b. Die Unrichtigkeit war offenbar, d.h. ohne weiteres erkennbar. Bei Sichtung des Kontennachweises der Gewinnermittlung wird deutlich, dass das Konto 4130 als einziges Aufwandskonto den „sonstigen Konten” zugeordnet worden ist. Es erweist sich als „Fremdkörper” innerhalb der bei den sonstigen Konten aufgezählten Konten. Dies reicht nach Überzeugung des Senats im Streitfall aus, eine „Offenbarkeit” anzunehmen. Auf den Umstand, dass der Fehler bei bloßer Sichtung der Gewinnermittlung ohne Berücksichtigung des Kontennachweises schwer bzw. nur bei einem Abgleich mit Vorjahres-Gewinnermittlungen ersichtlich ist, kommt es dadurch nicht an. Es steht aus den vorgenannten Gründen einer Berichtigung deshalb nicht entgegen, dass sich die Gewinnermittlung bei überschlägiger Prüfung für den Veranlagungsbeamten als schlüssig darstellte.

c. Im Streitfall liegen nach der vom Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung keine Anhaltspunkte für eine mehr als theoretische Möglichkeit eines Fehlers in der Rechtsanwendung, Sachverhaltsaufklärung oder -würdigung vor. Soweit der Beklagte anführt, möglicherweise habe der Kläger die Aufwendungen wegen fehlendem Abfluss (i.S.d. § 11 EStG) nicht gewinnwirksam werden lassen wollen, bestehen hierfür keinerlei Anhaltspunkte.

Gegen eine solche (mehr als theoretische) Möglichkeit spricht bereits, dass die Buchung auf einem Aufwandskonto bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG eine Gewinnminderung bewirken soll. Bei fehlendem Abfluss auf dem Bank- oder Kassenkonto wird bei Einnahme-Überschuss-Rechnung noch gar keine Buchung vorgenommen oder es wird „nachrichtlich” eine Verbindlichkeit ausgewiesen. Im Streitfall würde die vom Beklagten angedeutete Möglichkeit eines fehlenden Abflusses dazu führen, dass der Kläger ganzjährig überhaupt keine Sozialversicherungsbeträge an die Sozialversicherungsträger abgeführt hätte. Für einen solchen Geschehensablauf fehlen im Streitfall jegliche Anhaltspunkte, er liegt auch – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – tatsächlich nicht vor. Überdies hätte sich der Kläger dann nach § 266a Abs. 3 des Strafgesetzbuches (StGB) wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt strafbar gemacht, was einen solchen Geschehensablauf als noch untypischer und unwahrscheinlicher erscheinen lässt.

Im Streitfall bestehen nach Sichtung des Akteninhalts auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Veranlagungssachbearbeiter bei Bearbeitung der Steuererklärung irgendwelche rechtlichen Erwägungen zu den Aufwendungen angestellt hat oder Mängel in der Sachverhaltsaufklärung oder -würdigung vorliegen. Die Steuerakten enthalten keinerlei Vermerke dahingehend, dass von einem fehlenden Abfluss ausgegangen wird. Dies wäre auch ungewöhnlich, da der Beklagte an anderer Seite wiederholt darauf verweist, dass der Fehler bei der überschlägigen Bearbeitung der Steuererklärung nicht aufgefallen sei und auch nicht habe auffallen müssen. Dies spricht vielmehr dafür, dass der Veranlagungssachbearbeiter das fehlerhaft aufgeführte Konto im Kontennachweis gar nicht bemerkt hat.

d. Der Beklagte ist zur Berichtigung nach § 129 Satz 2 AO wegen eines berechtigten Interesses des Klägers verpflichtet. Wegen der fehlenden Verschuldensorientierung der Vorschrift steht es der Korrektur nicht entgegen, wenn der Fehler auf dem Verhalten des Steuerpflichtigen beruht. Besondere zeitliche oder sachliche Umstände, die ausnahmsweise ggf. einer Berichtigung zugunsten des Klägers entgegenstehen könnten, liegen im Streitfall nicht vor.

3. Da die Voraussetzungen des § 129 AO vorliegen, braucht nicht entschieden zu werden, ob die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vorliegen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
AO-StB 2017 S. 212 Nr. 7
EFG 2017 S. 1055 Nr. 13
StuB-Bilanzreport Nr. 18/2017 S. 719
YAAAG-49645