FG Münster Urteil v. - 9 K 2342/15 E EFG 2016 S. 1848 Nr. 22

Verfahren

Änderung nach § 129 AO - Überprüfung elektronisch übermittelter Daten

Leitsatz

Eine offenbare Unrichtigkeit i.S.v. § 129 AO liegt nicht vor, wenn ein konkreter Anlass zur Überprüfung der elektronisch übermittelten Daten zu den Renteneinkünften des Steuerpflichtigen bestand, der Sachbearbeiter nach Aktenlage aber bewusst darauf verzichtet hat, einen Abgleich mit der Steuererklärung durchzuführen, die ihm parallel vorlag.

Gesetze: AO § 129

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Einkommensteuerfestsetzung 2011 gemäß § 129 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) geändert werden durfte.

Die Kläger wurden als Eheleute im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Kläger bezog neben betrieblichen Versorgungsbezügen eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Klägerin war bis zum als städtische Angestellte tätig; ab dem bezog sie Renteneinkünfte.

In Anlage R zur Einkommensteuererklärung 2011 deklarierte die Klägerin auf der ersten Seite Folgendes (Beträge in €):


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1. Rente
2. Rente
1
3
Rentenbetrag
6.677
1.804
Rentenanpassungsbeträge
Beginn der Rente
01042011
01042011

Der Eintrag „1” zur ersten Rente bezeichnet Bezüge aus inländischen gesetzlichen Rentenversicherungen; der Eintrag „3” zur zweiten Rente bedeutet, dass die Bezüge aus inländischen berufsständischen Versorgungseinrichtungen stammen.

Auf der zweiten Seite trug die Klägerin unter der zweiten Rente 65 € unter Zeile 31 „Leistungen aus einem Altersvorsorgevertrag, einem Pensionsfonds, einer Pensionskasse oder aus einer Direktversicherung lt. Nummer 1 der Leistungsmitteilung” ein. Unter Zeile 38 „Leibrente aus einem Altersvorsorgevertrag oder aus einer betrieblichen Altersversorgung lt. Nummer 4 oder Leistungen wegen schädlicher Verwendung lt. Nummer 8a der Leistungsmitteilung” trug sie einen Betrag in Höhe von 1.750 € (Kennziffer 557) ein. Dieser wurde von dem Sachbearbeiter handschriftlich gestrichen und in derselben Zeile zur Kennziffer 507 verschoben.

In der Anlage Vorsorgeaufwand erklärte die Klägerin in Zeile 12 zur Kennziffer 420 Arbeitnehmerbeiträge zur Krankenversicherung laut Nr. 25 der Lohnsteuerbescheinigung in Höhe von 346 € und in Zeile 18 zur Kennziffer 426 Beiträge zur Krankenversicherung z.B. bei Rentnern in Höhe von 819 €.

In der Einkommensteuerakte liegt im Anschluss an die Anlage R auch eine Mitteilung der VBL Pflichtversicherung vom vor, in der diese für das Kalenderjahr 2011 folgende Leistungen aus dem Altersvorsorgevertrag oder aus der betrieblichen Altersversorgung bescheinigt werden, die der Besteuerung nach § 22 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes 2009 (EStG 2009) unterlägen:


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Besteuerung nach
Nr. 1
§ 22 Nr. 5 Satz 1 EStG 2009Einzutragen auf Seite 2 Zeile 31 der Anlage R
65,31 €
Nr. 4
Einzutragen auf Seite 2 Zeile 38 der Anlage R
1.750,74 €

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass nur diese Rentendaten elektronisch an das FA weitergeleitet worden sind. Der in der Anlage R unter „1. Rente” deklarierte Rentenbetrag wurde demgegenüber nicht zeitnah elektronisch übermittelt.

In einer Hinweismitteilung erschienen hinsichtlich der Klägerin folgende Prüf- bzw. Risiko-Hinweise:


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7146:
Die Werte zu den Kennzahlen von Kz 52.420 und/oder 423 ähneln den Werten zu Kz. 52.426 und/oder 429. Es ist zu prüfen, ob eine Doppelerfassung vorliegt.
5712:
00720301038 Bitte die erstmals im laufenden Jahr bezogene (weitere) Leistung laut Nr. 4 oder 8a der Leistungsmitteilung Kz 72.507) prüfen.
5572
00720102028 Bitte die im laufenden Jahr erstmals bezogene weitere Leistung laut Nr. 1 der Leistungsmitteilung (zertifizierter Altersvorsorgevertrag oder betriebliche Altersversorgung; Kz 72.550) prüfen.

Zu dem ersten Hinweis notierte der Sachbearbeiter des Beklagten (des Finanzamts – FA–) handschriftlichen „geprüft, vgl. Anlage Vorsorgeaufwand” und zu dem zweiten Hinweis „geprüft Belege lagen vor”. Hinsichtlich des dritten Hinweises vermerkte der Sachbearbeiter: „geprüft wie [das folgende Wort ist unleserlich gestrichen] Belege lagen vor”.

In der Anlage Vorsorgeaufwand berichtigte der Sachbearbeiter zudem die Eintragungen zur Klägerin in Zeile 18 Kennziffer 426 (Beiträge zu Krankenversicherungen – ohne Beiträge, die in Zeile 12 geltend gemacht werden – (z.B. bei Rentnern und freiwillig gesetzlich versicherten Selbstzahlern)) und Zeile 21 Kennziffer 429 (Beiträge zu sozialen Pflegeversicherungen – ohne Beiträge, die in Zeile 15 geltend gemacht werden – (z.B. bei Rentnern und freiwillig gesetzlich versicherten Selbstzahlern)), indem er die Eintragungen „819” und „166” durch „282” und „36” ersetzte. Die von dem Sachbearbeiter eingesetzten Beträge entsprachen den Werten zu den elektronisch übermittelten Rentenbezügen, wie sie auch der Mitteilung der VBL Pflegeversicherung vom entnommen werden konnten.

Am erließ das FA einen Einkommensteuerbescheid für 2011, in dem nur die elektronisch übermittelten Rentendaten erfasst worden sind. Außerdem wurden die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung unter Berücksichtigung der Korrekturen des Sachbearbeiters angesetzt. Dieser Einkommensteuerbescheid ist formell bestandskräftig geworden.

Im Jahre 2014 überprüfte die Qualitätssicherung im FA die Rentenbezugsmitteilungen in 319 Fällen und kam in 46 Fällen zu der Notwendigkeit einer weiteren Überprüfung. In diesem Zusammenhang wurde mitgeteilt, dass bei den Klägern im Einkommensteuerbescheid 2011 eine relevante Abweichung festgestellt worden sei.

Dies nahm das FA zum Anlass den Einkommensteuerbescheid 2011 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern und die erste Rente nunmehr in die sonstigen Einkünfte einzubeziehen.

Die Kläger legten gegen den Änderungsbescheid Einspruch ein. In der Einspruchsentscheidung vom gab das FA den Klägern zwar insoweit Recht, als es einsah, dass die Korrekturvoraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vorlagen. Es ging nun aber davon aus, dass jedenfalls nach § 129 AO eine Änderung möglich sei. Aufgrund eines rein mechanischen Übersehens habe der Sachbearbeiter die erste Rente nicht erfasst. Ein Rechtsirrtum sei ausgeschlossen. Auch ein Denkfehler des Sachbearbeiters komme nicht in Betracht. Aus diesem Grund wies es den Einspruch als unbegründet zurück.

Mit der daraufhin erhobenen Klage wenden sich die Kläger gegen die Änderung des Einkommensteuerbescheids 2011.

Sie begründen ihre Klage damit, dass das FA die elektronisch übermittelten Daten nicht weiter überprüft habe. Es habe die Daten blind übernommen, obwohl ihm die Anlage R zur Verfügung gestanden habe. Ursache des Fehlers sei keine mechanische Unrichtigkeit, sondern eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht.

Hinzu komme, dass es dem FA nach seinen eigenen Ausführungen bekannt gewesen sei, dass die Klägerin 2011 zunächst noch aktiv Beschäftigte gewesen sei. Die betriebliche Altersvorsorge der VBL werde immer neben der gesetzlichen Rente gezahlt. Es habe damit für das FA ein Anlass bestanden, den Sachverhalt weiter zu ermitteln.

Während das FA seine Sachverhaltsaufklärungspflicht verletzt habe, seien die Kläger ihren Mitwirkungspflichten vollumfänglich nachgekommen. Der Sachbearbeiter habe sich nicht allein auf die elektronische Übermittlung verlassen dürfen, weil an der elektronischen Übermittlung Menschen mitwirkten, die Fehler machen könnten. Darüber hinaus wäre die Steuererklärung dann entbehrlich, weil alle Daten bereits elektronisch übermittelt würden.

Bei Durchsicht der Akten könne festgestellt werden, dass auch im Übrigen ein Abgleich zwischen den elektronisch übermittelten Daten und der Steuererklärung stattgefunden habe.

Darüber hinaus habe auch das Bundeszentralamt für Steuern in mehreren Schreiben mitgeteilt, dass in bestimmten Fällen eine Übermittlung der Rentenbezugsmitteilung nicht möglich sei. Dies könne insbesondere dann zutreffen, wenn das Geburtsdatum eines Leistungsempfängers nicht oder lediglich unvollständig oder dem Mitteilungspflichtigen ein lediglich vermeintlich konkretes oder fiktives Datum bekannt sei, das von dem in der IdNr-Datenbank gespeicherten Datum abweiche. Der handschriftliche Vermerk des Geburtsdatums der Klägerin auf dem Ausdruck der Excel-Tabelle lasse vermuten, dass dies auch vorliegend der Grund für die unterbliebene Übermittlung der Renteneinkünfte nach amtlich bestimmtem Datensatz gewesen sei.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2011 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben,

hilfsweise, den Einkommensteuerbescheid 2011 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom unter Berücksichtigung von sonstigen Einkünften aus Renten gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG 2009 in Höhe von 9.302 € zu ändern,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA ist der Auffassung, es liege kein Fehler in der Sachverhaltsermittlung vor. Das bei der Veranlagung im Hintergrund laufende Prüfprogramm habe hinsichtlich der sonstigen Einkünfte lediglich wegen der unvollständigen Eintragungen zu den Einnahmen der Klägerin aus der betrieblichen Altersversorgung Prüf- bzw. Risikohinweise ausgeworfen. Für den Sachbearbeiter habe daher kein Anlass bestanden, die Angaben der Klägerin in der Anlage R im Einzelnen mit den im elektronischen Rentenspeicher vorhandenen Daten abzugleichen.

Der Berichterstatter hat den Sach- und Streitstand am mit den Beteiligten erörtert. Das FA hat die Vorgehensweise bei der Veranlagung in seinem Haus bei dieser Gelegenheit wie folgt erläutert: Bei Eingang einer Steuererklärung werde zunächst einmal auf die elektronisch übermittelten Daten zurückgegriffen. Überprüft würden anschließend nur die übrigen Daten der Steuererklärung. Was nach dem ersten Einlesen der Daten passiere, sei individuell unterschiedlich. Man könne aber festhalten, dass die elektronische Übermittlung gerade dem Zweck der Arbeitserleichterung diene; die Mitarbeiter sollten diese Werte übernehmen und sich grundsätzlich auch darauf verlassen dürfen. Eigentlich sei der elektronisch übermittelte Problemkreis damit abgeschlossen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Erörterungstermins wird auf den Inhalt des Protokolls Bezug genommen.

In dem Erörterungstermin haben die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden durfte (§ 90 Abs. 2 FGO), ist begründet. Der Änderungsbescheid zur Einkommensteuer ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zu Unrecht hat das FA den Einkommensteuerbescheid hinsichtlich der nicht berücksichtigten Rente der Klägerin in Höhe von 6.677 € geändert.

I. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht mehr streitig, dass eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen nicht zulässig war. Weitere Ausführungen sind daher entbehrlich.

II. Der Einkommensteuerbescheid durfte auch nicht wegen einer offenbaren Unrichtigkeit geändert werden. Nach § 129 Satz 1 AO kann die Behörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Der Einkommensteuerbescheid 2011, den das FA am erlassen hatte, war nicht derartig fehlerhaft; dies gilt insbesondere für die allein in Betracht kommende ähnliche offenbare Unrichtigkeit.

1. Eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit kann nur vorliegen, wenn sie auf ein mechanisches Versehen zurückzuführen und die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausgeschlossen ist (, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs, ehemals Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs –BFH/NV– 2004, 1505; vom X R 47/07, BFH/NV 2008, 1801). § 129 Satz 1 AO ist nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (, BFH/NV 2007, 2056). Es muss sich um einen Fehler handeln, der in einem sonstigen mechanischen, zumal unbewussten, gedankenlosgewohnheitsmäßigen, unwillkürlichen Vertun besteht, beispielsweise Übersehen, falsches Ablesen, falsches Übertragen, Verwechseln, Vertauschen oder Vergessen. Hervorgerufen werden muss der Fehler durch Unachtsamkeit, Flüchtigkeit, Gedankenlosigkeit, Abgelenktheit o.ä. (Tehler, Deutsches Steuerrecht 2009, 1019). Ob ein solches mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, ist jeweils nach den Verhältnissen des Einzelfalls vom Finanzgericht als Tatsacheninstanz zu beurteilen (, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs –BFHE– 226, 8, Bundessteuerblatt –BStBl– II 2009, 946; vom IX R 4/12, BFH/NV 2013, 1).

Der Fehler darf nicht erst durch Abfrage subjektiver Einschätzungen seinerzeit Beteiligter ermittelt und auf diese Weise „offenbart” werden können (, BFH/NV 2007, 1810). Etwaige entgegenstehende innere Absichten des beteiligten Verwaltungsbeamten müssen sich sonach in einer irgendwie nach außen tretenden, „offenbaren” Handlungsweise „beim Erlass” (vgl. § 129 Satz 1 AO) des betreffenden Bescheides oder auch „im Vorfeld” der Steuerfestsetzung niederschlagen; spätere Bekundungen des Beamten können dies nur verifizieren (, BFH/NV 2003, 1139). In der Regel können sich die Finanzgerichte daher allein auf den Akteninhalt stützen und sind nicht gehalten, den tätig gewordenen Bearbeiter als Zeugen zu hören (, BFH/NV 2007, 1810).

2. Abzugrenzen ist die ähnliche offenbare Unrichtigkeit von Fehlern in der Sachverhaltsermittlung, die nicht auf bloßer Unachtsamkeit beruhen (, BFH/NV 1993, 509; Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler –HHSp–, § 129 AO Rz. 62). Diese führen zu einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht (, BFHE 146, 350, BStBl II 1986, 541; vom I R 116/88, BFHE 162, 115; vom I R 26/90, BFH/NV 1992, 359; vom IX R 31/91, BFH/NV 1995, 1). So liegt eine offenbare Unrichtigkeit unter Umständen nicht mehr vor, wenn nur durch Beiziehung weiterer Unterlagen der zutreffende Sachverhalt erkennbar gewesen wäre (statt aller Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 129 AO Rz. 11). Dies ist namentlich dann der Fall, wenn das FA bei der Veranlagung des Steuerpflichtigen davon absieht, den konkreten Besteuerungszeitraum betreffende präsente Unterlagen einzusehen (Wernsmann in HHSp, § 129 AO Rz. 61 mit einem Beispiel zur Umsatzsteuer). Werden ferner Fälle im Rahmen ihrer Bearbeitung im Rahmen des Risikomanagement-Systems ohne personelle Überprüfung maschinell verarbeitet, kann eine offenbare Unrichtigkeit ausscheiden (kategorischer von Wedelstädt in Beermann/Gosch, § 129 AO Rz. 13).

Die Verpflichtung zur Sachaufklärung und ihr Umfang hat sich an § 88 AO in der bis zum gültigen Fassung auszurichten. Dies bedingt eine einzelfallbezogene Prüfung, ob eine Pflicht zur Sachaufklärung oder zur Hinzuziehung des Akteninhalts einschließlich der Vorakten bestand (von Wedelstädt in Beermann/Gosch, a.a.O.). Hiernach kann eine offenbare Unrichtigkeit noch vorliegen, wenn feststehende Informationen aus bloßer Unachtsamkeit nicht berücksichtigt werden; auf ein Verschulden des Sachbearbeiters kommt es insoweit nicht an (Wernsmann in HHSp, § 129 AO Rz. 62; zu einem wiederholten, aber einfachen Übersehen s. , BFH/NV 2011, 412). Häuft sich aber die Unachtsamkeit und geht der Sachbearbeiter sich aufdrängenden Zweifeln nicht nach, scheidet eine Anwendung des § 129 Satz 1 AO aus (BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 509).

Mit diesen Grundsätzen steht nicht in Widerspruch, dass nach Auffassung des BFH eine Korrektur nach § 129 Satz 1 AO auch dann noch in Betracht kommen soll, wenn Steuerfälle durch die Verwaltung oberflächlich behandelt werden und ggf. ein Organisationsverschulden vorliegt (in diesem Sinne bspw. , BFH/NV 2007, 1810, und vom III R 22/08, BFH/NV 1410). Denn auch in diesen Fällen kommt ein rein mechanisches Versehen des Sachbearbeiters weiterhin in Betracht. Daran fehlt es aber gerade dann, wenn die Sachbearbeiter einer Behörde aufgrund einer verwaltungs- oder behördeninternen Vorgabe oder aufgrund eines individuellen Willensentschlusses davon Abstand nehmen, trotz eines konkreten Anlasses Einblick in steuerlich erhebliche Unterlagen zu nehmen.

3. Die vorstehende Abgrenzungsfrage stellt sich auch bei der Prüfung eines mechanischen Versehens in den Fällen einer elektronischen Übermittlung steuerlich relevanter Daten. Auch insoweit ist erheblich, ob ein spezifischer Anlass bestanden hat, die Richtigkeit der dem FA übermittelten Daten zu überprüfen (Beschluss des , Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2014, 1743; , EFG 2015, 1328 mit Anm. Meinert). Etwas anderes kann auch nicht dem , EFG 2011, 1220 mit Anm. Rosenke, entnommen werden, in dem zunächst herausgestellt wird, der Sachbearbeiter habe die elektronisch übermittelten Daten übernommen und auf deren Richtigkeit vertraut, daraufhin aber auch klar gestellt wird, es habe kein Anlass bestanden, die Richtigkeit der elektronisch übermittelten Daten zu überprüfen. Das Finanzgericht Münster konnte eine offenbare Unrichtigkeit insbesondere deshalb annehmen, weil kein Prüfhinweis vom System ausgeworfen worden war und es daher an einem konkreten Ermittlungsanlass fehlte (Meinert, EFG 2015, 1330, 1331).

4. Unter Zugrundelegung all dessen scheidet im vorliegenden Fall eine offenbare Unrichtigkeit mangels eines rein mechanischen Versehens aus. Zumindest lässt sich aber eine derartige offenbare Unrichtigkeit –für die hier das FA, welches sich auf die Norm beruft, die objektive Beweislast trägt (, BFH/NV 2009, 1394)– nicht feststellen. Obwohl ein konkreter Anlass zur Überprüfung der elektronisch übermittelten Daten zu den Renteneinkünften der Klägerin bestand, hat der Sachbearbeiter soweit nach Aktenlage ersichtlich bewusst darauf verzichtet, einen Abgleich mit der Steuererklärung durchzuführen, die ihm parallel vorlag. Der Sachbearbeiter hat die Angaben allein ausgehend von den elektronisch übermittelten Daten und den daraufhin durch die EDV ausgesteuerten Risiko-Hinweisen selektiv überprüft, ohne im Weiteren sich hierdurch aufdrängenden Zweifeln nachzugehen, ob die elektronische Übermittlung der Rentendaten tatsächlich vollständig war. In einem ersten Schritt überprüfte er lediglich die konkreten Risiko-Hinweise zur Anlage R der Klägerin (5712 und 5572) und stellte hierbei fest, dass die Kennziffer 72.507 zu Unrecht nicht ausgefüllt worden war; indem er die Eintragung „1750” nachholte, hätte er aber durch Rückblättern auf Seite 1 evaluieren können und sollen, warum überhaupt alle Angaben zu Renten der Klägerin unter einer zweiten Rente erfolgt waren und ob und welcher Wert auf Seite 1 zu einer ersten Rente erfolgt war. Hätte der Sachbearbeiter dies pflichtgemäß getan, hätte er unmittelbar festgestellt, dass der Klägerin auch eine Rente in Höhe von 6.677 € im Jahre 2011 gezahlt worden war. Ein Grund für eine entsprechende Prüfung hätte ferner deshalb bestanden, weil der Sachbearbeiter in der Anlage „Vorsorgeaufwand” die Konsequenzen aus der elektronischen Übermittlung und der Mitteilung vom gezogen und die mitgeteilten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bei der Klägerin berichtigt hat. Er hätte sich jedoch die Frage stellen müssen, warum die Kläger jeweils deutlich höhere Werte angegeben hatten (819 € statt 282 € und 166 € statt 36 €), als es der elektronischen Übermittlung der VBL Pflichtversicherung entsprach. Hierdurch musste sich dem Sachbearbeiter jedenfalls die Vermutung aufdrängen, dass Renteneinkünfte in einer deutlich größeren Höhe vorlagen, als sie tatsächlich elektronisch übermittelt worden waren.

Die unterlassene Sachverhaltsaufklärung lässt sich aus Sicht des Senats nicht mit einem bloßen mechanischen Versehen, sondern nur damit erklären, dass sich der konkrete Sachbearbeiter allein auf die elektronisch übermittelten Daten verlassen und auf eine weitere Überprüfung der Vollständigkeit und Richtigkeit verzichten wollte. Gestützt wird diese Einschätzung durch die Einlassung des FA im Erörterungstermin, in dem zu Protokoll erklärt worden ist, dass es gerade Sinn der elektronischen Übermittlung der Daten sei, die Werte übernehmen und sich auf sie verlassen zu können. Die elektronische Übermittlung diene gerade der Arbeitserleichterung.

III. Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

V. Die Revision war nicht zuzulassen. Der Senat ist bei seiner Entscheidung von den allgemeinen Grundsätzen zu § 129 Satz 1 AO ausgegangen, wie sie durch die Rechtsprechung geprägt worden sind. Diese Grundsätze hat der Senat lediglich auf die Umstände des konkreten Falls übertragen.

Fundstelle(n):
DStRE 2018 S. 165 Nr. 3
EFG 2016 S. 1848 Nr. 22
NWB-Eilnachricht Nr. 48/2016 S. 3577
YAAAF-86114