FG Köln Urteil v. - 14 K 1304/15

Kindergeld/Pflegekind

Kein Kindergeld für Pflegekind mit eigenem Haushalt

Leitsatz

Ein Pflegekindschaftsverhältnis i. S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG setzt voraus, dass das Kind im Haushalt der Pflegeeltern aufgenommen ist; lebt das Kind in einem eigenen Haushalt, liegen die Voraussetzungen zur Berücksichtigung als Pflegekind nicht (mehr) vor.

Gesetze: EStG § 32 Abs 1 Nr 2

Instanzenzug:

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand

Streitig ist das Kindergeld für das Kind R (geb. ….07.1992).

Das Kind befand sich zunächst – seit dem ….09.1995 – in Dauerpflege bei der Klägerin und deren Ehemann und wohnt jetzt in einer eigenen Wohnung.

Die leibliche Mutter des Kindes lebt in England. Als Vater des Kindes ist in der Geburtsurkunde der damalige Ehemann der leiblichen Mutter angegeben. Die Vaterschaft des gesetzlichen Vaters wurde zwischenzeitlich erfolgreich angefochten.

In der Zeit vom ….07.2013 bis ….09.2013 befand sich R wegen einer psychischen Erkrankung in der LVR-Klinik in H. Nach der Entlassung zog er in eine Einrichtung für ambulantes betreutes Wohnen in H. Seit dem wohnt er in einer eigenen Wohnung in H. Die Klägerin und ihr Ehemann zahlen für R monatlich 290 EUR Miete und 25,90 EUR für eine Fahrkarte. Zudem haben sie eine Bürgschaft für die Miete übernommen. Seit dem besucht R die Fachoberschule …. In der Zeit vom ….12.2014 bis ….02.2015 befand sich R erneut wegen einer psychischen Erkrankung in der LVR-Klinik in H.

Mit Bescheid vom wurde die Bewilligung von Kindergeld ab dem Monat Oktober 2014 gegenüber der Klägerin abgelehnt. Zur Begründung wurde angeführt, dass ein Kind nur dann als Pflegekind berücksichtigt werden könne, wenn es in den Haushalt aufgenommen worden sei. R lebe dagegen in einem eigenen Haushalt. Das Einspruchsverfahren war erfolglos (Einspruchsentscheidung vom ).

Zudem hatte R einen eigenen Antrag auf Bewilligung von Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) gestellt. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom gegenüber R abgelehnt. Das Widerspruchsverfahren war erfolglos.

Die Beklagte wertete den eigenen Kindergeldantrag von R zugleich als Antrag des Kindes auf Abzweigung des Kindergeldes. Dieser Antrag wurde gegenüber R ebenfalls mit Bescheid vom abgelehnt. Das Einspruchsverfahren gegen diesen Bescheid war erfolglos.

Mit der vorliegenden Klage vom verfolgt die Klägerin ihr eigenes Kindergeldbegehren weiter.

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, der Begriff der Haushaltsaufnahme sei nicht so zu verstehen, dass sich das Pflegekind durchgängig im Haushalt der Pflegeperson aufhalten müsse. Eine räumliche Trennung sei unschädlich, wenn die auswärtige Unterbringung vorübergehender Natur sei. Sie und R hätten wenigstens an den Wochenenden persönlichen Kontakt. R komme dann nach Hause. Dort bewege er sich als vollwertiges Mitglied der häuslichen Gemeinschaft. Er bleibe bis abends, es werde dann gemeinsam gekocht und gegessen. R habe allein letztes Weihnachten zweimal bei ihnen übernachtet. Er schlafe entweder im Zimmer seines Bruders oder in seinem alten Zimmer, in dem sie – die Klägerin – sonst übernachte. Gegenüber Freunden bezeichne R ihren Haushalt als sein richtiges Zuhause. Allein der Umzug in eine eigene Wohnung zu Ausbildungszwecken oder wie hier aus pädagogischen Gründen lasse nicht den Schluss zu, dass die Haushaltsaufnahme beendet sei. Die Entscheidung, dass R in eine eigene Wohnung ziehe, sei nach dem ersten Klinikaufenthalt gefallen. Zusammen mit Ärzten und Pädagogen sei die Entscheidung getroffen worden, um zu sehen, ob R trotz seiner Erkrankung in der Lage sei, auf eigenen Beinen zu stehen. Es habe zudem Ruhe in ihr Verhältnis gebracht werden sollen, nachdem es zu körperlichen Übergriffen auf sie gekommen sei. Auch habe der noch im Haushalt lebende jüngere Sohn M vor den krankhaften Verhaltensweisen von R geschützt werden sollen. R wisse, dass er jederzeit nach Hause kommen könne und tue dies auch. Er habe einen eigenen Haustürschlüssel. Wenn er mit der eigenen Wohnung überfordert wäre, könnte er wieder zurück. Die Aufwendungen, die die Familie erbringe, um für R da zu sein, seien enorm und wesentlich größer als bei gesunden jungen Erwachsenen. Sie unterstützten das Kind nicht nur wirtschaftlich, sondern stünden ihm zu jeder Zeit wie Eltern bei. Es sei für sie selbstverständlich, dass sie sich weiterhin um das Kind kümmerten. Ob es sich um einen vorübergehenden Auszug handelt oder ob dieser endgültig sei, könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit gesagt werden. Zu der leiblichen Mutter bestehe so gut wie kein Kontakt. Die Mutter lebe irgendwo in England. Der vermutlich leibliche Vater lebe in Afrika. Außer einem Besuch im letzten Jahr bestehe auch hier so gut wie kein Kontakt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Klägerin wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ab dem Monat Oktober 2014 Kindergeld für R zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte weist darauf hin, dass R nicht mehr im Haushalt der Klägerin lebe. Ein Pflegekindschaftsverhältnis bestehe deswegen nicht mehr.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung von R als Zeugen, ob eine wirtschaftliche und familiäre Bindung zur Klägerin besteht. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht kein Kindergeld für R als Pflegekind zu.

Pflegekinder sind nach der Legaldefinition des § 32 Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) in der Fassung des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 2003 vom (Bundesgesetzblatt I 2003, 2645) Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhutsund Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht.

Nach der bis zum In-Kraft-Treten des StÄndG 2003 geltenden Gesetzesfassung hing ein Pflegekindschaftsverhältnis unter anderem davon ab, dass der Steuerpflichtige das Kind in seinen Haushalt aufgenommen und mindestens zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten unterhalten hat. Nach neuer Rechtslage kommt es insoweit dagegen nur darauf an, dass das Kind nicht zu Erwerbszwecken in den Haushalt aufgenommen wurde. Das Gesetz verlangt nicht mehr ausdrücklich die Aufnahme des Pflegekindes in den Haushalt des Steuerpflichtigen. Der Gesetzeswortlaut legt eine solche Auslegung auch nicht nahe. Der Gesetzgeber hätte andernfalls – wie zuvor – regeln können, dass das Pflegekind in den Haushalt des Steuerpflichtigen aufgenommen sein muss. Er hat dagegen anstelle eines positiven Tatbestandsmerkmals eine negative Formulierung („nicht zu Erwerbszwecken in den Haushalt aufgenommen”) verwendet und es damit der Rechtsprechung überlassen, das Tatbestandsmerkmal mit positiven Elementen aufzufüllen. Allerdings entspricht die Auslegung, dass das Pflegekind nicht mehr in den Haushalt des Steuerpflichtigen aufgenommen worden sein muss, nicht dem Willen des Gesetzgebers. Dies zeigt maßgeblich die Entstehungsgeschichte. Das Ziel des Gesetzgebers, das er mit der Neufassung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG durch das StÄndG 2003 verfolgte, bestand darin, den Pflegeeltern den Nachweis der tatsächlichen Unterhaltsaufwendungen zu ersparen (vgl. BT-Drucks. 15/1945 S. 9). Das Erfordernis der Haushaltsaufnahme sollte wohl erhalten bleiben. Denn in den Gesetzesmaterialien heißt es, dass „Pflegekinder, die der Steuerpflichtige bzw. Kindergeldberechtigte in seinen Haushalt aufgenommen hat, berücksichtigt (werden), ohne dass es eines Nachweises der tatsächlichen Unterhaltsaufwendungen bedarf” (vgl. BT-Drucks. 15/1945 S. 9). § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist daher in dem Sinne auszulegen, dass ein Pflegekindschaftsverhältnis weiterhin eine Haushaltsaufnahme voraussetzt. Für eine solche Auslegung lässt sich auch anführen, dass nur dann, wenn das Pflegekind in den Haushalt des Steuerpflichtigen aufgenommen ist, eine einem leiblichen Kind vergleichbare Unterhaltssituation besteht. Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt weiterhin die Aufnahme des Pflegekindes in den Haushalt des Kindergeldberechtigten (vgl. , BFH/NV 2012, 1446, das auf die sprachliche Unklarheit allerdings nicht eingeht).

Im Streitfall steht nach dem Ergebnis der informatorischen Befragung der Klägerin und der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats fest, dass die Haushaltsgemeinschaft zwischen der Klägerin und R beendet wurde und die Aufenthalte von R in der Wohnung der Klägerin nur noch Besuchscharakter haben.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegt eine Haushaltsaufnahme vor, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden ist. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein. Diese drei Merkmale können zwar je nach Einzelfall unterschiedlich ausgeprägt, müssen aber alle gegeben sein. Das örtliche Merkmal der Haushaltsaufnahme bezieht sich auf die gemeinsame Familienwohnung als ortsbezogener Mittelpunkt der gemeinschaftlichen Lebensinteressen (z.B. , BFH/NV 2011, 788 m.w.N.).

Im Streitfall steht zur Überzeugung des Senats fest, dass R parallel zum Haushalt der Klägerin einen eigenen Haushalt führt. Zwar ist R im Haushalt der Klägerin aufgewachsen, jedoch lebt er jetzt in einer eigenen Wohnung in H. Die Wohnung weist nach seiner Aussage alle für ein eigenständiges Leben notwendigen Einrichtungen wie Bad, Koch-, Schlaf- und Wohngelegenheit auf. Nach eigenem Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bereitet er dort seine Mahlzeiten zu und wäscht seine Wäsche in einer eigenen Waschmaschine. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er aus Bafögleistungen. Zwar erhält R von der Klägerin finanzielle Zuwendungen, da seine Mittel sonst nicht ausreichen dürften, um den Lebensunterhalt zu sichern. Dies spricht jedoch nicht gegen ein unabhängiges Wirtschaften in einem eigenen Haushalt. Die finanzielle Unterstützung, gegenseitige Besuche oder die Ansprechbarkeit ersetzen nicht das Familienleben, welches in der Regel durch ein ständiges Zusammenleben gekennzeichnet ist. Nach eigener Aussage hält R sich nur einmal wöchentlich bei der Klägerin auf, manchmal auch in Abständen von zwei oder drei Wochen. Er übernachtet dort nicht regelmäßig, nach eigener Aussage war dies erst zwei- oder dreimal der Fall. Die Kontakte haben sich demnach auf Besuche beschränkt. Solche Besuche finden erfahrungsgemäß auch dann statt, wenn jemand sich ganz von dem Familienhaushalt gelöst hat, zu dem er früher gehörte. Nach beiderseitiger Aussage steht R sein bisheriges Kinderzimmer auch nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung, weil das Zimmer nachts durch die Klägerin belegt ist. Unter Berücksichtigung des Alters von R und der damit einhergehenden Verselbstständigung hält das Gericht den Umfang des örtlich gebundenen Zusammenlebens nicht für ausreichend, um ein gemeinsames Zusammenleben in einem Haushalt annehmen zu können.

Zwar kann ein Kind, wenn es eine eigene Wohnung bewohnt, neben dem ihm mit dieser Wohnung zuzuordnenden Lebensmittelpunkt einen weiteren durch die gemeinschaftlichen Lebensinteressen begründeten Lebensmittelpunkt der Familie unterhalten. So hat der BFH beispielsweise eine Haushaltszugehörigkeit zu den Eltern bei Internatsaufenthalt mit Zustimmung der Eltern und bei auswärtiger Unterbringung am Studienort bejaht, wenn während des Studiums bei den Eltern noch ein Zimmer zur Verfügung steht, in welches das Kind regelmäßig an Wochenenden und in den Semesterferien zurückkehrt (vgl. BFH-Beschlüsse vom III B 36/07, BFH/NV 2008, 1326; vom III B 69/07, juris).

So verhält es sich aber nicht im Streitfall. Der Aufenthalt von R in der eigenen Wohnung ist nicht vergleichbar mit dem Fall, dass sich ein volljähriges Kind auswärts zu Studienbzw. Ausbildungszwecken aufhält. Die Klägerin hat vorgetragen, es sei zu körperlichen Übergriffen von R auf sie gekommen. Diese besonderen Umstände, die zum Auszug von R geführt haben, lassen darauf schließen, dass das Wohnen in einer eigenen Wohnung nicht als nur vorübergehend gedacht war. Auch der Umstand, dass R, nachdem es Probleme in der Wohngemeinschaft gegeben hatte, in der er zunächst gewohnt hat, nicht wieder in den Haushalt der Klägerin zurückgekehrt ist, sondern in eine eigene Wohnung gezogen ist, spricht für eine Loslösung vom Haushalt der Klägerin. Mit der Rückkehr in den Haushalt der Klägerin ist den Umständen nach nicht zu rechnen.

Durch dieses Ergebnis entsteht keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber leiblichen Eltern. Denn im Gegensatz zu leiblichen Eltern ist die Klägerin gegenüber R nach bürgerlichem Recht nicht zum Unterhalt verpflichtet. Die Klägerin kann auch nicht allein deswegen Kindergeld beanspruchen, weil sie R finanzielle Zuwendungen zukommen lässt. Denn während früher bis zum In-Kraft-Treten des StÄndG 2003 zur Begründung eines Pflegekindschaftsverhältnisses unter anderem die Unterhaltung des Kindes zu einem nicht unwesentlichen Teil auf Kosten des Kindergeldberechtigten erforderlich war, ist dies nach neuer Rechtslage nicht mehr erforderlich. Fehlt es jedoch zur Begründung eines Pflegekindschaftsverhältnisses an einer Unterhaltspflicht, kann es nicht darauf ankommen, dass die Klägerin R finanzielle Zuwendungen hat zukommen lassen.

Der Senat hat sich bei seiner Entscheidung auf das Ergebnis der informatorischen Befragung der Klägerin und die Zeugenaussage von R gestützt. Der Senat hatte den Eindruck, dass beide ihre Lebensumstände wahrheitsgemäß geschildert haben. Anhand dieser Angaben konnte sich der Senat ein hinreichendes Bild über die Haushaltsführung machen. Eine weitere Beweisaufnahme war damit entbehrlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revision wurde nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG unklar ist, ob das Gesetz die Aufnahme des Pflegekindes in den Haushalt des Steuerpflichtigen verlangt und, wenn dies der Fall sein soll, ob die Haushaltsaufnahme fortbestehen muss.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
YAAAF-49541