FG Hessen Urteil v. - 3 K 1554/19

Kindergeldanspruch bei Familienwohnsitz in China

Leitsatz

  1. Ein Wohnsitz liegt vor, wenn die Wohnung dadurch als Bleibe dient, dass sie ständig oder doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit benutzt wird. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinanderfolgender kurzer Zeitraume zu Erholungszwecken macht eine Wohnung nicht zum Wohnsitz im Sinne des § 8 AO.

  2. Die Wohnung im Inland muss nicht den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen bilden, es reicht jedoch nicht aus, dass jemand, der dauert und langfristig mit seiner Familie im Ausland wohnt sich nur gelegentlich im Urlaub in der Wohnung aufhält, die ihm unentgeltlich von Dritten zur Verfügung gestellt wird. In einem solchen Fall dienen die zur Verfügung gestellten Räume nicht als Bleibe und begründen damit keinen Wohnsitz.

  3. Bei einem ins Ausland versetzten Arbeitnehmer begründet das Beibehalten einer eingerichteten Wohnung im Inland eine vom Umfang der tatsächlichen Nutzung unabhängige Vermutung für eine fortdauernde Nutzungsabsicht.

  4. Der Umstand, dass die Wohnung untervermietet wird, schließt dagegen eine künftige regelmäßige Benutzung aus.

  5. Zum Innehaben einer Wohnung ist es erforderlich, dass über die Wohnung ständig verfügt werden kann; dabei ist die Zahlung von Miete für die tatsächliche Verfügungsbefugnis über die Wohnung nicht notwendig.

Gesetze: EStG § 32; EStG § 62; EStG § 63; AO § 8

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin in einem Zeitraum, in dem sie sich mit ihrer Familie überwiegend in China aufhält, zusammen mit ihren Kindern noch einen inländischen Wohnsitz unterhält und in der Konsequenz einen deutschen Kindergeldanspruch hat. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Klägerin, eine deutsche Staatsangehörige chinesischer Abstammung, ist die Mutter der am geborenen Zwillinge A und B. Die Kinder wurden in Deutschland geboren und lebten zunächst ununterbrochen mit ihren Eltern in einem Haus in C (Hessen). Das vorgenannte Haus steht im Eigentum der Firma D GmbH, deren Alleingesellschafter-Geschäftsführer der Ehemann der Klägerin, Herr E, ist. Der Nutzung des Hauses lag ein zwischen der D GmbH und Herrn E geschlossener Mietvertrag (der in 2010 bereits einmal gekündigt, aber später wieder in Kraft gesetzt wurde) zu Grunde.

Bereits im Jahr 2011 erfolgte eine arbeitgeberseitige Abordnung des Ehemanns der Klägerin nach China. Die Beklagte (die Familienkasse) hob die in der Vergangenheit zu Gunsten der Klägerin vorgenommene Kindergeldfestsetzung für den Abordnungszeitraum (Januar 2011 bis einschließlich März 2016) auf und forderte das ausgezahlte Kindergeld zurück. Dagegen wandte sich die Klägerin zunächst mit dem Einspruch. Gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung der Familienkasse ging sie nicht mit einer Klage vor, so dass der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid Bestandskraft erlangte. Nach Ablauf der Abordnungszeit kehrte die Familie wieder nach Deutschland zurück; von Seiten der Familienkasse erfolgte eine erneute Kindergeldfestsetzung zu Gunsten der Klägerin.

Im Sommer 2019 wurde der Ehemann der Klägerin wiederum für drei Jahre nach China entsandt. Die Klägerin und die Kinder folgten ihm dorthin und verbrachten die meiste Zeit des Jahres in China. Wie schon bei der vorhergehenden Abordnung will die Klägerin mit ihrer Familie die Sommerferien (ca. zwei Monate) und teilweise auch einige Wochen im Frühjahr in Deutschland verbringen. Dabei soll erneut das im Eigentum der D GmbH stehende Haus in C (Hessen) zu Wohnzwecken genutzt werden. Seit der Geburt der Kinder steht dieses Haus der Klägerin und ihrer Familie während ihrer Aufenthalte in Deutschland zur Verfügung. Es ist mit Möbeln der Klägerin und ihrer Familie ausgestattet, die in den vergangenen Jahren durchgehend in dem Haus aufgestellt waren und auch während der erneuten Abordnungszeit dort verbleiben sollen. Eine Nutzung des Hauses durch andere Personen als die Klägerin und ihre Familienangehörigen soll - wie bereits in der Vergangenheit - nicht erfolgen. Am schlossen die D GmbH und der Ehemann der Klägerin einen Nachtrag zum Geschäftsführervertrag vom , in dem unter § 4 (Miete) geregelt wird, dass der Geschäftsführer mit seinen Familienangehörigen während seines jährlichen Aufenthalts in Deutschland in seiner bisherigen Wohnung C (Hessen) wohnt und er während dieser Zeit die bisherige Miete zahlt. Des Weiteren wird darin geregelt, dass ihm (und seinen Familienangehörigen) nach Beendigung der Entsendung diese Wohnung wieder dauerhaft und uneingeschränkt zur Verfügung steht.

Nachdem die Familienkasse von diesem Sachverhalt Kenntnis erlangt hatte, hob sie die zu Gunsten der Klägerin erfolgte Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom ab Oktober 2019 auf. Unter dem erließ sie einen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid, der die Monate August und September 2019 zum Gegenstand hatte. Die dagegen von der Klägerin eingelegten Rechtsbehelfe hatten keinen Erfolg und wurden mit Einspruchsentscheidungen vom als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am - vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten - vor dem Hessischen Finanzgericht erhobenen Klage.

Sie ist der Ansicht, die angegriffenen Bescheide seien zu Unrecht ergangen, da sie und ihre Kinder im Streitzeitraum einen deutschen Wohnsitz beibehalten hätten. Unter Hinweis auf das , Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidung des BFH (BFH/ NV 2019, 104)) ist sie der Auffassung, dass ein Wohnsitz nicht voraussetze, dass sich der Betreffende während einer Mindestanzahl von Tagen oder Wochen im Jahr tatsächlich in der Wohnung aufhalte. Auch unregelmäßige Aufenthalte in einer Wohnung könnten zur Aufrechterhaltung eines dortigen Wohnsitzes führen. Bei Übertragung dieser Grundsätze auf den Streitfall habe die Klägerin ihren Wohnsitz trotz der Entsendung ihres Ehemanns nach China in Deutschland nicht aufgegeben, selbst wenn sie weniger als 183 Tage im Kalenderjahr in Deutschland anwesend gewesen sei. Da sie und ihre Kinder bei jeder Rückkehr nach Deutschland dazu berechtigt gewesen seien, das Haus in C (Hessen) zu Wohnzwecken zu nutzen, sei weiterhin von einem deutschen Wohnsitz auszugehen. Das werde auch dadurch bestätigt, dass die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann vom Finanzamt weiterhin als unbeschränkt steuerpflichtig gem. § 1 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) zur Einkommensteuer veranlagt würde.

Die Klägerin beantragt,

den Aufhebungsbescheid vom sowie den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom in Gestalt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidungen vom aufzuheben,

sowie

die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu

erklären.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die streitgegenständlichen Bescheide seien zu Recht ergangen. Im Streitzeitraum hätten weder die Klägerin, noch ihre Kinder über einen inländischen Wohnsitz verfügt. Im Nachtrag zum Geschäftsführervertrag vom werde unter § 4 (Miete) ausdrücklich dargestellt, dass das Haus in C (Hessen) für die Zeit der Beschäftigung des Ehemanns der Klägerin in China nur für den jährlichen Urlaubsaufenthalt zur Verfügung stehe und auch nur für diesen Zeitraum Miete zu zahlen sei. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass das Haus im restlichen Zeitraum der Familie nicht zur Verfügung stehe. Die Klägerin und ihre Kinder hätten während des Auslandsaufenthalts in China nur in der Zeit des Urlaubsaufenthalts über einen Mietvertrag über eine Wohnung in Deutschland verfügt.

Die Tatsache, dass die Wohnung nach Beendigung des Auslandsaufenthalts der Familie wieder dauerhaft und uneingeschränkt zur Verfügung stehe, ändere nichts an der Beurteilung der Frage der Verfügbarkeit während des Auslandsaufenthalts und sei damit für die Beantwortung der Frage, ob während des China-Aufenthalts ein Wohnsitz in Deutschland beibehalten worden sei, ohne Bedeutung.

Das Gericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Diesem hat bei der Entscheidung die Kindergeldakte (2 Bände) vorgelegen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin F. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom verwiesen. Hinsichtlich des übrigen Beteiligtenvortrags wird auf die zwischen den Beteiligten ausgetauschten Schriftsätze verwiesen.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO)).

Im Streitzeitraum hat die Klägerin einen Kindergeldanspruch aus §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

Das setzt voraus, dass die Klägerin und ihre Kinder im maßgeblichen Zeitraum über einen inländischen Wohnsitz verfügten.

Nach § 8 Abgabenordnung (AO) hat jemand dort einen Wohnsitz, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist der steuerrechtliche Wohnsitzbegriff (entsprechendes gilt für den kindergeldrechtlichen Wohnsitzbegriff) objektiviert. Er stellt auf die tatsächlichen Gegebenheiten ab und knüpft in erster Linie an äußere Merkmale, nicht an subjektive Momente oder Absichten an. Maßgebend ist der objektive Zustand, nämlich das Innehaben einer Wohnung unter Umständen, die den Schluss rechtfertigen, dass der Wohnungsinhaber diese Wohnung innehaben und benutzen wird. Das setzt zunächst voraus, dass eine Wohnung mit zum Wohnen geeigneten Räumlichkeiten vorhanden ist, die der Steuerpflichtige innehat, d.h. über die er tatsächlich verfügen kann (, BFH/NV 2001, 1231, m.w.N.).

Dem Steuerpflichtigen muss nach der Rechtsprechung die Wohnung dadurch als Bleibe dienen, dass er sie ständig oder doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit benutzt. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken macht eine Wohnung nicht zum Wohnsitz i.S. des § 8 AO (vgl. , BStBl II 1968, 439; vom II R 139/87, BStBl II 1989, 182; vgl. auch , BFH/NV 2000, 673, für den Fall unregelmäßigen Aufenthalts im Inland ohne Besuchscharakter). Der Wohnsitzbegriff setzt zwar nicht voraus, dass die Wohnung dauernd durch ihren Inhaber genutzt wird oder der Steuerpflichtige sich dort während einer Mindestzeit aufhält. Die Wohnung im Inland muss auch nicht den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen bilden. Er kann deshalb mehrere Wohnsitze haben (vgl. , BFH/NV 1987, 301; vom I R 69/96, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1997, 447). Nicht genügend ist jedoch, dass sich jemand, der dauernd und langfristig mit seiner Familie im Ausland wohnt, nur gelegentlich im Urlaub oder zu Besuchszwecken in einer Wohnung oder in Räumen aufhält, die ihm unentgeltlich von Dritten, z.B. von den Eltern, zur Verfügung gestellt werden. In einem solchen Fall nutzt er die zur Verfügung gestellten Räume nicht als Bleibe und damit nicht als Wohnsitz, sondern nur besuchsweise oder als Ferienwohnung (BFH VI R 64/98, a.a.O.).

Dabei begründet bei einem ins Ausland versetzten Arbeitnehmer das Beibehalten einer eingerichteten Wohnung im Inland eine vom Umfang der tatsächlichen Nutzung unabhängige Vermutung für eine fortdauernde Nutzungsabsicht (, BStBl II 1996, 2). Diese Sachverhaltsvermutung ist allerdings widerlegbar. Als Umstand, der z.B. gegen eine künftige regelmäßige Benutzung durch den Bediensteten spricht, ist nach der Rechtsprechung die (Unter-)Vermietung der Wohnung anzusehen. Gleichermaßen denkbar ist, dass der ins Ausland versetzte Bedienstete seinen Wohnsitz im Inland mit der Versetzung aufgibt, weil seine Familie kurzfristig nachzieht und er am neuen Tätigkeitsort einer uneingeschränkten Residenzpflicht unterliegt. Ist in diesem Sinne der Nachweis des Gegenteils erbracht, so kann das Verbleiben der Wohnung im Inland einen Wohnsitz des versetzten Bediensteten nicht begründen (BFH I R 8/94, a.a.O.). Weitere Gesichtspunkte, die nach der Rechtsprechung in die Beurteilung einfließen können, sind etwa die Ausstattung und die tatsächliche Nutzung der Wohnung, ob der Steuerpflichtige die Wohnung nach Beendigung des Auslandsaufenthalts mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder ständig nutzen wird (BFH I R 69/96, a.a.O.).

Bei Übertragung der vorgenannten Grundsätze auf den Streitfall ist davon auszugehen, dass die Klägerin auch in den Zeiten, in denen sie sich mit ihrer Familie schwerpunktmäßig in China aufhielt - und damit auch im Streitzeitraum - über einen inländischen Wohnsitz verfügte.

a) Das in C (Hessen) belegene Wohnhaus bietet der Klägerin und ihrer Familie evident zum Wohnen geeignete Räumlichkeiten, so dass diese Tatbestandsvoraussetzung des § 8 AO unzweifelhaft erfüllt ist.

b) Darüber hinaus steht es zur Überzeugung des erkennenden Gerichts fest, dass die Klägerin die Wohnung durchgängig innehatte. Das ist dann der Fall, wenn sie ständig über sie verfügen konnte; wobei die höchstrichterliche Rechtsprechung - der der Einzelrichter folgt - auf die tatsächliche Verfügungsmöglichkeit abstellt.

Diese tatsächliche Verfügungsbefugnis, die im Streitfall von der Verfügungsbefugnis des Ehemanns der Klägerin abgeleitet wird, ist vorliegend zu bejahen, was sich aus den nachfolgend dargestellten Umständen ergibt:

aa) Das Hausgrundstück steht im Eigentum der D GmbH. Beim Ehemann der Klägerin handelt es sich um den Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer dieser GmbH. Mithin konnte er in der GmbH faktisch schalten und walten, wie er wollte. Er hatte es stets in der Hand, das Haus sich selbst bzw. seinen Familienangehörigen zu Wohnzwecken zur Verfügung zu stellen und zwar immer dann, wenn er bzw. seine Familie es benötigte. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass das Haus bereits vor vielen Jahren mit Möbeln des Klägers bzw. seiner Familie ausgestattet wurde, welche durchgehend - also auch während der Abordnungszeit des Ehemanns der Klägerin nach China - dort verblieben sind. Zum anderen ist darauf abzustellen, dass das Haus während der Aufenthaltszeiten der Familie in China nicht anderweitig genutzt wurde - etwa durch eine Vermietung/ Untervermietung - sondern es in diesen Zeiten leer stand, was ebenfalls für eine jederzeitige Verfügungsbefugnis spricht.

Die vorgenannten Tatsachen werden neben den in der Kindergeldakte befindlichen Unterlagen einerseits durch die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Lichtbilder betreffend die Inneneinrichtung des Hauses, andererseits durch die Aussage der Zeugin F bestätigt. Diese hat die vorgenannten Sachverhalte (Möbelausstattung durch die Familie der Klägerin/ keine anderweite Vermietung) detailreich und widerspruchsfrei dargestellt. Insbesondere die Tatsache, dass sie die Familie der Klägerin auch gelegentlich privat aufgesucht hat und in der Folge die nötige Sachnähe aufwies, lässt sie als geeignete Zeugin erscheinen, deren Einlassungen vom Gericht und auch von der Familienkasse nicht angezweifelt werden.

bb) Dass dem Ehemann der Klägerin und seiner Familie laut dem Nachtrag zum Geschäftsführervertrag vom nur für die Monate des inländischen Aufenthalts ein Nutzungsrecht an der Wohnung zustand, führt - anders als von der Familienkasse angenommen - nicht zu der Annahme, dass eine Nutzungsbefugnis in der verbleibenden Zeit (also während der China-Aufenthalte) nicht gegeben war. Das ergibt sich vor dem Hintergrund, dass im Rahmen des § 8 AO (Wohnsitz) nicht auf die rechtlichen, sondern die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen ist. Zwar mag der Ehemann der Klägerin während der Zeit des Aufenthalts in China kein rechtlich verbrieftes Nutzungsrecht an der Wohnung haben. Tatsächlich stand ihm das Haus jedoch (durchgehend) zur Verfügung, was sich aus seiner Stellung als Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer der D GmbH ergab. Wie oben dargestellt hatte er es als Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer selbst in der Hand, sich selbst bzw. seiner Familie die Wohnung jederzeit zur Nutzung zu überlassen. Dass ihm bzw. seiner Familie die Nutzung der Wohnung rechtlich verbrieft nicht durchgehend zur Verfügung stand, ändert nichts an der vorgenannten Beurteilung. Insoweit reicht die Möglichkeit der jederzeitigen Nutzung aus. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist das für eine jederzeitige Verfügungsbefugnis i.S.d. § 8 AO ausreichend. Auch der Umstand, dass die Klägerin bzw. ihr Ehemann während der Aufenthaltszeiten der Familie in China keine Miete für die deutsche Wohnung zu bezahlen hatte, führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Die tatsächliche Verfügungsbefugnis setzt nicht voraus, dass ganzjährig Miete bezahlt wird; sie kann sich auch ohne eine entsprechende gegenseitige Verpflichtung ergeben.

cc) Diese Schlussfolgerung findet auch in der Regelung betreffend das wirtschaftliche Eigentum eine Rechtfertigung. Gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ist dem wirtschaftlichen Eigentümer das Wirtschaftsgut dann zuzurechnen, wenn er die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. Zwar ist eine derartige Konstellation hier nicht gegeben. Gleichwohl stützt der in § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO enthaltene Rechtsgedanke die hier vertretene Auffassung, wonach es in erster Linie auf die tatsächliche Verfügungsgewalt und erst in zweiter Linie auf die rechtliche Verfügungsgewalt ankommt. In den meisten Konstellationen werden diese in einer Person vereint sein, weshalb sich das vorliegende Problem nicht stellen dürfte. Für den Fall, dass eine Divergenz zwischen tatsächlicher und rechtlicher Verfügungsgewalt vorliegt, ist diese aber zu Gunsten der erstgenannten aufzulösen. Vorliegend kann der Ehemann der Klägerin als Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer in der D GmbH „durchregieren“, weshalb ihm die tatsächliche Sachherrschaft über das Haus in C (Hessen) zukommt.

dd) Ein weiterer Umstand, der für das Innehaben bzw. die Beibehaltung der Wohnung spricht, ist die Rückkehrabsicht der Klägerin und ihrer Familie nach Ablauf der Entsendungszeit ihres Ehemanns. Auch nach der vorhergehenden Abordnung ihres Ehemanns nach China ist die Klägerin mit ihrer Familie wieder nach Deutschland zurückgekehrt und hat in dem Haus in C (Hessen) gelebt, was schließlich zu der neuerlichen Kindergeldfestsetzung geführt hat. Vor diesem Hintergrund hat das Gericht an dem klägerseitigen Vortrag, wonach auch nach dieser Abordnungszeit eine Rückkehr nach Deutschland stattfinden soll, keine Zweifel. Dafür sprechen insbesondere auch die Tatsachen, dass die D GmbH ihr Kerngeschäft in Deutschland bzw. im europäischen Raum zu erbringen hat (und damit auch der Ehemann der Klägerin als Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH) sowie die Ausstattung des Hauses in C (Hessen) mit den Möbeln der Familie der Klägerin bzw. der Leerstand des Hauses in den Abwesenheitszeiten der Familie.

c) Die Ausführungen zum inländischen Wohnsitz der Klägerin gelten entsprechend für die Wohnsitznahme ihrer Kinder. Auch insoweit handelt es sich um eine vom Ehemann der Klägerin bzw. vom Kindesvater abgeleitete Nutzungsbefugnis.

Die Rechtsprechungsgrundsätze die der Bundesfinanzhof zu ausbildungsbedingten Auslandsaufenthalten von Kindern aufgestellt hat, die ohne ihre Eltern ins Ausland gehen (, BStBl II 2016, 102), kommen nach der Auffassung des erkennenden Gerichts bereits deshalb nicht zur Anwendung, weil hier keine entsprechende Sachverhaltskonstellation vorliegt. Im Streitfall verfügen sowohl Eltern als auch Kinder über zwei Wohnsitze (einen in China und einen in der Bundesrepublik Deutschland); wobei sich Eltern und Kinder jeweils gemeinsam an den entsprechenden Wohnsitzen aufhalten. Selbst wenn man diese Grundsätze hier anwenden würde, führte das zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Insoweit wäre nämlich darauf abzustellen, ob sich die Kinder die überwiegende Ferienzeit in Deutschland aufhalten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Sommer-Schulferien in China nur rund 50 Tage betragen (vgl. den Artikel „Wie lang sind die Schulferien weltweit? unter https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.wie-lang-sind-sommerferien-mhsd.c57415f2-b743-4b57-970f-1c79acec0aa1.html) und es in den übrigen Jahreszeiten nur wenige Ferientage gibt, verbringen die Kinder der Klägerin bereits unter Berücksichtigung der Sommerferien, die komplett in Deutschland verbracht werden, die überwiegende Ferienzeit in Deutschland. Auch am Vorliegen der sonstigen für eine Beibehaltung eines deutschen Wohnsitzes erforderlichen Voraussetzungen (geeignete Wohnung, soziale Kontakte) hat das Gericht keinen Zweifel.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10 und 711 der Zivilprozessordnung.

Fundstelle(n):
PIStB 2020 S. 308 Nr. 11
XAAAH-54248