FG Münster Urteil v. - 15 K 2553/16 U EFG 2019 S. 1793 Nr. 21

Umsatzsteuer

Frage der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Verkauf von Backwaren und Fast-Food zum Vor-Ort-Verzehr

Leitsatz

Über die Zur-Verfügung-Stellung nicht bloß behelfsmäßiger Verzehrvorrichtungen hinaus erbrachte die Stpfl. gegenüber den Kunden, die die Gerichte vor Ort verzehrten, zusätzliche Dienstleistungen, indem sie Geschirr und Besteck zur Verfügung stellte und dieses ggf. durch ihre Mitarbeiter einsammeln und jedenfalls reinigen ließ. Dadurch tritt der Dienstleistungscharakter innerhalb der im Falle des Verzehrs vor Ort durch die Stpfl. zu leistenden Gesamtleistung in den Vordergrund.

Gesetze: UStG § 12 Abs 1; UStG § 3 Abs 1; UStG § 3 Abs 9; UStG § 12 Abs 2 Nr 1

Instanzenzug: ,

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob in 2006 (Streitjahr) erzielte Erlöse aus dem Verkauf von Backwaren und Fast-Food zum Verzehr an Ort und Stelle dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitjahr gültigen Fassung (UStG) unterliegen.

Die Klin. ist Rechtsnachfolgerin der T. GmbH & Co. KG in M. (KG). Sie trat nach dem Streitjahr als Kommanditistin in die KG ein. Nach Ausscheiden der anderen Kommanditisten der KG wurde die Komplementärin der KG durch Verschmelzungsvertrag vom xx.xx.xxxx auf die Klin. zur Aufnahme verschmolzen. Die Verschmelzung wurde am xx.xx.xxxx in das Handelsregister der Klin. als übernehmendem Rechtsträger und am xx.xx.xxxx in das Handelsregister der KG als übertragendem Rechtsträger eingetragen und erfolgte mit steuerlicher Rückwirkung auf den xx.xx.xxxx.

Die KG stellte im Streitjahr Backwaren aller Art her, vertrieb diese und betrieb Konditoreien und Cafés. Für insgesamt 84 ihrer Filialen hielt die KG Tische und Bestuhlung vor, wobei sich Tische und Stühle jedenfalls innerhalb dieser Filialen, ganz vereinzelt aber (zusätzlich) auch im Freien (vgl. z.B. die Abbildungen auf Bl. 77 und 89 d.GA.) befanden. Die Besteuerung der Umsätze dieser Filialen aus dem Verkauf zum Verzehr vor Ort ist im vorliegenden Verfahren streitbefangen. 71 der streitbefangenen Filialen befanden sich in sog. Vorkassenzonen, also nicht durch geschlossene Wände abgetrennten Eingangsbereichen, von Lebensmittelmärkten; bei den übrigen 13 Filialen handelte es sich um durch die KG separat betriebene Ladengeschäfte. In allen o.g. Filialen erfolgte die Ausgabe der zum Verzehr vor Ort bestimmten Waren und Speisen an den Kunden grundsätzlich direkt am Verkaufstresen. Die Räumung der teilweise mit Tischdecken und Blumenschmuck versehenen Tische oblag in der Regel den Kunden, wobei zur Rücknahme des ausgegebenen Geschirrs Regale bereit standen, die grundsätzlich durch die Kunden zu befüllen waren. Nur wenn die Kunden die Räumung der Tische unterließen, räumte das Personal der KG das Geschirr von den Tischen. Im Anschluss daran wurde das Geschirr dann durch das Personal der KG gereinigt. Die in den betreffenden Filialen beschäftigten Arbeitnehmer waren ausschließlich als Verkaufspersonal für Backwaren und nicht als Kellner, Koch oder gastronomisch ähnlich qualifiziertes Fachpersonal angestellt. Zur Veranschaulichung der Ausgestaltung der bestuhlten Filialen hat die Klin. eine Präsentation mit darin enthaltenen Abbildungen und Fotos (Bl. 79ff. d.GA.) zur Gerichtsakte überreicht, auf welche wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

In der Umsatzsteuer(USt)-Erklärung 2006 erklärte die KG Umsätze zum allgemeinen Steuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG (16 %) i.H.v. 5.230.210 € und Umsätze zum ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG (7 %) i.H.v. 62.279.926 €. Sie ordnete dabei die Umsätze aus dem Verkauf von Kaffee (sowohl zum Verzehr an Ort und Stelle, als auch zur Mitnahme), Non-Food-Artikeln sowie Backwaren und Fast-Food zum Verzehr an Ort und Stelle dem allgemeinen Steuersatz, die Erlöse aus dem Verkauf der nicht zum Verzehr an Ort und Stelle bestimmen Backwaren – sowohl in den Filialen, als auch im Großhandel – und dem Außer-Haus-Verkauf von Fast-Food dem ermäßigten Steuersatz zu.

Ab August 2008 führte das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung C. eine Prüfung betreffend die USt 2004 bis einschließlich 2008 bei der KG durch. Hintergrund der Prüfungsanordnung waren Feststellungen in Rahmen von Vorermittlungen, nach denen die KG bei einem Verzehr an Ort und Stelle nur die Getränkeumsätze dem Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG unterworfen hatte, nicht jedoch die Umsätze aus dem Verkauf der (vor Ort verzehrten) belegten Brötchen und Kuchenteile. Der Betriebsprüfungsbericht vom (Bl. 1 ff. der beigezogenen Betriebsprüfungsakte des Beklagten –Bekl.–), auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, traf im Wesentlichen die Feststellung, dass die elektronischen Kassenaufzeichnungen der KG unzutreffend seien, weil in erheblichem Umfang vor Ort verzehrte Speisen nur mit dem ermäßigten Steuersatz erfasst und auch entsprechend versteuert worden seien.

Vor diesem Hintergrund seien auf Grundlage seitens der KG durchgeführter Stichproben und ergänzender Schätzungen die erklärten Umsätze der KG in 2006 im Rahmen der USt-Festsetzung wie folgt zu würdigen:


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Änderungen
Minderungsbeträge
USt-Auswirkungen
Minderung Nettoumsätze (7 %)
2.056.074,77 €
Minderung USt (7 %)
143.925,23 €
./. 143 925,23 €
Minderungsbruttoumsatz
2.200.000,00 €
Erhöhung Nettoumsätze (16 %)
1.896.551,72 €
Erhöhung USt (16 %)
303.448,28 €
303.448,28 €
Erhöhungsbruttoumsatz
2.200.000,00 €
Mehr-USt für 2006
159.523,04 €

In Anknüpfung an die Feststellungen des Betriebsprüfungsberichts setzte der Bekl. durch Bescheid vom die USt 2006 unter Beibehaltung des Vorbehalts der Nachprüfung zunächst abweichend von der USt-Erklärung der KG auf 1.438.600,26 € fest. Im Anschluss an eine weitere, in 2011 bei der KG auch für das Streitjahr durchgeführte Betriebsprüfung durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung E., hinsichtlich deren Feststellungen auf den Betriebsprüfungsbericht vom (Bl. 12ff. der Betriebsprüfungsakte des Bekl.) Bezug genommen wird, setzte der Bekl. die USt 2006 durch Bescheid vom (noch adressiert an die Komplementärin der KG) erneut abändernd auf 1.439.399,94 € fest und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Die dieser Änderung zugrunde liegenden Tatsachen sind im vorliegenden Verfahren zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Gegen die abändernden Festsetzungen legte die Klin. Einspruch ein und begehrte zunächst die Reduzierung der USt 2006 um 225.841,08 € (Bl. 69 und 86 der USt-Akte des Bekl.). Das über die Feststellungen im Steuerfahndungsbericht vom hinausgehende Begehren begründete sie damit, dass weitere, bisher von ihr selbst zu 16 % versteuerte Umsätze eigentlich nur zu 7 % zu versteuern seien. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom (C-497/09, 499/09, 501/09 und 502/09, Rs. Bog, Bundessteuerblatt –BStBl– II 2013, 256) machte sie geltend, dass es sich nach Würdigung der Gesamtumstände beim Verkauf der in den Filialen zum Verzehr an Ort und Stelle bestimmten Waren in erheblichen Umfang um die Lieferung von Nahrungsmitteln handele, da wesentliche und prägende Dienstleistungselemente im Rahmen dieser Umsätze fehlten. Sie seien dementsprechend mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anlage 2 zu versteuern. Diesem Einspruchsbegehren half der Bekl. durch Einspruchsentscheidung vom (adressiert an die Klin.) nur insoweit, nämlich in Höhe von 70.544,00 €, ab (zur Berechnung vgl. Bl. 86 der USt-Akte des Bekl.), als er die Umsätze der KG aus dem Verkauf zum Verzehr vor Ort in denjenigen Filialen, die keine Sitzplätze vorhielten, dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 UStG unterwarf und die USt 2006 unter Abänderung des Bescheides vom auf 1.368.856,21 € festsetzte. Im Übrigen, also im Hinblick auf die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die Umsätze aus dem Verkauf zum Verzehr vor Ort in den Filialen mit Sitzplatzangebot, wies er den Einspruch als unbegründet zurück. Dabei ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die aus der Einspruchsentscheidung folgende Besteuerung der Umsätze der KG aus dem Verkauf zum Verzehr an Ort und Stelle nach dem Regelsteuersatz (im Streitjahr 16%) gegenüber der seitens der Klin. begehrten Besteuerung zu einer USt-Mehrbelastung i.H.v. 155.297,00 € (= 225.841,08 € ./. 70.544,00 €) bei der Klin. führen.

Hiergegen hat die Klin. die vorliegende Klage erhoben.

Zur Begründung führt sie aus: Auch die streitgegenständlichen Leistungen qualifizierten als Lieferungen i.S.d. § 3 Abs. 1 UStG und seien entsprechend dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Anlage 2 UStG zu unterwerfen. Nach der Rechtsprechung des EuGH liege bei der Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle eine Kombination von Lieferungen und Dienstleistungselementen vor, die gleichwohl einen einheitlichen Umsatz darstelle. Für diesen sei zu prüfen, welches Leistungselement aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers dominiere, wobei keine quantitative, sondern vielmehr eine qualitative Betrachtung der einzelnen Dienstleistungselemente vorgenommen werden müsse. Das Vorhandensein eines einzigen Dienstleistungselementes schließe dabei nicht aus, dass die erbrachte Leistung in der Gesamtschau (weiterhin) als Lieferung von Speisen qualifiziere. Allein die standardisierte Zubereitung warmer Speisen und Getränke sowie die Bereitstellung nur behelfsmäßiger Verzehrvorrichtungen führten nicht zu einem Überwiegen des Dienstleistungscharakters. Maßgeblich sei nach der EuGH-Rechtsprechung insbesondere das Bestehen eines Kellner-Services, das Vorhandensein geschlossener und temperierter Räume speziell für den Verzehr der dargebotenen Speisen und Getränke, das Vorhalten von Toiletten und Garderobeneinrichtungen, die Bereitstellung von Geschirr, Mobiliar und Gedeck, die Möglichkeit individueller Menüzusammenstellung bzw. Speisenzubereitung und die Verfügbarkeit qualitativ höherwertige Gerichte, die über die Lieferung standardisierter Speisen hinausgingen (, C-499/09, C-501/09 und C-502/09, Rs. Bog, BStBl II 2013, 256). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben lasse sich im Hinblick auf den Verkauf der in sämtlichen Filialen zum Verzehr an Ort und Stelle bestimmten Waren feststellen, dass es sich um die reine Lieferung von Nahrungsmitteln gehandelt habe, da wesentliche und prägende Dienstleistungselemente, die für die Annahme von Restaurationsumsätzen erforderlich seien, fehlten. So habe es in den Filialen der KG keinen Kellnerservice und keine Beratung der Kunden gegeben; in zahlreichen Filialen hätten keine eigenen Toiletten zur Verfügung gestanden, oftmals habe es keine abgeschlossenen Räumlichkeiten und auch nicht immer eigenes, ausschließlich von den Filialen der KG genutztes Mobiliar gegeben. Der Durchschnittsverbraucher habe nicht die Filialen der KG aufgesucht, um dort wie in einem Restaurant beraten, bekocht und bedient zu werden; vielmehr habe der Kauf von Brot und Backwaren im Vordergrund gestanden. Die Möglichkeit, sich nach dem Einkauf mit einem Imbiss zu stärken, sei vor diesem Hintergrund nachrangig. Folgerichtig würden die Kunden der KG deren Angestellten – anders als bei dem Besuch eines Restaurants – auch typischerweise kein Trinkgeld gewähren. Die von der KG zum Verzehr an Ort und Stelle abgegebenen Waren qualifizierten als sehr einfache, typische Imbissprodukte. Qualitativ höherwertige, individuelle Speisen seien nicht verkauft worden. Die mit der Abgabe dieser Waren verbundenen Dienstleistungselemente seien von derart untergeordneter Bedeutung, dass sie aus Sicht eines Durchschnittsverbrauchers dem wirtschaftlichen Vorgang nicht das Gepräge einer Dienstleistung gäben. Die vorhandenen, aber einfach gehaltenen Sitzmöglichkeiten seien entsprechend der Rechtsprechung des , BStBl II 2013, 241; vom V R 61/16, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV– 2018, 63; vom V R 15/17, Sammlung der Entscheidungen des BFH –BFHE– 258, 566) dabei in die Gesamtbetrachtung nicht mit einzubeziehen. Denn sie seien im Falle der Filialen in den Vorkassenbereichen nicht ausschließlich dazu bestimmt gewesen, den Verzehr von Lebensmitteln zu erleichtern, sondern vielmehr auch dazu, den Besuchern der Lebensmittelmärkte zum Verweilen und als Treffpunkt zu dienen.

Die Klin. beantragt,

den Bescheid des Bekl. über USt 2016 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahingehend zu ändern, dass die USt 2006 um 155.297,00 € niedriger auf 1.213.559,21 € festgesetzt wird,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Im Falle der bestuhlten Filialen der KG stelle die Abgabe von Backwaren und Fast-Food zum Verzehr vor Ort eine sonstige Leistung dar, die dem Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG unterfalle. Für die Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen sei entscheidend, welche Leistungselemente aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers den wirtschaftlichen Gehalt der Leistung bestimmten, wobei nur über die (notwendige) Vermarktung der angebotenen Speisen hinausgehende Dienstleistungen zu berücksichtigen seien. Da die KG Stühle und Tische zum Verzehr vor Ort angeboten und auch weitere Serviceleistungen – Überlassung von Geschirr und Besteck sowie dessen Reinigung, teilweises Vorhalten von Garderoben und Toiletten – erbracht habe, unterschieden sich die streitgegenständlichen Leistungen von denjenigen, die dem , C-499/09, C-501/09 und C-502/09, Rs. Bog u.a., BStBl II 2013, 256) zugrunde gelegen hätten. Auf die Qualität der vorgehaltenen Einrichtungen komme es in diesem Zusammenhang nicht an. Zwar führe nicht bereits die Existenz eines einzigen Dienstleistungselements zu einer Qualifikation der Gesamtleistung als Dienstleistung. Im Streitfall lägen aber mehrere durch die KG erbrachte Dienstleistungselemente vor, die im Rahmen einer Abwägung zu einer entsprechenden Qualifizierung der streitgegenständlichen Leistungen führten. Unerheblich sei, dass die durch die KG vorgehaltenen Sitzmöglichkeiten nach Auskunft der Klin. nicht ausschließlich dazu bestimmt gewesen seien, den Verzehr von Lebensmitteln zu erleichtern, sondern vielmehr auch den Besuchern der Lebensmittelmärkte zum Verweilen und als Treffpunkt zur Verfügung gestanden hätten. Denn allein aufgrund der räumlichen Nähe der Sitzmöglichkeiten zu den Verkaufsstellen der KG würden diese von den Kunden als Angebot wahrgenommen, welches dem bestimmungsgemäßen Verzehr der erworbenen Speisen und Getränke dienen bzw. diesen Verzehr erleichtern solle. Die geduldete Nutzung von Tischen und Sitzgelegenheiten durch dritte Personen stehe einer Berücksichtigung dieser Sitzgelegenheiten im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht entgegen. Soweit die Klin. auf die mittlerweile an die EuGH-Rechtsprechung angepassten Verwaltungsanweisungen (, IV D 2-S 7100/07/10050-06, BStBl I 2013, 444) verweise, sei anzumerken, dass diese einen Katalog von für die Annahme einer Lieferung schädlichen Dienstleistungselementen enthielten, unter deren Berücksichtigung die streitgegenständlichen Leistungen der KG als Dienstleistungen qualifizierten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bekl. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II. Die Klage ist unbegründet.

Der USt-Bescheid 2006 vom in Gestalt des abändernden Bescheides vom und der Einspruchsentscheidung vom ist rechtmäßig und verletzt die Klin. als Rechtsnachfolgerin der KG nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Auf die streitgegenständlichen Leistungen der KG hat der Bekl. zutreffend den allgemeinen Steuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG in der im Streitjahr geltenden Höhe (16%) angewendet, da die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 UStG im Hinblick auf den Verkauf von Backwaren und Fast-Food zum Verzehr vor Ort in den mit Sitzgelegenheiten ausgestatteten Filialen der KG im Streitjahr nicht vorlagen.

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die „ Lieferung” der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände, u.a. „ Zucker und Zuckerwaren” (Nr. 29), „ Zubereitungen aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch; Backwaren” (Nr. 31) und „ verschiedene Lebensmittelzubereitungen” (Nr. 33), also die durch die KG angebotenen Waren.

Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die der Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Sonstige Leistungen sind gemäß § 3 Abs. 9 UStG Leistungen, die keine Lieferungen sind. Diese Vorschriften beruhen unionsrechtlich auf Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG, nunmehr Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom MwStSystRL–), wonach als Lieferung eines Gegenstands die Übertragung der Befähigung gilt, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, sowie auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL), wonach als Dienstleistung jeder Umsatz gilt, der keine Lieferung von Gegenständen ist. Eine sonstige Leistung ist nach § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden (§ 3 Abs. 9 Satz 5 UStG).

Nach der Rechtsprechung des EuGH und der sich hieran anschließenden BFH-Rechtsprechung ist bei der Abgrenzung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen im Bereich der Speisenzubereitung auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Maßgebend für die Einordnung des Umsatzes als Lieferung oder sonstige Leistung sind sämtliche Umstände, unter denen die Gesamtleistung abgewickelt wird. Diese sind im Rahmen einer Gesamtabwägung bei der Beantwortung der Frage nach der Einordnung des Gesamtumsatzes gegenüberzustellen. Bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung ist die qualitative und nicht nur quantitative Bedeutung der in der Gesamtleistung enthaltenen Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Gegenständen zu bestimmen (, C-499/09, C-501/09 und C-502/09, Rs. Bog, BStBl II 2013, 256; , BFHE 225, 210, BFH/NV 2009, 1551; vom V R 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480, m. w. N.). Dabei kann im Rahmen der Gewichtung von Dienstleistungs- und Lieferungselementen innerhalb der Gesamtleistung allein der Präsentation der Waren keine Bedeutung zukommen, da die Vermarktung eines Gegenstandes stets mit dessen Lieferung einhergeht bzw. dieser vorgeschaltet ist (, Rs. Herrmann, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung –HFR– 2005, 482). Von einer solchen Vermarktung kann in diesem Zusammenhang jedoch dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn sich der leistende Unternehmer nicht auf die Ausübung der Handels- und Verteilerfunktion des Lebensmitteleinzelhandels beschränkt (, BFHE 137, 516). Maßgeblich für die Qualifikation der Gesamtleistung als Dienstleistung kann nach Rechtsprechung des EuGH und BFH die Zur-Verfügung-Stellung von Räumlichkeiten mit Nebenräumen, Mobiliar – jedenfalls soweit es sich nicht um das Mobiliar Dritter handelt, das auch im Interesse des leistenden Unternehmers zur Verfügung gestellt wird (, BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246) – und Geschirr sein. Auch der Beratung und Bedienung durch Kellner und dem Ein- und Abdecken mit Geschirr kann insoweit Bedeutung für die Qualifikation der Gesamtleistung zukommen (, C-499/09, C-501/09 und C-502/09, Rs. Bog u.a., BStBl II 2013, 256 unter Verweis auf das , Rs. Faaborg-Gelting Linien, BStBl II 1998, 282). Allein das Vorhalten behelfsmäßiger Vorrichtungen – also einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit, die einer beschränkten Anzahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle im Freien ermöglichen – stellt demgegenüber nur eine geringfügige Nebenleistung dar, die in der Gesamtschau hinter die Lieferung der Lebensmittel zurücktritt (, C-499/09, C-501/09 und C-502/09, Rs. Bog u.a., BStBl II 2013, 256). Soweit für den Verzehr nicht lediglich behelfsmäßige Vorrichtungen, sondern Mobiliar wie Sitz- und Tischeinrichtungen, zur Verfügung stehen, ist zu berücksichtigen, dass das bloße Vorhandensein von Mobiliar, das nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr von Lebensmitteln möglicherweise zu erleichtern, nicht als Dienstleistungselement angesehen werden kann, das geeignet wäre, dem Umsatz insgesamt die Eigenschaft einer Dienstleistung zu verleihen. Es sind vielmehr nur die Verzehrvorrichtungen zu berücksichtigen, die vom Leistenden ausschließlich dazu bestimmt sind, den Verzehr von Lebensmitteln möglicherweise zu erleichtern (, BFHE 258, 566, HFR 2017, 1153).

2. Im Streitfall hat die KG unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze gegenüber ihren Kunden eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung i.S.v. § 3 Abs. 9 UStG erbracht. Der Anwendung der § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG stehen im vorliegenden Fall nicht Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH entgegen. Denn bei einer Gesamtbetrachtung der durch die KG im Falle des Verzehrs vor Ort erbrachten Leistungselemente stehen die Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Speisen im Vordergrund.

Die KG hat den Kunden nicht nur Backwaren und Fast-Food verkauft, sondern diesen gegenüber auch zusätzliche Dienstleistungen erbracht, indem sie neben der Zubereitung der standardisierten Produkte teilweise mit Dekoration versehene Tische und Sitzmöglichkeiten zur Verfügung gestellt hat, wo diese verzehrt werden konnten, für den Verzehr Geschirr gestellt und sowohl das Mobiliar, als auch das Geschirr gereinigt hat.

a) Im Rahmen der Gesamtabwägung ist – entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin – das von der KG in den streitgegenständlichen Filialen vorgehaltene Mobiliar und dessen Überlassung an die Kunden der KG zu berücksichtigen. Dem steht nach Ansicht des erkennenden Senats nicht die Rechtsprechung des BFH entgegen, nach der das Vorhandensein von Verzehrvorrichtungen als der Gesamtleistung innewohnendes Dienstleistungselement dann nicht zu berücksichtigen ist, soweit die Verzehrvorrichtungen durch einen Dritten auch im Interesse des Unternehmers – hier der KG – zur Nutzung zur Verfügung gestellt werden (, BFHE 258, 566, HFR 2017, 1153) oder sie nicht ausschließlich dazu bestimmt sind, den Verzehr von Lebensmitteln möglicherweise zu erleichtern (, BFH/NV 2018, 63 m.w.N.). Denn die KG hat weder in ihren in den Vorkassenzonen von Einkaufzentren befindlichen, noch in den separat betriebenen Filialen nicht in ihrem Eigentum stehende Bestuhlung genutzt bzw. – durch ihre Kunden – mitnutzen können. Auch ist der erkennende Senat aufgrund des Vortrages der Klin., insbesondere der zur Gerichtsakte gereichten Präsentation und der darin enthaltenen Abbildungen der bestuhlten Filialen (Bl. 79ff. d.GA.), nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die in den Vorkassenzonen-Filialen der KG vorhandene Bestuhlung jedenfalls auch solchen Besuchern der Lebensmittelmärkte zum bloßen Verweilen zur Verfügung stehen sollte, die keine Waren bei der KG zum Verzehr vor Ort erwarben. Dabei kann aus Sicht des erkennenden Senats dahinstehen, ob sich die ausschließliche Bestimmung von Mobiliar zur Erleichterung des Verzehrs von Lebensmitteln nach den objektiven Gegebenheiten oder nach einer objektiven Empfängersicht bestimmt oder ob hieran überhaupt Unterschiede zu sehen sind (ebenfalls offen gelassen in , BFH/NV 2018, 63). Denn nach Ansicht des Senats war das in und um die angemieteten Filialen durch die KG aufgestellte Mobiliar sowohl aus objektiver Empfängersicht, als auch nach den objektiven Gegebenheiten ausschließlich zur Nutzung durch die Kunden der KG bestimmt. Hierfür spricht insbesondere die Tatsache, dass – aus den seitens der Klin. vorgelegten Fotos ersichtlich – die Bestuhlung der Filialen sich in unmittelbarer Nähe der Verkaufstheke der jeweiligen Filiale befand und – etwa aufgrund der Farbe des Mobiliars, einer im Hinblick auf den übrigen Boden abweichenden Bodenfarbe oder entsprechender Dekoration – sich der jeweiligen Filiale der KG räumlich und optisch zuordnen ließ. Überdies hielt die KG für ihre Kunden stets eine (für den Verzehr ihrer Waren erforderliche) Kombination aus Stuhl bzw. Bank und Tisch vor, nicht jedoch nur (zum bloßen Verweilen ausreichende) freistehende Stühle.

b) Über die Zur-Verfügung-Stellung nicht bloß behelfsmäßiger Verzehrvorrichtungen hinaus erbrachte die KG gegenüber den Kunden, die die Gerichte vor Ort verzehrten, zusätzliche Dienstleistungen, indem sie ihnen Tassen, Geschirr und Besteck zur Verfügung stellte und dieses nach dem Verzehr erforderlichenfalls durch ihre Mitarbeiter wieder einsammeln sowie jedenfalls reinigen ließ.

Aufgrund dieser durch die KG erbrachten Dienstleistungen (Verzehrvorrichtungen, Serviceleistungen, Geschirrstellung) tritt unter Zugrundelegung der Verbrauchersicht der Dienstleistungscharakter innerhalb der im Falle des Verzehrs vor Ort durch die KG zu leistenden Gesamtleistung nach Ansicht des erkennenden Senats in den Vordergrund. Dabei verkennt der Senat nicht, dass nach dem seitens des Bekl. unbestrittenen Vortrag der Klin. in einigen Filialen der KG keine Garderoben und Toiletten vorgehalten wurden und überdies kein Kellner-Service (im Sinne einer Bedienung am Sitzplatz) bestand. Ebenfalls berücksichtigt der Senat im Rahmen seiner Gesamtwürdigung die Tatsache, dass es – ausweislich der seitens der Klin. zur Gerichtsakte überreichten Fotos ihrer Filialen – an einer völligen räumlichen Trennung der Vorkassenfilialen von den Vorkassenbereichen der Lebensmittelmärkte, in denen sie untergebracht waren, – etwa durch Trennwände – fehlte. Der Senat ist aber der Ansicht, dass durch die Gestellung von Tischen und Stühlen, Geschirr und teilweise auch Dekoration sowie die Erbringung von Reinigungsleistungen im Hinblick auf diese Gegenstände die Gesamtleistung der KG aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers als Restaurationsleistung und damit Dienstleistung qualifiziert. Der mit ihrer Erbringung einhergehende personelle Einsatz der KG kann – insbesondere im Vergleich zu dem erforderlichen personellen Einsatz im Falle eines Außer-Haus-Verkaufes – nicht mehr als nur geringfügig im Sinne der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung (, C-499/09, C-501/09 und C-502/09, Rs. Bog, BStBl II 2013, 256) angesehen werden. Denn die Reinigung des Geschirrs, der Tische und Stühle sowie das Aufbringen der Dekoration gehen deutlich über die Herstellung, Zubereitung und den Verkauf der zum Verzehr vor Ort bestimmten Backwaren hinaus und binden Arbeitskraft. Sofern – entsprechend dem Vortrag der Klin. – die Kunden der KG deren Angestellten – jedenfalls im Regelfall – kein Trinkgeld gewährt haben, vermag dies zu keinem anderen Ergebnis der Gesamtabwägung zu führen. Denn die Gewährung von Trinkgeld ist nach Ansicht des Senats Ausdruck einer besonderen Wertschätzung einer erbrachten Dienstleistung bzw. persönlicher Bemühungen einer einzelnen Person, jedoch – auch aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers – keine konstitutive Voraussetzung für die Annahme einer Dienstleistung. Sie ist überdies zur Überzeugung des Senats im Falle von Imbissbetrieben bzw. systemgastronomischen Betrieben, die standardisierte Gerichte oder Produkte anbieten, eher unüblich, was jedoch angesichts der zur Regelsatzbesteuerung von Imbissumsätzen ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (, BFH/NV 2018, 732; , BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246) die Qualifikation der Gesamtleistung als sonstige Leistung i.S.d. § 3 Abs. 9 UStG nicht per se ausschließt.

Nach Ansicht des erkennenden Senats steht das Ergebnis der im hiesigen Fall durchgeführten Gesamtabwägung zudem in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BFH und EuGH, nach welcher Bestimmungen, die Ausnahmen von einem allgemeinen Grundsatz darstellen, durchweg eng auszulegen sind. Dies gilt insbesondere bei Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach Art. 12 Abs. 3 Buchstabe a) Richtlinie 77/388/EWG (vgl. z.B. , Rs. Kommission / Spanien, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2001, 210; , BStBl II 2015, 194 im Hinblick auf Art. 98 Abs. 2 Satz 1 MwStSystRL i.V.m. den in Anhang III abschließend bezeichneten Kategorien).

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der FGO.

III. Die Revision war mit Blick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.

Anmerkung

ECLI:DE:FGMS:2019:0903.15K2553.16U.00

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BBK-Kurznachricht Nr. 22/2019 S. 1055
DStR 2020 S. 6 Nr. 4
DStRE 2020 S. 222 Nr. 4
DStZ 2019 S. 774 Nr. 21
EFG 2019 S. 1793 Nr. 21
GStB 2020 S. 1 Nr. 1
KÖSDI 2019 S. 21515 Nr. 12
XAAAH-32945