Tarif
Keine Anwendung des § 34 EStG auf Rückkaufswertauszahlung
Leitsatz
Eine im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge erfolgte Kapitalauszahlung aus einer fondsgebundenen Rentenversicherung infolge einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses und des Versicherungsvertrags unterliegt nicht der ermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG (Tarifglättung).
Gesetze: EStG 2015 § 34
Instanzenzug:
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge erfolgte Kapitalauszahlung aus einer fondsgebundenen Rentenversicherung infolge einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses und des Versicherungsvertrags einer ermäßigten Besteuerung (Tarifglättung) nach § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterliegt.
Die einzeln zur Einkommensteuer veranlagte, am … geborene Klägerin war beim L als Angestellte beschäftigt. Im November 2002 (d.h. 13 Jahre vor dem Streitjahr 2015) vereinbarte sie mit ihrem Arbeitgeber die „Umwandlung von Arbeitsentgelt in eine (fondsgebundene) Rentenversicherung im Rahmen einer Beitragszusage mit Mindestleistung nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 des Betriebsrentengesetzes – Pensionskassenversicherung –”.
Die Vereinbarung sah eine Umwandlung i.H.v. 2.160 € jährlich (= 180 € monatlich), beginnend ab Dezember 2002 mit Anwendung von steuerfreien Arbeitgeberbeiträgen gem. § 3 Nr. 63 EStG vor. Eine Anwendung der §§ 10a, 82 Abs. 2 EStG „Riester-Förderung”) wurde nicht vereinbart.
Ziffer 6 der Vereinbarung mit dem Arbeitgeber sieht Zahlungen in eine fondsgebundene Rentenversicherung bei der „Q AG” vor. Ziffer 7 verweist wegen der Einzelheiten über das Versicherungsverhältnis auf den Versicherungsschein und die Versicherungsbedingungen. Ziffer 8 verweist darauf, dass beim Ausscheiden des Mitarbeiters vor Eintritt des Versicherungsfalles aus den Diensten des Arbeitgebers die Versicherungsnehmerstellung (zuvor beim Arbeitgeber) auf den Arbeitnehmer übergeht und dieser das Recht hat, die Versicherung mit eigenen Beiträgen fortzuführen oder in eine beitragsfreie Versicherung umwandeln zu lassen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vereinbarung (in der Rechtsbehelfsakte) verwiesen.
Der Versicherungsschein (Bl. 6 ff. der Gerichtsakte – d.A.) weist einen Versicherungsbeginn am , eine monatliche Altersrente für je 10.000 € gebildeten Kapitals ab dem (vorgesehener frühester Rentenbeginn) i.H.v. 48,69 € sowie einen spätesten Rentenbeginn zum aus. Die Anlage erfolgte in einem Dachfonds „B” (Sondervermögen). Die Tarif- und Leistungsbeschreibung (siehe Bl. 11 ff. d.A.) weist als tarifliche Leistung die Zahlung einer lebenslangen monatlichen Rente aus. Bei der (im Streitfall gewählten) Förderung nach § 3 Nr. 63 EStG [anders hingegen bei einer – hier nicht gewählten – Förderung nach §§ 10a, 82 Abs. 2 EStG] kann bis zu drei Jahren vor Rentenbeginn anstelle der Rentenzahlung die Auszahlung des zu diesem Termin vorhandenen gebildeten Kapitals verlangt werden. Das gebildete Kapital setzt sich zusammen aus den vorhandenen Anteilen am Fonds und aus dem Garantiekapital. Eine „Ausscheideregelung” (vgl. Bl. 15 d.A.) sieht vor, dass bei Ausscheiden der versicherten Person vor Eintritt des Versicherungsfalles aus den Diensten des Versicherungsnehmers (Arbeitgebers) von diesem eine Abmeldung erfolgen kann. Mit der Abmeldung wandelt sich die Versicherung in eine beitragsfreie Versicherung um, sofern nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen die Voraussetzungen für eine solche Umwandlung gegeben sind. Ein vereinbartes Recht des ausgeschiedenen Arbeitnehmers, die Versicherung mit eigenen Beiträgen fortzusetzen, bleibt unberührt, d.h. ist im Rahmen des Versicherungsvertrags möglich. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Versicherungsvertrag verwiesen.
In den Jahren vor dem Streitjahr erkrankte die Klägerin. Seit dem wurde bei ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 90 % mit den Merkzeichen B (Begleitperson bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nötig) und G (Personen mit erheblicher Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr bzw. erheblicher Geh- und/oder Stehbehinderung) festgestellt. Zuvor war ab dem bereits ein GdB von 50 und ab ein GdB von 70 festgestellt worden. Ab August 2013 wurde sie zudem als pflegebedürftig mit der Pflegestufe I eingeordnet. Seit Februar 2014 befand sie sich in einer andauernden Erkrankung ohne zu erwartende Verbesserung des Gesundheitszustandes. Vor dem Hintergrund, dass für die Klägerin die Beantragung einer vorgezogenen (regulären) Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab September 2014 möglich wurde, kündigte sie ihr Arbeitsverhältnis zum . Der Arbeitgeber teilte daraufhin der Versicherung mit, dass die Versicherungsnehmereigenschaft auf die Klägerin übertragen werden solle.
Im Februar 2014 erkundigte sich die Klägerin bei der Versicherung über den Stand der Pensionskassenversicherung. Mit Wirkung zum kündigte sie die Versicherung. Auf Nachfrage des Gerichts erläuterte sie – vertreten durch ihren Bevollmächtigten – hierzu:
„In ihrer damaligen Lebenssituation hatte sich die Klägerin nicht in der Lage gesehen, die Beiträge für die Versicherung aus eigener Kraft aufzubringen. Dies war der Klägerin finanziell nicht möglich. Die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses hatte die Klägerin nicht ganz aus freien Stücken vorgenommen sondern sah sich gezwungen die Arbeitsstelle als Folge ihrer Erkrankung zu kündigen.
Da die wirtschaftliche Situation zum damaligen Zeitpunkt nicht vollkommen geklärt war, hatte sie sich aus diesem Grund entschieden, die Auszahlung der Versicherung zu beantragen. Ob die Art der Erkrankung (Depressionen) zu diesem Entschluss beigetragen hatte, kann die Klägerin nicht ausschließen.
Die Klägerin kann aber sagen, dass der Entschluss der Auszahlung der Lebensversicherung weitgehend aus wirtschaftlichen Gründen erfolgte unter anderem deswegen, weil sie zu diesem Zeitpunkt als alleinerziehende Mutter noch Verantwortung für das Wohlergehen ihres Sohnes war. Dieser ist schwerbehindert, Grad der Behinderung: 80 %, Merkzeichen H, G und B.
Der Grund dafür warum die Klägerin die Versicherung daher nicht Beitragsfrei stellte oder mit eigenen Beträgen fortgeführt hatte war daher, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung zu einer Beendigung der Versicherung gezwungen war.”
Die Versicherung (Q AG) bestätigte in einer E-Mail vom (siehe Rechtsbehelfsakte sowie Anlage K6 zum Schriftsatz der Klägerseite vom ), dass die Klägerin ein Wahlrecht über die Auszahlungsform (Rente oder Kapitalauszahlung) gehabt hätte. Da sie jedoch per gekündigt habe, habe die Auszahlung des Rückkaufwertes nur als Einmalzahlung und nicht als Rente erfolgen können. Im Kündigungsfall habe kein Wahlrecht bestanden, die Kapitalauszahlung sei zwingend gewesen. Der Auszahlungsbetrag wurde von der Versicherung im Schreiben vom (Anlage K9 zum Schriftsatz der Klägerseite vom ) mit 37.805,60 € berechnet (Leistungen 29.086 €, Fondsguthaben 8.710 €; Schlusszahlung aus Bewertungsreserven 9,60 €).
In ihrer Einkommensteuererklärung machte die Klägerin – die im Streitjahr ansonsten nur eine Leibrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezog – Angaben zur Auszahlung des Einmalbetrags und begehrte die ermäßigte Besteuerung (Tarifglättung; „Fünftelregelung”) nach § 34 EStG. Die Versicherung übermittelte ferner elektronisch (siehe Rechtsbehelfsakte) die Auszahlung einer Einmalleistung i.H.v. 37.805,60 € am aus dem „Rechtsgrund 04” (= Leistungen aus einem Altersvorsorgevertrag, einem Pensionsfonds, einer Pensionskasse oder aus einer Direktversicherung, die auf geförderten Kapital beruhen = volle Besteuerung nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG).
Der Beklagte erließ unter dem einen Einkommensteuerbescheid 2015 (festgesetzte Einkommensteuer 7.831 €), in welchem er die Leistung i.H.v. 37.805 € in voller Höhe ohne Anwendung der „Fünftelregelung” in § 34 Abs. 1 EStG der Besteuerung unterwarf. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit fristgerechtem Einspruch. Während des Einspruchsverfahrens erließ der Beklagte unter dem aus anderen Gründen einen geänderten Einkommensteuerbescheid (festgesetzte Einkommensteuer nunmehr 6.128 €), welcher zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde. Mit Einspruchsentscheidung vom wies er den Einspruch als unbegründet zurück.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage und begehrt weiterhin eine ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG. Sie ist der Auffassung, dass sie aufgrund der Kündigung aus persönlichen und wirtschaftlichen Gründen faktisch kein Wahlrecht zwischen Rente oder Kapitalauszahlung gehabt habe. Die dann aufgrund der Kündigung der Versicherung zwangsläufig erfolgende Einmalzahlung sei eine außerordentliche zusammengeballte Zahlung i.S.d. § 34 Abs. 1, 2 EStG. Das Merkmal der Außergewöhnlichkeit i.S.v. § 34 EStG beinhalte gerade ein subjektives Element, so dass auch persönliche Gründe für eine Kündigung berücksichtigt werden müssten. Die im , BFHE 255, 209, BStBl II 2017, 347) aufgestellten Grundsätze seien im Streitfall nicht anzuwenden, weil der Fall wegen der (krankheitsbedingten) Kündigung des Arbeitsverhältnisses und der ebenso deshalb krankheitsbedingt und aus wirtschaftlichen Erwägungen erfolgten Kündigung des Versicherungsvertrags anders gelagert sei. Eine andere Beurteilung führe zu untragbaren Ergebnissen.
Die Klägerin beantragt,
die Einkommensteuerfestsetzung 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahingehend zu ändern, dass ein Betrag von 37.805 € als außerordentliche Einkünfte nach § 34 Abs. 1, 2 EStG besteuert wird,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er verweist – zusammengefasst – darauf, dass die Klägerin ein vertragliches Wahlrecht zwischen Kapitalauszahlung und lebenslanger Rente zum vertraglichen Rentenbeginn (September 2016) gehabt hätte „Kapitalwahlrecht”; Verweis auf das Wahlrecht gemäß „Tarif- und Leistungsbeschreibung”). Die nun tatsächlich erhaltene Kapitalauszahlung sei damit nicht außergewöhnlich und außerordentlich. Unerheblich sei, dass diese auf der Kündigung beruhe. Die Kapitalauszahlung sei im Kündigungsfall ebenso vertraglich vorgesehen und damit nicht außergewöhnlich. Insbesondere unter Verweis auf das BFH-Urteil X R 23/15 (sowie ein früheres BStBl I 2012, 1022, Rz. 373: „Im Fall von Teil- bzw. Einmalkapitalauszahlungen handelt es sich nicht um außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 2 EStG. Es liegt weder eine Entschädigung noch eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit vor. Daher kommt eine Anwendung der Fünftelungsregelung des § 34 EStG auf diese Zahlungen nicht in Betracht.”) sei im Streitfall eine ermäßigte Besteuerung nach § 34 EStG abzulehnen. Es könne keinen Unterschied machen, ob die Kapitalauszahlung kurz vor Rentenbeginn aufgrund des Wahlrechtes beruhe (dann nach dem o.g. BFH-Urteil unstreitig reguläre Besteuerung) oder ob sie auf einer Kündigung beruhe. Andernfalls würden nahezu wirtschaftlich identische Ergebnisse unterschiedlich besteuert, was eine Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen darstellen und dazu führen würde, dass sie durch Kündigung eine nicht vorgesehene ermäßigte Besteuerung nach § 34 EStG erreichen könnten. Der Rentenbeginn (vorgesehen zum ) habe im Kündigungszeitpunkt – – zeitnah bevorgestanden, womit das Wahlrecht zwischen Rente und Einmalauszahlung in einem 3-Jahres-Zeitraum vor Rentenbeginn bereits bestanden habe. Dies habe auch die Versicherung entsprechend bestätigt.
Auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin ergänzend und eingehend vorgetragenen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Erwägungen ist der Beklagte der Auffassung, dass es bei einer vollen Versteuerung ohne Anwendung der Tarifglättung „Fünftelregelung”) bleibe. Entscheidend für die Anwendbarkeit der Regelung sei, ob ein vertragliches Wahlrecht bestanden habe und nicht, aus welchen persönlichen Gründen eine Kündigung und Einmalauszahlung gewählt worden sei.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO). Der Beklagte hat zu Recht eine ermäßigte Besteuerung (Tarifglättung; „Fünftelregelung”) der erhaltenen Kapitalauszahlung (Einmalzahlung) aus dem Altersvorsorgevertrag (dessen Auszahlungsbetrag nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG unstreitig einer vollen Besteuerung unterlag) abgelehnt.
1. Sind nach § 34 Abs. 1 EStG 2015 in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist die auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach § 34 Abs. 1 Satz 2 bis 4 EStG zu berechnen. Die für die außerordentlichen Einkünfte anzusetzende Einkommensteuer beträgt das Fünffache des Unterschiedsbetrags zwischen der Einkommensteuer für das um diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich eines Fünftels dieser Einkünfte. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht; mehrjährig ist eine Tätigkeit, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst.
Höchstrichterlich ist geklärt, dass § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG grundsätzlich auf alle Einkunftsarten anwendbar ist, sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind und im Einzelfall keine Gründe für eine einschränkende Auslegung gegeben sind. Weder dem Wortlaut noch der Systematik noch dem Zweck der Norm lässt sich eine Beschränkung ihres Anwendungsbereichs auf bestimmte Einkunftsarten entnehmen (grundlegend , BFHE 245, 1, BStBl II 2014, 668; zur Anwendung auf Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 1 EStG siehe , BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58; vgl. zuletzt insbesondere , BFHE 255, 209, BStBl II 2017, 347). Auch kann eine Kapitalauszahlung aus einem Altersvorsorgevertrag eine „Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten” darstellen. Als „Vergütung” in diesem Sinne kommen alle Vorteile von wirtschaftlichem Wert in Betracht, die der Steuerpflichtige im Rahmen der jeweiligen Einkunftsart erzielt (BFH-Urteil in BFHE 245, 1, BStBl II 2014, 668, Rz 47 f.). Die „Tätigkeit” besteht bei Alterseinkünften in der früheren Leistung von Beiträgen (BFH-Urteil in BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58, Rz 70).
Zum Merkmal der „Außerordentlichkeit” führt der BFH aus, dass dieses Erfordernis sowohl vom Wortlaut des § 34 Abs. 1 EStG als auch von dem des Einleitungssatzes des § 34 Abs. 2 EStG vorausgesetzt wird. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dient es der Einschränkung des eher weit geratenen Wortlauts des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG (vgl. BFH-Urteil in BFHE 245, 1, BStBl II 2014, 668, Rz 33). Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten sind nur dann außerordentlich, wenn die Zusammenballung der Einkünfte nicht dem vertragsgemäßen oder typischen Ablauf der jeweiligen Einkünfteerzielung entspricht (BFH-Urteil in BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58, m.w.N.; BFH-Urteil in BFHE 255, 209, BStBl II 2017, 347).
Bei einer von einer berufsständischen Versorgungseinrichtung gezahlten Kapitalauszahlung (Kapitalleistung) im Rahmen der „Basisversorgung” (i.S.d. Alterseinkünftegesetz – AltEinkG) hat der BFH in einem Fall (BFH-Urteil in BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58) entschieden, dass die Kapitalauszahlung im dortigen Fall zwar vertrags- bzw. satzungsgemäß, aber gleichwohl atypisch war, da die dortigen Einkünfte der Basisversorgung des Versicherten dienten und die tatsächliche Verwendung als Altersversorgung grundsätzlich dadurch sichergestellt wird, dass die Rentenversicherungsansprüche nicht beleihbar, nicht vererblich, nicht veräußerbar, nicht übertragbar und nicht kapitalisierbar sind (vgl. Rn. 71 ff. der in Juris abgedruckten Entscheidungsgründe; ähnlich , BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103 zu einer schweizerischen öffentlich-rechtlichen Pensionskasse). In anderen Fällen hat der BFH für Zahlungen, die in ihrer Zusammenballung nicht atypisch sind, eine ermäßigte Besteuerung abgelehnt (vgl. etwa für ein einmaliges Sterbegeld , BFH/NV 2017, 445; vgl. für eine einmalige Kapitalauszahlung einer der betrieblichen Altersversorgung dienenden Pensionskasse, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war, BFH-Urteil BFHE 255, 209, BStBl II 2017, 347; vgl. zu einer solchen Konstellation auch die zurückgenommene Revision im Verfahren BFH X R 36/16 und das zuvor ergangene – nunmehr rechtskräftige – Urteil des , EFG 2017, 1444).
2. Nach diesen Maßstäben, die der Senat für zutreffend hält und denen er folgt, stellt sich die von der Klägerin durch die Kündigung erlangte Kapitalauszahlung als nicht atypisch dar, wodurch eine ermäßigte Besteuerung ausscheidet.
a. Für den erkennenden Senat ist hierbei von entscheidender Bedeutung, dass die Klägerin aufgrund der zwischen den Beteiligten unstreitigen Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber sowie dem Versicherungsvertrag mit der Q AG durch das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis das Recht erlangt hat, in die Versicherungsnehmerstellung einzutreten. Sie konnte als Versicherungsnehmerin einerseits die Versicherung mit eigenen Beiträgen fortzusetzen oder die Versicherung in eine beitragsfreie Versicherung umwandeln (jeweils mit dem Kapitalwahlrecht zwischen Rente und Kapitalauszahlung), andererseits aber auch die Versicherung kündigen (und damit den Kapitalwert als Einmalzahlung erhalten). Auch bei den beiden erstgenannten Handlungsmöglichkeiten (Fortsetzung mit eigenen Beiträgen; beitragsfreie Versicherung) hätte die Klägerin im Streitjahr 2015 nach den Versicherungsbedingungen bereits ein Wahlrecht über die Auszahlungsform (Rente oder Kapitalauszahlung) gehabt. Die Kapitalauszahlung stellt sich daher in allen möglichen Geschehensabläufen weder als vertragswidrig, noch als atypisch dar. Sie war vielmehr von Anfang an vertragsmäßig vorgesehen.
b. Entgegen der Auffassung der Klägerin hält der erkennende Senat es weder für geboten, auf die persönlichen Beweggründe der Klägerin für die gewählte Entscheidung abzustellen, noch ist der Fall einer Kündigung (mit „zwangsweiser” Kapitalauszahlung in Höhe des Rückkaufswertes) anders zu würdigen als die „Regelbeendigung” der Ansparphase (mit der Wahl zwischen Rente und Kapitalauszahlung).
Die reguläre Besteuerung einer erhaltenen Kapitalauszahlung beruht auf der Grundentscheidung des Gesetzgebers, den Zufluss – auch den Einmalzufluss eines höheren Betrags – in einem Veranlagungszeitraum mit dem progressiven Einkommensteuertarif zu versteuern. Die Versteuerung beruht dabei auf einer objektiven Steigerung der Leistungsfähigkeit, welche durch den Zufluss eintritt. Dieses Prinzip wird durch die Tarifermäßigung in § 34 EStG ergänzt. Die Norm wird dabei weder als Billigkeitsregelung verstanden, noch soll sie eine (rechtfertigungsbedürftige) Durchbrechung des Prinzips der Abschnittsbesteuerung darstellen. Sie soll vielmehr das Prinzip der Abschnittsbesteuerung und der Tarifprogression zweckentsprechend für eine bestimmte Art von Einkünften erweitern, die aus einem „periodenübergreifenden Handlungstatbestand” resultieren (vgl. Sieker in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, 293. AL 12/2018, IV. Tarif). Die Vorschrift will damit aber nicht jeden Progressionsnachteil jedweder zusammengeballt zufließender Einnahmen ausgleichen, sondern beschränkt sich in § 34 Abs. 2 EStG auf eine abschließende Aufzählung „Als außerordentliche Einkünfte kommen nur in Betracht:”).
Die systematische Stellung von § 34 EStG und der Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten dabei aus Sicht des erkennenden Senats eine restriktive Anwendung der Vorschrift sowie eine Anwendung nach objektiv feststellbaren Gegebenheiten, hier insbesondere nach den vertraglichen Regelungen. Wenn sich der zusammengeballte Zufluss eines Einmalbetrags nach den vertraglichen Abläufen als vertragstypisch darstellt, ist es aus Sicht des Senats nicht geboten, den Einmalzufluss infolge einer Kündigung anders zu beurteilen als den Einmalzufluss infolge einer Ausübung des vertraglichen Kapitalwahlrechts. Beide Vorgänge sind wirtschaftlich vergleichbar und es ist nach der im Einkommensteuerrecht maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise und aus Gründen der Vermeidung missbräuchlicher Gestaltungen kein durchgreifender Grund ersichtlich, den Kündigungsfall anders als den Fall des vertragsgemäßen Kapitalwahlrechts zu beurteilen. Da auch die Kündigung auf einer Entscheidung des Steuerpflichtigen beruht, kann die dann erfolgende Einmalzahlung nicht als atypisch verstanden werden.
Würde sich die Besteuerung – aus Sicht des erkennenden Senats unzutreffend – nach den persönlichen Motiven des Steuerpflichtigen richten oder würde eine infolge einer „Ausnahmesituation” ggf. „unvernünftig” getroffene Entscheidung anders beurteilt werden, hätte es der Steuerpflichtige allein durch subjektive – kaum vom Gericht in rechtsförmlicher Weise feststellbare – Faktoren in der Hand, eine ermäßigte Besteuerung zu erreichen. Eine solche Betrachtung würde der bisherigen BFH-Rechtsprechung widersprechen, weil der BFH dann nicht auf die „vertragstypischen Abläufe” abgestellt hätte, sondern stets nur (oder zumindest: auch) bei einer regulären Beendigung der Ansparphase und Ausübung des Kapitalwahlrechts (anstelle der laufenden Rentenzahlung) beurteilt hätte, warum der Steuerpflichtige im konkreten Fall gerade (möglicherweise auch aus irrig angenommenen Gründen oder aufgrund einer unüberlegt getroffenen Entscheidung) das Kapitalwahlrecht der Rentenzahlung vorgezogen hat. Eine solche Prüfung würde zudem die Festsetzung der Einkommensteuer mit etwaigen persönlichen Billigkeitsgründen (i.S.d. §§ 163, 227 der Abgabenordnung – AO) vermengen, obwohl das Billigkeitsverfahren ein von der Festsetzung getrenntes, hier nicht streitgegenständliches Verfahren ist.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
III. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO zugelassen. Bisher ist – soweit ersichtlich – höchstrichterlich nicht geklärt, ob eine Kapitalauszahlung infolge einer Kündigung anders zu würdigen ist als ein bei regulärer Beendigung der Ansparphase ausgeübtes Kapitalwahlrechts und ob bei Altersvorsorgeverträgen auch auf persönliche Beweggründe, die zur Ausübung eines Kapitalwahlrechts oder einer Kündigung geführt haben, abzustellen ist.
ECLI:DE:FGK:2019:0214.15K855.18.00
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
EFG 2019 S. 714 Nr. 9
EStB 2019 S. 514 Nr. 12
ErbStB 2019 S. 200 Nr. 7
ErbStB 2020 S. 62 Nr. 2
GStB 2019 S. 327 Nr. 9
KÖSDI 2019 S. 21513 Nr. 12
XAAAH-12163