USt direkt digital Nr. 14 vom Seite 15

Weiterhin Steuerschlupflöcher bei Reiseleistungen

Finanzverwaltung setzt EuGH-Urteil nicht um

Matthias Trinks *

Gut zwei Jahre ist es inzwischen her, dass das Niedersächsische Finanzgericht das Steuerschlupfloch bei der Margen(-nicht-)besteuerung von Reiseleistungen im Kettengeschäft abgesegnet hat. Zum Leidwesen der Steuerpflichtigen will die Finanzverwaltung noch nicht klein beigeben.

A. Hintergrund

Für Leistungen von Reiseunternehmen sieht das Mehrwertsteuerrecht aus Vereinfachungsgründen eine besondere Besteuerungsform vor. Statt Anwendung der allgemeinen Grundregeln auf die unterschiedlichen Aspekte des Leistungsbündels (Beförderung, Unterbringung, Verpflegung, etc.) wird eine einheitliche Reiseleistung angenommen. Diese wird mit der Marge am Sitzort des Leistenden besteuert. Der Vorsteuerabzug für Reisevorleistungen ist im Gegenzug ausgeschlossen.

Seit Langem umstritten ist in Europa u. a. die Frage, welchen persönlichen Anwendungsbereich die Regelung entfaltet. Nach der u. a. in Deutschland gelebten Reisendenmaxime greift die Margenbesteuerung nur für die Leistungserbringung gegenüber privaten Endkunden. Demgegenüber verfolgen andere Staaten mit der Kundenmaxime eine weite Auslegung der Regelung gegenüber allen Leistungsempfängern, also auch im zwischenunternehmerischen Verkehr. Nachdem zwischen den Mitgliedstaaten keine Einigung erzielt werden konnte, setzte die EU-Kommission wohl mittels eines Tricks, der rechtsethisch durchaus bedenklich erscheint, vor dem EuGH die Kundenmaxime durch. Da Deutschland weiterhin an der Reisendenmaxime festhält, kommt es zwangsläufig zu Besteuerungskonflikten.

B. Nichtbesteuerung im Kettengeschäft

Die unterschiedliche Auslegung der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie führt zu Vorteilen auf Seiten der Steuerpflichtigen. Eine solche Fallkonstellation betrifft beispielsweise grenzüberschreitende Kettengeschäfte:

Abb. aus Grambeck, USt direkt digital 14/2016 S. 12.

Indem sich der ausländische Reisevorleister auf die nationale Regelung in Deutschland beruft, kann er gegenüber dem Reiseveranstalter netto unter Hinweis auf § 13b UStG abrechnen. Für ihn greift kein Vorsteuerausschluss nach § 25 Abs. 4 UStG. Entsprechend können Vorsteuerbeträge – je nach Einschlägigkeit – im Regel- oder Vergütungsverfahren geltend gemacht werden. Demgegenüber beruft sich der deutsche Reiseveranstalter auf die unmittelbare Anwendung der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie. Dadurch kann er die Margenbesteuerung anwenden. Die Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG entfällt. So bleiben die Reisevorleistungen – je nach Regelungslage im Ausland – komplett unbesteuert oder allenfalls geringbesteuert.

C. Auffassung der Finanzverwaltung

Nachvollziehbarerweise zeigt sich die Finanzverwaltung ob des Steuerausfalls wenig begeistert. Gegen die Präzedenzentscheidung des wurde erfolgreich Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (Az. BFH: XI R 4/16). Kritisiert wird insbesondere, dass sich einseitig nur der Leistungsempfänger auf die Richtlinienbestimmung berufen können soll, während der Leistende weiterhin nach nationalem Recht besteuert wird. Dabei erscheint die Verwaltungsmeinung indes nicht haltbar. Gegenüber entgegenstehenden nationalen Normen entfaltet das Unionsrecht zumindest im Umfang der unmittelbaren Anwendbarkeit einen Anwendungsvorrang. Es ist alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften „auszuschalten“, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Unionsnormen bilden (, Kernkraftwerke Lippe-Ems, Rn. 33 mit Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs). Insofern ist allein maßgebend, dass der Steuerpflichtige aus der Berufung auf das Unionsrecht einen steuerlichen Vorteil erzielt (, BStBl 2015 II S. 513, Rn. 18). Überdies ist der Leistungsempfänger auch Steuerschuldner für die streitbefangenen Umsätze. Auf die Besteuerung beim Leistenden kann es für die Berufung des Leistungsempfängers nicht ankommen. Mit dem die Mehrwertsteuer tragenden Grundsatz der steuerlichen Neutralität wäre es unvereinbar, würde der Leistungsempfänger zum „Opfer“ einer fehlerhaften Festsetzung in einem anderen Be­steuerungsverfahren.

Ein möglicher Steuerausfall aufgrund der unterschiedlichen Rechts- und Regelungslage im EU- und nationalen Recht steht der Berufung allein des Leistungsempfängers auf das Unionsrecht nicht entgegen (vgl. , nrkr., Rn. 17). Dabei ist zwar kaum zu übersehen, dass die Nichtbesteuerung von Umsätzen der Idee des gemeinsamen Binnenmarktes klar entgegensteht. Der Europäische Gerichtshof hat jedoch bereits entschieden, dass Steuerausfälle infolge von Qualifikationskonflikten bei der Besteuerung grenzüberschreitender Umsätze als Ausprägung der unvollständigen Harmonisierung des Mehrwertsteuersystems in den einzelnen Mitgliedstaaten hingenommen werden müssen (in diesem Sinne , RBS, Rn. 41 ff.).

D. Verfahrensaussetzung?

Aufgrund der für sie unvorteilhaften Ausgangslage wird sich die Finanzverwaltung regelmäßig auf eine Aussetzung bzw. ein Ruhen des Verfahrens berufen. Ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen bestehen dafür jedoch keine tragenden Gründe.

Eine Aussetzung des Verfahrens von Amts wegen, allein aufgrund eines anhängigen Verfahrens beim Bundesfinanzhof zu einer vergleichbaren Rechtsfrage, kommt per Gesetz nicht in Betracht (, Rn. 10 f. mit Verweis auf die ständige Rechtsprechung). Hinsichtlich der Aussetzung aufgrund eines bereits anhängigen Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof steht die Entscheidung über eine Verfahrensaussetzung von Amts wegen im gerichtlichen Verfahren im Ermessen des erkennenden Gerichts. Eine Aussetzung käme nur in dann in Betracht, wenn der Ausgang des anderen Verfahrens irgendeinen rechtlichen Einfluss auf das auszusetzende Verfahren hat (, Rn. 7). Daran fehlt es in der vorliegenden Konstellation jedoch. Gegenstand des anhängigen EuGH-Verfahrens in der Rechtssache C-380/16 ist die Frage, ob § 25 UStG mit den Vorgaben der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie vereinbar ist. Zur Anwendung der Art. 306 ff. MwStSystRL im Sinne der Kundenmaxime liegt eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bereits vor. Zwar hat der Gerichtshof insoweit diese Auffassung lediglich für mit dem Unionsrecht vereinbar und nicht für zwingend erklärt. Eine andere als die zwingende Geltung der Kundenmaxime erscheint jedoch denklogisch ausgeschlossen. Letztlich kann für den hier interessierenden Fall auch dahingestellt bleiben, ob § 25 UStG gegen das Unionsrecht verstößt. Selbst wenn die nationale Norm als Übergangsregelung nach Art. 371 i. V. mit Anhang X Teil B Nr. 13 MwStSystRL (so wohl Schüler-Täsch, in: Sölch/Ringleb, UStG, 79. EGL März 2017, § 25 Rn. 78) für unionskonform befunden werden sollte, steht dem Leistungsempfänger weiterhin das Recht zu, sich unmittelbar auf die für ihn günstigeren Art. 306 ff. MwStSystRL zu berufen.

E. Beiladung des leistenden Unternehmers?

Will die Finanzverwaltung einen Steuerausfall verhindern, bietet sich auf den ersten Blick eine Beiladung des leistenden Unternehmers an. Bei genauerer Betrachtung liegen die Voraussetzungen für eine Beiladung infolge einer widerstreitenden Steuerfestsetzung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO allerdings nicht vor. Eine solche Beiladung kann unterbleiben, wenn die Interessen Dritter durch den Ausgang des anhängigen Rechtsstreits eindeutig nicht berührt sein können (, Rn. 11). Die Berufung des Leistungsempfängers auf die unmittelbare Anwendung des Unionsrecht entfaltet lediglich isoliert auf seine Person Wirkung; sie erstreckt sich nicht von selbst auf den Leistenden (, BStBl 2015 II S. 513, Rn. 21). Unabhängig von der Besteuerung des Leistungsempfängers bleibt ein Vorsteuerausschluss beim Leistenden zwingend ausgeschlossen. Nach nationalem Recht stellt sich die Gewährung des Vorsteuerabzugs schlicht als zutreffend dar. Zulasten des Steuerpflichtigen kommt weder ein Vorsteuerausschluss nach § 25 Abs. 4 UStG mangels Einschlägigkeit, noch nach Art. 310 MwStSystRL mangels Anwendbarkeit in Betracht.

F. Handlungsempfehlung

Deutschland hält weiterhin an seiner der EuGH-Rechtsprechung entgegenstehenden Auslegung der Margenbesteuerung von Reiseleistungen fest. Dadurch kommt es im zwischenunternehmerischen Verkehr schnell zu Steuerschlupflöchern, welche in der Beratungspraxis bereits intensiv genutzt werden. Die Auffassung der Finanzverwaltung erscheint dabei nicht haltbar. Aufgrund der Bindungswirkung des nationalen Rechts lässt sich eine abweichende Meinung im Verwaltungsverfahren durch den Steuerpflichtigen allerdings nicht durchsetzen. Insofern verbleiben dem Steuerpflichtigen nur zwei Möglichkeiten: einer Verfahrensruhe in der Hoffnung auf eine gesetzliche Neuregelung zustimmen oder mit guten Erfolgsaussichten in das Klageverfahren gehen.

Autor

Matthias Trinks,
Dipl.-Jur., BScBA, ist Mitarbeiter der WD Treuhand GmbH Wirtschaftsberatung StBG in Eisenhüttenstadt.

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