IWB Nr. 4 vom Seite 168

Die Reform der EU-Entsenderichtlinie

Was sind die Auswirkungen des Grundsatzes „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ für deutsche Unternehmen?

Dirk Keppler *

Bei der [i]Fünfte Entsenderichtlinie (EU) 2018/957 v. 28.6.2018 unter http://go.nwb.de/x6jor Entwicklung der Richtlinie 96/71/EG hat die EG als eines ihrer zentralen Ziele die Förderung des länderübergreifenden Dienstleistungsverkehrs und die Beseitigung von Hindernissen für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten unter Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer bestimmt. Mit der Richtlinie 2014/67/EU und der nun erfolgten Reform der Entsenderichtlinie werden die Rechte der Arbeitnehmer weiter gestärkt und den Mitgliedstaaten Kriterien für die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften genannt. Der folgende Beitrag beleuchtet anhand von Praxisbeispielen die Umsetzung dieser Überwachung durch die EU-/EWR-Mitgliedstaaten und deren Auswirkungen auf entsendende Unternehmen.

Kernaussagen
  • Die EU-/EWR-Mitgliedstaaten haben zur Überwachung der Einhaltung der in der Entsenderichtlinie geregelten Arbeitnehmerrechte umfangreiche Meldepflichten eingeführt.

  • Die Erfüllung dieser Meldepflichten stellt für die entsendenden Arbeitgeber erheblichen Aufwand dar; die Nichterfüllung kann zu drastischen Sanktionen führen.

  • Auch nach Beendigung des Auslandseinsatzes gelten in den meisten Fällen Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten.

I. Ausgangspunkt: Reform der Entsenderichtlinie

In der [i]Grundfreiheiten gelten umfassend auch für Arbeitnehmer in anderen EU-Mitgliedstaaten EU gelten grds. die Regelungen des Europäischen Binnenmarkts zur Freiheit des Warenverkehrs, zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit sowie zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dabei erfolgt die Erbringung von Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat in aller Regel durch die Entsendung von Arbeitnehmern.

Zum Schutz dieser Arbeitnehmer vor einer Ungleichbehandlung im Einsatzland gegenüber lokalen Arbeitnehmern hat das Europäische Parlament bereits im Jahr 1996 in der Entsenderichtlinie 96/71/EG Schutzbestimmungen erlassen, die vom entsendenden Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer im Gastland eingehalten werden müssen.S. 169

II. Neuerungen

Am [i]Verkürzung der regulären Aufenthaltsdauer auf zwölf Monate hat das EU-Parlament eine überarbeitete Fassung der Entsenderichtlinie verabschiedet. Hiernach sollen zum einen Aufenthalte von Arbeitnehmern im jeweiligen Gastland auf zwölf Monate begrenzt werden, wobei eine Verlängerung auf 18 Monate möglich sein soll. Zum anderen soll Lohndumping noch intensiver entgegengewirkt werden.

Aufgrund [i]Zentraler Grundsatz: Gleicher Arbeitslohn für gleiche Arbeitder neuen Regelungen können sich Arbeitnehmer, die aus einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen entsandt werden, auf eine Reihe zentraler Rechte berufen, die in diesem Einsatzland gelten. Zentraler Ansatzpunkt hierbei ist, dass die Arbeitnehmer den gleichen Arbeitslohn bekommen und unter den gleichen Bedingungen arbeiten sollen wie vergleichbare Arbeitnehmer, die in diesem Staat wohnen und arbeiten.

Hierzu [i]Ausdehnung der Geltung allgemein verbindlicher Tarifverträge sollen sich die entsandten Arbeitnehmer auf Rechtsvorschriften oder allgemein verbindliche Tarifverträge berufen können. Dies gilt unabhängig davon, dass die Arbeitnehmer in der Zeit ihrer Entsendung weiterhin Arbeitnehmer eines Unternehmens eines anderen Staates sind und daher das Recht dieses Staates für sie maßgebend ist.

Die EU-Mitgliedstaaten müssen die Änderungen der Entsenderichtlinie bis spätestens in nationales Recht umsetzen.

III. Meldepflichten

1. Grundlagen

Um [i]Zur Kontrolle bestehen u. a. weitreichende Meldepflichten zu gewährleisten, dass die Unternehmen ihren Pflichten im Einsatzland nachkommen, haben die EU-Mitgliedstaaten entsprechende Kontrollmechanismen eingeführt. Arbeitgeber, die Mitarbeiter zu Tätigkeiten in einen anderen EU-/EWR-Mitgliedstaat schicken, müssen mittlerweile in nahezu jedem Staat eine Meldung ihrer eingesetzten Arbeitnehmer vornehmen.

Verstöße gegen die Meldepflichten werden unterschiedlich sanktioniert; die Sanktionen reichen von Geldbußen beispielsweise für verspätete, unterlassene oder falsche Meldungen (bis zu 500.000 €) bis zum „black listing“ und dem damit verbundenen Ausschluss vom Markt des jeweiligen Staates.

Dabei sind die in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten einzuhaltenden Bestimmungen vielfältig und die Wege zur Erfüllung der Meldepflichten für den entsendenden Arbeitgeber unübersichtlich. Damit sind sie zum Teil nur sehr schwer durchführbar.

Dies [i]Meldungen sind zum Teil nur in der Landessprache zulässig fängt häufig bereits bei der Sprache, in der die Meldung zu verfassen ist, an. Während die meisten Staaten neben Angaben in der jeweiligen Landessprache i. d. R. mindestens eine Übersetzung in Englisch anbieten, gibt es in verschiedenen Staaten keinerlei Übersetzungshilfe.

Beispiel 1:

So sind bei Entsendungen nach Lettland die Angaben bisher nur in lettischer Sprache durchführbar. In Spanien sind aufgrund der regionalen Zuständigkeit der Provinzbehörden für die Meldung die Angaben ggf. in Katalanisch zu erstellen. Die Registrierung als „meldender Arbeitgeber“ in Italien ist ebenfalls nur in der Landessprache möglich, die Meldung der einzelnen Arbeitnehmer wird dagegen durch Informationen in englischer Sprache unterstützt.

Änderungen [i]Änderungen des Einsatzes sind ebenfalls meldepflichtigdes tatsächlichen Einsatzes (Zeit, Ort etc.) gegenüber der ursprünglichen Meldung sind ebenfalls den Behörden mitzuteilen. Hierzu sind entweder entsprechende Änderungsformulare auszufüllen oder es kann ggf. die in einem Online-System bestehende Meldung des Mitarbeiters angepasst werden (so z. B. in Italien und in Frankreich). S. 170

2. Meldefristen

Auch die Antwort auf die Frage, bis wann eine Meldung durchgeführt werden muss, fällt in den EU-Mitgliedstaaten unterschiedlich aus. In vielen Staaten muss die Meldung spätestens einen Tag vor dem Arbeitsbeginn erfolgen.

Beispiel 2:

In Bulgarien reicht es dagegen auch, die Meldung innerhalb der ersten drei Tage nach Beginn der Tätigkeit durchzuführen. Litauen dagegen fordert grds. eine Meldung fünf Tage vor Arbeitsbeginn, gewährt aber eine Ausnahme bei dringenden Reparaturarbeiten. Spitzenreiter ist die Schweiz, in der eine Meldung spätestens acht Tage vor Beginn der Tätigkeit erfolgen muss.

3. Mitführungspflichten

Eine [i]Entsendebescheinigung (A1) ist nur ein Mindestnachweis weitere administrative Hürde stellen die vom Mitarbeiter während des Auslandseinsatzes mitzuführenden Dokumente dar. Während bei Tätigkeiten in Belgien bekanntermaßen eine Kopie der Entsendebescheinigung (A1) sowie die „Limosa“-Bescheinigung als Nachweis der Meldung des Arbeitnehmers stets mitzuführen sind, haben andere EU-Mitgliedstaaten wesentlich weitergehende Mitführungspflichten festgelegt, um ihre Kontrollfunktion ausüben zu können.

So finden sich hier u. a. zusätzlich zu der oben bereits genannten Entsende- und der Meldebescheinigung häufig Kopien der Entsende- und Arbeitsverträge, Stundenzettel zum Nachweis der Arbeitszeiten, Kopien der Gehaltsabrechnungen bis hin zum Nachweis, dass das vertraglich vereinbarte und im Rahmen der Mitarbeitermeldung den Behörden mitgeteilte Gehalt (das den Mindestlohnanforderungen des Einsatzlandes entsprechen muss) dem Mitarbeiter auch tatsächlich gezahlt wurde und zugeflossen ist. Der Mitarbeiter selbst muss also ggf. auch einen entsprechenden Kontoauszug als Nachweis über den Erhalt seines Gehalts beisteuern.

4. Ansprechpartner im Land

In der [i]Teilweise ist ein lokaler Kontaktpartner im Tätigkeitsstaat zu benennenRegel hat das entsendende Unternehmen in seiner Meldung auch einen Kontaktpartner im Tätigkeitsstaat zu benennen, der den Behörden im Einsatzland entsprechend als Ansprechpartner dient. Diese Funktion kann häufig der entsandte Mitarbeiter für die Dauer seines Auslandseinsatzes selbst erfüllen.

Manche EU-Mitgliedstaaten fordern darüber hinaus aber auch einen lokalen Ansprechpartner, der auch nach Rückkehr des Mitarbeiters weiterhin im Land zur Verfügung steht.

5. Aufbewahrung der Dokumente in der Landessprache

Nach Beendigung des Auslandseinsatzes ist der entsendende Arbeitgeber i. d. R. verpflichtet, die Unterlagen für eine Dauer von bis zu zwei Jahren aufzubewahren und auf Verlangen der Behörde innerhalb vorgeschriebener Zeiträume (i. d. R. zwei Wochen) in der Landessprache vorzulegen.

Festzuhalten [i]Dokumentenmanagement wird ab 2020 eine noch größere Rolle spielen bleibt jedenfalls, dass Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter zu Tätigkeiten ins EU-/EWR-Ausland senden, neben den bisher bereits bestehenden Hürden in den Bereichen Arbeitsrecht, Sozialversicherung und Steuer, in den Meldepflichten eine weitere Herausforderung finden. Deren Bewältigung bedeutet letztlich nicht nur die Erfüllung der akuten Meldepflichten, sondern erfordert auch ein entsprechendes Dokumentenmanagement zur Erfüllung zu erwartender Nachuntersuchungen der jeweiligen Behörde. S. 171

Fazit

Durch die Reform der Entsenderichtlinie und die Einführung von Registrierungspflichten werden die Rechte der in der EU außerhalb ihres regelmäßigen Arbeitsstaates tätigen Arbeitnehmer gestärkt. Die EU hat es ihren Mitgliedstaaten auferlegt, die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzbestimmungen im jeweiligen Einsatzland zu überwachen. Durch die Einführung der Registrierungspflichten und durch die in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Umsetzung ist der internationale Personaleinsatz innerhalb der EU für die im Auslandsgeschäft tätigen Unternehmen ein kaum noch überschaubarer Komplex aus arbeits-, steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen. [1] In der administrativen Abwicklung bringt das erheblichen zusätzlichen Aufwand mit sich. Die momentane Situation führt dazu, dass einer der Grundgedanken der Entsenderichtlinie, die Förderung des länderübergreifenden Dienstleistungsverkehrs und die Beseitigung von Hindernissen für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr, ad absurdum geführt wird. Es wäre wünschenswert, dass die EU durch die Vorgabe einheitlicher und maßvoller Standards hier dringend nachbessert.

Autor

Dipl.-Kfm. Dirk Keppler
ist Director – Head of Global Expatriate Services bei der WTS Steuerberatungsgesellschaft mbH, Düsseldorf. Sein Tätigkeitsschwerpunkt ist die Beratung international tätiger Unternehmen und deren Mitarbeiter.

Fundstelle(n):
IWB 4 / 2019 Seite 168 - 171
WAAAH-06658

1Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau hat diesen Flickenteppich mehrfach und frühzeitig kritisiert, s. Presseinformation u. a. v.  – „Neue Entsenderichtlinie darf nicht den EU-Binnenmarkt schwächen“ unter https://www.vdma.org/v2viewer/-/v2article/render/26535186.