NWB Nr. 29 vom Seite 2182

„Brexit“– Großbritannien verlässt die EU

Mögliche rechtliche und steuerrechtliche Auswirkungen im Überblick

Dr. Katrin Dorn und Sophie Schwarz *

Das Volk hat [i]Art. 50 EUV NWB CAAAD-38978 entschieden, der Austritt Großbritanniens aus der EU scheint besiegelt. Sollte der „Brexit“ tatsächlich umgesetzt werden, folgen daraus zahlreiche Änderungen rechtlicher und steuerlicher Natur sowohl für Personen und Unternehmen in Großbritannien als auch für Personen und Unternehmen aus der EU, die Sachverhalte mit Bezug zu Großbritannien verwirklichen. Eine Einschätzung der konkreten Folgen ist derzeit nicht möglich, weil diese erst als Ergebnisse der Austrittsverhandlungen benannt werden können. Abzusehen ist jedoch, dass sich auch im Hinblick auf die Anwendung der Normen des deutschen Steuerrechts zahlreiche Änderungen ergeben, wenn Großbritannien kein EU-Mitgliedstaat mehr ist, sondern aus steuerlicher Sicht tatsächlich ein „Drittstaat“ werden sollte. Von dem geänderten Anwendungsbereich innerstaatlicher Normen sind dann sowohl in Großbritannien als auch im Inland steuerpflichtige Personen betroffen. Der nachfolgende Beitrag zeigt einzelne Beispiele auf und gibt einen Überblick über die denkbaren rechtlichen und steuerrechtlichen Auswirkungen des „Brexits“.

Eine Kurzfassung dieses Beitrags finden Sie in .

I. Überblick über mögliche rechtliche Auswirkungen

1. Austrittsverfahren

[i]Austrittsverhandlungen über mehrere JahreZurzeit ist ausschließlich bekannt, dass sich die britischen Wähler am für einen „Brexit“ und damit für einen Austritt Großbritanniens aus der EU ausgesprochen haben. Desweiteren steht fest, dass mit dieser Entscheidung zahlreiche Fragen über das „Wann“ und „Wie“ dieses Austritts verbunden sind, die wohl erst nach Beendigung der Austrittsverhandlungen beantwortet werden können. Dabei werden diese Austrittsverhandlungen erst beginnen, wenn Großbritannien der EU offiziell mitteilt, dass es beabsichtigt, aus der EU auszutreten. Die Verhandlungen dürften mehrere Jahre dauern. Bis zum Abschluss der Verhandlungen wird Großbritannien Mitglied der EU mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten bleiben. Denn das Austrittsverfahren sieht vor, dass Großbritannien entweder mit Inkrafttreten des Austrittsabkommens aus der EU austritt oder spätestens nach Ablauf von zwei Jahren nach Mitteilung der Austrittsabsicht, wenn diese Frist nicht verlängert wird (vgl. dazu im Einzelnen Art. 50 EUV).

[i]Über Bedingungen kann nur spekuliert werdenBis dahin kann lediglich über die Bedingungen spekuliert werden, zu welchen Großbritannien aus der EU ausscheidet. Insbesondere kann nicht beantwortet werden, ob Großbritannien nach dem Austritt im Verhältnis zu den verbleibenden Mitgliedstaaten der EU ein „Drittstaat“ oder abweichend davon den „EWR-Status“ erlangen oder bi- oder multilaterale Verträge mit der EU abschließen wird. Desweiteren kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht eingeschätzt werden, ob und inwieweit Übergangsregelungen abgeschlossen werden, die z. B. die steuerlichen und rechtlichen Folgen für S. 2183bereits verwirklichte, aber noch nicht abgeschlossene Sachverhalte regeln. Zu denken ist hier an die gesellschaftsrechtliche Anerkennung der in Großbritannien gegründeten Gesellschaften mit Verwaltungssitz in anderen EU-Mitgliedstaaten oder an bestehende steuerliche Stundungsregelungen.

2. Unsicherheiten in zahlreichen Rechtsgebieten

[i]Zahlreiche Rechtsgebiete betroffen Im Grundsatz dürfte der „Brexit“ dazu führen, dass das Unionsrecht nicht mehr auf Sachverhalte in Großbritannien bzw. Sachverhalte mit britischer Beteiligung in EU-Staaten Anwendung findet. Damit dürften konkret die europäischen Grundrechte, Verordnungen und Richtlinien in den genannten Sachverhalten nicht mehr anwendbar sein. Daraus folgen zahlreiche rechtliche Unsicherheiten, die mit dem „Brexit“ verbunden sind und zahlreiche Rechtsgebiete betreffen. Zu denken ist u. a. in arbeitsrechtlicher Hinsicht vor dem Hintergrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit bspw. an sich wohl ändernde Bedingungen für den grenzüberschreitenden Personaleinsatz oder an die im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes bestehende Gefahr, dass die als „EU-Marken“ angemeldeten Marken in Großbritannien ihren Schutz verlieren könnten.

3. Auch Gesellschafts- und Steuerrecht betroffen

[i]Sitztheorie würde zur Anwendung kommenAber auch in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht ergeben sich zahlreiche Fragen. Sollte Großbritannien weder Mitglied der EU noch des EWR sein und auch nicht über entsprechende bilaterale Abkommen mit der EU verfügen, würde nach dem „Brexit“ z. B. die sog. Sitztheorie zur Anwendung kommen, so dass sich die Anerkennung der Gesellschaften grds. nach dem Recht des Staates richtet, in dem die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz hat.

[i]infoCenter „Private Limited Company“ NWB AAAAB-72970 Für nach britischem Gesellschaftsrecht gegründete Gesellschaften, wie die Limited Company und die Limited Liability mit Verwaltungssitz in Deutschland, die bislang aufgrund der anzuwendenden „Gründungstheorie“ im Inland rechtlich als auch steuerlich anerkannt wurden, dürften sich zahlreiche Änderungen ergeben. Der Wechsel von der „Gründungstheorie“ zur „Sitztheorie“ könnte zu einer Zwangsumwandlung bis hin zu einer Aufdeckung der stillen Reserven der betroffenen Gesellschaften führen.

[i]Auswirkungen für Europäische Gesellschaften (SE)Ebenfalls dürften sich Auswirkungen für Europäische Gesellschaften (SE) mit Sitz in Großbritannien ergeben, weil diese Gesellschaften grds. ihren Sitz in dem Staat haben müssen, in dem sich die Hauptverwaltung befindet. Da dieser Staat Mitgliedstaat der EU sein muss, dürften sich aufgrund eines Austritts Großbritanniens zwangsläufig Änderungen ergeben. Welche rechtlichen und steuerlichen Folgen sich aufgrund der sich ändernden gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen im Einzelnen ergeben, werden allerdings erst die Ergebnisse der Austrittsverhandlungen offenbaren.

Aber auch [i]Steuerrecht betroffenin steuerlicher Hinsicht dürfte der Austritt Großbritanniens aus der EU zu zahlreichen Änderungen führen. Denn eine Vielzahl der Normen des deutschen Steuerrechts basiert auf den in der EU geltenden Grundfreiheiten und enthält Sonderregelungen für EU- bzw. EWR-Sachverhalte (wie Wegzugsbesteuerung, Verlustberücksichtigung, Entstrickungsfälle oder grenzüberschreitende Umwandlungen). Auch für bereits verwirklichte Sachverhalte, deren Besteuerungsvorgang bspw. aufgrund einer bestehenden Stundung der Steuer oder bestehender Sperrfristen noch nicht abgeschlossen ist (sog. Altfälle), könnte der „Brexit“ unmittelbare steuerliche Folgen haben.

II. Überblick über mögliche steuerrechtliche Auswirkungen: Geänderter Anwendungsbereich innerstaatlicher Normen

Infolge der Umsetzung des „Brexit“ wird Großbritannien nicht länger Mitglied der EU sein. Allein aufgrund der fehlenden Mitgliedschaft in der EU werden sich zahlreiche S. 2184 [i]Geänderter Anwendungsbereich für innerstaatliche NormenÄnderungen im Hinblick auf die Anwendung steuerlicher Normen des deutschen Steuerrechts ergeben, sofern die Normen Sonderregelungen für EU-Sachverhalte beinhalten. Da bislang nicht bekannt ist, ob Großbritannien nach dem „Brexit“ den Status eines „EWR-Staates“ erlangen sowie ob und inwieweit es mit der EU bi- oder multilaterale Abkommen abschließen wird, basiert die nachfolgende Darstellung auf der Annahme, dass Großbritannien im Verhältnis zu den verbleibenden Staaten der EU aus steuerlicher Sicht zukünftig als „Drittstaat“ betrachtet wird. Damit genießt es nicht länger den Schutzumfang der „EU-Grundfreiheiten“. Es ist denkbar, dass Großbritannien durch bi- oder multilaterale Abkommen ein gewisses Schutzniveau erlangt. Sollte Großbritannien den Status eines „EWR-Staates“ erhalten, würden die „EWR-Grundfreiheiten“ gelten, die mit Ausnahme des Kapitalverkehrs mit Drittstaaten denselben Schutzumfang gewähren wie die „EU-Grundfreiheiten“.

Die nachfolgende Darstellung zeigt beispielhaft einzelne Normen auf, deren steuerliche Folgen sich allein aufgrund des Tatbestands ändern, dass der Sachverhalt zwar weiterhin in Bezug mit Großbritannien verwirklicht wird (z. B. weil die natürliche oder juristische Person dort ansässig ist oder ein Inländer einen Sachverhalt mit einer dort steuerpflichtigen Person verwirklicht), dieses Land aber nicht länger Mitgliedstaat der EU, sondern „Drittstaat“ ist.

1. Steuervergünstigungen dank fiktiver unbeschränkter Steuerpflicht von EU- und EWR-Familienangehörigen

[i]infoCenter „Steuerpflicht“ NWB XAAAB-40285 Sind Staatsangehörige eines EU-/EWR-Staates in Deutschland als unbeschränkt Steuerpflichtige zu behandeln, können sie dank § 1a EStG bestimmte familienbezogene Vergünstigungen beantragen. Für britische Staatsangehörige, die nun Drittstaatsangehörige würden, bestünde diese Möglichkeit nicht mehr. Folgen wären höhere Einkommensteuerzahlungen.

2. EU-Richtlinien

[i]Schutzbereich des Unionsrechts entfälltDurch den Austritt Großbritanniens aus der EU unterfallen die Sachverhalte mit Bezug zu Großbritannien grds. nicht mehr dem Schutzbereich des Unionsrechts. Wie bereits angesprochen, sind damit konkret die europäischen Grundfreiheiten, Verordnungen und Richtlinien nicht mehr auf Sachverhalte in Großbritannien oder Sachverhalte mit britischer Beteiligung anwendbar. Von den unmittelbaren Folgen sind auch die Richtlinien betroffen, die, wie die Mutter-Tochter-Richtlinie, die Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie und die Fusionsrichtlinie, steuerliche Regelungen zum Gegenstand haben.

a) Mutter-Tochter-Richtlinie

[i]infoCenter „Mutter-Tochter-RichtlinieNWB CAAAC-21283 Die Mutter-Tochter-Richtlinie (Richtlinie 2011/96/EU vom , ABl EU 2011 Nr. L 345 S. 8, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2015/121/EU vom 27. 1. 2015, ABl EU 2015 Nr. L 21 S. 1), umgesetzt in § 43b EStG, sieht im Grundsatz eine Entlastung von der deutschen Kapitalertragsteuer auf Dividenden und andere Gewinnausschüttungen vor, die einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft zufließen oder einer dort belegenen Betriebsstätte zuzurechnen sind. Zukünftig dürften u. a. die Ausschüttungen einer inländischen Tochtergesellschaft an ihre in Großbritannien ansässige Muttergesellschaft zu einer definitiven Steuerbelastung führen, weil die Quellensteuern aufgrund der Freistellung der Dividenden in Großbritannien nicht angerechnet werden können. Selbstverständlich bleiben die bilateralen Vereinbarungen zwischen Großbritannien und Deutschland weiterhin in Kraft, wie z. B. die Doppelbesteuerungsabkommen. Der Quellensteuersatz [i]DBA Großbritannien NWB AAAAD-52814 für unmittelbare Beteiligungen von mindestens 10 % beträgt nach dem zwischen Deutschland und Großbritannien abgeschlossenen DBA 5 % (Art. 10 Abs. 2 Buchst. a DBA Großbritannien). S. 2185

b) Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie

[i]infoCenter „EU-Zinsrichtlinie“ NWB FAAAA-88422 Auch die Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie (Richtlinie 2003/48/EG vom , ABl EU 2003 Nr. L 157 S. 38, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2015/2060/EU vom 10. 11. 2015, ABl EU 2015 Nr. L 301 S. 1), umgesetzt in § 50g EStG, enthält eine Entlastung vom Steuerabzug bei Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener EU-Mitgliedstaaten. Auf Antrag unterbleibt daher der Steuerabzug für Lizenzgebühren. In Zukunft wird diese Möglichkeit entfallen, wenn die Zahlungen aus Deutschland an ein in Großbritannien ansässiges Unternehmen bzw. eine dort belegene Betriebsstätte erfolgen. Folglich würden die Lizenzgebühren aufgrund der fehlenden Ansässigkeit einer Gesellschaft bzw. Belegenheit der Betriebsstätte in der EU grds. dem Steuerabzug unterliegen. Aufgrund des zwischen Deutschland und Großbritannien abgeschlossenen DBA wird allerdings auch in Zukunft kein Steuerabzug erfolgen, weil das Besteuerungsrecht nach Art. 12 Abs. 1 DBA in diesen Fällen ausschließlich Großbritannien zusteht.

c) Fusionsrichtlinie

[i]infoCenter „SEStEG“ NWB EAAAC-40699 Die Fusionsrichtlinie (Richtlinie 2009/133/EG vom , ABl EU 2009 Nr. L 310 S. 34), im Wesentlichen umgesetzt seit Änderung des Umwandlungssteuergesetzes durch das SEStEG (Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom , BGBl 2006 I S. 2782; nicht alle Regelungen des SEStEG entsprechen den europarechtlichen Vorgaben, Klingberg in Blümich, EStG Kommentar, Vorbemerkung zum Umwandlungssteuergesetz 2006, Rn. 36), ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen steuerneutrale Umwandlungen, wenn die daran beteiligten Rechtsträger in der EU ansässig sind. Durch den Austritt Großbritanniens aus der EU werden in Zukunft zahlreiche Umwandlungen mit britischer Beteiligung nicht mehr steuerneutral möglich sein. Zu den weiteren Auswirkungen im Bereich des Umwandlungssteuergesetzes s. unten II, 7.

3. Verlustausgleichsbeschränkung für Einkünfte mit Bezug zu Drittstaaten gem. § 2a EStG

[i]Grundlagen „Verlustausgleich – Verlustabzug“ NWB CAAAE-60556 Entgegen der bisherigen Handhabung dürften negative Einkünfte mit Bezug zu Großbritannien nur noch mit positiven Einkünften derselben Art und desselben Staates ausgeglichen werden. Eine Verlustberücksichtigung im Rahmen des § 10d EStG darf nicht erfolgen, denn zukünftig unterfallen die Verluste der Regelung des § 2a EStG.

4. Entstrickungsbesteuerung

[i]Zu den bilanziellen Auswirkungen der Steuerentstrickung s. Atilgan, NWB 13/2016 S. 936Kommt es zu einem Zuordnungswechsel eines Wirtschaftsguts zu einer ausländischen Betriebsstätte desselben Steuerpflichtigen, gilt dieses Wirtschaftsgut grds. als entnommen. Bei Überführung des Wirtschaftsguts durch Zuordnung zu einer Betriebsstätte desselben Steuerpflichtigen in einem anderen Staat der EU besteht jedoch die Möglichkeit der Bildung eines Ausgleichspostens nach § 4g EStG, der in den folgenden Wirtschaftsjahren gewinnerhöhend aufzulösen ist. Eine sofortige Aufdeckung und Besteuerung der stillen Reserven wird so vermieden. Künftig entfällt diese Möglichkeit, wenn die Betriebsstätte in Großbritannien belegen ist.

[i]Ggf. Zwangsauflösung und sofortige Besteuerung bisher gebildeter Ausgleichsposten ...Im Grundsatz gilt, dass der Ausgleichsposten in vollem Umfang aufgelöst werden muss, sofern das Wirtschaftsgut aus der Besteuerungshoheit der Mitgliedstaaten der EU ausscheidet. Konsequent angewandt, folgt aus dieser Regelung eine vollumfängliche Zwangsauflösung und sofortige Besteuerung bisher gebildeter Ausgleichsposten im Zeitpunkt des offiziellen Austritts Großbritanniens, weil die Wirtschaftsgüter automatisch als aus der Besteuerungshoheit der Mitgliedstaaten der EU entnommen gelten. S. 2186Fraglich ist, ob es ohne eine Handlung oder gar Beeinflussungsmöglichkeit durch den Steuerpflichtigen hierzu kommen sollte.

[i]... und der steuerfreien Rücklage gem. § 6b Abs. 2a EStGÄhnlich verhält es sich bei der Einstellung eines Veräußerungsgewinns in die steuerfreie Rücklage gem. § 6b Abs. 2a EStG. Diese darf nur bei Ausscheiden und anschließender Reinvestition betrieblichen Anlagevermögens des Steuerpflichtigen in einen [i]Kanzler, NWB 51/2015 S. 3814EU-/EWR-Staat gebildet werden. Eine Zwangsauflösung und Sofortversteuerung könnte auch hier die Folge sein, sofern es sich um Wirtschaftsgüter in Großbritannien handelt.

5. Wegzugsbesteuerung

[i]infoCenter „Wegzugsbesteuerung“ NWB KAAAB-36699 Gibt ein in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtiger, der wesentlich an einer Kapitalgesellschaft i. S. des § 17 EStG beteiligt ist, seinen inländischen Wohnsitz auf, löst der Wegzug unter den weiteren Voraussetzungen des § 6 AStG die sog. Wegzugsbesteuerung aus. Zieht der Steuerpflichtige in einen anderen EU-/EWR-Staat und wird dort unbeschränkt steuerpflichtig, wird die dadurch entstehende Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistungen gestundet. In Zukunft dürfte diese Möglichkeit für Wegzugsfälle nach Großbritannien entfallen. Zugleich könnte sich der „Brexit“ auch auf Altfälle auswirken. [i]„Brexit“ könnte sich auf Altfälle auswirken Denn die Stundung wird grds. widerrufen, sobald die Ansässigkeit des Steuerpflichtigen in dem EU-/EWR-Staat endet. Obgleich im Falle des Austritts Großbritanniens die Steuerpflicht in einem EU-/EWR-Staat nicht aufgrund einer aktiven Handlung des Steuerpflichtigen endet, könnte der „Brexit“ zu einem Widerruf der Stundung führen, denn die Ansässigkeit in einem EU-/EWR-Staat endet infolge des Austritts automatisch. Es bleibt abzuwarten, ob für diese Altfälle Übergangsregelungen im Rahmen der Austrittsverhandlungen vereinbart werden.

6. Hinzurechnungsbesteuerung

[i]infoCenter „Hinzurechnungsbesteuerung“ NWB IAAAB-13226 Die Hinzurechnungsbesteuerung erfasst Sachverhalte, bei denen im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Personen einen wesentlichen Einfluss auf eine ausländische Gesellschaft ausüben, wenn diese Gesellschaft passive Einkünfte erzielt und in einem Niedrigsteuerland belegen ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, werden die Einkünfte der Gesellschaft den inländischen Anteilseignern zugerechnet.

[i]Ausnahmeregelung findet ggf. keine Anwendung mehrFür Sachverhalte mit EU-Bezug enthalten auch die Regelungen über die Hinzurechnungsbesteuerung zahlreiche Sonderregelungen, wie z. B. die Exkulpationsmöglichkeit des § 8 Abs. 2 AStG. Diese Regelung sieht unter weiteren Voraussetzungen eine Ausnahme von der Hinzurechnungsbesteuerung vor, wenn die Gesellschaft über eine hinreichende Substanz verfügt und innerhalb der EU bzw. des EWR ansässig ist. Die Ausnahmeregelung dürfte daher zukünftig keine Anwendung mehr finden, wenn die Gesellschaft in Großbritannien ansässig ist. Im Ergebnis müssen sich Anteilseigner mit Beteiligungen an in Großbritannien ansässigen Gesellschaften in Zukunft wohl intensiv mit der Thematik der Hinzurechnungsbesteuerung beschäftigen und die steuerlichen Folgen daraus tragen.

Hinweis

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Frage des Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit durch die Hinzurechnungsbesteuerung nicht abschließend geklärt ist und damit bei ausreichender Substanz auch die Belegenheit in einem Drittstaat ausreichend sein könnte. Die niedrige Besteuerung im Sinne des Außensteuergesetzes wird durch die geplante Minderung des Körperschaftsteuersatzes in Großbritannien eine weitere Bedeutung erhalten.

7. Umwandlungssteuerrecht

Das Umwandlungssteuergesetz ist grds. nur auf ausländische Umwandlungsvorgänge anwendbar, an denen Rechtsträger beteiligt sind, die nach den Rechtsvorschriften eines S. 2187 [i]infoCenter „Umwandlungssteuerrecht“ NWB MAAAB-26815 EU-/EWR-Staates gegründet sind und deren Sitz oder Ort der Geschäftsleitung in einem solchen Staat belegen ist. Die Anwendung ist damit räumlich auf den EU-/EW-Raum begrenzt. Da die Voraussetzungen im Zeitpunkt der Umwandlung erfüllt sein müssen, sollten bereits erfolgte Umwandlungen in dieser Hinsicht durch den Austritt Großbritanniens aus der EU nicht berührt werden. Regelmäßig wird das Umwandlungssteuerrecht jedoch für Umwandlungen mit Bezug zu Großbritannien künftig keine Anwendung mehr finden, so dass grenzüberschreitende Umwandlungen mit Beteiligung von Großbritannien nicht mehr steuerneutral möglich sein dürften.

[i]Mögliche Auswirkung auf AltfälleZugleich könnte sich der „Brexit“ auch auf Altfälle auswirken. Dies betrifft insbesondere bereits vollzogene Einbringungen mit Bezug zu Großbritannien gem. § 20 UmwStG, bei denen der Einbringende als Gegenleistung für die Einbringung seines Betriebs, Teilbetriebs oder seiner Mitunternehmeranteile neue Anteile an der übernehmenden Gesellschaft erhalten hat. Im Grundsatz gilt, dass in diesen Fällen die Veräußerung der erhaltenen Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nach der Einbringung eine rückwirkende Besteuerung des sog. Einbringungsgewinns I auslöst. Dabei greift diese Rechtsfolge auch dann, wenn der Einbringende oder die übernehmende Gesellschaft die Ansässigkeitsvoraussetzungen gem. § 1 Abs. 4 UmwStG nicht mehr erfüllt. Nach dem Wortlaut der Regelung setzt dieser Ersatzrealisationstatbestand keine aktive Handlung des Steuerpflichtigen voraus. Im Ergebnis dürfte der „Brexit“ in den betroffenen Altfällen zu einer rückwirkenden Besteuerung des Einbringungsgewinns I führen, wenn der tatsächliche Austritt Großbritanniens innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist erfolgt. Auch für diese Fälle bleibt abzuwarten, ob im Rahmen der Austrittsverhandlungen ggf. Übergangsregelungen vereinbart werden.

8. Umsatzsteuerrecht

Zurzeit dürften die Folgen des EU-Austritts Großbritanniens im Rahmen der Umsatzsteuer abschätzbar sein. Hier wird Großbritannien unweigerlich als Drittstaat im Sinne des Umsatzsteuergesetzes qualifiziert werden, wodurch es künftig nicht mehr zum Zollgebiet der Europäischen Union gehören wird. Dies führt dazu, dass Großbritannien dann nicht mehr an die harmonisierenden Regelungen der Mehrwert-Steuersystemrichtlinie gebunden ist und theoretisch sein Umsatzsteuergesetz beliebig gestalten könnte – Befreiungstatbestände einführen oder abschaffen, Mehrwertsteuersätze beliebig festsetzen oder bspw. Ortsbestimmungen frei definieren könnte.

Die unmittelbaren Auswirkungen werden insbesondere für den Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen Unternehmen deutlich:

  • [i]Steuerfreie innergemeinschaftliche LieferungenEinst steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen nach § 6a UStG werden nun zu Ausfuhrlieferungen nach § 6 UStG. Für diese gilt zwar auch die Umsatzsteuerbefreiung, zugleich treten aber strengere Nachweispflichten (§§ 9 bis 11 UStDV) in Kraft, so dass die Einholung und Aufbewahrung des sog. Ausgangsvermerks im elektronischen Ausfuhrverfahren ATLAS notwendig wird.

  • [i]Steuerfreie innergemeinschaftliche ErwerbeLieferungen von Großbritannien nach Deutschland gelten künftig nicht mehr als steuerfreie innergemeinschaftliche Erwerbe i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG, sondern müssen als Einfuhren deklariert und entsprechend mit Einfuhrumsatzsteuer und Zöllen belegt werden, sofern keine Befreiungsvorschrift greift.

  • [i]DreiecksgeschäfteDie Vereinfachungsregelung des innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts gem. § 25b UStG greift nicht mehr bei Beteiligung Großbritanniens.

  • [i]Pflicht zur umsatzsteuerlichen RegistrierungIn verschiedenen Konstellationen könnte sich aufgrund des Austritts Großbritanniens aus der EU für britische Unternehmer die Pflicht zur umsatzsteuerlichen Registrierung in Deutschland ergeben, ebenso wie für deutsche Unternehmer die Registrierungspflicht in Großbritannien. S. 2188

  • [i]Umsatzsteuer-IdentifikationsnummerDie Unternehmereigenschaft eines in Großbritannien ansässigen Unternehmers kann nach dem „Brexit“ nicht mehr anhand der europäischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer überprüft werden. Hierfür wird künftig die Einholung anderer Nachweise, wie einer Bescheinigung der britischen Behörde, notwendig sein.

  • [i]Intrahandelsstatistik und Zusammenfassende MeldungGleichzeitig werden Nachweispflichten im Zusammenhang mit der Intrahandelsstatistik und der Zusammenfassenden Meldung bei grenzüberschreitenden Warenlieferungen bzw. sonstigen Leistungen in Bezug auf Großbritannien künftig entfallen.

Ausblick

Derzeit ist lediglich gewiss, dass sich die britischen Wähler für einen Austritt aus der EU ausgesprochen haben und dieser „Brexit“ zahlreiche Änderungen in rechtlicher und steuerlicher Natur auslösen wird. Über die Einzelheiten und konkreten Folgen des Austritts kann derzeit lediglich spekuliert werden, weil insbesondere nicht bekannt ist, zu welchen konkreten Bedingungen Großbritannien aus der EU austreten und welchen Status es hinsichtlich der Grundfreiheiten erlangen wird. Die aufgezeigten Beispiele verdeutlichen, dass das deutsche Steuerrecht an vielen Stellen eine Differenzierung zwischen „EU-/EWR-Fällen“ und „Nicht-EU-/EWR-Fällen“ vornimmt und deswegen die steuerlichen Auswirkungen des „Brexit“ unabdingbar mit der künftigen völkerrechtlichen Ein- und Anbindung Großbritanniens an die EU einhergehen. Die konkreten Steuerfolgen werden davon abhängig sein, ob Großbritannien tatsächlich „Drittstaat“ oder – wie Norwegen, Island und Liechtenstein – künftig ein Vertragsstaat des EWR wird. Ebenso ist es denkbar, dass Großbritannien – ähnlich wie die Schweiz – zahlreiche bilaterale Zoll-, Wirtschafts- und Steuerabkommen mit der EU abschließt. Auch ein sukzessiver Austritt Großbritanniens unter Anwendung steuerlicher Übergangsregelungen scheint ein gangbarer Weg.

Deutlich wird jedoch, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU bei weitem kein Themenkomplex ist, der ausschließlich diejenigen betrifft, die in Großbritannien ansässig sind. Aus steuerlicher Sicht kann der „Brexit“ alle Privatpersonen und Unternehmen betreffen, die bspw. nach Großbritannien ziehen möchten oder grenzüberschreitend mit oder in Großbritannien tätig sind. Welche steuerlichen Folgen sich im Einzelnen ergeben werden, bestimmen allein die Ergebnisse der Austrittsverhandlungen.

Autorinnen

Dr. Katrin Dorn
ist als Steuerberaterin bei der MÖHRLE HAPP LUTHER Partnerschaft mbB in Hamburg tätig. Ihren Tätigkeitsschwerpunkt bildet das Unternehmenssteuerrecht und dabei insbesondere auch Fragen des Erbschaft-, Grunderwerb- sowie Internationalen Steuerrechts.

Sophie Schwarz,
M.Sc., ist als Steuerassistentin bei MÖHRLE HAPP LUTHER Partnerschaft mbB in Hamburg tätig. Ihr Tätigkeitsschwerpunkt bildet das Unternehmenssteuerrecht.

Fundstelle(n):
NWB 2016 Seite 2182 - 2188
NWB WAAAF-77462