Prozesskosten für die Scheidung als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig?!
Zwei Musterverfahren anhängig
Zivilprozesskosten [i]Hilbertz, NWB 32/2013 S. 2530; BDL, NWB 25/2014 S. 1858sind infolge der Rechtsprechungsänderung des (BStBl 2011 II S. 1015) grundsätzlich zwangsläufig – und damit als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen – insofern der Prozess nicht willkürlich geführt wurde. Der Gesetzgeber reagierte auf dieses Urteil und regelte den Abzug der Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen im Rahmen des AmtshilfeRLUmsG in einem neuen § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2013. Diese gesetzliche Neuregelung nimmt die Finanzverwaltung zum Anlass, auch Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich nicht mehr zum Abzug zuzulassen. Der Beitrag stellt dar, aus welchen Gründen die Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich auch ab dem bzw. im Veranlagungszeitraum 2013 als außergewöhnliche Belastungen steuerlich zu berücksichtigen sind und weist auf die beiden vor dem FG München anhängigen Klageverfahren hierzu hin.
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I. Hintergrund
[i]Bis 2012: Verbund von Scheidung und VersorgungsausgleichNach ständiger Rechtsprechung des BFH waren bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2012 Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Sie entstanden zwangsläufig, da die Ehescheidung und der Versorgungsausgleich zwingend im Verbund gem. § 137 FamFG durch richterliche Entscheidung erfolgen müssen und den Beteiligten nicht zugemutet werden konnte, die Belastungen des Scheidungsprozesses im Besteuerungsverfahren erneut aufzurollen. S. 2622
1. Rechtsprechungsänderung zu Zivilprozesskosten
[i]Zivilprozesskosten dem Grunde nach abziehbarMit (BStBl 2011 II S. 1015) ließ der BFH Zivilprozesskosten dem Grunde nach zum Abzug als außergewöhnliche Belastungen zu, da sie aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen würden, insofern der Prozess nicht willkürlich geführt worden ist. Mit diesem Urteil wurde die Rechtsprechung des BFH zum Abzug von Zivilprozesskosten [i]Kanzler, NWB 29/2011 S. 2432; Schmitz-Herscheidt, NWB 3/2013 S. 112als außergewöhnliche Belastungen grundlegend geändert. Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte der BFH bis dahin Zivilprozesskosten neben den Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich nur an, wenn der Rechtsstreit existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen (vgl. z. B. , BStBl 1995 II S. 104). Mit dem wurde die Zwangsläufigkeit der Zivilprozesskosten aber bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet, nach dem jeder die Möglichkeit haben müsse, seine Interessen notfalls per Rechtsstreit durchsetzen zu können.
2. „Nichtanwendungsgesetz“
[i]Ausgehebelt durch AmtshilfeRLUmsGMit dem AmtshilfeRLUmsG reagierte der Gesetzgeber auf das und ergänzte § 33 Abs. 2 EStG um einen Satz 4, der Prozesskosten nur zum Abzug zulässt, wenn der Steuerpflichtige Gefahr liefe, die Existenzgrundlage zu verlieren und die lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können.
[i]Inkrafttreten zum 1. 1. 2013Die Gesetzesänderung trat mit Wirkung zum in Kraft, womit die BFH-Rechtsprechung zu den Zivilprozesskosten ab dem Veranlagungszeitraum 2013 ausgehebelt wurde.
Die [i]Hörster, NWB 25/2013 S. 1967, 1969Einführung des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG nimmt die Finanzverwaltung zum Anlass, die Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich ab dem Veranlagungszeitraum 2013 nicht mehr zum Abzug als außergewöhnliche Belastungen zuzulassen.
II. Abzug der Scheidungskosten unter den ab 2013 geltenden Voraussetzungen
Die Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich sind m. E. trotz § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. Hierfür sprechen mehrere Gründe, die im Folgenden dargestellt werden.
1. Zweck des AmtshilfeRLUmsG hinsichtlich Zivilprozesskosten
[i]Stellungnahme des BundesratsIn der Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf eines JStG 2013 wurde erstmals vorgeschlagen, im Einkommensteuergesetz den Abzug der Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen auszuschließen (vgl. BR-Drucks. 302/12 [Beschluss] S. 34). Es war vom Bundesrat beabsichtigt, § 33 EStG einen Absatz „3a“ hinzuzufügen, der wie folgt formuliert sein sollte:
„(3a) Prozesskosten sind nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige Kläger oder Beklagter ist. Abweichend von Satz 1 können die notwendigen und angemessenen Prozesskosten berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen S. 2623Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Satz 2 gilt für die unmittelbaren und unvermeidbaren Kosten eines Scheidungsprozesses entsprechend.“
[i]Ziel war die Einschränkung auf den „bisherigen engen Rahmen“Der Vorschlag des Bundesrats hatte nicht zum Ziel, die Scheidungskosten vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen auszuschließen, vielmehr sollte die ursprüngliche Rechtslage zum Abzug von Prozesskosten vor dem Ergehen des wieder hergestellt werden. Zumindest gab der Bundesrat als Ziel des Gesetzesvorschlags in der BR-Drucks. 302/12 [Beschluss] (S. 34) zur Begründung an, die Anwendbarkeit solle „auf den bisherigen engen Rahmen eingeschränkt werden“.
Der Abzug der Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen wurde dann letztendlich mit dem AmthilfeRLUmsG geregelt. Die in § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG aufgenommene Formulierung weicht hinsichtlich der Voraussetzungen für den Abzug der Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich nicht vom Vorschlag des Bundesrats ab. Sowohl der Vorschlag des Bundesrats als auch die abschließende Gesetzesformulierung sehen vor, dass Existenzgrundlage und die Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse ohne die Prozesskosten bedroht sein müssen.
[i]Nur die „übrigen“ Zivilprozesskosten sollten auf den bisherigen Rahmen beschränkt werdenIn der Folge bedeutet dies, da der Bundesrat den Abzug auf den „bisherigen engen Rahmen“ beschränken wollte, dass der Abzug der Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich auch im Veranlagungszeitraum 2013 mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Gesetzesformulierung erreicht werden konnte. Lediglich die übrigen Zivilprozesskosten sollten demnach auf den bisherigen Rahmen beschränkt werden bzw. nur unter den früheren vom BFH entwickelten Voraussetzungen möglich sein. Indem § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG die gleichen Voraussetzungen fordert, ist die Zulässigkeit des Abzugs der Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich durch die aktuelle Gesetzesformulierung naheliegend.
2. Verhältnis Scheidungskosten zur früheren BFH-Rechtsprechung
Der Gesetzeswortlaut des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG orientiert sich an der früheren Rechtsprechung des BFH zum Abzug von Prozesskosten. Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte der BFH bis zum Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Indem nunmehr die Grundsätze der früheren BFH-Rechtsprechung zur Zwangsläufigkeit von Zivilprozesskosten in das Gesetz aufgenommen wurden – d. h. Gefahr des Verlusts der Existenzgrundlage und Unmöglichkeit der Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse – ist das Verhältnis der Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich zu den übrigen Zivilprozesskosten im Licht der früheren BFH-Rechtsprechung näher zu betrachten.
a) Frühere Rechtsprechung zu Scheidungskosten
Der BFH begründete die Zwangsläufigkeit der Scheidungskosten als außergewöhnliche Belastungen mit (BStBl 1968 II S. 407) zunächst damit, dass eine Ehe nur durch Gerichtsentscheidung aufgehoben werden könne. Daran hielt der BFH später nicht mehr fest, da dann auch Aufwendungen z. B. für die Eheschließung oder eine Namensänderung abziehbar sein müssten. Denn diese wären auch nur durch einen rechtsbildenden Staatsakt möglich.
[i]BFH prüfte bei Scheidungskosten die Zwangsläufigkeit nicht näherIn der Folge begründete der BFH dann mit (BStBl 1982 II S. 116, m. w. N.) den Abzug der Scheidungskosten damit, dass es nicht Aufgabe der Finanzbehörden und der Finanzgerichte sei, die Gründe für die Scheidung näher aufzuklären, zumal diese auch von den für die Scheidung zuständigen Zivilgerichten S. 2624ohne nähere Prüfung hingenommen würden. Im Regelfall müsse aber davon ausgegangen werden, dass Ehepartner sich nur scheiden ließen, wenn die Ehe so zerrüttet ist, dass ihnen ein Festhalten an ihr nicht mehr möglich wäre, sie sich also dem Scheidungsbegehren aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen können. Deshalb sei die Zwangsläufigkeit bei Ehescheidungen grundsätzlich zu bejahen. Eine weitergehende Prüfung der Gründe für die Auflösung der Ehe nahm der BFH nicht vor, da es dem Finanzamt – und wohl auch den Ehegatten – nicht zuzumuten sei, den Ehescheidungsprozess mit allen persönlichen Belastungen für die Betroffenen im Besteuerungsverfahren erneut aufzurollen.
b) Typisierende Betrachtung des BFH
[i]Zwangsläufigkeit der Scheidungskosten wurde vom BFH typisiertDemzufolge sah es der BFH in seiner früheren Rechtsprechung nicht als notwendig an, bei den Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich die Zwangsläufigkeit bis ins letzte Detail zu prüfen und damit den Voraussetzungen für den Abzug der übrigen Zivilprozesskosten unterzuordnen. Damit unterstellte der BFH typisierend, die Beteiligten liefen ohne die Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich in Gefahr, ihre Existenzgrundlage zu verlieren und ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr in dem erforderlichen Umfang befriedigen zu können.
Diese typisierende Betrachtung müsste m. E. auch ab dem Veranlagungszeitraum 2013 weiterhin unterstellt werden.
3. Begrifflichkeiten des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG
[i]Auch nicht materielle Gesichtspunkte sind zu beachtenDie Begriffe „Existenzgrundlage“ und „lebensnotwendige Bedürfnisse“ werden im Gesetz nicht näher definiert. Diese dürfen im Sinne des Gesetzes aber nicht nur wirtschaftlich bzw. materiell ausgelegt werden; sie umfassen ebenso eine psychische, gesundheitliche Ebene. Auch psychische und gesundheitliche Betrachtungsweisen müssen bei Beurteilung der „Existenzgrundlage“ und der „lebensnotwendigen Bedürfnisse“ mit einbezogen werden.
a) Zivilrechtliche Voraussetzungen für die Scheidung
[i]Scheitern der EheEine Ehe wird gem. § 1565 Abs. 1 BGB geschieden, wenn sie gescheitert ist, d. h. wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen. Eine Ehe ist dann gescheitert, wenn sie zerrüttet ist. Die Zerrüttung der Ehe ist bewiesen, wenn die Eheleute mindestens ein Jahr getrennt leben und beide die Scheidung wollen oder wenn die Eheleute mindestens drei Jahre getrennt leben, auch wenn der andere Ehegatte keine Scheidung will.
[i]infoCenter „Ehescheidung“ NWB NAAAB-03377Soll die Ehe einseitig ohne eine Trennungsdauer von drei Jahren erfolgen, ist die Zerrüttung nachzuweisen. Die Gründe der Zerrüttung sind vielfältig (z. B. anderweitige dauerhafte Partnerverbindung, vgl. auch Palandt/Brudermüller, BGB § 1565 Rn. 4). Anhand der zivilrechtlichen Hintergründe, die die Zerrüttung einer Ehe näher beschreiben, wird deutlich, inwieweit eine Scheidung auf die menschliche Existenz einwirkt.
b) Aufwendungen für die Existenzgrundlage und die lebensnotwendigen Bedürfnisse
Die Scheidung stellt den Ausweg für die Wiederherstellung des menschenwürdigen Daseins dar und dient damit der Sicherung der Existenzgrundlage und der Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse. § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG muss daher dahingehend ausgelegt werden, dass die Beteiligten des Scheidungsverfahrens grundsätzlich Gefahr liefen, ihre Existenzgrundlage zu verlieren und ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr befriedigen zu können. Auf eine rein materielle Betrachtungsweise kann es nicht ankommen. Es kann nicht Sinn und Zweck des Gesetzes sein, die Zerrüttung der Ehe S. 2625im Besteuerungsverfahren im Einzelnen darzulegen und den Beteiligten die leidvollen Erinnerungen wieder vor Augen zu führen, wie es auch der BFH im U (BStBl 1982 II S. 116) anerkannt hat.
III. Verfassungsrechtlich unzulässige unechte Rückwirkung
[i]Zum BVerfG-Beschluss vom 10. 10. 2012 - 1 BvL 6/07 s. Sprang, NWB 48/2012 S. 3843Das AmtshilfeRLUmsG wurde am im Bundesgesetzblatt veröffentlicht, in Kraft getreten ist das Gesetz am Tag nach der Verkündung, also am . Der Abzug der Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich soll aber bereits rückwirkend zum beschränkt werden. Das AmtshilfeRLUmsG beinhaltet insoweit eine Rückwirkung, die verfassungsrechtlich zu beurteilen ist (vgl. , BStBl 2012 II S. 932, m. w. N.).
1. Echte Rückwirkung
[i]Keine echte RückwirkungEine echte Rückwirkung liegt im Steuerrecht nur vor, wenn durch die Gesetzesänderung eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich geändert wird. Im Bereich der Einkommensteuer entsteht die Steuerschuld gem. § 38 AO i. V. mit § 36 Abs. 1 EStG erst mit Ablauf des Kalenderjahres. Durch das Inkrafttreten des AmtshilfeRLUmsG während des laufenden Jahres ist die Steuerschuld noch nicht entstanden. Eine verfassungsrechtlich unwirksame echte Rückwirkung liegt damit nicht vor.
2. Unechte Rückwirkung
[i]Unechte Rückwirkung – hier verfassungsrechtlich unzulässigDa die Gesetzesänderung während des laufenden Veranlagungszeitraums 2013 erfolgt ist, liegt aber ein Fall der unechten Rückwirkung vor. Diese ist grundsätzlich zulässig, unterliegt aber Einschränkungen. Insbesondere ist in Fällen der unechten Rückwirkung dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung zu tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen der Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein.
a) Eignung der Gesetzesänderung
[i]Zweck, Anwendbarkeit auf „bisherigen engen Rahmen“ einzuschränken, nicht erfülltDie Gesetzesänderung ist weder geeignet noch erforderlich, den Gesetzeszweck zu erfüllen. Der Zweck der Gesetzesänderung war, ausweislich der Begründung des Bunderats zum Gesetzesvorschlag, die Anwendbarkeit auf den „bisherigen engen Rahmen“ einzuschränken. Die Ausdehnung der Gesetzesregelung auf den Abzug der Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich geht über diesen Gesetzeszweck hinaus.
b) Verhältnis des Vertrauensschutzes zur Dringlichkeit der Gesetzesänderung
Das Verhältnis des (enttäuschten) Vertrauens steht in einem starken Missverhältnis zur Dringlichkeit der Rechtsänderung. Die Auslegung des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG durch die Finanzverwaltung ändert die bisherige Rechtslage entscheidend. Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich sind nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht mehr als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Damit wird eine über Jahrzehnte geltende Rechtsprechung des BFH ausgehebelt.
Bis zum Inkrafttreten des AmtshilfeRLUmsG konnten sich Steuerpflichtige darauf verlassen, ihre Aufwendungen für den Scheidungsprozess und die damit verbundene Entscheidung hinsichtlich des Versorgungsausgleichs als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd geltend machen zu können. Sie konnten darauf vertrauen und mussten sogar von der Zulässigkeit ausgehen, wenn sie bereits vor Inkrafttreten des AmtshilfeRLUmsG den Scheidungsprozess anstoßen mussten. Dringende Gründe, die S. 2626aufgrund des einen Ausschluss des Abzugs der Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich notwendig machen würden, liegen in Anbetracht der über Jahrzehnte gesicherten Rechtslage m. E. nicht vor.
IV. Anhängige Verfahren
[i] Mustereinspruch NWB SAAAE-69469Zur Rechtsfrage der Abziehbarkeit der Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich ab dem Veranlagungszeitraum 2013 sind zwei Klageverfahren beim FG München (unter den Aktenzeichen 13 K 1421/14 und 15 K 1429/14) anhängig.
Insbesondere unter Berücksichtigung der früheren BFH-Rechtsprechung zum Abzug der Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich einerseits und zum Abzug der übrigen Zivilprozesskosten andererseits, muss man wohl davon ausgehen, dass die typisierende Betrachtungsweise, die der BFH an den Tag gelegt hat, auch nach Inkrafttreten des AmtshilfeRLUmsG geboten erscheint. Ein Abzug der Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich kommt daher auch ab dem Veranlagungszeitraum 2013 in Betracht. Sollte der BFH aber in einem noch zu führenden Revisionsverfahren von dieser typisierenden Betrachtungsweise abrücken, wäre zumindest im Veranlagungszeitraum 2013 für Scheidungsprozesse, die bis zum Inkrafttreten des AmtshilfeRLUmsG angestoßen wurden, der Abzug der Prozesskosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich verfassungsrechtlich notwendig. Die Kosten sollten daher weiterhin in der Einkommensteuererklärung angegeben werden. In Fällen, in denen das Finanzamt den Abzug der Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen ablehnt, ist zu empfehlen, gegen den entsprechenden Einkommensteuerbescheid unter Hinweis auf die Klageverfahren beim FG München Einspruch einzulegen. Zudem sollte das Ruhen des Verfahrens aus Zweckmäßigkeitsgründen gem. § 363 Abs. 2 Satz 1 AO beantragt werden.
Fundstelle(n):
NWB 2014 Seite 2621 - 2626
WAAAE-71584