Finanzgericht Hamburg Beschluss v. - 2 V 108/19

Abgabenordnung: Anforderungen an die Einspruchseinlegung gegen einen Zinsbescheid

Leitsatz

Ein Einspruch gegen nach einer Steuerfahndungsprüfung ergangene Änderungsbescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Nachzahlungszinsen, der die einzelnen Bescheide nicht ausdrücklich benennt und ausschließlich mit Einwendungen gegen den Steuerfahndungsbericht begründet wird, kann nicht als Einspruch auch gegen die Zinsfestsetzung ausgelegt werden.

Gesetze: AO § 357 Abs. 3; AO § 355 Abs. 1; AO § 233a; AO § 238

Gründe

I.

Streitig ist die Bestandskraft von Zinsbescheiden.

Die Antragsteller sind Erben nach A (nachfolgend Erblasser). Gegen den Erblasser wurde 2016 ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wegen bislang u.a. in den Streitjahren 2010 und 2011 nicht erklärter Zahlungen von ausländischen Gesellschaften auf ein schweizerisches Konto des Erblassers. Nach dem Tod des Erblassers am ... 2017 wurde das Verfahren eingestellt.

Auf der Grundlage der Feststellungen des Steuerfahndungsberichts vom erließ der Antragsgegner am geänderte Bescheide für die Streitjahre, die Festsetzungen zur Einkommensteuer, zum Solidaritätszuschlag und zu Nachzahlungszinsen (Zinslauf bis ) enthielten. Die Bescheide für 2011 wurden unter dem nochmals aus hier nicht interessierenden Gründen geändert, der Zinslauf verlängerte sich dadurch bis zum .

Am beantragte der Erblasser Aussetzung der Vollziehung beim Antragsgegner unter Hinweis auf eine Stellungnahme seiner Verteidiger im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren, mit der in Abrede gestellt wurde, dass es sich bei dem schweizerischen Konto um ein dem Erblasser zuzurechnendes Konto handele und dass etwaige Zahlungen von ausländischen Gesellschaften im Inland steuerpflichtig seien. Unter dem legte der Erblasser Einspruch gegen "die Änderungsbescheide für die Jahre 2007, 2009, 2010 und 2011 vom " ein. Zur Begründung wurde auf den Schriftsatz vom und die Stellungnahme der Verteidiger verwiesen.

Der Antragsgegner gewährte zunächst mit Bescheid vom die begehrte Aussetzung der Vollziehung der Bescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Nachzahlungszinsen. Mit Schriftsatz vom nahm der Verfahrensbevollmächtigte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurück, "um den Zinslauf zu stoppen", die Antragsteller seien gebeten worden, "die Steuern (ohne Zinsen) zu zahlen". Daraufhin widerrief der Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung am vollumfänglich. Nachdem die Antragsteller darauf hingewiesen hatten, der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung sei hinsichtlich der Nachzahlungszinsen nicht zurückgenommen worden, gewährte der Antragsgegner am erneut Aussetzung der Vollziehung der Zinsbescheide.

Mit Schriftsatz vom beantragten die Antragsteller unter dem Betreff "Erweiterung Einsprüche vom " das Ruhen des Verfahrens mit Hinweis auf den ), in dem verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höhe der Zinsen geltend gemacht worden seien. Der BFH habe zudem in seiner Entscheidung vom die Zinshöhe für zurückliegende Veranlagungszeiträume für verfassungswidrig erklärt. Mit weiterem Schriftsatz vom nahmen die Antragsteller ihre Einsprüche gegen die Änderungsbescheide für die Streitjahre 2010 und 2011 zurück und präzisierten, dass sich dies nicht auf die Einsprüche gegen die überhöhten Zinsen beziehe. Insoweit seien die am eingelegten Einsprüche mit Schriftsatz vom erweitert worden, "als die Höhe der Zinsen rechtswidrig sei".

Mit Entscheidung vom verwarf der Antragsgegner die Einsprüche gegen die Zinsbescheide vom und 12. April 2018 wegen Verfristung als unzulässig. Hiergegen richtet sich die Klage vom (...), über die noch nicht entschieden worden ist.

Nachdem der Antragsgegner die zunächst gewährte Aussetzung der Vollziehung der Zinsbescheide beendet und einen neuerlichen Aussetzungsantrag am abgelehnt hat, beantragen die Antragsteller nunmehr bei Gericht, die Bescheide über die Nachzahlungszinsen von der Vollziehung auszusetzen.

Die Höhe der Nachzahlungszinsen sei verfassungswidrig. Nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom (IV A 3 - S 0465/18/10005-10, BStBl I 2018, 1393) und den Beschlüssen des (BStBl II 2018, 415) und vom VIII B 15/18 (BFH/NV 2018, 1279) bestünden ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsen nach § 233a der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 238 AO für Verzinsungszeiträume ab dem . Der Antragsgegner sei aufgrund der Selbstbindung der Verwaltung an das BMF-Schreiben gebunden, da die hier streitigen Zinsbescheide den Zeitraum ab dem beträfen. Das BMF-Schreiben nehme die Interessenabwägung zwischen Aussetzungsinteresse und Vollzugsinteresse des Antragsgegners zu ihren, der Antragsteller, Gunsten vor. Die in Rede stehende Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe begründe ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zinsbescheide.

Mangels feststehender formaler Bestandskraft der mit der Klage angefochtenen Zinsbescheide komme es auch nicht darauf an, ob gegen die Zinsbescheide zulässig Einspruch eingelegt worden sei; diese Frage sei im Hauptsacheverfahren zu klären. Bei summarischer Prüfung sei es zudem ernstlich zweifelhaft, ob die Einsprüche zu Recht als unzulässig verworfen worden seien. Denn die Zinsbescheide seien sämtlich als sog. Sammelbescheide angefochten worden. Sie, die Antragsteller, bzw. ihr Rechtsvorgänger hätten auch erkennbar das Ziel verfolgt, sämtliche Folgen der geänderten Bescheide zu beseitigen. Insoweit seien die Einsprüche jedenfalls vor dem Hintergrund des Gebots effektiven Rechtsschutzes dahingehend auszulegen, dass sie bzw. ihr Rechtsvorgänger die Zinsfestsetzungen nicht hätten bestandskräftig werden lassen wollen, auch wenn sie die Zinsfestsetzungen in ihrer Einspruchsbegründung nicht erwähnt hätten. In diesem Sinne habe offensichtlich auch der Antragsgegner die Einsprüche verstanden, denn er habe zunächst auch die Zinsbescheide von der Vollziehung ausgesetzt.

Mit Schreiben vom sei demgegenüber nur eine weitere Begründung der ursprünglichen Einsprüche erfolgt, da es im Rechtssinne keine Erweiterung oder Beschränkung von Einsprüchen geben könne.

Die Antragsteller beantragen,

die Vollziehung der Zinsbescheide vom (für 2010) und vom (für 2011) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass der Antrag unbegründet sei. Die Einsprüche vom hätten sich nicht gegen die Zinsbescheide gerichtet. Die Zinsbescheide seien erstmalig mit Schreiben vom und damit verspätet angefochten worden. Damit fehle es an dem Erfordernis eines angefochtenen Verwaltungsaktes i.S. von § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Unabhängig von der Frage der möglichen Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe bestünden daher keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zinsbescheide. Eine unbillige Härte der Vollziehung für die Antragsteller sei nicht dargetan worden.

...

II.

Dem zulässigen Antrag bleibt der Erfolg versagt.

1. Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO kann das Gericht Aussetzung der Vollziehung gewähren, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben der für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umstände gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (ständige Rspr.; Nachweise bei Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO § 69 FGO, Rn. 89). Dabei muss der Erfolg nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg (z.B. , BStBl II 1994, 300). In dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes als summarischem Verfahren entscheidet das Gericht nur auf der Basis der ihm vorliegenden Unterlagen, d.h. nach Aktenlage und aufgrund von präsenten Beweismitteln. Dabei haben die Beteiligten die entscheidungserheblichen Tatsachen glaubhaft zu machen, § 155 FGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung. Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht (, BFH/NV 2002, 809 m.w.N.). Wie im Hauptsacheverfahren gelten auch im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO grundsätzlich die Regeln über die objektive Feststellungslast (, BFH/NV 2005, 255).

2. Nach diesen Maßstäben kann Aussetzung der Vollziehung nicht gewährt werden. Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung unter Berücksichtigung der präsenten Beweismittel ist davon auszugehen, dass die angegriffenen Zinsbescheide bestandskräftig geworden sind und es damit an einem vollziehbaren Verwaltungsakt im Sinne § 69 Abs. 2 und Abs. 3 FGO fehlt.

Die - innerhalb der Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 AO eingelegten - Einsprüche vom können nicht als Einsprüche gegen die streitigen Zinsbescheide vom und über Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2010 und 2011 ausgelegt werden.

a) Gemäß § 357 Abs. 3 Satz 1 AO "soll" bei der Einlegung des Einspruchs der Verwaltungsakt bezeichnet werden, gegen den der Einspruch gerichtet ist. Demnach setzt die Zulässigkeit eines Einspruchs zwar keine konkrete und genaue Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts voraus. Es ist jedoch erforderlich, dass sich die Zielrichtung des Begehrens in der Weise ergibt, dass sich der angefochtene Verwaltungsakt entweder aus dem Inhalt der Rechtsbehelfsschrift selbst ermitteln lässt oder dass Zweifel oder Unklarheiten am Gewollten durch Rückfragen beseitigt werden können (ständige Rechtsprechung, BFH-Entscheidungen vom VI R 12/05, BStBl II 2009, 116; vom IV R 35/04, BFH/NV 2007, 1509; vom I R 93/00, BFH/NV 2002, 613; vom IV R 51/96, BFH/NV 1998, 6; vom I B 45/98, BFH/NV 1999, 751). Fehlt es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des tatsächlich Gewollten, ist der wirkliche Wille des Steuerpflichtigen durch Auslegung seiner Erklärungen zu ermitteln. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen (vgl. BFH-Entscheidungen vom VI R 12/05, BStBl II 2009, 116; vom X B 43/06, BFH/NV 2007, 1499; vom IX B 208/05, BFH/NV 2006, 2269; vom XI B 206/04, BFH/NV 2006, 68; vom IV R 48/02, BStBl II 2004, 964). Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom XI B 149/05, BFH/NV 2006, 2035; vom XI B 45/03, BFH/NV 2005, 2029).

Im Streitfall ergibt sich der Inhalt des Begehrens aus der Einspruchsschrift. Der Einspruch vom in Verbindung mit dem vorangegangenen Schriftsatz vom richtete sich gegen "die Änderungsbescheide für 2007, 2009, 2010 und 2011". In der Begründung heißt es hierzu, dass Hintergrund der Änderungen der laut Steuerfahndungsbericht erhobene Vorwurf sei, der Erblasser habe Aufwandsentschädigungen nicht erklärt. Des Weiteren wird auf die diesen Vorwurf entkräftigende Stellungnahme der Verteidiger B, C und D vom Bezug genommen. Das so verfasste Schreiben richtete sich somit ersichtlich gegen die geänderte höhere Festsetzung der Einkommensteuer infolge der Auswertung des Steuerfahndungsberichtes zu den nicht erklärten sonstigen Einkünften nach § 22 des Einkommensteuergesetzes.

b) Eine weitergehende Auslegung dieses Einspruchs auch als Rechtsbehelf gegen die Zinsbescheide dürfte nicht in Betracht kommen.

Zwar war die Festsetzung der Zinsen gem. § 233a Abs. 4 AO mit der Steuerfestsetzung verbunden; diese (nur) äußerliche Verbindung ändert aber nichts daran, dass Zinsfestsetzung und Steuerfestsetzung eigenständige Bescheide bleiben (, BFH/NV 2003, 737; s.a. Kögel in Gosch, AO/FGO, § 233a AO Rn. 158). Deshalb hätte es eines eigenständigen Vorbringens bedurft, dass auch die Zinsfestsetzung angegriffen werden sollte.

Insoweit berufen sich die Antragsteller zu Unrecht darauf, im Rahmen einer effektiven Rechtsschutzgewährung sei die Annahme geboten, dass im Zweifel alle Bescheide offen gehalten werden sollten, um die Folgen der Steuerfahndungsprüfung in Gänze rückgängig machen zu können. Denn die Rückgängigmachung der Ergebnisse der Steuerfahndung wäre bezüglich der Zinsbescheide automatisch erfolgt, weil die Zinsbescheide Folgebescheide der Einkommensteuerbescheide sind (§ 233a Abs. 3 und 5 AO; vgl. auch , BStBl II 2019, 362; BFH-Beschlüsse vom I S 8/97, BFH/NV 1998, 1318; vom IV B 13/02, BFH/NV 2003, 737). Allein deshalb dürfte der Antragsgegner auch zunächst die Zinsbescheide als Folgebescheide von der Vollziehung ausgesetzt haben.

Vor diesem Hintergrund kann auch der Grundsatz nicht zum Tragen kommen, im Allgemeinen eine Erklärung als Rechtsmittel zu betrachten, um zugunsten des Steuerpflichtigen den Eintritt der Rechtskraft aufzuhalten, wenn seine Äußerung ungewiss ist, ob er ein Rechtsmittel einlegen will, oder wenn das Ausmaß der Anfechtungen eines "Bescheids" zunächst unklar ist. Dann soll nicht ohne weiteres davon auszugehen sein, dass einige Regelungen des Bescheides nicht angefochten werden sollen (vgl. , BStBl II 2003, 505). Im Streitfall haben die Antragsteller aber durch ihre Begründung in der Einspruchsschrift den Einspruch auf die Anfechtung der Steuerfestsetzung begrenzt; spätere Begründungen können dann nicht mehr für die Auslegung des Rechtsbehelfsschrift herangezogen werden (s. dazu , BFH/NV 2017, 1411; , EFG 2019, 572).

Eine eigenständige Rechtsverletzung durch die Zinsbescheide als Folgebescheide haben die Antragsteller erstmals mit Schriftsatz vom geltend gemacht. Und zwar vor dem Hintergrund, dass der ) Aussetzung der Vollziehung wegen schwerwiegender verfassungsrechtlicher Zweifel an einem Zinssatz von 6 % gewährt hatte. Insoweit haben die Antragsteller auch zutreffend von einer "Erweiterung" ihrer Einsprüche gesprochen, d.h. dass ein bisher nicht geltend gemachtes Petitum nun zusätzlich verfolgt werden sollte. Die rechtliche Problematik der möglichen Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe hat auch nichts mit den Folgen der Steuerfahndungsprüfung zu tun, gegen die sich die ursprüngliche Einspruchsbegründung allein richtete; sie betrifft vielmehr eine gänzlich eigenständige Rechtsfrage.

Der "erweiterte" Einspruch vom ist ebenfalls verfristet, soweit die Änderungen der Zinsfestsetzung vom betroffen sind, § 351 Abs. 1 AO. Auch zu diesem Zeitpunkt war die einmonatige Einspruchsfrist nach § 355 Abs. 1 AO bereits abgelaufen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Beschwerde ist gemäß § 128 Abs. 3 FGO i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen.

Fundstelle(n):
AO-StB 2019 S. 342 Nr. 11
BBK-Kurznachricht Nr. 22/2019 S. 1053
VAAAH-30283