FG des Saarlandes Beschluss v. - 2 K 1002/16 EFG 2019 S. 1217 Nr. 14

Auf Datenschutz-Grundverordnung gestützter gebundener Anspruch auf Akteneinsicht im Saarland während einer laufenden Betriebsprüfung auch für Zeiträume vor dem

Leitsatz

1. Im Verfahren der Kostenentscheidung nach einvernehmlicher Hauptsacheerledigungserklärung: Seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2016/679 (DSGVO, ABl. L 119 vom , 1) ab besteht für alle Steuerpflichtigen grundsätzlich ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht bei der Finanzbehörde. Dies gilt in zeitlicher Hinsicht auch, soweit personenbezogene Daten (noch immer) ab dem verarbeitet werden, und damit auch für Papierakten mit Informationen zu einer Zeit vor dem (im Streitfall: im Jahr 2015 von einem Gesellschafter einer GbR gestellter Antrag auf Akteneinsicht während einer bei der GbR im Saarland laufenden Außenprüfung). Soweit die Finanzverwaltung beim Akteneinsichtsrecht weiterhin von einem Ermessensanspruch ausgeht (vgl. hierzu BStBl I 2018, 185 Rz. 32), widerspricht dies sowohl vorrangigem Unionsrecht als auch nationalem Recht.

2. Das Akteneinsichtsrecht eines Gesellschafters betreffend die Akten der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte der GbR wird auch dann nicht durch das Steuergeheimnis ausgeschlossen, wenn die Gesellschafter zerstritten sind.

Gesetze: FGO § 138 Abs. 1, FGO § 78, FGO § 40, DSGVO Art. 2 Abs. 1, DSGVO Art. 2 Abs. 2, DSGVO Art. 15 Abs. 1 Hs. 2, DSGVO Art. 15 Abs. 2, DSGVO Art. 99 Abs. 2, DSGVO Art. 4 Nr. 6, Saarländisches Informationsfreiheitsgesetz § 1 S. 1, Verordnung (EU) 2016/679 Art. 15 Abs. 1 Hs. 2, Verordnung (EU) 2016/679 Art. 15 Abs. 2, Verordnung (EU) 2016/679 Art. 99 Abs. 2, Verordnung (EU) 2016/679 Art. 2 Abs. 1, Verordnung (EU) 2016/679 Art. 2 Abs. 2, Verordnung (EU) 2016/679 Art. 4 Nr. 6, AO § 30, AO § 32d Abs. 1, AO § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AO § 32c Abs. 1 Nr. 1

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand

I.

Die Beteiligten stritten um die Frage, ob der Beklagte zu Recht einen Antrag auf Akteneinsicht während einer laufenden Außenprüfung abgelehnt hat.

Der Kläger war neben Herrn X und Herrn Y zu 1/3 an der Sozietät XZ – Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater (nachfolgend: GbR) beteiligt. Die GbR wurde durch Auseinandersetzungsvertrag vom zum aufgelöst (BP-U I/II Bl. 114 ff.).

Bei der GbR fand ab dem Jahr 2014 eine Außenprüfung für die Jahre 2008 bis 2010 statt. Die Gesellschafter der GbR waren zerstritten; im Rahmen der Außenprüfung stritten sie vor allem um die Berechnung des Veräußerungsgewinns und die Erstellung der Auseinandersetzungsbilanz. Anlässlich einer Besprechung zwischen der Betriebsprüfungsstelle und dem Kläger beantragte der Kläger am Akteneinsicht (BP-U II/II Bl. 407). Diesen Antrag lehnte der Beklagte am unter Hinweis auf die lange Verfahrensdauer und das Steuergeheimnis ab (Bl. 29). Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück (Bl. 25 ff.). Mit seiner am erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren auf Akteneinsicht weiter.

Am hat der Kläger bei Gericht einen Antrag auf Akteneinsicht gem. § 78 FGO gestellt (Bl. 80). Nachdem der Kläger darauf hingewiesen worden war, dass mit der Einsichtnahme in die Akten die materielle Erledigung der Hauptsache eintritt (Bl. 81), hat er am bei Gericht Einsicht in die Gerichts- und Verwaltungsakten genommen (Bl. 83). Daraufhin haben die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt (Bl. 95, 101).

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Verwaltungsakten des Beklagten (vgl. Bl. 59) Bezug genommen.

Gründe

II.

1. Gemäß § 138 Abs. 1 FGO hat das Gericht im Falle übereinstimmender Erledigungserklärungen in der Hauptsache nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands über die Verfahrenskosten durch Beschluss zu entscheiden. Hierbei ist der mutmaßliche Ausgang des Verfahrens ohne das erledigende Ereignis zu berücksichtigen. Einem Beteiligten sind danach in der Regel die Kosten aufzuerlegen, wenn er nach dem bisherigen Sach- und Streitstand bei Fortsetzung des Rechtsstreits voraussichtlich unterlegen wäre, da er dann nach dem Gesetz die Kosten zu tragen gehabt hätte (, BStBl II 1976, 686). Zur Entscheidung darüber braucht die Rechtslage indes nicht eingehend geprüft und die Sachlage nicht abschließend geklärt zu werden (, BStBl II 1972, 222; vom III B 555/90, BStBl II 1991, 876). Insoweit sind die Anforderungen an die Prüfung der Sach- und Rechtslage vergleichbar mit der Intensität der Prüfung im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung.

2. Nach dieser Maßgabe waren die Kosten vorliegend dem Beklagten aufzuerlegen. Denn unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands dürfte die Klage Aussicht auf Erfolg gehabt haben. Der Kläger dürfte einen Anspruch auf Akteneinsicht gem. § 1 Satz 1 des Saarländischen Informationsfreiheitsgesetzes (SIFG) i.V.m. Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2, Abs. 2 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) haben.

2.1 Die Klage dürfte zulässig gewesen sein. Denn nach herrschender Meinung handelt es sich bei einer Klage auf Akteneinsicht um ein Verpflichtungsbegehren (, DStRE 2004, 112; a.A. [allgemeines Leistungsbegehren] Braun in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2018, § 40 FGO Rz. 134). Auch dürfte der Klage auf Akteneinsicht nicht deshalb das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis gefehlt haben, weil die aufgrund der Außenprüfung erlassenen Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2008 bis 2010 im Ergebnis nicht mit der Klage angefochten wurden. Zum einen kann zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass der Kläger insoweit mit Erfolg Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte beantragen können. Zum anderen genügt, dass die entsprechenden Akten personenbezogene Daten beinhalten und der Kläger ein konkretes Interesse an der Akteneinsicht dargelegt hat.

2.2 Die Klage hätte bei summarischer Prüfung auch Erfolg in der Sache gehabt. Maßgeblich für die Beurteilung des Anspruchs ist die Sach- und Rechtslage bei Abschluss des gerichtlichen Verfahrens. Im Streitfall dürfte zwar nach früherer, zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung geltender Rechtslage, nach der ein Akteneinsichtsrecht in der Abgabenordnung absichtsvoll nicht geregelt und die Akteneinsicht nur ausnahmsweise zu gewähren war, eine Ermessensreduzierung auf Null bezüglich der Gewährung von Akteneinsicht nicht vorgelegen haben.

Jedoch besteht seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DSGVO, ABl. L 119 vom , S. 1 bis 88) ab für alle Steuerpflichtigen grundsätzlich ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht bei der Finanzbehörde. Ein Akteneinsichtsrecht ist nicht ausdrücklich in der DSGVO geregelt, aber es besteht nach Art. 15 Abs. 1 HS. 2, Abs. 2 DSGVO ein Auskunftsanspruch über sämtliche verarbeiteten personenbezogenen Daten. Dies gilt in zeitlicher Hinsicht auch, soweit personenbezogene Daten (noch immer) ab dem verarbeitet werden, und damit auch für Papierakten mit Informationen zu einer Zeit vor dem (vgl. Art. 99 Abs. 2 DSGVO).

2.2.1 Die DSGVO gilt in sachlicher Hinsicht gem. Art. 2 Abs. 1 für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, soweit die Finanzbehörden – wie vorliegend – Papierakten führen, da die nach Steuernummern oder sonstigen Aktenzeichen sortierten Papierakten ein Dateisystem i.S.d. Art. 4 Nr. 6 DSGVO sind.

Der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO ist auch nicht nach Art. 2 Abs. 2 DSGVO ausgeschlossen. Zwar gilt die Verordnung grundsätzlich nur für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Anwendungsbereich des Unionsrechts, was bei nicht harmonisierten Steuern wie der Einkommen- oder Körperschaftsteuer zweifelhaft ist. Jedoch soll die DSGVO nach Auffassung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder zugunsten der Betroffenen entgegen der Gesetzeslage für sämtliche Steuerarten anwendbar sein (vgl. BStBl I 2018, 185, Rz. 3 und 22), soweit nicht bereits die Informationsfreiheitsgesetze der Länder, die eine entsprechende Anwendung der DSGVO anordnen, einen Informationszugang zu den Landesfinanzbehörden regeln. § 1 Satz 1 SIFG dürfte einen Informationszugang zu den Landesfinanzbehörden gewähren. Denn die Landesfinanzbehörden sind nicht gem. § 2 SIFG vom Informationszugang ausgenommen. Im Übrigen dürfte der Anspruch des Klägers auf Informationszugang aus der Selbstbindung der Verwaltung folgen.

Soweit die Finanzverwaltung beim Akteneinsichtsrecht weiterhin von einem Ermessensanspruch ausgeht (vgl. hierzu BStBl I 2018, 185 Rz. 32), widerspricht dies sowohl vorrangigem Unionsrecht als auch nationalem Recht. Denn nach § 32d Abs. 1 AO besteht ein behördliches Ermessen nur, soweit es an Regelungen in der DSGVO fehlt. Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall.

2.2.2 Ausschlussgründe im Sinne der Abgabenordnung sind nicht einschlägig. Zwar besteht nach der hier allein in Frage kommenden Vorschrift des § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO das Recht auf Auskunft der betroffenen Person gegenüber einer Finanzbehörde gem. Art. 15 DSGVO nicht, soweit die Daten nach § 30 AO geheim gehalten werden müssen. So verhält es sich im Streitfall aber gerade nicht. Denn die für das Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte bedeutsamen Verhältnisse werden den an der Feststellung beteiligten Gesellschaftern gegenüber nicht vom Steuergeheimnis erfasst. Sämtliche Beteiligte sind deshalb berechtigt, solange sie Mitgesellschafter sind, in die Steuerakten über die einheitliche und gesonderte Feststellung Einsicht zu nehmen (Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2018, § 30 AO Rz. 74). Nicht dem Steuergeheimnis, auf das der Beklagte sich bei der Ablehnung der Akteneinsicht berufen hatte, unterliegen gegenüber den Mitgesellschaftern alle mit der Beteiligung zusammenhängenden Aufwendungen (Sonderbetriebsausgaben, persönliche Werbungskosten einzelner Gesellschafter) oder Sondervergütungen an einzelne Gesellschafter oder Sonderbetriebseinnahmen, soweit sie in der einheitlichen und gesonderten Feststellung zu erfassen sind (, BStBl III 1966, 582; vom IX R 303/87, BFH/NV 1991, 653; Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2018, § 30 AO Rz. 75 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

Nach alledem entsprach es vorliegend der Billigkeit, dem Beklagten die Verfahrenskosten vollumfänglich aufzuerlegen.

3. Die Unanfechtbarkeit der Entscheidung folgt aus § 128 Abs. 4 Satz 1 FGO.

Fundstelle(n):
AO-StB 2019 S. 276 Nr. 9
DStR 2019 S. 10 Nr. 37
DStRE 2019 S. 1226 Nr. 19
EFG 2019 S. 1217 Nr. 14
PStR 2019 S. 207 Nr. 9
VAAAH-21817