„Abtretungslösung“ für Bauträger- Altfälle unanwendbar?
Grundsätzliche Konstruktionsprobleme des § 27 Abs. 19 UStG
[i]Lippross, NWB 10/2015 S. 677EuGH und ihm folgend der BFH haben die frühere Handhabung der „Bauträgerfälle“ im Rahmen von § 13b UStG verworfen. Der Gesetzgeber hat darauf mit der Einfügung der Spezialnorm des § 27 Abs. 19 UStG [i]Hammerl/Fietz, NWB 36/2014 S. 2688reagiert. Die Aufarbeitung der Altfälle ist noch lange nicht abgeschlossen. Gegenwärtig liegen fünf Beschlüsse von Finanzgerichten in AdV-Verfahren vor. Ferner hat das BMF unlängst zu [i]Schneider/Mann, NWB 51/2014 S. 3911diversen Zweifelsfragen Stellung genommen ( BStBl 2014 I S. 1073). Zusätzlich zur bisherigen Diskussion (vgl. Schneider/Mann, NWB 51/2014 S. 3911; Hammerl/Fietz, NWB 36/2014 S. 2688; Lippross, NWB 10/2015 S. 677; ders. UR 2014 S. 717, je m. w. N.) gibt es weitere gravierende Probleme im Hinblick auf die Konstruktion der Norm und deren Anwendung, die bisher zu wenig beachtet wurden.
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I. Die fünf bisherigen Beschlüsse der Finanzgerichte
[i]Darstellung der Argumentationsgrundlagen der EntscheidungenIn den letzten Monaten ergingen die ersten Beschlüsse der Finanzgerichte zu den sog. Bauträgerfällen in den vorläufigen Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 2 FGO. Überraschenderweise kommen die Gerichte mit unterschiedlichen Überlegungen zu abweichenden Ergebnissen. Im Folgenden sollen zunächst die Argumentationsgrundlagen dieser Entscheidungen kurz dargestellt werden.
1. FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. 6. 2015
[i]Gewährung der AdV, da unzulässige „echte“ Rückwirkung nicht ausgeschlossenDie erste Entscheidung erging durch das NWB NAAAE-95839). Es gewährte die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung stellte das FG Berlin-Brandenburg im Rahmen seiner summarischen Prüfung im Wesentlichen darauf ab, dass eine unzulässige „echte“ Rückwirkung nicht ausgeschlossen sei. Vielmehr spräche viel dafür, dass durch die nachträgliche Begründung einer Steuerschuld des Bauleistenden ein Verstoß gegen das in § 176 Abs. 2 AO normierte und im [i]Streit/Fietz, NWB 35/2015 S. 2576Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützte Prinzip des Vertrauensschutzes vorliege. Zudem sei ein (ergänzender) vertraglicher Vergütungsanspruch des Bauleistenden gegen den Bauträger unter Zugrundelegung der Regelverjährungsfrist von drei Jahren regelmäßig verjährt. S. 3763
2. FG Niedersachsen, Beschluss vom 3. 7. 2015
[i]Vertrauen auf eine Umsatzsteuervoranmeldung nicht schutzwürdig Eine gewisse Besonderheit stellt der Beschluss des FG Niedersachsen dar (vom - 16 V 95/15 NWB VAAAE-96924). Die Entscheidung betrifft das Jahr 2013, für das im Streitfall noch keine Jahresfestsetzung erfolgt war. Zwar teilt das FG Niedersachsen die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des FG Berlin-Brandenburg. Im vorliegenden Fall sei der Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO aber nicht betroffen. Denn das Vertrauen auf eine Umsatzsteuervoranmeldung sei nicht schutzwürdig.
3.
[i]Verstoß gegen Grundsatz der RechtssicherheitIm August 2015 ergingen gleich drei finanzgerichtliche Beschlüsse. Das FG Münster folgte Mitte August der Argumentation des NWB LAAAF-05674). Es substantiierte dabei die Darstellung des Vertrauensschutzes und wies darauf hin, dass die durch § 27 Abs. 19 UStG geschaffene unklare Gesetzeslage gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit zu verstoßen scheine. Auf die zivilrechtlichen Fragen des Verhältnisses von Bauleistendem und Bauträger komme es daher im summarischen Verfahren nicht (mehr) an.
4. FG Nürnberg, Beschluss vom 26. 8. 2015
[i]Versagung der AdV ohne Abstellen auf Probleme des VertrauensschutzesEnde August wurde dann in zwei Entscheidungen die Aussetzung der Vollziehung versagt ( NWB PAAAF-05690). Das FG Nürnberg umschiffte die Probleme des Vertrauensschutzes unter Berufung auf die BFH-Rechtsprechung zur AdV wegen möglicher Verfassungswidrigkeit. Denn wegen des Geltungsvorrangs des formellen Gesetzes müsse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse am Vollzug des Gesetzes überwiegen. Der umstrittene § 27 Abs. 19 UStG verfolge nicht nur fiskalische Ziele, sondern diene auch dem unionsrechtlichen Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer. Demgegenüber sei der Bauleistende zivilrechtlich kaum betroffen.
Die dreijährige Regelverjährung habe erst nach Veröffentlichung der Entscheidung des (BStBl 2014 II S. 128) begonnen, laufe also vom bis zum . Es verbleibe hinsichtlich des Nachforderungsanspruchs damit nur das Risiko der Insolvenz des Bauträgers. Dieses könne im Rahmen der Abtretungslösung des § 27 Abs. 19 UStG auf den Fiskus abgewälzt werden.
5. FG Düsseldorf, Beschluss vom 31. 8. 2015
[i]Bis 2009: Reverse-Charge-Verfahren ist auf Bauträger nicht anzuwenden Einen dogmatisch anderen Weg beschritt das FG Düsseldorf bei seiner Ablehnung (Beschluss vom - 1 V 1486/15 A (U) NWB PAAAF-06007). Bis Ende des Veranlagungszeitraums 2009 habe das (BStBl 2004 I S. 453) gegolten, wonach im Ergebnis das Reverse-Charge-Verfahren auf Bauträger nicht anzuwenden sei. Insoweit sei durch das (BStBl 2014 II S. 128) also keine Änderung eingetreten.
[i]Ab 2010: § 27 Abs. 19 UStG ist verhältnismäßige und zumutbare Beschränkung der RechtssicherheitFür die Jahre ab 2010 stelle § 27 Abs. 19 UStG eine verhältnismäßige und zumutbare Beschränkung der Rechtssicherheit zugunsten der Rechtsrichtigkeit dar. Da die Finanzverwaltung im Rahmen der „Abtretungslösung“ regelmäßig zur Annahme der Abtretung der zivilrechtlichen Ansprüche des Bauleistenden gegen den Bauträger verpflichtet sei, sei der Bauleistende insoweit nicht belastet. Zwar dürfe Vertrauensschutz nicht nach Kassenlage abbedungen werden. Allerdings ergäben sich für die durch diese Maßnahmen betroffenen Personen keine finanziellen Belastungen und es würden beträchtliche Mehrwertsteuerausfälle verhindert. Inhaltlich ähnelt die Begründung mithin der des FG Nürnberg: Der Schutz des Mehrwertsteueraufkommens sei höher zu gewichten als die Vertrauensinteressen der beteiligten Bauleistenden, da diesen keine finanziellen Nachteile drohten. S. 3764
II. In den AdV-Beschlüssen übergangene Probleme
[i]Beschlüsse befassen sich überwiegend nicht mit grundlegenden rechtlichen PrämissenAn den Beschlüssen fällt auf, dass sie sich überwiegend mit grundlegenden rechtlichen Prämissen nicht befassen. Positiv ragt diesbezüglich das FG Münster hervor, welches auf derartige Annahmen bzw. Behauptungen verzichtet und die Aussetzung allein wegen der ernstlichen Zweifel im Hinblick auf Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährt. Es ist nicht das Ziel dieses Beitrags, das Thema „Reverse-Charge-Verfahren in Bauträgerfällen“ abschließend zu erörtern. Vielmehr sollen einige grundsätzliche Probleme aufgezeigt werden, die in der bisherigen Diskussion eine untergeordnete Rolle gespielt haben – wenn überhaupt.
Diese Aspekte können bei künftigen Aussetzungsverfahren weiterhelfen. Denn das AdV-Verfahren ist zwar ein summarisches Verfahren. Ein summarisches Eilverfahren ist aber nur in tatsächlicher Hinsicht beschränkt: So sind nur präsente Unterlagen und Beweismittel zu berücksichtigen – weitere Sachverhaltsermittlungen des Gerichts sind nicht erforderlich. In rechtlicher Hinsicht wirkt sich diese Beschränkung nur insofern aus, dass Rechtsfragen auf ungesicherter Tatsachengrundlage nicht geklärt werden müssen; es können also Rechtsfragen offen bleiben, bei denen aufgrund der Tatsachenbegrenzung nicht sicher ist, ob sie sich überhaupt stellen.
[i]Argumente sollten im Aussetzungsverfahren ausdrücklich vorgebracht werdenDie rechtliche Prüfung darf aber nicht als „summarisch“ im Sinne von oberflächlich verstanden werden. Zwar muss eine endgültige Klärung einer Streitfrage nicht erfolgen – gleichwohl ist in rechtlicher Hinsicht eindeutig festzustellen, inwieweit die Voraussetzungen der Aussetzung vorliegen. Unzweifelhaft vorliegende Rechtsprobleme müssen sauber gelöst werden – nur eben vorläufig. Daher empfiehlt es sich vonseiten der Steuerpflichtigen, diese Argumente ausdrücklich im Aussetzungsverfahren vorzubringen.
1. Verhältnis von zivilrechtlicher Forderung gegen den Bauträger und Wirkung der Abtretung
a) Bestehen der zivilrechtlichen Forderung dem Grunde nach
aa) Herkömmliche zivilrechtliche Lösung
[i]Zum Teil wurde Bestehen eines zivilrechtlichen
Entgelt(ergänzungs)anspruchs stillschweigend angenommen(1)
Ausgangspunkt der Entscheidungen
In drei der vorstehenden
Beschlüsse wird das Bestehen eines zivilrechtlichen
Entgelt(ergänzungs)anspruchs stillschweigend angenommen. Allein das FG Münster
enthält sich zu dieser Frage folgerichtig seiner Stimme. In den Entscheidungen
der Finanzgerichte Nürnberg und Düsseldorf bilden Bestehen und Abtretung an
Erfüllungs statt sogar einen elementaren Baustein der Begründung. Wegen der
Erfüllungswirkung der Abtretung seien die Interessen der Bauleistenden nur
geringfügig betroffen.
Gerade angesichts der Bedeutung dieses Anspruchs für die Abwägung überrascht, mit welcher Nonchalance die Finanzgerichte – Ausnahme Münster – einen zivilrechtlichen Anspruch des Bauleistenden unterstellen. Zwar wird vielfach ein Vergütungsergänzungsanspruch gegen den Bauträger aus dem Vertrag oder insbesondere wegen Störung der Geschäftsgrundlage angenommen. Es wurden schon diverse Probleme bezüglich dieses Anspruchs diskutiert, wie z. B. Steuerklauseln, Brutto- oder Nettopreisvereinbarungen, vertragliche Abtretungsverbote. An dieser Stelle sei hierzu auf die einschlägigen Beiträge verwiesen.
(2)
[i]Bei zivilrechtlichem Anspruch sind Verfassungs- und
Europarechtsprobleme inzident zu prüfenGrundsätzliche rechtliche
Probleme dieses Ansatzes
Ein zivilrechtlicher Anspruch des
Bauleistenden gegen den Bauträger wegen zusätzlicher Umsatzsteuer kann im
Ansatz nur bestehen, wenn überhaupt eine zusätzliche Umsatzsteuerschuld des
Bauleistenden gegenüber dem Finanzamt besteht. Eine zusätzliche
S. 3765Umsatzsteuerschuld besteht wiederum nur, wenn die
Umsatzsteueränderungsbescheide gegen den Bauleistenden rechtmäßig sind. Die
Änderungsbescheide sind unwirksam, wenn sie den Bauleistenden in seinen
grundgesetzlichen oder europarechtlichen Grundrechten verletzen. Es ist also
vorab zu prüfen, ob die Änderungen als solche verfassungs- oder europarechtlich
gerechtfertigt sind. Nur wenn dies der Fall ist, kann ein zusätzlicher
Vergütungsanspruch wegen Störung der Geschäftsgrundlage überhaupt bestehen.
Danach wäre dann auf der zweiten Stufe zu prüfen, wie sich zivilrechtliche
Probleme auf diesen Anspruch auswirken (Abtretungsverbote, Preisvereinbarungen,
Verjährung etc.). Nur soweit dann ein zusätzlicher Anspruch gegen den Bauträger
besteht, kann dieser vom Bauleistenden an das Finanzamt abgetreten werden.
Die Finanzgerichte Nürnberg und Düsseldorf problematisieren dies in ihren Beschlüssen nicht. All die bekannten Fragen und Zweifel bezüglich der Verfassungs- und Europarechtmäßigkeit sind folglich vorab inzident bei der Frage zu prüfen, ob und inwieweit ein Anspruch des Bauleistenden auf Zusatzvergütung besteht (dies wird bislang übersehen, vgl. nur Lippross, NWB 10/2015 S. 677; Heuermann, DB 2015 S. 572, 576 f.).
bb) § 27 Abs. 19 UStG als eigene Anspruchsgrundlage?
Der Grund, warum die Finanzgerichte Nürnberg und Düsseldorf das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach nicht berücksichtigt haben, mag sein, dass § 27 Abs. 19 UStG nach seinem Regelungsinhalt einen derartigen Anspruch voraussetzt. Rechtstechnisch gesprochen soll kurz untersucht werden, ob § 27 Abs. 19 UStG eine eigene Anspruchsgrundlage des Werkleistenden darstellen kann und welche Auswirkungen dies hätte.
[i]Anspruchsgrundlage wird nicht ausdrücklich normiertZunächst ist festzustellen, dass § 27 Abs. 19 UStG nicht ausdrücklich eine Anspruchsgrundlage normiert. Der Wortlaut stünde einer derartigen Auslegung aber umgekehrt auch nicht entgegen. Die genetische Auslegung ist unergiebig.
[i]Inhaltlich wird Entgeltergänzungsanspruch stillschweigend vorausgesetzt In der Gesetzesbegründung findet sich hierzu lediglich die Aussage der Koalitionsfraktionen. Danach „könne der leistende Bauunternehmer seine Umsatzsteuerschuld nach der Neuregelung in aller Regel mit Tilgungswirkung begleichen, indem er seine auf der nachträglichen Inrechnungstellung der gesetzlich geschuldeten Umsatzsteuer beruhende Geldforderung gegen den Leistungsempfänger zivilrechtlich an die Finanzverwaltung abtrete.“ Inhaltlich wird auch hier ein Entgeltergänzungsanspruch stillschweigend vorausgesetzt. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber hier eine neue Anspruchsgrundlage schaffen wollte.
[i]Sinn und Zweck könnte für eigene Anspruchsgrundlage sprechen, aber Verfassungs- und Europarechtsprobleme bleiben zu prüfenFür das Verständnis als eigene Anspruchsgrundlage könnte das gesetzgeberische Ziel bzw. der Sinn und Zweck des § 27 Abs. 19 UStG sprechen. Das Problem ist, dass mit diesem Verständnis nichts gewonnen ist. Die oben genannten verfassungs- und europarechtlichen Probleme blieben auch hier inzident zu prüfen. Die Änderung verstößt entweder schon im Ansatz gegen Rechtssicherheit, Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit – oder sie ist verfassungs- und europarechtlich zu rechtfertigen.
b) Auswirkungen eines möglichen Nichtbestehens des Anspruchs dem Grunde nach auf die Abtretung
aa) Grundsätzliche Folgen der Unwirksamkeit
Dies wirft die Frage auf, wie sich dieses Problem auf die Abtretungslösung des § 27 Abs. 19 UStG auswirkt.
[i]Besteht kein Anspruch gegen den Bauträger, geht die Abtretung ins LeereEine Leistung an Erfüllungs statt ist kein entgeltlicher Austauschvertrag, sondern eine Vereinbarung (Hilfsgeschäft) über die Erfüllung der ursprünglichen Leistung. Besteht die zu erfüllende Forderung nicht (die Umsatzsteuernachfestsetzung), hat der Gläubiger (das Finanzamt) die an Erfüllungs statt abgetretene Forderung zurückzugewähren S. 3766(an den Bauleistenden). Umgekehrt haftet der Schuldner (der Bauleistende) gem. § 365 BGB nach den kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften für Bestand und Inhalt des abgetretenen Rechts (vgl. Schneider/Mann, NWB 51/2014 S. 3911).
Ist § 27 Abs. 19 UStG unwirksam, würde die Abtretung gleichsam „doppelt“ ins Leere gehen: Weder der Umsatzsteueranspruch des Finanzamts noch die in Erfüllung abgetretene Forderung existierten.
bb) Folgen bei bestandskräftigem Änderungsbescheid
[i]Sind die Änderungsbescheide bestandskräftig, schuldet der Bauleistende die Umsatzsteuer trotzdemDieses Ergebnis tritt allerdings nur ein, wenn die Umsatzsteueränderungsbescheide noch nicht bestandskräftig geworden sind. Bei Bestandskraft bliebe es einerseits bei der Umsatzsteuerforderung des Finanzamts, während andererseits die Zahlungsverpflichtung des Bauleistenden wieder aufleben würde.
In Anbetracht dessen ist dringend vor der Rücknahme des Einspruchs bzw. der Klage des Bauleistenden gegen die Änderungsbescheide zu warnen, wie es in der Praxis zum Teil von den Finanzämtern gefordert wird.
[i]Verkürzung der staatlich verbrieften Rechte des BauleistendenDie Forderung der Finanzämter zur Rücknahme des Einspruchs bzw. der Klage findet keine Grundlage in § 27 Abs. 19 UStG. Sie ergibt sich auch nicht aus allgemeinen Vorschriften – im Gegenteil: Das Erlöschen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis durch Leistung, Aufrechnung, Abtretung o. Ä. ist unabhängig von der Frage, ob der Anspruch dem Grunde nach besteht. Dies ergibt sich aus der Trennung von Festsetzungs- und Erhebungsverfahren. Auch zivilrechtlich besteht keine Notwendigkeit, die Rechtsmittel zurückzunehmen und den Anspruch anzuerkennen. Denn für eine Abtretung genügt, dass das Bestehen des abgetretenen Anspruchs möglich ist (vgl. Palandt, BGB, § 398 Rn. 11; RGZ 134, 227). Dies ist vorliegend der Fall. Macht das Finanzamt die Rücknahme zur (angeblichen) Voraussetzung der Annahme der Abtretung nach § 27 Abs. 19 UStG, verkürzt es die rechtsstaatlich verbrieften Rechte des Bauleistenden. Im Bedarfsfall ist Verpflichtungsklage auf Annahme zu erheben. Die Umsatzsteuerbescheide sind daher in jedem Fall offen zu halten.
Korrekturerklärungen nach § 153 AO sind ebenfalls risikobehaftet und nicht erforderlich, da dem Finanzamt der Sachverhalt bekannt ist (vgl. Lippross, NWB 10/2015 S. 677). Sie sollten daher unterlassen werden.
2. Erfordernis einer neuen Rechnung
a) Gesetzlicher Ausgangspunkt
[i]Gesetzestext fordert neue Rechnung als Bedingung für die AbtretungIn § 27 Abs. 19 Satz 4 Nr. 1 UStG wird als Bedingung für die Abtretung an Zahlungs statt gefordert, dass der Bauleistende dem Bauträger eine neue Rechnung unter Ausweis der Umsatzsteuer erstellt. Oberflächlich betrachtet scheint dies sachgerecht, denn zu jedem Vergütungsanspruch eines Unternehmers gehört eine Rechnung.
Namentlich stellt auch der Gesetzgeber in seiner Begründung einen derartigen Zusammenhang zwischen Rechnungsstellung und Zahlungsanspruch her, nochmals: „... könne der leistende Bauunternehmer seine Umsatzsteuerschuld nach der Neuregelung in aller Regel mit Tilgungswirkung begleichen, indem er seine auf der nachträglichen Inrechnungstellung der gesetzlich geschuldeten Umsatzsteuer beruhende Geldforderung gegen den Leistungsempfänger zivilrechtlich an die Finanzverwaltung abtrete“ [Hervorhebung durch den Autor].
b) Zivilrechtliche Einordnung
[i]Rechnung ist für den Zahlungsanspruch unerheblichZivilrechtlich liegt dem ein falsches Verständnis der Beziehung von Hauptleistungspflichten und Nebenleistungspflichten zugrunde. Die Pflicht zur Zahlung einer Vergütung S. 3767für eine erbrachte Leistung durch den Leistungsempfänger ist Hauptpflicht. Die im Austauschverhältnis (Synallagma) stehenden Pflichten sind die Erfüllung durch den Bauleistenden und die Zahlung des geschuldeten Entgelts durch den Bauträger. Die Pflicht zur ordentlichen Abrechnung ist „nur“ eine Nebenpflicht des Leistenden aus dem Schuldverhältnis, die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB hergeleitet wird. Abzurechnen ist über die erbrachten Leistungen und die geschuldete Vergütung. Die zutreffende Höhe der geschuldeten Vergütung ist damit die zentrale Frage, die dann in der Rechnung lediglich umgesetzt wird (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, § 13b n. F. A 35 – falsch zitiert in (U) NWB PAAAF-06007, Rn. 74).
[i]Rechnung ist nicht konstitutiv für ZahlungsanspruchUmgekehrt ist die Rechnung nicht konstitutiv für den Zahlungsanspruch. Zugegeben besteht im Normalfall eine Einrede gem. § 273 Abs. 1 BGB des Leistungsempfängers gegen den Zahlungsanspruch, soweit ihm eine zutreffende Rechnung nicht vorliegt ( NWB DAAAE-70241, m. w. N.). Das Vorliegen einer Rechnung ist also nicht konstitutiv für den zivilrechtlichen Zahlungsanspruch, regelmäßig aber Voraussetzung für dessen Durchsetzung (hierauf wurde, bislang wenig beachtet, bereits hingewiesen von Schneider/Mann, NWB 51/2014 S. 3911).
c) Kein Anspruch des Leistungsempfängers auf eine Rechnung bei Schwierigkeiten bezüglich der umsatzsteuerlichen Behandlung – Verweigerungsrecht des Leistenden
Auch den Zivilrechtlern ist durchaus bekannt, dass eine falsche Rechnung nach § 14c UStG unangenehme Konsequenzen für den Rechnungsersteller haben kann. In einem jüngeren Urteil hat der BGH daher nochmals seine Auffassung bestätigt, dass eine Einrede des Leistungsempfängers nach § 273 Abs. 1 BGB nicht besteht, sofern die umsatzsteuerliche Behandlung strittig ist und die Frage nicht bestandskräftig durch die Finanzbehörde entschieden wurde ( NWB DAAAE-70241, Rn. 13 f., zum Schutz des Rechnungsausstellers vor den Rechtsfolgen des § 14c UStG; vgl. Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 14 Rn. 180, 182; Weymüller, Beck OK UStG, § 14 Rn. 169 ff., alle m. w. N.).
Gerade in der vorliegenden Konstellation entfällt folglich die zivilrechtliche Einrede nach § 273 Abs. 1 BGB, so dass der mögliche Anspruch auf zusätzliche Vergütung gegenüber den Bauträgern auch ohne Rechnung geltend gemacht und eingeklagt werden kann.
[i]Bauträger hat keinen Anspruch auf eine neue Rechnung, solange die Steuerrechtslage unklar istEs ist den betroffenen Bauleistenden zu empfehlen, nicht nur den Einspruch gegen die Änderungsbescheide aufrechtzuerhalten, sondern darüber hinaus dem Finanzamt die Abtretung nur ohne neue Rechnungen anzubieten. Im Rahmen seiner Ermessensausübung bei der Annahmeentscheidung wird das Finanzamt dann berücksichtigen müssen, dass die Rechnung nach dem Sinn und Zweck des § 27 Abs. 19 UStG nicht erforderlich ist. Denn die möglichen Ansprüche sind auch ohne Rechnung zivilrechtlich einforder- und durchsetzbar. Da eine Rechnung auch nach § 17 UStG nicht uneingeschränkt korrigierbar ist, sollte dringend die Ausstellung einer neuen Rechnung durch den Bauleistenden verweigert werden. Im Bedarfsfall ist wiederum Verpflichtungsklage zu erheben.
III. Ergänzende Argumente für die Europarechts- und Verfassungswidrigkeit
1. Das Rechtssicherheitsverständnis des EuGH
a) Das EuGH-Urteil vom 13. 12. 2012 - Rs. C-395/11
Der EuGH stellt in seinem Ausgangsurteil vom - Rs. C-395/11, BLV Wohn- und Gewerbebau GmbH NWB XAAAE-25758, eigene Überlegungen zur Rechtssicherheit S. 3768an. Dies wird im Hinblick auf die nationale Diskussion nach dem Urteil des BFH (Urteil vom - V R 37/10, BStBl 2014 II S. 128) übersehen:
[i]EuGH fordert Vorhersehbarkeit für alle BetroffenenDer EuGH hat die ursprüngliche Handhabung der Bauträgerfälle im Rahmen der Ausnahmevorschrift des § 13b UStG im Hinblick auf die fehlende Rechtssicherheit für die Betroffenen verworfen (Rn. 46 bis 49). Die Anwendung von Rechtsakten der Union müsse für die Betroffenen vorhersehbar sein, speziell bei Regelungen, die potenziell finanziell belastend sind. Dies ist von jeder mit der Anwendung von Unionsrecht betrauten staatlichen Stelle zu beachten – also auch von Verwaltung und Gerichten (Rn. 47). Die deutsche Handhabung des § 13b UStG verstößt gegen die Rechtssicherheit, weil sie den betreffenden Steuerpflichtigen, zumindest vorübergehend, nicht erlaubt, den Umfang ihrer Verpflichtungen auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer genau zu erkennen (Rn. 48).
b) Unterschied zum Rechtssicherheitsbegriff des BVerfG
[i]Vorhersehbarkeit ist mehr als VertrauensschutzDer Rechtssicherheitsbegriff des EuGH ist damit tendenziell weiter, als der des BVerfG. Das BVerfG stellt dogmatisch auf die Rückwirkung des Gesetzes ab. Eine tatbestandliche Rückanknüpfung hält das BVerfG für zulässig (unechte Rückwirkung), obwohl die Betroffenen ihr Verhalten nicht mehr ändern können. Selbst Rückbewirkung von Rechtsfolgen (echte Rückwirkung) soll in engen Grenzen möglich sein. Im vorliegenden Fall sprächen namentlich die Fallgruppen „Korrektur einer unklaren oder ungültigen Regelung“ und „zwingende Gründe des Allgemeinwohls“ für die Rechtfertigung selbst einer „echten“ Rückwirkung.
Demgegenüber geht es dem EuGH um Vorhersehbarkeit – er stellt also auf die Betroffenen ab. Nachträgliche Korrekturen sind damit ausgeschlossen.
c) Bedeutung für die Bauleistenden
[i]Für Bauleistenden war Umsatzsteuerschuld nicht vorhersehbarDurch die vom EuGH beanstandete Handhabung des § 13b UStG a. F. waren allerdings nicht nur die Leistungsempfänger betroffen – zu denen das Urteil erging –, sondern naturgemäß gleichermaßen die leistenden Bauunternehmer. Die Unsicherheit der Bauleistenden ist gleichsam das Spiegelbild der Unsicherheit der Bauträger. Der Bauleistende ist in Ansehung des vorgenannten EuGH-Urteils im Ausgangspunkt schon im Ansatz genauso schutzwürdig wie der Bauträger. Inhaltlich ist er sogar noch schutzwürdiger: Denn nach der ursprünglich zu § 13b UStG herrschenden Praxis durfte er davon ausgehen, von sämtlichen Umsatzsteuerpflichten entbunden zu sein.
Es ist schon etwas zynisch, wenn das FG Düsseldorf meint, bei der Abwägung hinsichtlich des Bauleistenden zu dessen Lasten berücksichtigen zu können, dass sich schließlich alle geirrt hätten, Bauleistender, Bauträger und Verwaltung. Es darf zunächst bezweifelt werden, dass sich Bauleistender und Bauträger „geirrt“ haben, sich also eine falsche Vorstellung von der Wirklichkeit gemacht haben. In Ansehung des Rechtssicherheitsbegriffs des EuGH ist zudem gerade dieser durch die staatliche Handhabung des § 13b UStG hervorgerufene „Irrtum“ der Grund für die Rechtswidrigkeit.
In Ansehung dieser Umstände ist schlussendlich die Entscheidung des FG Niedersachsen kritisch zu bewerten, welches lediglich auf den verfassungsrechtlichen Begriff des Vertrauensschutzes abstellt. Die fehlende Vorhersehbarkeit für die Beteiligten ist vom Stand des Festsetzungsverfahrens unabhängig.
2. Unverhältnismäßigkeit der Regelung
[i]Inanspruchnahme des Bauleistenden ist unverhältnismäßig – Inanspruchnahme des Bauträgers ist milderes MittelWenn man das Problem der Rechtssicherheit ausblendet, ist die Norm allerdings auch nach den Maßstäben des Grundgesetzes verfassungsrechtlich mehr als bedenklich. Denn eine gesetzliche Regelung muss nach der Grundrechtsdogmatik des BVerfG verhältnismäßig sein, d. h. geeignet, erforderlich und angemessen. Eine Regelung ist erforderlich, wenn sie von mehreren gleich geeigneten Maßnahmen den geringsten Eingriff – das mildeste Mittel – darstellt. In der vorliegenden Konstellation hätte ein S. 3769milderes Mittel zur Verfügung gestanden: Denn ursprünglich gingen die Beteiligten davon aus, dass die Umsatzsteuer allein Sache des Bauträgers sein sollte.
Es wäre also möglich gewesen, die vorherige Verwaltungsauffassung mit den Ergänzungen des EuGH rückwirkend in den Rang eines formellen Gesetzes zu heben, wie es ja für die Zukunft geschehen ist. Schließlich hat der Bauträger, anders als der Bauleistende, nicht zu eigenen Gunsten auf die Verwaltungsauffassung vertraut. Er hat – wenn überhaupt – darauf vertraut, dass er allein von Anmeldung, Festsetzung und Erhebung der Umsatzsteuer betroffen sein wird.
Wer diesem Ansatz entgegenhält, dass dem das EuGH-Urteil entgegenstünde, dem sei Folgendes erwidert: Erstens soll durch die vom Gesetzgeber in § 27 Abs. 19 UStG beabsichtigte Lösung am Ende ebenfalls der Bauträger belastet werden. Zweitens ist der Bauleistende schutzwürdiger als der Bauträger. Sollte eine nachträgliche gesetzliche Belastung des Bauträgers aus Gründen der Rechtssicherheit unmöglich sein, dann ist eine nachträgliche Belastung des Bauleistenden erst Recht ausgeschlossen.
Auch dieses Argument lässt sich allen Fällen entgegenhalten – auch den Fällen, in denen eine Jahresfestsetzung noch nicht erfolgt ist.
Es ist zweifelhaft, ob ein zivilrechtlicher Entgeltergänzungsanspruch des Bauleistenden gegen den Bauträger besteht. Dabei sind die verfassungs- und europarechtlichen Probleme des § 27 Abs. 19 UStG inzident zu prüfen. Eine endgültige Klärung der Probleme ist noch nicht absehbar. Steuerrechtlich müssen wegen dieser Unklarheiten die Umsatzsteueränderungsbescheide betroffener Bauleistender offen gehalten werden.
Auch sollten keine neuen bzw. geänderten Rechnungen gestellt werden. Andernfalls drohen dem Bauleistenden irreversible Nachteile. Im Bedarfsfall ist Verpflichtungsklage zu erheben.
Zu den zivilrechtlichen Maßnahmen, die von Seiten des Bauleistenden im Umgang mit diesem Problem angezeigt sind, s. NWB 50/2015 S. 3770.
Fundstelle(n):
NWB 2015 Seite 3762 - 3769
VAAAF-09012