Berichtigung; Rechnung; Rückwirkung; Senatex; Umsatzsteuer; Umsatzsteuer-Identifikationsnummer; Vorsteuerabzug
Rechtsfrage
1. Ist die vom EuGH in der Rechtssache "Terra Baubedarf-Handel" (Urteil vom C-152/02, Slg. 2004, 5583) festgestellte ex nunc-Wirkung einer erstmaligen Rechnungserstellung für den - hier vorliegenden - Fall der Ergänzung einer unvollständigen Rechnung durch die EuGH Entscheidungen " Pannon Gep" (Urteil vom C-368/09, UR 2010,693) und " Petroma Transport" (Urteil vom C-271/12, BB 2013, 1365) insoweit relativiert, als der EuGH in einem solchen Fall im Ergebnis eine Rückwirkung zulassen wollte?
2. Welche Mindestanforderungen sind an eine der Rückwirkung zugängliche berichtigungsfähige Rechnung zu stellen? Muss die ursprüngliche Rechnung bereits eine Steuernummer oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer enthalten oder kann diese später ergänzt werden mit der Folge, dass der Vorsteuerabzug aus der ursprünglichen Rechnung erhalten bleibt?
3. Ist die Rechnungsberichtigung noch rechtzeitig, wenn sie erst im Rahmen eines Einspruchsverfahrens erfolgt, das sich gegen die abschließende Entscheidung (Änderungsbescheid) der Finanzbehörde richtet?
Gesetze: UStG § 14 Abs 4 Nr 2, UStG § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 S 1, EUV 282/2011 Art 178, EUV 282/2011 Art 168
Instanzenzug (anhängig gemeldet seit 22.12.2014): , Vorabentscheidungsersuchen
Dieses Verfahren ist erledigt
erledigt durch:
- Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen des FG Niedersachsen C-518/14 (Senatex GmbH) betrifft die Frage, ob die Berichtigung einer Rechnung für Zwecke des Vorsteuerabzugs aus der in der Rechnung aufgeführten Leistung Rückwirkung entfalten kann.
Die Klägerin, betreibt einen Textilgroßhandel. Im Rahmen einer Außenprüfung für die Jahre 2008 bis 2011 stellte das Finanzamt fest, dass der Klägerin der Vorsteuerabzug aus einigen von ihr an ihre Handelsvertreter sowie einem Werbegestalter erteilten Gutschriften (Abrechnungen über deren Provisionsansprüche) nicht zustand. Nach Feststellung des Finanzamtes enthielten die Gutschriften jeweils weder die Steuernummer noch die USt-IdNr. des jeweiligen Gutschriftsempfängers. Die Klägerin berichtigte die Provisionsabrechnungen (Gutschriften) betreffend die Streitjahre 2009 bis 2011 gegenüber ihren Handelsvertretern noch während der Außenprüfung mit Datum vom dergestalt, dass die jeweilige Steuernummer bzw. USt-IdNr. des Handelsvertreters in der Rechnung ergänzt wurde. Auch die Rechnungen des Werbegestalters für die Jahre 2009 bis 2011 wurden noch während der Außenprüfung unter demselben Datum entsprechend berichtigt. Dennoch kürzte das Finanzamt die Vorsteuern mit der Begründung, dass die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nicht in den Streitjahren, sondern erst im Zeitpunkt der durchgeführten Rechnungsberichtigung (2013) vorlägen. Gegen die aufgrund der Außenprüfung geänderten Umsatzsteuerbescheide 2008 bis 2011 legte die Klägerin Einspruch ein. Erst im Einspruchsverfahren wurde festgestellt, dass für 2008 noch keine Rechnungsberichtigungen erteilt worden waren. Mit Datum vom berichtigte die Klägerin dann gegenüber ihren Handelsvertretern die Provisionsabrechnungen (Gutschriften) auch für das Streitjahr 2008 dergestalt, dass die Abrechnungen um deren Steuernummer bzw. USt-IdNr. ergänzt wurden. Entsprechendes gilt für die das Streitjahr 2008 betreffenden Abrechnungen des Werbegestalters. Mit Einspruchsbescheid blieb das Finanzamt bei seiner Rechtsauffassung, dass die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug erst mit der Berichtigung der Rechnungen in 2013 bzw. 2014 erfüllt seien. Eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung (ex tunc) sei nicht möglich.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass den erfolgten Rechnungsberichtigungen Wirkung für die Vergangenheit (Streitjahre 2008 bis 2011) zukomme, da diese vor der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsbescheid vom ) durchgeführt worden seien. Für die Streitjahre 2009 bis 2011 seien die Berichtigungen bereits während der Außenprüfung erfolgt. Das Streitjahr 2008 unterscheide sich nur insoweit, als die korrigierten Gutschriften bzw. Rechnungen erst im Rahmen des Einspruchsverfahrens aber noch vor Ergehen des Einspruchsbescheids und damit rechtzeitig vorgelegt worden seien. Der EuGH habe erstmals mit Urteil vom (Rs C-368/09, Pannon Gép) entschieden, dass in gewissen engen Grenzen eine Rechnungsberichtigung ex tunc möglich sei. Mit seiner neueren Entscheidung vom (Rs C-271/12, Petroma Transports, Randnr. 34) habe der EuGH eine rückwirkende Rechnungsberichtigung für den Fall zugelassen, dass eine Berichtigung noch im Rahmen des Verwaltungsverfahrens erfolgt sei.
Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das FG Niedersachsen wissen, ob die vom EuGH in der Rechtssache C-152/02 (Terra Baubedarf-Handel) festgestellte ex nunc-Wirkung einer erstmaligen Rechnungserstellung für den Fall der Ergänzung einer unvollständigen Rechnung durch die EuGH-Entscheidungen Pannon Gep und Petroma Transport insoweit relativiert wird, als der EuGH in einem solchen Fall im Ergebnis eine Rückwirkung zulassen wollte.
Der EuGH hat bisher entschieden, es verstößt nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass der Steuerpflichtige den Vorsteuerabzug erst für den Steuererklärungszeitraum vornehmen kann, in dem beides erfüllt ist: der Besitz der Rechnung oder eines als Rechnung anzusehenden Dokuments und die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts. Dieses Erfordernis steht im Einklang mit einem der Ziele des Unionsrechts, das darin besteht, die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung sicherzustellen (vgl. , Terra Baubedarf-Handel). Ein Unternehmer kann nach dieser Entscheidung einen Vorsteuerabzug somit wohl frühestens dann geltend machen, wenn sowohl die Leistung für sein Unternehmen bewirkt wurde als auch eine ordnungsgemäße Rechnung über diese Leistung vorliegt. Aus der Entscheidung v. , C-152/02, Terra Baubedarf-Handel könnte daher zu folgern sein, dass nach Auffassung des EuGH die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts erst ab einem bestimmten Zeitpunkt möglich ist und es nicht allein auf den Entstehungszeitpunkt des Vorsteuerabzugsrechts ankommt.
Weder in seiner Entscheidung Pannon Gép noch in seiner Entscheidung Petroma Transports hat der EuGH seine bis dahin ergangene Rechtsprechung ausdrücklich geändert und entschieden, dass eine Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zurückwirkt. Nach Art. 179 Abs. 1 MwStSystRL ist der Vorsteuerabzug für dem Steuerzeitraum auszuüben, in dem "das Abzugsrecht entstanden ist und gemäß Art. 178 MwStSystRL ausgeübt wird". Das bedeutet insbesondere, dass eine ordnungsgemäße Rechnung im Sinne des Art. 178 Buchst. a i.V.m. Art. 226 MwStSystRL 2006/112/EG vorliegen muss.
Das FG Niedersachsen will darüber hinaus wissen, welche Mindestanforderungen an eine der Rückwirkung zugängliche berichtigungsfähige Rechnung zu stellen sind bzw. ob die ursprüngliche Rechnung bereits eine Steuernummer oder USt-IdNr. enthalten muss oder ob diese später ergänzt werden kann mit der Folge, dass der Vorsteuerabzug aus der ursprünglichen Rechnung erhalten bleibt. Schließlich will das FG Niedersachsen wissen, ob die Rechnungsberichtigung noch rechtzeitig ist, wenn sie erst im Rahmen eines Einspruchsverfahrens erfolgt, das sich gegen die abschließende Entscheidung (Änderungsbescheid) der Finanzbehörde richtet.
Hierzu ist anzumerken, dass die MwStSystRL selbst keine Regelung hinsichtlich der Berichtigung von Rechnungen enthält. Demnach dürfte sie es auch nicht verbieten, fehlerhafte Rechnungen zu berichtigen (vgl. , Petroma Transports). Für den Fall der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung eines Umsatzes sieht Art. 90 MwStSystRL vor, dass die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend zu vermindern ist. Die Rückgängigmachung eines ausgeführten Umsatzes erfordert eine Vorsteuerkorrektur auf Seiten des Leistungsempfängers. So könnte es den Mitgliedstaaten z.B. auch überlassen sein, zu bestimmen, zu welchem Zeitpunkt eine Rechnungsberichtigung für Zwecke des Vorsteuerabzugs wirksam wird.
Die Pflicht der obligatorischen Angaben in einer Rechnung nach Art. 226 MwStSystRL dürfte sich insbesondere an dem Ziel einer betrugsunanfälligen Besteuerung orientieren. Aus der MwStSystRL sowie der bisherigen Rechtsprechung des EuGH könnte abzuleiten sein, dass eine Wechselwirkung zwischen den Art. 167 und 178 MwStSystRL besteht. Das Recht zum Vorsteuerabzug wäre dann maßgeblich mit dem Vorliegen einer Rechnung nach Maßgabe der Art. 220 bis 236 sowie 238, 239 und 240 MwStSystRL verknüpft. Eine Rechnung, die weder eine Steuernummer, noch eine USt-IdNr. des leistenden Unternehmers enthält, könnte danach für den Vorsteuerabzug ungeeignet sein.
Die Frage, ob einer Rechnungsberichtigung Rückwirkung beigemessen werden kann, ist im Übrigen keine Frage der AO, sondern eine materiell-rechtliche Frage, die ausschließlich nach den Vorschriften des UStG und den hierzu bestehenden europarechtlichen Vorgaben zu beurteilen ist. § 367 Abs. 2 Satz 1 AO bestimmt, dass nach einem zulässigen Einspruch die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen ist. Maßgebend für die im Einspruchsverfahren zu treffende Sachentscheidung ist die materielle Rechtslage, wie sie im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einspruch für denjenigen Besteuerungszeitraum besteht, den der angefochtenen Verwaltungsakt erfasst. § 367 gestaltet aber nicht die materielle Rechtslage. Auch § 233a AO beeinflusst nicht die materielle Rechtslage, sondern bestimmt nur, welche Zinsfolgen eintreten, wenn z. B. eine erstmalige oder eine geänderte Umsatzsteuerfestsetzung ergeht. Auch die Frage, ob ggf. ein rückwirkendes Ereignis vorliegt, ist ausschließlich nach dem materiellen Recht zu beurteilen (Beschluss des Großen Senats des , BStBl II S. 897). § 367 AO und § 233a AO dürften daher für die Beantwortung der Vorlagefragen des FG Niedersachsen irrelevant sein.
Fundstelle(n):
VAAAE-81877