BBK Nr. 5 vom Seite 197

Was ist wesentlich in einer Steuerbilanz?

StB/WP Wolfgang Eggert | BBK-Herausgeber

Die Bitte, [i]Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 10. Aufl. 2019, § 252 Rz. 236 etwas zum Thema Wesentlichkeit zu schreiben, hat ein tief vergrabenes Ereignis wieder an das Tageslicht befördert: Mein Prüfer im mündlichen WP-Examen insistierte über gefühlte Stunden hinweg, absolute Werte zur Wesentlichkeit genannt zu bekommen. Ich weigerte mich standhaft: Denn allgemein gültige Schwellenwerte für die Frage, was ist wesentlich und was ist unwesentlich, können – so die Kommentarliteratur zu Recht – nicht festgelegt werden. Aus diesem Grund „konnte“ auch der Prüfling keinen einzigen absoluten Betrag nennen. Selbstverständlich versuchte ich mehrfach, die in der Praxis bekannte Lösung zu präsentieren, über pauschale %-Werte die Wesentlichkeitsgrenze zu definieren, also 10 % des Jahresüberschusses oder des Jahresfehlbetrags, 5 % der Bilanzsumme oder eine Veränderung von Einzelposten des Jahresabschlusses um 10 %.

Mit einigem zeitlichen Abstand und der Erfahrung aus zahlreichen Jahresabschlüssen ist mir zwar klar geworden, dass der Prüfer vermutlich genau diese und eben keine absoluten Zahlen hören wollte, aber die Befragung hat dazu geführt, dass ich mich noch heute standhaft weigere, €-Beträge beim Thema Wesentlichkeit im HGB-Abschluss zu nennen.

Der [i]BFH, Beschluss v. 18.3.2010 - X R 20/09 NWB YAAAD-48053 BFH ist da, was die Steuerbilanz anbelangt, deutlich klarer: In seinem Beschluss X R 20/09 kommt er zu dem Ergebnis, dass auf die Bildung eines aktiven Rechnungsabgrenzungspostens (ARA) „nach der Maßgabe des Grundsatzes der Wesentlichkeit“ verzichtet werden darf, wenn die abzugrenzenden Beträge von untergeordneter Bedeutung sind und eine unterlassene Abgrenzung das Jahresergebnis nur unwesentlich beeinflusst. Aber anders als ich und die Kommentarliteratur zur Handelsbilanz scheut der BFH auch den absoluten Wert nicht. Er orientiert sich an der Grenze für die geringwertigen Wirtschaftsgüter von damals 410 € und akzeptiert einen Verzicht der ARA-Bildung bis zu eben dieser Höhe. Das FG Baden Württemberg ist in einer aktuell veröffentlichten Entscheidung nun ebenfalls dieser Ansicht gefolgt. Mein Herausgeber-Kollege Bernd Rätke stellt Ihnen das FG-Urteil auf Seite 201 vor und weist auf eine mögliche Diskrepanz zur Auffassung der Finanzverwaltung hin.

Da [i]Theile, Zur neuen Wesentlichkeit im IFRS-Abschluss, BBK 1/2019 S. 41 NWB UAAAH-03588 es in Seminaren und Veranstaltungen zur Buchführung und Bilanzierung hierzu regelmäßig zwei Fragen gibt, will ich die Antworten an dieser Stelle einmal schriftlich geben: Die Grenze des BFH ist keine für die ARA-Position insgesamt, sondern bezieht sich auf den einzelnen Abgrenzungsposten. Und sie beträgt derzeit 800 €, weil sich der BFH – wörtliches Zitat – an den „jeweiligen Grenzen des § 6 Abs. 2 EStG (in seiner jeweiligen für den betreffenden Veranlagungszeitraum geltenden Fassung)“ orientiert.

Beste Grüße

Wolfgang Eggert

Fundstelle(n):
BBK 2019 Seite 197
NWB UAAAH-07943