Niedersächsisches Finanzgericht  Urteil v. - 2 K 12095/15 EFG 2017 S. 132 Nr. 2

Verluste aus der Veräußerung von Aktien

Leitsatz

  1. Eine entgeltliche Veräußerung i. S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG liegt auch dann vor, wenn wertlose Anteile ohne Gegenleistung zwischen fremden Dritten übertragen werden.

  2. Transaktionskosten sind nicht als Minderung des Veräußerungspreises anzusehen.

  3. Demgemäß liegt eine Veräußerung auch vor, wenn bei einer Aktienveräußerung der Veräußerungserlös die Transaktionskosten nicht übersteigt (gegen BStBl I 2012, 953, Rz. 59, bzw. v. , BStBl I 2016, 85).

  4. Ein solcher Veräußerungsverlust kann auch ohne Bescheinigung der Bank (i.S.d. § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG) im Rahmen der ESt-Veranlagung berücksichtigt werden, wenn wegen der die Bank bindenden Verwaltungsauffassung kein nicht ausgeglichener Verlust vorliegt und die Bescheinigung eines Verlustes durch den Stpfl. daher nicht erlangt werden kann.

Gesetze: EStG § 20 Abs. 2, EStG § 20 Abs. 4 Satz 1, EStG § 20 Abs. 6 Satz 5, EStG § 32d Abs. 4, EStG § 43a Abs. 3 Satz 4 und Satz 5

Instanzenzug:

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob Verluste aus Aktienveräußerungen bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen sind.

Der Kläger hatte in den Jahren 2009 und 2010 über die Sparkasse X. 800 Inhaber-Stammaktien o.N. der G.SE zu Anschaffungskosten von 5.759,78 € erworben. Einen Teil dieser Aktien (auf die Anschaffungskosten i.H. von 3.817,40 € entfielen) verkaufte er am zu einem Gesamtverkaufspreis von 8 €, wobei die Sparkasse in gleicher Höhe Transaktionskosten einbehielt. Den zweiten Teil der Aktien (mit Anschaffungskosten von 1.942,38 €) veräußerte er am zu einem Gesamtverkaufspreis von 6 €, wobei wiederum in gleicher Höhe Transaktionskosten berechnet wurden.

Die Sparkasse X. verzichtete mit Hinweis auf die Anweisung des Bundesministerium der Finanzen ( Rz. 59) auf eine Einbuchung des durch die Verkäufe entstandenen Verlustes i.H. von insg. 5.759,78 € in den Verlustverrechnungstöpfen. Danach soll eine Veräußerung nicht vorliegen, wenn der Veräußerungspreis die tatsächlichen Transaktionskosten nicht übersteigt.

In seiner Einkommensteuererklärung 2013 erklärte der Kläger diese Verluste gleichwohl bei den Einkünften aus Kapitalvermögen. Daneben gab er Kapitalerträge i.H.v. 9.541 € an, davon Gewinne aus Aktienveräußerungen i.H.v. 6.839 €.

Das beklagte Finanzamt setzte im Bescheid vom zwar die Kapitalerträge an, nicht aber die Verluste aus den Aktienveräußerungen.

Nach erfolglosem Vorverfahren hat der Kläger sich hiergegen mit seiner Klage gewandt.

Er ist der Auffassung, die Verluste seien bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung liege sehr wohl eine Veräußerung vor.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des Bescheides für 2013 über Einkommensteuer vom und der Einspruchsentscheidung vom die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der geltend gemachten Verluste aus der Veräußerung von Aktien i.H. von 5.759,78 € bei den Einkünften aus Kapitalvermögen festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertritt - ebenfalls unter Verweis auf das Schreiben des BMF zur Abgeltungsteuer - die Auffassung, dass eine Veräußerung im Streitfall nicht vorliege, da der Veräußerungspreis die tatsächlichen Transaktionskosten nicht übersteige. Daher könne der entstandene Verlust steuerlich nicht berücksichtigt werden.

Gründe

I. Die zulässige Klage ist begründet. Das Finanzamt hat zu Unrecht die Berücksichtigung des Verlustes aus der Veräußerung der Aktien im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung abgelehnt.

1. Im Streitfall liegt eine Veräußerung i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vor.

Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Gewinne aus der Veräußerung von Aktien. Veräußerung ist die entgeltliche Übertragung des - zumindest wirtschaftlichen - Eigentums auf einen Dritten. Eine entgeltliche Anteilsübertragung liegt auch dann vor, wenn wertlose Anteile ohne Gegenleistung zwischen fremden Dritten übertragen werden (, BFHE 233, 446, BStBl II 2012, 8; v. - IX R 13/13, BFH/NV 2015, 198; v. – IX R 57/13, BFH/NV 2015, 1364).

Im Streitfall liegt eine entgeltliche Übertragung vor. Ein Entgelt wurde bezahlt. Die Transaktionskosten sind dabei nicht als Minderung des Veräußerungspreises anzusehen. Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss zu § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG, wonach als Gewinn aus der Veräußerung der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten, bestimmt wird (so zutreffend auch Knoblauch, DStR 2013, 798, 800).

Die entgegenstehende Auffassung der Finanzverwaltung, wonach eine Veräußerung nicht vorliegen soll, wenn der Veräußerungspreis die tatsächlichen Transaktionskosten nicht übersteigt (Tz. 59 des BStBl. I 2012, 953, neuveröffentlicht am , BStBl. I 2016, 85), findet im Gesetz keine Grundlage. Sie führt außerdem zu dem fragwürdigen Ergebnis, dass die steuerliche Behandlung der Veräußerungsverluste von der Gebührengestaltung der jeweiligen Bank abhinge.

2. Der Veräußerungsverlust beträgt nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG 5.759,78 €.

Gewinn i.S. des § 20 Abs. 2 EStG ist nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten.

Im Streitfall hat der Kläger aus der Veräußerung der Aktien Einnahmen i.H. von insg. 14 € erzielt und eben diesen Betrag als mit dieser Veräußerung unmittelbar zusammenhängende Transaktionskosten aufgewendet. Als Verlust verbleiben damit die vollen Anschaffungskosten, die zum Abzug zu bringen sind, nämlich 5.759,78 €.

3. Der Veräußerungsverlust ist auch im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung zu berücksichtigen und mit den im Streitjahr erzielten Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien zu verrechnen.

a. Nach § 32d Abs. 4 EStG kann der Steuerpflichtige für die Kapitalerträge, die der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, mit der Einkommensteuererklärung eine Steuerfestsetzung beantragen. Dies gilt insbesondere in Fällen eines noch nicht im Rahmen des § 43a Abs. 3 EStG berücksichtigten Verlusts und eines Verlustvortrags nach § 20 Abs. 6 EStG.

Nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG dürfen Verluste aus Kapitalvermögen, die der Kapitalertragsteuer unterliegen, jedoch nur verrechnet werden oder die Einkünfte mindern, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt, wenn eine Bescheinigung i.S. des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG vorliegt. Nach § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG hat die auszahlende Stelle auf Verlangen des Gläubigers der Kapitalerträge über die Höhe eines nicht ausgeglichenen Verlusts eine Bescheinigung nach amtlich vorgeschriebenem Muster zu erteilen (s. Muster I im BStBl. I 2014, 1586); der Verlustübertrag entfällt in diesem Fall. Der unwiderrufliche Antrag auf Erteilung dieser Bescheinigung muss nach § 43a Abs. 3 Satz 5 EStG bis zum 15. Dezember des laufenden Jahres der auszahlenden Stelle zugehen.

Im Streitfall wurde dem Kläger eine solche Bescheinigung von der auszahlenden Stelle, also seiner Bank, nicht ausgestellt; er hat sie aber auch nicht beantragt.

b. Nach Auffassung des Senats bedarf es jedoch im Streitfall keiner solchen Bescheinigung, um die Veräußerungsverluste im Rahmen der Steuerveranlagung zu berücksichtigen.

(1) Zum einen haben bereits die materiellen Voraussetzungen für die Ausstellung der Bescheinigung nicht vorgelegen. Nach § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG ist die Bescheinigung über die Höhe „eines nicht ausgeglichenen Verlustes” zu erteilen. Ein nicht ausgeglichener Verlust i.S.d. § 20 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 1 EStG liegt aber - auf der Grundlage der von der Finanzverwaltung vertretenen Auffassung - schon mangels einer Veräußerung nicht vor. Die Bank als auszahlende Stelle hat nach Auffassung des Gesetzgebers als „Organ der Steuererhebung” bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung hinsichtlich des Kapitalertragsteuereinbehalts anzuwenden (vgl. BT-Drs. 17/3549, S. 6). Dieser Auffassung ist auch der Bundesfinanzhof in einem Drittanfechtungsverfahren eines Bankkunden gegen die aufgrund der Steueranmeldung der Bank erfolgte Steuerfestsetzung gefolgt. Allerdings hat er für diese Regel die Ausnahme für den Fall aufgestellt, dass die Ansicht des Bankkunden dem eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen entspricht und auch aus deren Entstehungsgeschichte und Zweck kein Anhalt für ein abweichendes Regelungsverständnis besteht (, BFHE 241, 151). Der Bundesminister der Finanzen hat hierauf zunächst mit einem Nichtanwendungserlass reagiert (, BStBl. I 2013, 1167). Mit Wirkung für Kapitalerträge, die nach dem zufließen, wurde sodann die Vorschrift des § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG eingeführt, nach der die auszahlende Stelle den Steuerabzug „unter Beachtung der im Bundessteuerblatt veröffentlichten Auslegungsvorschriften der Finanzverwaltung” vorzunehmen haben (s. dazu Haisch, in Kanzler/Nacke, Steuerrecht aktuell. Spezial Steuergesetzgebung 2015/2016, S. 47; Hoffmann, DStR 2016, 1848). Die Vorschrift hat nach der Gesetzesbegründung klarstellenden Charakter und bestätigt ausdrücklich die Verwaltungsauffassung (BT-Drs. 18/4902, S. 44).

Die von dem Bundesfinanzhof formulierte Ausnahme von der Bindungswirkung der Banken an die Auffassung der Finanzverwaltung liegt auch im Streitfall vor. Die Auffassung des Klägers, wonach auch bei die Veräußerungserlöse übersteigenden Transaktionskosten ein Veräußerungsvorgang vorliegt, entspricht dem Wortlaut des Gesetzes und der bisherigen Rechtsprechung. Um diese Auffassung bereits im Rahmen des Kapitalertragsteuereinbehalts durchzusetzen, hätte der Kläger aber durch Drittanfechtung gegen die Kapitalertragsteueranmeldung der Bank vorgehen müssen. In diesem Verfahren kommt aber ein sehr eingeschränkter Prüfungsmaßstab zur Anwendung, da lediglich geprüft wird, ob die Bank wegen der genannten klaren Ausnahme nicht zur Abführung von Kapitalertragsteuer verpflichtet war (vgl. , BFHE 241, 151). Eine vollumfängliche Prüfung kann der Steuerpflichtige dagegen nur durch einen Rechtsbehelf gegen den ihm gegenüber ergehenden Einkommensteuerbescheid erreichen (, BB 2015, 725; Gosch, BFH/PR 2013, 396). Diese Vorgehensweise liegt näher und ist durch die in § 32d Abs. 4 und 6 EStG vorgesehene Möglichkeit, die Kapitalerträge in die Einkommensteuerveranlagung einzubeziehen, auch ausdrücklich geregelt (vgl. auch , EFG 2016, 93).

Die Bank des Klägers war somit bei der Ausstellung der Bescheinigung (als Teil des Verfahrens über den Kapitalertragsteuereinbehalt) an die Auffassung der Finanzverwaltung gebunden, nach der ein „nicht ausgeglichener Verlust” mangels Veräußerungsvorgang nicht gegeben war und somit auch nicht ausgewiesen werden konnte.

(2) Zum anderen lagen jedenfalls bzgl. der zweiten Veräußerung am auch die formellen Voraussetzungen für die Erteilung einer Bescheinigung nicht vor. Nach § 43a Abs. 3 Satz 5 EStG muss der Antrag des Steuerpflichtigen bis zum 15. Dezember des laufenden Jahres der auszahlenden Stelle zugehen. Diese Voraussetzung konnte für den am , also erst eine Woche nach Fristablauf, entstandenen Verlust unmöglich erfüllt werden.

(3) Auch mit Blick auf ihren Zweck bedurfte es im Streitfall keiner Verlustbescheinigung der Bank. Die Regelung in § 43a Abs. 3 Satz 5 EStG soll verhindern, dass ein Verlust doppelt - einmal von der Bank, und noch einmal im Rahmen der Veranlagung - berücksichtigt wird. Gleichzeitig mit der Ausstellung der Bescheinigung würden hierfür die „Verlusttöpfe” bei der Bank geschlossen, d.h. der dort „verwaltete” vorzutragende Verlust auf einen Wert von 0 € gesetzt, so dass sie im Rahmen des Kapitalertragsteuereinbehalts keine Berücksichtigung mehr fänden (vgl. Intemann, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 43a EStG Anm. 19). Im Streitfall hat die Bank allerdings - auf Grund des BMF-Schreibens - mangels Veräußerungsvorgang ohnehin keinen Veräußerungsverlust angenommen, so dass eine Schließung des Verlusttopfes nicht mehr erforderlich ist und eine dortige Berücksichtigung nicht erfolgen konnte.

4. Der Kläger hat im Streitjahr auch Gewinne aus der Veräußerung von Aktien i.S.d. § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG erzielt, die von der Bank bescheinigt wurden und mit denen der entstandene Veräußerungsverlust im Rahmen des § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG verrechnet werden kann. Eine Mehrfachberücksichtigung von Verlusten kann nicht eintreten.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen (§ 100 Abs. 2 S. 2 FGO).

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

III. Die Revision wurde nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 FGO, da eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zu der Notwendigkeit der Bescheinigung i.S.d. § 43a Abs. 3 Satz  4 EStG bei Auslegungsstreitigkeit über die steuerliche Behandlung von Kapitaleinkünften im Rahmen der Abgeltungsteuer und bei nach dem 15. Dezember erzielten Verlusten nicht vorliegt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BB 2017 S. 289 Nr. 6
DStR 2018 S. 6 Nr. 3
DStRE 2018 S. 343 Nr. 6
EFG 2017 S. 132 Nr. 2
ErbStB 2017 S. 71 Nr. 3
KÖSDI 2017 S. 20199 Nr. 3
UAAAF-89948