Kindergeldanspruch bei mehraktigen Ausbildungsmaßnahmen
Leitsatz
Bei der von vorneherein angestrebten Weiterbildung einer Industriekauffrau zur Betriebswirtin (B.A.) im Rahmen eines bereits vor der kaufmännischen Prüfung begonnenen berufsbegleitenden Studiums handelt es sich noch um einen Teil einer einheitlichen mehraktigen Erstausbildung, während der Kindergeldanspruch nicht durch die nach dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss ausgeübte Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeschlossen wird.
Der notwendige enge Zusammenhang liegt auch dann vor, wenn die für die Aufnahme des Bachelorstudiums vorausgesetzte Berufstätigkeit in der teilweise während des Studiums absolvierten kaufmännischen Ausbildung besteht.
Ungeachtet der nachfolgend aufgenommenen Vollzeiterwerbstätigkeit als Industriekauffrau tritt in diesem Fall keine schädliche Zäsur zwischen zwei Ausbildungsabschnitten ein.
Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a; EStG § 32 Abs. 4 Satz 2; EStG § 32 Abs. 4 Satz 3
Instanzenzug:
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig
Tatbestand
Der Kläger bezog fortlaufend u.a. für seine Tochter A (geb. 1997) Kindergeld. Nach dem Erwerb der allgemeinen Hochschulreife befand sich die Tochter vom in einer Ausbildung zur Industriekauffrau. Nach erfolgreicher Prüfung am wurde sie ab dem in ein Angestelltenverhältnis bei ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen.
Mit Bescheid vom hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes auf und führte zur Begründung an, die Tochter habe die Berufsausbildung beendet und befände sich nicht mehr in einer Ausbildung.
Hiergegen erhob der Kläger unter dem Einspruch und trug vor, seine Tochter absolviere ab in Teilzeit den Studiengang „Business Administration” mit dem erstrebten Abschluss „Bachelor of Arts (B.A.)” an der FOM in B. Sie befände sich noch in einer Berufsausbildung. Bei der Ausbildung zur Industriekauffrau und dem nachfolgenden Studium handele sich um eine einheitliche Erstausbildung. Ausbildung und Studium seien inhaltlich und zeitlich aufeinander abgestimmt. Das angestrebte Berufsziel erreiche seine Tochter erst mit dem erfolgreichen Abschluss des Studiums. Der Kläger legte eine Bescheinigung vor, wonach es sich um ein berufsbegleitendes Studium handelt, dessen Vorlesungen in den Abendstunden und an den Wochenenden stattfindet und das voraussichtlich am beendet ist. Voraussetzung für die Zulassung zum Studium ist die allgemeine Hochschulreife und eine aktuelle Berufstätigkeit in Voll- oder Teilzeit. Das Studium dauert 7 Semester.
Mit Einspruchsentscheidung vom wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück. Sie führte aus, nach der abgeschlossenen Berufsausbildung zur Industriekauffrau übe die Tochter eine Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Stunden wöchentlich aus. Sie habe diese Tätigkeit nicht zur Überbrückung zwischen zwei Ausbildungsabschnitten aufgenommen. Wenn eine Ausbildungsordnung vorsehe, dass ein Kind berufspraktische Erfahrungen in einem erlernten Beruf sammeln und vorweisen müsse, dann übe das Kind bereits eine berufliche Tätigkeit aus und befände sich gerade nicht in einer Ausbildungsphase. Die Berufsausübung stelle eine Zäsur zwischen den beiden Ausbildungen dar. Entscheidend sei nach der Rechtsprechung, dass die berufspraktische Erfahrung im bereits erlernten Ausbildungsberuf notwendige Voraussetzung für das Erreichen des weiteren Berufsabschlusses sei. Vorliegend sei eine aktuelle Berufstätigkeit Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme des Studiums gewesen. Daher bedeute diese Tätigkeit eine Zäsur zwischen den Ausbildungen, so dass das Studium eine Zweitausbildung darstelle.
Der Kläger hat am Klage erhoben, zu deren Begründung er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.
Er beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom und der Einspruchsentscheidung vom , die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für A für den Zeitraum Februar bis Mai 2018 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise: Revisionszulassung.
und bezieht sich auf die Gründe der Einspruchsentscheidung.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am die Tochter als Zeugin vernommen; wegen des Ergebnisses der Beweiserhebung wird auf den Inhalt des Protokolls Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der von der Beklagten vorgelegten Kindergeldakten.
Gründe
Die Klage ist begründet. Die Beklagte war zu verpflichten, Kindergeld für die Tochter wie aus dem Tenor ersichtlich zu bewilligen (§ 101 Finanzgerichtsordnung – FGO). Dem Kläger stand für den streitigen Zeitraum Kindergeld zu.
Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht Anspruch auf Kindergeld u.a. für Kinder, die das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).
Der Kindergeldanspruch ist nicht wegen der Erwerbstätigkeit seiner Tochter im Umfang von mehr als 20 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit ausgeschlossen. Denn die Tochter hatte im Streitzeitraum noch keine erstmalige Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen. Das Bachelorstudium stellt vielmehr einen Teil der Erstausbildung dar. Mangels Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG war die Erwerbstätigkeit nicht anspruchsausschließend und eine Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG entfällt.
Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, von der abzuweichen keine Veranlassung besteht, darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt (, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152; vom XI R 1/14, BFH/NV 2015, 1378; vom VI R 9/15, BFHE 251, 10). Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Ferner ist erforderlich, dass aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar wird, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat ( BFHE 253,145, BStBl II 2016, 615). Da es im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf das angestrebte Berufsziel des Kindes ankommt, muss der Tatbestand „Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung” nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss (z.B. in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang) erfüllt sein ( a.a.O.). Ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss Teil der Erstausbildung sein kann, richtet sich danach, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt (vgl. ,a.a.O.). Mehraktige Ausbildungsmaßnahmen sind dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann (, a.a.O.). Ist aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein (, a.a.O.).
Der Bundesfinanzhof hat allerdings entschieden, dass der notwendige enge Zusammenhang regelmäßig nicht mehr vorliegt, wenn die Aufnahme des zweiten Ausbildungsabschnitts voraussetzt, dass vorher eine Berufstätigkeit bzw. berufspraktische Erfahrung ausgeübt wurde (, a.a.O.). Gleiches gilt, wenn das Kind den zweiten Ausbildungsabschnitt erst nach einer zwischenzeitlichen Berufstätigkeit beginnt, welche nicht nur der zeitlichen Überbrückung dient (, a.a.O.; –, juris). Gemessen hieran hat der erste berufsqualifizierende Abschluss der Tochter zur Industriekauffrau noch nicht zu einem „Abschluss der erstmaligen Berufsausbildung” im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG geführt.
Der erforderliche fachliche Zusammenhang folgt daraus, dass sich die Ausbildungsgänge zur Industriekauffrau und dem wirtschaftswissenschaftlichen Studium an der FOM inhaltlich und schwerpunktmäßig auf denselben Fachbereich beziehen. Der zeitliche Zusammenhang ergibt sich unschwer daraus, dass die Tochter noch während der Ausbildung zur Industriekauffrau das Studium aufgenommen hat. Die Zeugin hat auch glaubhaft und überzeugend bekundet, dass sie nach dem erfolgreichen Schulabschluss ein duales Studium absolvieren wollte, mangels eines entsprechenden Ausbildungsplatzes jedoch zunächst die Ausbildung zur Industriekauffrau aufnehmen musste. Der enge Zusammenhang scheitert im Streitfall im Übrigen nicht daran, dass die Aufnahme des Bachelorstudiums bei der FOM neben der allgemeinen Hochschulreife eine aktuelle Berufstätigkeit in Voll- oder Teilzeitvoraussetzt. Nach den Studienbedingungen kann diese Tätigkeit auch in einer während des Studiums zu absolvierenden Ausbildung bestehen. Die parallel zum Studium vorgenommene Berufsausbildung bedeutet daher keine Zäsur zwischen zwei Ausbildungsabschnitten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war gem. § 115 Abs.2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung oder Nr.2 FGO zur Fortbildung des Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 6/2019 S. 306
TAAAH-03934