FG Berlin-Brandenburg Urteil v. - 10 K 10033/14 EFG 2018 S. 647 Nr. 8

Rückforderung von Altersvorsorgezulage

Fehlverhalten des Anbieters bei der Antragstellung ist dem Altersvorsorgesparer zuzurechnen

Leitsatz

1. Ist eine Rückforderung der Altersvorsorgezulage bei fehlender Zulageberechtigung gegenüber dem Anbieter wegen Auflösung des Altersvorsorgevertrages nicht mehr möglich, kann die Rückforderung unmittelbar gegenüber dem ehemaligen Altersvorsorgesparer erfolgen.

2. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass der Anbieter die Zulage fehlerhaft beantragt und irrtümlich in dem an die Deutsche Rentenversicherung Bund übermittelten Datensatz angegeben hat, der Sparer sei unmittelbar anspruchsberechtigt. Dieses Fehlverhalten des Anbieters ist dem Sparer, nicht der Deutschen Rentenversicherung Bund zuzurechnen.

Gesetze: AO § 37 Abs. 2, EStG § 96 Abs. 1, EStG § 79, EStG § 89, EStG § 10a Abs. 1

Instanzenzug:

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin verpflichtet ist, für die Beitragsjahre 2008 bis 2010 erhaltene Altersvorsorgezulage in Höhe von insgesamt 462 EUR zurückzuzahlen.

Die Klägerin hatte bei der B… AG – Anbieter – vor dem Streitzeitraum einen nach dem Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz (AltZertG) zertifizierten Altersvorsorgevertrag abgeschlossen. Dieser Vertrag endete zum . Die Klägerin erhielt nach Aktenlage eine Abfindung einer Kleinbetragsrente.

Für die Streitjahre wurden folgende Zulageanträge gestellt und -beträge ausgezahlt:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Beitragsjahr
Zulageantrag am
Zulageauszahlung am
Ausgezahlter Zulagebetrag
Überprüfung der Zulageberechtigung am
2008
154 EUR
2009
154 EUR
2010
154 EUR

In sämtlichen Altersvorsorgezulageanträgen hatte der Anbieter maschinell verschlüsselt angegeben, die Klägerin sei unmittelbar zulageberechtigt „beamter=false berech=true”).

Im Zuge ihrer Überprüfung stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin in keinem der Streitjahre die Voraussetzungen für eine unmittelbare Zulageberechtigung erfüllte. Sie forderte deshalb mit Bescheid vom für die Beitragsjahre 2008, 2009 und 2010 jeweils 154 EUR, insgesamt 462 EUR, von der Klägerin zurück.

Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein. Die Beklagte habe kein Recht, die Zulagen zurückzufordern. Sie, die Klägerin, habe für die Jahre 2008 bis 2010 Beiträge gezahlt. Werde der angefochtene Bescheid nicht zurückgezogen, werde sie sich an die Verbraucherzentrale wenden und ihr Anliegen in den Medien veröffentlichen. Die Altersvorsorgezulage für die Streitjahre sei jeweils vom Anbieter beantragt worden. Hier sei der erste Fehler begangen worden, indem die Zulage beantragt wurde. Sie kenne sich nicht in den Details aus und sei der Meinung gewesen, dass das seine Richtigkeit gehabt habe. Zweitens habe die Beklagte einen Fehler gemacht, indem diese den Zulageanträgen entsprochen und die Zulagen ausgezahlt habe. Die Beklagte habe hier die Prüfung der Richtigkeit versäumt. Sie, die Klägerin, habe angenommen, dass alles seine Richtigkeit gehabt habe und verlange deshalb die Rücknahme der Forderung von 462 EUR.

Mit Einspruchsentscheidung vom wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Sei eine Einbehaltung und Abführung des Rückzahlungsbetrages durch den Anbieter wegen bereits erfolgter Auszahlung des verbliebenen Altersvorsorgevermögens nicht mehr möglich, so sei gemäß § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) die Zulageberechtigte des Vertrages verpflichtet, nach Festsetzung des Rückzahlungsbetrages den verbleibenden Restbetrag zu begleichen. Da eine Erstattung im Streitfall wegen der am erfolgten Abfindung des Altersvorsorgevertrages nach § 93 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) und der damit verbundenen Beendigung desselben nicht mehr möglich gewesen sei, sei die Klägerin, nachdem das Vertragsguthaben an sie ausgezahlt worden sei, zur Rückzahlung der zu Unrecht erhaltenen Altersvorsorgezulagen verpflichtet. Nach Mitteilung des inländischen gesetzlichen Rentenversicherungsträgers habe für die Klägerin in den Kalenderjahren 2008, 2009 und 2010 weder eine Pflichtversicherung in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung bestanden noch habe sie zu dem in § 10a Abs. 1 EStG genannten weiteren zulageberechtigten Personenkreis gehört. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin weiterhin gegen ihre Zahlungspflicht. Unter Aufrechterhaltung ihres vorgerichtlichen Vorbringens verweist sie auf ein nunmehr vorgelegtes Schreiben des Anbieters vom (Blatt 25 der Akte). Darin führt der Anbieter insbesondere aus, dass die Zulagen gemäß der vorliegenden Dauerzulagevollmacht auf Basis der gezahlten Beiträge beantragt und gutgeschrieben worden seien. Eine Änderung bezüglich der Zulagebeantragung oder Statusänderung der Klägerin sei ihm, dem Anbieter, nicht zugegangen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung nicht in ihren Rechten verletzt, da dieser nicht rechtswidrig ist, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Zutreffend nimmt die Beklagte die Klägerin auf Rückzahlung der ihr für die Beitragsjahre 2008, 2009 und 2010 gewährten Altersvorsorgezulage in Höhe von jeweils 154 EUR gemäß § 37 Abs. 2 AO in Anspruch, da der Klägerin diese Zulage ohne rechtlichen Grund gezahlt wurde, nachdem der Beklagten zunächst unzutreffend vom Anbieter mitgeteilt worden war, dass die Klägerin unmittelbar zulageberechtigt sei. Tatsächlich erfüllte die Klägerin jedoch nicht die Voraussetzungen für eine unmittelbare Zulageberechtigung.

Gemäß § 79 Satz 1 EStG haben die in § 10a Abs. 1 EStG genannten Personen einen unmittelbaren Anspruch auf Altersvorsorgezulage. Nach dem Grundtatbestand des § 10a Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz EStG gehören zur diesem Personenkreis u.a. die in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten. Eine solche Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung während des Streitzeitraumes konnte die Beklagte hinsichtlich der Klägerin nicht feststellen. Auch die Klägerin hat keine tatsächlichen Umstände angegeben, die entweder eine Rentenversicherungspflicht oder gleichgestellte Versicherungszeiten in der Rentenversicherung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) begründen könnten. Solche Umstände sind auch sonst nicht ersichtlich. Der Senat hat deshalb auch keine Veranlassung gesehen, das Verfahren auszusetzen, um der Klägerin im Hinblick auf die Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 und 4 Altersvorsorge-Durchführungsverordnung (AltvDV) Gelegenheit zu einer Kontenklärung zu geben.

Auch andere Tatbestände gemäß § 10a Abs. 1 EStG, die zu einer unmittelbaren Zulageberechtigung der Klägerin führen könnten, sind nicht erfüllt. Der Umstand, dass die Klägerin angenommen haben mag, die Tatsache der Beitragszahlung begründe ein Recht auf Behaltendürfen der ausgezahlten Zulagen, führt nicht zu einer unmittelbaren Zulageberechtigung. Gleiches gilt, soweit die Klägerin angenommen haben will, es habe alles seine Richtigkeit.

Bestand danach für den Streitzeitraum kein Altersvorsorgezulageanspruch der Klägerin, durfte die Beklagte den dennoch gezahlten Zulagebetrag auch mit dem angefochtenen Bescheid zurückfordern.

Zwar sieht § 90 Abs. 3 EStG für den Fall, dass die Beklagte nachträglich erkennt, dass ein Zulageanspruch nicht besteht, vor, dass die Zulage vom Anbieter mittels Datensatz zurückzufordern ist. Im Streitfall scheitert dieses Vorgehen jedoch daran, dass der Altersvorsorgevertrag bereits zum beendet worden war.

Dass der Gesetzgeber für diejenigen Fälle, in denen eine Rückforderung der Zulage bei fehlender Zulageberechtigung gegenüber dem Anbieter wegen Auflösung des Altersvorsorgevertrages nicht mehr möglich ist, anders als bei schädlicher Verwendung in § 94 Abs. 2 EStG, keine ausdrückliche Regelung über das Verfahren und die Form der Rückforderung getroffen hat, bedeutet nicht, dass damit eine Rückforderung unmittelbar gegenüber dem ehemaligen Altersvorsorgesparer ausgeschlossen ist. Denn § 96 Abs. 1 EStG enthält für die Zulage und die Rückzahlungsbeträge ausdrücklich die Anordnung, dass die für die Steuervergütung geltenden Vorschriften der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden sind mit Ausnahme des § 163 AO. Damit findet auch § 37 Abs. 2 AO sinngemäße Anwendung (vgl. Blümich/Lindberg, Kommentar zum EStG, 136. Auflage 2017, § 96 EStG Rz 2).

Die Voraussetzungen, unter denen § 37 Abs. 2 AO eine Rückforderung der Zulage erlaubt, sind erfüllt. Danach ist eine Zulage, die ohne rechtlichen Grund gezahlt wurde, zurückzuzahlen, § 37 Abs. 2 Satz 1 AO in Verbindung mit § 96 Abs. 1 EStG. Dass die Zulage für die Streitjahre der Klägerin ohne rechtlichen Grund gezahlt wurde, weil sie tatsächlich nicht die rechtlichen Voraussetzungen für einen Altersvorsorgezulageanspruch erfüllte, ist bereits ausgeführt worden. Gründe, die einer Rückforderung entgegenstehen könnten, sind zudem nicht ersichtlich.

Soweit die Klägerin meint, ihr Anbieter habe die Zulage fehlerhaft beantragt, wofür sie nicht einzustehen habe, weil sie geglaubt habe, es habe alles seine Richtigkeit gehabt, steht dies einer erfolgreichen Rückforderung der streitigen Altersvorsorgezulagen nicht entgegen. Die Klägerin muss sich hier vielmehr die unzutreffenden Angaben ihres Anbieters in den Zulageanträgen entgegen halten lassen. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin geht dieses Fehlverhalten nicht zu Lasten der Beklagten. Die Klägerin ist mit dem Anbieter ihrer Wahl in ein privatrechtliches Vertragsverhältnis getreten, welches unter Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen auch dem Zweck diente, der Klägerin zu einer kapitalgedeckten zusätzlichen Altersvorsorge unter Einschluss der staatlichen Zulagen zu verhelfen. Nach Auffassung des Senats traf den Anbieter damit auch die Verpflichtung, zu Gunsten der Klägerin alles zu tun, um den Vertragszweck zu fördern, wozu insbesondere die Beantragung der jährlichen Altersvorsorgezulagen unter zutreffender Angabe der Rahmendaten gehörte. Diese Pflicht hat der Anbieter gegenüber der Klägerin dadurch verletzt, dass er bei den Zulagebeantragungen für die Streitjahre eine unmittelbare Zulageberechtigung angab. Ob dies angesichts des Schreibens des Anbieters vom schuldhaft war, kann an dieser Stelle offen bleiben. Dafür, der Beklagten dieses Fehlverhalten zuzurechnen, besteht jedenfalls keine Veranlassung, hatte die Beklagte den Anbieter doch weder ausgewählt bzw. mit ihm kontrahiert noch sind sonst Umstände erkennbar, weshalb der Beklagten ein etwaiges Fehlverhalten des Anbieters zuzurechnen sein sollte.

Ebenfalls irrt die Klägerin, wenn sie meint, die Beklagte habe bei der Auszahlung der Altersvorsorgezulage für die Streitjahre einen Fehler gemacht.

Nach der gesetzlichen Konzeption des Altersvorsorgezulage-Auszahlungsverfahrens ermittelt die Beklagte allein auf der Grundlage der ihr zunächst vom Anbieter elektronisch übermittelten Daten, ob und in welcher Höhe ein Zulageanspruch besteht, § 90 Abs. 1 Satz 1 EStG. Ohne dass ein Zulagebescheid ergeht, veranlasst sodann die Beklagte die Auszahlung der ermittelten Zulage, § 90 Abs. 2 Satz 1 und 2 EStG. Eine Überprüfung, ob die ausgezahlten Zulagen zu Recht ausgezahlt wurden, hat der Gesetzgeber erst nachträglich vorgesehen, § 91 EStG. Daraus ergibt sich angesichts der vierjährigen Verjährungsfrist für Rückforderungen zu Lasten der Altersvorsorgesparer ein langer Unsicherheitszeitraum.

Dennoch ist die gesamte Regelung über die Altersvorsorgezulagegewährung verfassungsgemäß. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile vom X R 18/14, BStBl. II 2015, 371; vom X R 20/14, BStBl. II 2015, 709; vom X R 40/14, BFH/NV 2015, 1392; und vom X R 42/14, BFH/NV 2016, 1157) an, die er für überzeugend hält. Anhaltspunkte für eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in einer Weise, die zu einer abweichenden verfassungsrechtlichen Beurteilung zwingen würden, sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Zulassung der Revision beruht auf dem Umstand, dass der Sache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zukommt. Der Einwand, dass ein Fehlverhalten des Anbieters der Beklagten zuzurechnen sei und nicht dem Altersvorsorgesparer, wird auch in zahlreichen weiteren, beim Finanzgericht noch anhängigen Verfahren erhoben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
EFG 2018 S. 647 Nr. 8
SAAAG-78535